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Aktuelles Heft

INHALT #176

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Rockwell
The Chariot, I Wrestled A Bear Once, The Eyes of a Traitor
Im zweiten Anlauf…
TRASH – A never ending Story
Motorcitydubs
These Boots Are Made For Stomping...
Turbostaat
Die Welt ist sehr chaotisch geworden
Johnossi
la familia y amigos festival
Nichts Neues im Westen? Doch!
The Casting Out
Alkaline Trio
The Sonic Boom Foundation
The Bronx & Mariachi El Bronx
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• doku: In Bewegung – know your feminist history
• doku: And we're running down the backstreets – Oi! Oi! Oi!
• ABC: S wie Surrealismus
• review-corner film: Dreamworks statt teamWorx!!!
• kulturreport: Deutlich auf der Seite des Guten
Die verkürzte Deutschlandkritik
• doku: Eskalation in Sachsen
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S wie Surrealismus

Teil 1

„‚Die Welt verändern', hat Marx gesagt – ‚Das Leben ändern', hat Rimbaud gesagt: Diese beiden Losungen sind für uns eine einzige.“ (André Breton)

Mit dem Begriff Surrealismus verbinden wahrscheinlich alle mehr oder weniger diffuse Assoziationen, bei mir waren es Dalí, Drogen und reichlich unverständliche Poesie von ein paar Künstlern, die wohl ein bisschen mit der Sprache herumexperimentierten. Bei genauerem Hinsehen steckt hinter der Bewegung jedoch einiges mehr, weswegen ihr hier ein Artikel gewidmet sei. Denn der Surrealismus wollte es nicht in die Museen der Modern Art schaffen; ihm ging es um Freiheit und Revolution.
Er lässt sich einordnen in die avantgardistischen Bewegungen, die Anfang des 20. Jahrhundert entstanden sind. Die Entwicklung dieser Avantgarden, darunter fallen neben dem Surrealismus vor allem der Dadaismus und der Futurismus, sind vor allem eine Antwort auf die Krise der bürgerlichen Kunst. Diese löste sich mit der Entwicklung der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft ab von den Sphären, an die sie vorher gekoppelt war – nämlich von Kirche und Staat. Diese Trennung von Kunst und Gesellschaft führte zu einer neuen Funktion der Kunst: der ständige Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft, d.h. die Negation der bestehenden Wirklichkeit. Der autonome Status der Kunst entlastete jedoch gleichzeitig die Gesellschaft von dem Druck einer qualitativen Veränderung, indem sie die bessere Ordnung in der Fiktion verwirklichte. Das Individuum konnte so in ihr Befriedigung seiner Bedürfnisse erfahren, ohne dass sich an der gesellschaftlichen Wirklichkeit etwas änderte. Herbert Marcuse nannte dies den „Doppelcharakter der Kunst“: Negation als Moment ihrer Freiheit und Affirmation als Moment ihrer Folgenlosigkeit.
Das affirmative Element, die gesellschaftliche Wirkungslosigkeit der von der Lebenspraxis abgehobenen Kunst wurde schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts kritisiert. Die Kritik, die die avantgardistischen Bewegungen an der bürgerlichen Kunst übten, stellte zunächst das traditionelle Kunstverständnis auf den Kopf. Sie versuchte, die Kategorie des Kunstwerks, seinen Verwendungszweck sowie die Trennung von Produktion und Rezeption aufzuheben. Die konstitutive Trennung von Kunst und Leben wurde von einer Überführung der Kunst ins Leben abgelöst. Das Ziel war dabei nicht die Integration der Kunst in die bestehende Gesellschaft, welche weiterhin radikal abgelehnt wurde, sondern die Schaffung einer neuen Lebenspraxis. Praktische Kunst und ästhetische Praxis traten in einen dialektischen Zusammenhang.(1)

