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Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

#247, Februar 2018
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Aktuelles Heft

INHALT #252

Titelbild
Editorial
• das erste: Mach meinen Kameraden nicht an!
• inside out: Scheinbar harmlos und unverdächtig
Die Ruinen von Hamburg.
Alarmsignal
Akua Naru
Cosmo Sheldrake
Listener
Wolfgang Pohrt - Werke in 11 Bänden
Unbequeme Opfer? »Berufsverbrecher« und »Berufsverbrecherinnen« als Häftlinge in NS-Konzentrationslagern
Kadavar
Dillon Cooper
• review-corner buch: Im Zweifel für den Zweifel
• doku: Jenseits von schwäbischen Spätzlemanufakturen und kiezigen Kneipen – polit-ökonomische Perspektiven auf Gentrifizierung
• das letzte: Das Viertel bleibt dämlich

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Mach meinen Kameraden nicht an!

Das Ein Prozent-Netzwerk will mit der Kampagne Werde Betriebsrat! dem DGB in den Betrieben Konkurrenz machen. Inzwischen sind zu diesem Thema einige Publikationen aus dem gewerkschaftlichen Spektrum erschienen. Im CEE IEH werden in einem ersten Teil zunächst ausgewählte Veröffentlichungen kurz vorgestellt und unter verschiedenen Gesichtspunkten kommentiert.

Spätestens seit dem 25. November 2017 dürften antifaschistisch Engagierte die Thematik auf dem Schirm haben. An diesem Tag fand in Leipzig – nur wenige Kilometer vom Conne Island entfernt – die COMPACT-Konferenz statt. Die Teilnehmer_innen konnten ohne nennenswerte Störungen anreisen – darunter auch die prominentesten Köpfe der sogenannten Neuen Rechten aus dem deutschsprachigen Raum: Björn Höcke (AfD), Lutz Bachmann (PEGIDA), Jürgen Elsässer (COMPACT) und Martin Sellner (IB).(1)
Elsässer ließ es sich nicht nehmen, die aktuelle Kampagne des Ein Prozent-Netzwerks persönlich vorzustellen: Unter dem Motto Werde Betriebsrat sollen rechte Arbeitnehmer_innen an die Arbeit im Betriebsrat herangeführt werden, um auf betrieblicher Ebene nationalistische Plattformen als Gegenpol zu den DGB-Gewerkschaften etablieren zu können, deren Mitglieder in gewohnt populistischer Manier diffamiert werden: Wahlweise als »Gewerkschaftsbonzen« oder linke Betriebsräte, die als »Gesinnungswächter« und »Gedankenpolizisten« die Arbeitsplätze aufrechter Patrioten gefährden.
Als Vorbild dient die rechte Pseudo-Gewerkschaft Zentrum Automobil, die seit 2009 in Baden-Württemberg aktiv ist. Führungsfigur Oliver Hilburger war jahrelang Gitarrist der Neonazi-Band Noie Werte und ist seit 2010 Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim. Mit Hilburgers Erfahrung und den finanziellen und personellen Ressourcen des Ein Prozent-Netzwerks sollten geeignete Kandidaten auf die Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 vorbereitet werden.
Erfolgreich war dieses Vorhaben vor allem in Sachsen, wo Zentrum Automobil im Zwickauer AfD-Mann Frank Neufert einen umtriebigen Agitator gefunden hat, der im BMW-Werk Leipzig mit seiner Liste Interessengemeinschaft Beruf und Familie auf Anhieb 4 von 35 Mandaten erringen konnte. Bei Porsche in Leipzig erhielt die rechte Liste mit dem unverfänglichen Namen immerhin 2 von 31 Mandaten.
Die Veröffentlichung Rechtspopulismus und Gewerkschaften – Eine arbeitsweltliche Spurensuche betreibt hier gewissermaßen Ursachenforschung und basiert auf den Ergebnissen einer qualitativen Befragung von insgesamt 114 Gewerkschaftsfunktionär_innen und -mitgliedern zum Verhältnis von Rechtspopulismus und Arbeitswelt.
Die Situation in Ostdeutschland und die Perspektive ostdeutscher Gewerkschaftsmitglieder ist jedoch unterrepräsentiert, wie die Verfasser_innen bei der Beschreibung des Untersuchungsfelds selbst bemerken:
»Es gab eine Gesprächsrunde in Ostdeutschland und auch einige Teilnehmer*innen aus Ostdeutschland in Gesprächsrunden in Westdeutschland, aber wir hatten Schwierigkeiten, mit unserem Thema an Seminarveranstaltungen in Ostdeutschland anzudocken. Uns wurde von Teamer*innen erklärt, dass sie befürchten, mit dem »hoch emotional besetzten Thema« den Ablauf ihres Seminars zu gefährden. Deswegen konnten wir die Situation in Ostdeutschland nicht so ausführlich erfassen, wie wir es ursprünglich wollten.« (S. 32)


