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#247, Februar 2018
#248, März 2018
#249, Mai 2018
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#253, Dezember 2018

Aktuelles Heft

INHALT #253

Titelbild
Editorial
• das erste: Rezension von Vojin Saša Vukadinović (Hg.): Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik
Podiumsgespräch: Kultureller Boykott Israels? #shitisfucked!
Boykott des Friedens - Zur Aktualität der Israel-Boykottkampagnen
VSK
From Democracy to Freedom – der Unterschied zwischen Regierung und Selbstbestimmung
Das große Musikbingo – Silvester Generalprobe
First Contact - LAN-Party
Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR.
Die Umrisse der Weltcommune und ihre Kritik
Mütterimagines, Mückenstiche und die selbstverschuldete Unmündigkeit der Frau
Erobique
• interview: Zwei Jahrzehnte unter Tage
• doku: Gegen Islamismus in Leipzig!
• doku: Den ganzen Ballast einer missglückten Geschichte abwerfen
• doku: Zum »Opfergedenken« der Chemnitzer Zivilgesellschaft
• doku: China im Weltsystem - Pokerspiel um die globale Vorherrschaft
• das letzte: Denk an Deine Klasse, Prolet!

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Zum »Opfergedenken« der Chemnitzer Zivilgesellschaft

Ein Nachwort

Für den 9. November hatten das Bündnis Chemnitz Nazifrei sowie die Initiativen Aufstehen gegen Rassismus Chemnitz und Lichterwege unter dem Motto »Opfergedenken – Hass läuft nicht!« zu diversen Aktionen aufgerufen.(1) An diesem Aufruf haben wir Einiges auszusetzen. Im Sinne der besseren Nachvollziehbarkeit unserer Kritik haben wir uns dazu entschieden, ihr den Aufruftext voranzustellen und unsere Einwände als Nachwort folgen zu lassen.