„Im Dienste der Revolution“

Der Surrealismus intendierte genau solch eine befreiende Lebenspraxis. Sein Wirken und seine Ziele müssen dabei aus der spezifischen historischen Situation heraus verstanden werden. Sicherlich spielen verschiedene Ereignisse eine Rolle, hauptsächlich kann die Entstehung der surrealistischen Bewegung jedoch als Reaktion auf den ersten Weltkrieg in Frankreich verstanden werden. Dieser stellte für die französische Gesellschaft einen immensen Schock dar, u.a. aufgrund der Dauer der Kämpfe auf französischem Territorium, der hohen Zahl der Opfer und der schwerwiegenden psychologischen Traumata der Überlebenden. Die ersten Mitglieder der surrealistischen Gruppe waren Pariser Literaten, die den ersten Weltkrieg miterlebt hatten. Seine Absurdität schien der endgültige Beweis für die Krise des humanistischen Freiheitsbegriffs zu sein und führte zu einer extrem antibürgerlichen Haltung der Surrealisten. Zwar waren sie selbst Literaten des Pariser Bürgertums, allen voran André Breton(2), doch grenzten sie sich schnell ab vom Begriff der Literatur und der Kunst im traditionellen Sinn. Seit ihrer Gründung 1924 durch die Veröffentlichung der Zeitschrift La Révolution Surréaliste und dem 1. Surrealistischen Manifest verfolgten die Surrealisten kein künstlerisches, sondern ein revolutionäres Programm; So heißt es auch auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe: „Wir sind fest entschlossen zur Revolution“.
Und genau an dieser Stelle erlangt die Betrachtung der surrealistischen Bewegung ihre Relevanz für eine radikale Gesellschaftskritik. Ihr Ziel war eine befreite Gesellschaft durch die Befreiung des Bewusstseins von gesellschaftlichen Zwängen. Sie verstand sich selbst – zumindest in den ersten Jahren – nicht als ein künstlerisches Kollektiv, sondern als revolutionäre Bewegung des Geistes. „Der SUREALISMUS ist ein Schrei des Geistes, der sich auf sich selbst zurückwendet und der fest entschlossen ist, seine Fesseln zu zermalmen.“(3) Ihre Ausdrucksformen kulminierten weniger in ästhetischen Kunstwerken, sondern im Schock, Skandal und in der Demoralisierung. Ihr Protest galt der herrschenden Rationalität und Logik, den Gesetzen des Tausches und der Arbeit sowie jeglichen Moral- und Verhaltensregeln. Dafür wurde neben der Zeitschrift das ‚Büro für surrealistische Forschung` gegründet, in dem alle surrealistischen Ereignisse und Handlungen gesammelt werden sollten. Es mag zunächst als Widerspruch erscheinen, dass die Surrealisten ein Büro, wohl eine der bürgerlichsten Institutionen überhaupt, für sich in Anspruch nahmen. André Breton erklärte dies damit, dass surreale Handlungen vor der Vereinnahmung durch die herrschende Logik und Zweckrationalität geschützt werden müssen, die überall und immer präsent waren, und dass das surreale Denken eine institutionelle Zuflucht brauche.
Der Surrealismus verfolgte einen radikalen Individualismus, der den Einzelnen aus seiner Verzweiflung, in die ihn die Gesellschaft trieb, durch die Entdeckung neuer Geisteszustände herauszuführen versuchte. Analog zu dem besonderen Verhältnis von Kunst und Leben bildete sich eine spezifische Beziehung der Einzelnen zur Gruppe heraus. Der individuelle Selbsthass sollte durch die Gruppe aufgefangen und das eigene Selbst aufgewertet werden. Es entstand ein eigentümliches Kollektiv, das menschliche Beziehungen und Tätigkeiten auf neue Weise formte und aus dem instrumentellen Zusammenhang der zweckrationalen Gesellschaft herauslöste.(4)
Die Ablehnung der gesellschaftlichen Verhältnisse machte den Surrealismus anfangs zu einer apolitischen Bewegung, was sich später jedoch ändern sollte. Stand 1924 und 1925 die Befreiung des Geistes noch im Vordergrund, stellte sich die Bewegung in den zehn darauffolgenden Jahren dem Konflikt zwischen der eigenen surrealistischen und der marxistischen Praxis. Es folgt zuerst ein Blick auf die surrealen Mittel und Methoden, um dann den Konflikt mit dem Marxismus genauer zu betrachten. Denn dieser war einerseits prägend für den Surrealismus ab 1925, andererseits macht er den Mangel an der damaligen proletarischen Bewegung deutlich, die dem Verhältnis von gesellschaftlichem Sein und individuellem Bewusstsein im revolutionären Kampf nicht genügend Beachtung schenkte.