Gerade vor dem Hintergrund, dass rassistische Stimmungsmache und rechte Positionen in Ostdeutschland im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich viel Zustimmung erfahren, was sich nicht zuletzt anhand der Wahlergebnisse der AfD belegen lässt, stellt die unzureichende Auseinandersetzung mit der Situation in ostdeutschen Betrieben eine deutliche Schwäche der Studie dar. Auffällig ist hier insbesondere das Fehlen von Stimmen aus der gewerkschaftlichen Basis.
Aufschlussreich sind hingegen die Schilderungen und Einschätzungen ostdeutscher Gewerkschaftsfunktionär_innen: Deren Beiträge lassen die weitestgehend marginalisierte Rolle erahnen, die Gewerkschaften insbesondere in den neuen Bundesländern spielen. Daraus ergibt sich eine Ohnmacht angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks: Ein vergleichsweise geringer Organisationsgrad in vielen Betrieben und drohende Gewerkschaftsaustritte erschweren eine konsequente Positionierung zu rechten Einstellungen in Betrieb und Gesellschaft.

»Geht man noch mit Gewerkschaftsfahnen zu Anti-AfD-Demonstrationen?
Soll man auf Betriebsversammlungen über Geflüchtete und AfD reden?
Angst vor Mitgliederverlusten macht die Gewerkschaftsgliederungen –
nicht nur in Ostdeutschland – vorsichtiger in ihrem Umgang mit Rechtspopulist*
innen.« (S. 190)

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass rechte Akteure insbesondere in die ostdeutschen Betriebe drängen, wo sie weniger gewerkschaftliche Gegenwehr zu erwarten haben als in Westdeutschland. Dass sie trotzdem nicht überall mit offenen Armen empfangen werden – wie Björn Höcke im April 2018 bei Opel in Eisenach erfahren musste – ist begrüßenswert, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine derart effektive und gut organisierte Abwehr rechter Einflussnahme wohl eher die Ausnahme als die Regel bleiben wird.
Die Zeitschrift der rechte rand – magazin von und für antifaschistInnen widmet sich der Thematik in der März/April-Ausgabe 2018 (Nr. 171) ebenfalls ausführlich. Neben Interviews mit Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands, und Giovanni Pollice, Vorsitzender des Vereins Mach meinen Kumpel nicht an!, beleuchten einzelne Beiträge die verschiedenen, nebeneinander bestehenden Strukturen rechter Akteure und deren Vernetzung.(2)
Während sich die ersten drei Beiträge mit den parallel existierenden AfD-Arbeitnehmerorganisationen AVA (Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer), AidA (Arbeitnehmer in der AfD) und ALARM! (Alternativer Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland) befassen, werden in den darauf folgenden drei Artikeln die Aktivitäten des Ein Prozent-Netzwerks unter die Lupe genommen und die Tätigkeit der rechten Gewerkschaft Zentrum Automobil bei Daimler in Untertürkheim, die Ein Prozent-Kampagne Werde Betriebsrat! und die Kampagnen-Zeitung Alternative Gewerkschaft näher beleuchtet.
Der Beitrag von Ernst Kovahl (S.35) widerlegt die landläufig vertretene Einschätzung, es handle sich bei den zunehmenden Versuchen rechter Akteure, in den Betrieben Fuß zu fassen, um ein neuartiges Phänomen, indem er einen exemplarischen Überblick über wesensverwandte Bestrebungen der deutschen Nachkriegsgeschichte bietet.
Leider blendet das Fazit – »Bisher blieben aber all diese Bemühungen bis auf Einzelfälle erfolglos.« – die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vergangener Misserfolge und den rasanten Rechtsruck, der sich aktuell vollzieht und damit ein günstigeres Klima für derartige Vorhaben bietet, weitestgehend aus. Symptomatisch ist in diesem Zusammenhang die Wortwahl des Autors: Die Verwendung des Begriffs »Szene« wirkt nicht nur altbacken – sie verschleiert auch die Dimensionen rechter Netzwerke, die vom neonazistisch-subkulturellen Spektrum, über aktivistische, publizistische und parlamentarische Strukturen bis in die Mitte der Gesellschaft reichen und zunehmend über beträchtliche finanzielle und personelle Ressourcen verfügen.
Dabei lässt doch gerade der ambitionierte Versuch, die eigene politische Praxis nachhaltig in den Betrieben und damit im Alltag der Menschen zu verankern, das Ausmaß der aktuellen rechten Mobilisierung erkennen, die strukturell weit über die rechte Szene hinausreicht, sich in Teilen von dieser emanzipiert, ohne sich freilich vollends von ihr zu distanzieren.
Dass rechte Kampagnen in den Betrieben zwingend im Kontext des gesellschaftlichen Rechtsrucks zu betrachten sind, lässt sich auch anhand der Ausführungen des Kubitschek-Jüngers Benedikt Kaiser nachvollziehen. Dieser gehörte viele Jahre der rechten Szene an (z. B. Freies Netz Chemnitz), weiß sich inzwischen jedoch medienwirksam als rechtsintellektueller Lektor (Verlag Antaios) und Autor (Sezession) zu inszenieren. Der elitäre Habitus hindert ihn jedoch nicht daran, in der Kampagnen-Zeitung Alternative Gewerkschaft dem populistischen Duktus von Björn Höcke und Jürgen Elsässer folgend die soziale Frage mit nationalistischen Argumenten zu verknüpfen.