9.11.2018 OPFERGEDENKEN – HASS LÄUFT NICHT!
Der 9. November ist ein geschichtsträchtiger Tag in Deutschland. Zum 80. Mal jährt sich die Reichspogromnacht. Es jährt sich auch die Absetzung des letzten deutschen Kaisers 1918 und damit der Beginn der ersten deutschen Republik. Ein weiteres Ereignis, das sich jährt,[ ]ist der Putsch Hitlers und Ludendorf[f]s von 1923. Des [W]eiteren ist es der Tag des Mauerfalls 1989. Ein Tag also, an dem sich demokratische Errungenschaften der deutschen Geschichte genauso zeigen, wie die dunkelsten Abgründe dieser Gesellschaft.
Auch an diesem Tag hat Pro Chemnitz eine Freitagsdemonstration angemeldet, auf der wahrscheinlich wieder lautstark gegen Menschen gehetzt und die Abschaffung demokratischer Grundrechte gefordert sowie die Grundwerte der Humanität in Frage gestellt [werden werden].
Dagegen müssen wir alle gemeinsam auf die Straße gehen! Egal, wo wir innerhalb des demokratischen Spektrums politisch stehen: Es darf nicht sein, dass an diesem Tag politisch Verfolgte, Schutzsuchende aus Kriegs- und Krisengebieten und die ökonomisch Abgehängten des globalen Kapitalismus rassistisch beleidigt oder anderweitig diffamiert werden! Es darf nicht sein, dass der Islam zum Feindbild wird – und dies ausgerechnet an dem Tag, an dem 1938 die Verfolgung einer Religionsgemeinschaft in Deutschland einen vorläufigen Höhepunkt erreichte!
Gleichzeitig zeigt sich eine Kontinuität des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Antisemitische Ressentiments sind quer durch alle Gesellschaftsschichten immer noch weit verbreitet. Dieser aktuelle Antisemitismus reicht von stereotypen Vorurteilen bis zu offener Gewalt. Beispielhaft dafür ist der erneute Übergriff auf das Restaurant Schalom (am 27.8.), der sich nicht zufällig am Abend des Aufmarsches von Pro Chemnitz ereignet hat. Für uns bedeutet deshalb der 9.11. nicht nur Protest gegen die erstarkenden rechten Gruppen, sondern es ist ein Tag des Gedenkens an die Opfer der Pogrome und an alle, die den nationalsozialistischen Verfolgungen zum Opfer gefallen sind. Gleichzeitig protestieren wir im Namen der neuen Opfer, die nun unter den Schlagworten wie »Absaufen lassen!«, »Kasernieren und zurückschicken!« nicht nur an den Stammtischen gefordert werden.
Chemnitz ist ein Kristallisationspunkt. Hier ist etwas an die Oberfläche getreten, das auch in vielen Ländern Europas vorhanden ist und bislang an Macht gewinnt: Die Infragestellung der Demokratie mit ihren liberalen und rechtsstaatlichen Prinzipien. Chemnitz ist derzeit ein Paradebeispiel für die Mobjustiz, die Neurechte bereit sind[,] zu praktizieren. Um die Aushebelung demokratischer Prinzipien zu stoppen, bedarf es einer Zivilgesellschaft und einer Politik, die sich aktiv dagegen positionieren: denen es an eben jener Demokratie und Humanität gelegen ist und die die Gleichwertigkeit aller Menschen als Selbstverständlichkeit begreifen.
Kommt zahlreich zur Kundgebung am Freitag, den 9. November, ab 15:00 Uhr vor den Marxkopf! Beteiligt euch an den politischen und kulturellen Veranstaltungen, die an diesem Tag stattfinden! Wir können und dürfen den Rechten Chemnitz nicht überlassen, wir werden ihnen den öffentlichen Raum wieder streitig machen. Wir alle, die in Chemnitz leben, wir, die für eine offene, vielfältige, freie Gesellschaft einstehen, müssen gemeinsam den MenschenfeindInnen und GegnerInnen der Demokratie [entgegentreten]. Wir müssen besonders an diesem Tag vor rechtem Gedankengut und dessen Auswirkungen warnen.
Daher sollen an dem Tag mehrere Formen des Protestes möglich sein und auch gern kombiniert werden. Kommt zum Karl-Marx-Kopf (ab 15.00) zur Kundgebung von Aufstehen gegen Rassismus!, kommt zu den Lichterwegen (ab 18.30), kommt zum Konzert in der Jakobikirche, geht mit den Jusos Stolpersteine putzen und erfahrt die Schicksale all derer, an die damit erinnert werden soll. Beteiligt Euch an den vielen verschiedenen Aktionen und Kulturbeiträgen, die an diesem Tag stattfinden werden. Informationen zu den verschiedenen Veranstaltungen findet Ihr im Programm, auf Facebook, aber auch auf den verschiedenen Plakaten und Flyern, die auf den Tag aufmerksam machen werden. Bleibt wachsam und kommt zahlreich am 09.11. zu den Kundgebungen!
Gemeinsam sind wir stark!

Liste der bisherigen Unterstützer*innen:
Die Buntmacher/innen
Jusos Chemnitz
Aufstehen gegen Rassismus Chemnitz
SPD Chemnitz SPD-Stadtratsfraktion Chemnitz
Die PARTEI Chemnitz
Student_innenrat der TU Chemnitz
Amnesty International Chemnitz
Grüne Jugend Chemnitz
smac — Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz Wolfram Ette, Chemnitz (Freies Institut für Bildung e.V.) Kristin Seidemann
Katrin Schapitz
MdL Klaus Bartl (DIE LINKE)
Valérie Suty
[Veto]
Linksjugend [’Solid] Chemnitz FEMermaid
Die LINKE Chemnitz Christian Neubauer
Piraten Chemnitz
Fraktionsgemeinschaft VOSI / PIRATEN Bündnis 90/Die Grünen Chemnitz