Imagination und Traum

Von Freud inspiriert kreisten die Tätigkeiten der Surrealisten darum, eine neue, zauberhafte Wirklichkeit zu erschaffen, mit Hilfe der imagination als hoffnungsvolle Gegenspielerin der Logik. Dafür entwickelten die Surrealisten zahlreiche Methoden, die sich gegen Kontrolle, Zwang und Identität richteten. Zuerst einmal galt es, den träge gewordenen Geist durch die Flucht in die Irrationalität zu befreien – im Traum als dem vielleicht letzten Ort der Freiheit. Der Traum galt den Surrealisten als eine gleichberechtigte Daseinsform zum Wachzustand jenseits von logischen, zweckrationalen und moralischen Zwängen. Er verkörperte die Negation des Bestehenden, in der freies Denken erst möglich und deshalb auch wirklich war. „Die Tatsache, dass der gewöhnliche Beobachter den Ereignissen des Wachseins und denen des Schlafes so äußerst unterschiedliche Wichtigkeit […] beimißt, hat mich schon immer in Erstaunen versetzt. […] Warum sollte ich dem Traum nicht zugestehen, was ich zuweilen der Wirklichkeit verweigere?“(5) Diese neue Dimension erhellte den Weg zum eigenen, wahren Selbst, zum unbekannten Unbewussten, das im Gegensatz zum konditionierten Bewusstsein ganz neue Erfahrungen und Empfindungen bereithielt.
Neben dem Traum suchten die Surrealisten auch in der Realität die Ereignisse, die dem zweckrationalen Geist entgingen und das Wunderbare im Alltäglichen enthüllten. Der objektive Zufall etwa setzte voneinander unabhängige Ereignisse in Beziehung. Anhand beliebiger Kriterien wurde eine Übereinstimmung zwischen diesen Ereignissen ausgedacht und damit ein nicht zu erfassender Sinn hergestellt.
Das Spiel Erlesene Leichnamen war ein assoziatives Gesellschaftsspiel, das jedem Sinn und Wirklichkeitsgehalt kategorisch widersprach. Auf den ersten Satz ‚Der erlesene Leichnam` assoziierte eine Gruppe nach und nach Sätze, die niedergeschrieben wurden. Das Resultat waren willkürlich aneinandergereihte Gedanken, die keine zusammenhängende Handlung oder Logik mehr erkennen ließen.
Eine der frühesten und wichtigsten surrealistischen Praxen war das Automatische Schreiben. Im passivsten Zustand, der sich erreichen ließ, wo der Geist auf sich selbst und auf keinen anderen Zweck konzentriert war, bestand dieses surrealistische Spiel darin, schnell, spontan und assoziativ drauflos zu schreiben, so lange der Schreibende Lust verspürte. Im besten Fall entstand eine „surrealistische Sprache“, in der zwei Wirklichkeiten, die bekannte und die zu entdeckende unbewusste, durch einen surrealistischen Vorgang miteinander verbunden wurden. Breton spricht vom verbindenden Funken, der eine surrealistische Atmosphäre schaffte, die „für die Gewinnung der schönsten Bilder besonders geeignet“(6) war. In diesem Auftauchen neuer Bilder kreierte der Autor eine andere Wirklichkeit, die mit der Realität nichts mehr zu tun haben sollte. „Das stärkste Bild, muß ich gestehen, ist für mich das, das von einem höchsten Grad von Willkür gezeichnet ist; für das man am längsten braucht, um es in die Alltagssprache zu übersetzen […]“.(7)
Die Sprache wurde aus ihren instrumentellen Angeln sozialer Beziehungen und Moralvorstellungen herausgelöst; sie wurde selbst zum Subjekt. Durch die assoziativen Verfahren sollten sich keine äußeren Einflüsse mehr zwischen das Denken des Individuums und die Sprache stellen und beide dadurch befreit werden. Gereinigt von der Herrschaft der Logik symbolisierte die Freiheit der Sprache die Freiheit des Geistes. Die Wörter selbst sollten nicht mehr von den Dingen in der Welt abhängen und die Sprache so eine zerstörerische Qualität gegenüber der Gesellschaft erlangen. Schreiben war das surrealistische Mittel authentischer Erfahrung, jedoch nicht im Dienste der Literatur. Schreiben galt als eine Betätigung des Geistes für jeden Einzelnen, ein allgemeines menschliches Verlangen, um die eigene Wirklichkeit weiterzuentwickeln und das Dasein des ganzen Menschen zu ergründen.
Das Ziel der surrealistischen Praxis war es also, das „gesamte psychische Vermögen zurückzugewinnen auf einem Wege, der nichts anderes ist als der schwindelnde Abstieg in uns selbst, die systematische Erhellung verborgener Orte und die progressive Verfinsterung anderer, ein ständiges Wandeln auf verbotenem Terrain.“(8) Breton verfolgte kein geringeres Vorhaben, als alle gesellschaftlichen Antagonismen im Surrealen miteinander zu vereinen: „Alles lässt uns glauben, dass es einen bestimmten geistigen Standort gibt, von dem aus Leben und Tod, Reales und Imaginäres, Vergangenes und Zukünftiges, Mitteilbares und Nicht-Mitteilbares, Oben und Unten nicht mehr als widersprüchlich empfunden wird.“(9)