Inhaltlich ist das nicht weiter verwunderlich. Schließlich proklamiert Kaiser an anderer Stelle, in einem Beitrag für die österreichische Zeitschrift Neue Ordnung: »Die Rechte wird die soziale Frage wiederentdecken oder sie verpasst eine historische Chance.« Allein der Stil – einfache Sätze mit alternativen Fakten und Zahlen, die in der Kontrastierung Fragen aufwerfen sollen, welche Kaiser jedoch in Form von Suggestivfragen vorwegnimmt – passt nicht so recht zum Image des Schnellroda-Youngsters. Schließlich geriert sich Kaiser neuerdings gern als Intellektueller, in dem auch bürgerliche Feuilletonisten »eine intellektuell durchaus satisfaktionsfähige neue Stimme« (Tilman Krause, Die Welt) erkannt zu haben meinen.

Denn tatsächlich kann Kaiser auch anders: Ebenfalls in Neue Ordnung bezieht er sich, anknüpfend an den neurechten Vordenker Alain de Benoist, auf den linken Theoretiker Antonio Gramsci und dessen Konzept der kulturellen Hegemonie. Mit Blick auf bereits gelungene oder aussichtsreiche Bestrebungen rechter Parteien in Österreich, Italien und Frankreich, Regierungsbeteiligung zu erlangen, gibt Kaiser zu bedenken, »daß kein substantieller Wandel in der Gesellschaft denkbar ist, der die Abfolge des Dreischritts nicht beachtet und die Tiefenstruktur des Denkens der Menschen – die Mentalität bzw. den ›Alltagsverstand‹, das ›volkstümliche Element‹ (Gramsci) – nicht zuallererst in den Fokus nimmt. Daran scheitern rechte Populisten Westeuropas serienmäßig: Die Beispiele Österreich und Italien, bei denen die unverzichtbare (kulturelle) Hegemonie in Medien und Gesellschaft nicht ansatzweise erlangt wurde, bevor man glaubte, Regierungsverantwortung übernehmen zu müssen, sollten ausreichende Warnung sein.«
Kaiser spricht hier in Anlehnung an Gramsci und de Benoist von der Herstellung kultureller sowie politischer Hegemonie und der anschließenden Erlangung der politischen Macht als einem Dreischritt. Damit wird deutlich, dass auch das rechte Engagement in den Betrieben als Bestandteil einer umfassenderen Strategie zu bewerten ist, die als »Kulturrevolution von rechts« die Voraussetzungen für einen »substantiellen Wandel in der Gesellschaft« schaffen soll.
Aus seiner Sicht dürfte die Ein Prozent-Kampagne Werde Betriebsrat! demnach einen von vielen Erfolg versprechenden »metapolitischen« Schritten auf dem Weg zur Erlangung kultureller sowie politischer Hegemonie darstellen, denen der schlussendliche Griff nach der Macht im Staat als Voraussetzung für die anschließende Umgestaltung der Gesellschaft gemäß der eigenen Ideologie zu folgen habe.

Nicht zuletzt deshalb sollten antifaschistisch Engagierte sowie Gewerkschafter_innen die aktuellen Entwicklungen auch nach dem vorläufigen Abflauen der medialen Berichterstattung weiterhin aufmerksam verfolgen und möglichst gemeinsam agieren, um rechte Strukturen in den Betrieben effektiv zurückzudrängen. Dabei gilt es, auf den instrumentellen Zugang rechter Akteure hinzuweisen, die mit der Etablierung nationalistischer Plattformen in den Betrieben nicht weniger als die Erringung kultureller und politischer Hegemonie in der Arbeitswelt und letztlich in der gesamten Gesellschaft anstreben.

von Fedor Fliederbusch

Anmerkungen

(1) Mit der ehemaligen Messehalle 16, heute bekannt als Eventpalast Leipzig, wurde zudem ein Veranstaltungsort gewählt, der anwesenden NS-Nostalgikern womöglich Tränen der Rührung in die Augen getrieben haben mag. Architekt der 1913 errichteten Betonhalle war schließlich kein Geringerer als der spätere Reichskultursenator der bildenden Künste, Wilhelm Kreis. Kreis gehörte zum handverlesenen Zirkel jener zwölf Kulturschaffenden – darunter auch der Bildhauer Arno Breker – die 1944 von Joseph Goebbels und Adolf Hitler in die sogenannte »Sonderliste der unersetzlichen Künstler« aufgenommen wurden.

(2) Die Artikel sind inzwischen auch online verfügbar: www.der-rechte-rand.de/ausgaben/ausgabe-171/

08.11.2018
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