Nachwort
Dass man Nazis, Antisemiten, Rassisten und Hooligans etwas entgegensetzen muss, darüber besteht auch unter den Verfassern dieses Flugblatts Konsens. Daran aber, ob man ihnen gerade das entgegensetzen sollte, was ihnen die Chemnitzer Zivilgesellschaft entgegensetzt, lässt sich doch erheblich zweifeln.
Zu begreifen hätte diese Zivilgesellschaft jedenfalls unter anderem endlich einmal, dass moderner Antisemitismus, zumal in nationalsozialistischer Ausprägung, sich von »Verfolgung einer Religionsgemeinschaft« ebenso wie von »Rassismus« erheblich unterscheidet und auch nicht in eine Reihe mit »Kasernieren und zurückschicken!« und »Absaufen lassen!« passt. Denn: Was die Nazis an Orten wie Auschwitz-Birkenau, Sobibor und Treblinka fast realisiert hätten und was die Führer in Gaza und Teheran heute allzu gerne zur »Endlösung« vervollständigen würden, ist unbedingte und totale Vernichtung aller, die ihnen als Träger einer »jüdischen Macht« galten bzw. gelten, die der antisemitischen Projektion zufolge hinterrücks die ganze Welt unterwirft, um ihr zum eigenen Vorteil die Lebensgrundlagen abstreitig zu machen, kurzum: einer Macht, die der absolute Feind im Verborgenen ist.
Diese Zivilgesellschaft sollte auch unterscheiden können zwischen einem religiös, rassistisch oder nationalistisch motivierten Feindbild Islam und einer dringend gebotenen, selbstbewussten Kritik an Islamismus ebenso wie dem muslimischen Mainstream in Europa und Deutschland, die sich nicht hinter den Zaun kulturapologetischer Toleranz sperren lässt und konsequent für Individuum, Freizügigkeit und wenigstens bürgerliches Recht statt Scharia eintritt.
Außerdem sollte sich diese Zivilgesellschaft darüber im Klaren sein, dass der Fall der Berliner Mauer erstens nicht einfach eine demokratische Errungenschaft war, sich aber zweitens gerade in seiner stolzen Feier als demokratische Errungenschaft auch dunkle Abgründe der deutschen Gesellschaft auftaten. Und das nicht nur am 9.11.1989, sondern vor allem in den Szenen unmittelbarer Volkssouveränität, die sich wenig später in Hoyerswerda, Rostock und bei anderen Selbstfindungskrawallen der Berliner Republik abspielten.
Wissen sollte diese Zivilgesellschaft gleichfalls, dass einige der profundesten Kritiker von Herrschaft und Ausbeutung ihre Kritik aus guten Gründen nicht von einem Standpunkt innerhalb des demokratischen Spektrums aus formulierten.
Und nicht zuletzt sollte es diese Zivilgesellschaft vermeiden, ein oberflächliches Hantieren mit Schablonen politischer Begriffe und Pseudobegriffe an den Tag zu legen, in dem sich dann
üblicherweise einerseits unter »rechts« (vulgo: schlecht) spontane Reihungen wie »Intoleranz, Diskriminierung, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Faschismus, Gewalt« finden und andererseits unter »zivilgesellschaftlich« und »demokratisch« (vulgo: irgendwas von friedlich linksradikal bis einigermaßen liberal, ergo: gut) die kunterbunte Flagge der Menschenwürde flattert, wo doch im Grunde alle wissen, dass »die Grundwerte der Humanität« nicht erst von »erstarkenden rechten Gruppen« infrage gestellt werden, sondern es auf dieser Welt des »globalen Kapitalismus« schon durch eine soziale Ordnung sind, in der Hunger nur sehr bedingt ein Grund zur Produktion ist.
Lässt sich diese Zivilgesellschaft auf solcherlei Erkenntnisse, die ihren eigenen Betrieb berühren würden, nicht ein, wird ihr Engagement sich absehbar vollends in Pseudoaktivität auflösen und sie wird, fernab davon, wirklich etwas gegen die Zustände, die sie zu Recht kritisiert, auszurichten, lediglich ihren eigenen Burnout als Akteur in einem grotesken Polit-Theater darbieten und sich dabei auf fatale Weise lächerlich machen.
Manuel Bauchschleifer, Josephine Könners, Roland Rottweiler

Anmerkungen

(1) http://chemnitz-nazifrei.de/2018/10/31/9-november-opfergedenken-hass-laeuft-nicht/

07.12.2018
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