Annäherung an Marx

Bis 1925 brachte die surrealistische Gruppe realpolitischen Ereignissen vor allem polemische und zynische Äußerungen entgegen. Die russische Revolution etwa wurde von Aragon als „triviale Ministerialkrise“ abgetan. Die Politik wurde nicht als Mittel für gesellschaftliche Veränderung angesehen und stattdessen weiterhin ein radikaler Individualismus verfolgt. Die Feindschaft der Surrealisten zu akademischen Intellektuellen und dem französischen Militarismus, sowie gegenüber allem, was den Stempel der bürgerlichen Zivilisation trug, legte die Zusammenarbeit mit der proletarischen Bewegung dann schließlich doch nahe. Es wurde sich zwar nie verabschiedet vom Ziel der Befreiung des Geistes und dem Streben nach einer für den Menschen absoluten Erfahrung. Um dorthin zu gelangen, erweiterten die Surrealisten ihre ‚surrealen Tätigkeiten` jedoch um die Auseinandersetzung mit Marx, Lenin und Trotzki. Viele von ihnen kamen zu der Einsicht, dass die absolute Befreiung des Denkens ohne eine Veränderung der sozialen Verhältnisse nicht zu erreichen war, schienen die gesellschaftlichen Verhältnisse das bürgerliche Individuum doch bis ins Unbewusste zu prägen. Insofern waren die Surrealisten von der Notwendigkeit der proletarischen Revolution überzeugt, schafften es jedoch nie, die Spannungen mit der kommunistischen Bewegung vollständig aufzulösen.
Der Versuch einer Zusammenarbeit begann 1925 mit linksintellektuellen Kreisen, etwa der kommunistischen Zeitschrift Clarté und verschiedenen Philosophen. Es wurden mehrere Flugblätter und gemeinsame Artikel veröffentlicht. Die Position blieb jedoch immer schwammig, weil es eigentlich keine gemeinsame gab und die Kooperation brach bald wieder zusammen. Im Januar 1927 traten fünf bedeutende Surrealisten, darunter Aragon und Breton, in die PCF (Parti Communiste Française) ein. Der surrealistischen Bewegung wurde jedoch stets ein Misstrauen von der kommunistischen Partei entgegengebracht, und der Surrealismus als unvereinbar mit dem Marxismus angesehen. Dies lag nicht zuletzt an der autoritären Führung der PCF, die etwa von Breton verlangte, sich im Zuge seiner Parteimitgliedschaft vom Surrealismus zu verabschieden. Auch innerhalb der surrealistischen Gruppe kam es zu heftigen Diskussionen, wie mit politischen Aktionen umzugehen sei, und zu Distanzierungen einiger Surrealisten zu Gunsten der PCF, etwa seitens Naville und Bunuel. Die Spannungen mit der kommunistischen Bewegung Frankreichs hinderten die Surrealisten jedoch nicht daran, in ihrer antibürgerlichen Revolte nun auch unmittelbar politisch zu wirken. In radikaler und destruktiver Form wandeten sie sich u.a. gegen Kolonialismus, Rassendiskriminierung, Nationalismus, Imperialismus und Kirche. Diejenigen der Gruppe, die sich nicht eindeutig gegen Vaterland, Moral und Kultur der bürgerlichen Gesellschaft positionierten, wurden rausgeschmissen.

Abschied vom Marxismus Der Versuch, die künstlerische und die politische Aktivität in einer revolutionären Linie zusammen mit den Marxisten zu harmonisieren, scheiterte vor allem durch die Richtung, die der Kommunismus in Russland wie auch in Frankreich einschlug. 1933 trat Breton endgültig aus der kommunistischen Partei aus. Er kritisierte besonders den Stalinismus für seine „Methoden der Diskreditierung“, die keine Kritik mehr zuließe und jegliche „Elemente der Opposition“ als „Sabotageinstrument“(10) verurteile. Dagegen betonte er, dass die Surrealisten auf der Unabhängigkeit ihrer Meinung weiterhin bestehen würden. Nicht ohne dem Gedanken an die kommunistische Revolution treu zu bleiben, verabschiedeten die Surrealisten sich von der französischen Arbeiterbewegung sowie von der Solidarität mit der russischen Revolution. So unterzeichneten sie Bretons Kritik am russischen Kommunismus Als die Surrealisten noch Recht hatten im August 1935 mit den abschließenden Worten: „Diesem Regime, diesem Führer, können wir lediglich in aller Form unser Mißtrauen aussprechen.“(11)

Zehn Jahre, von 1925 bis 1935, mischten die Surrealisten in der Realpolitik mit und setzten große Hoffnungen in die marxistische Bewegung. Sie wollten dem Proletariat neue geistige Erfahrungen mit auf den revolutionären Weg geben, das dieses jedoch nicht zu schätzen wusste. Daraus leiteten die Surrealisten ein neues Verhältnis zwischen Kunst und Politik ab. Man kann fast sagen, dass sie zu ihrer antipolitischen – nicht antirevolutionären – Haltung von 1924 zurückkehrten.

Im zweiten Teil werde ich mich daher mit der Frage beschäftigen, auf welche Weise die Surrealisten die spezifische Funktion der Kunst in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft verändert sahen, nachdem die Verbindung von künstlerischer (surrealistischer) und proletarischer Praxis gescheitert war. Bretons Forderung nach der „Unabhängigkeit der Kunst – Für die Revolution“ wird hinsichtlich ihrer revolutionären Kraft überprüft. Wie erfolgreich war der Surrealismus in seiner Zeit und was macht seine Relevanz nach 1945 aus? Weiterhin wird die teils vergessene Parallele zwischen surrealer Praxis und kritischer Theorie unter die Lupe genommen.

Charlotte Mohs

Kleiderbügel

Anmerkungen

(1) Zur Entwicklung der Avantgarde und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft im 20. Jahrhundert empfiehlt sich folgende Einführung: Bürger, Peter: Theorie der Avantgarde, Suhrkamp Verlag.

(2) André Breton war der dominierende Kopf des französischen Surrealismus. Da er das meiste philosophische Material über das Selbstverständnis des Surrealismus verfasst hat und sozusagen die Bewegung in Person ist, beziehe ich mich im Laufe des Artikels auf seine Werke.

(3) Schmidt, Wolfgang: Die surrealistische Revolution. 1924, Berlin 1987, S. 14.

(4) Dieses Kollektiv bestand anfangs nur aus Literaten, Maler waren zunächst Gäste. Sie wurden jedoch später fester Bestandteil der Gruppe, darunter Dalí, Magritte, Masson und Ernst.

(5) Breton: Erstes Manifest des Surrealismus 1924, in: Breton, André: Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek bei Hamburg 1986, S.16f.

(6) Breton, ebd., S. 35.

(7) Ebd., S. 36., Breton nennt im 1. Surrealistischen Manifest mehrere Beispiele für diese surrealistischen Bilder: „Im ausgebrannten Walde saßen die Löwen in der Patsche.“ (Roger Vitrac), „Auf der Brücke der Tau mit Katzenkopf sich wiegte.“ (Breton).

(8) Breton: Das zweite surrealistische Manifest. 1930, a.a.O., S. 55.

(9) Ebd., S. 64f.

(10) Vgl. Breton, André: Als die Surrealisten noch Recht hatten, in: Ders.: Die Manifeste des Surrealismus, a.a.O., S. 106.

(11) Breton, ebd., S. 112.

22.04.2010
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