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Aktuelles Heft

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Geht national auch normal?
The Casualties, Pestpocken, Starts
Untold Storys!
Feel Good Lost Festival
Saint Vitus
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Loud, fast'n'noisy! Vol. 5
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• ABC: D wie Die Dialektik der Aufklärung
Zwischen Skylla und Charybdis
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D wie Die Dialektik der Aufklärung

Eine kleine Vorbemerkung: Seit sich, vor allem nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der dadurch verstärkt stattfindenden Auseinandersetzung mit dem Islamismus, in der deutschen Linken eine Spaltung zwischen „Antideutschen“ und „Antiimps“ vollzogen hat, drehen sich unzählige Diskussionen um realpolitische Einschätzungen – meistens noch konkreter um das Für und Wider von Kriegen (z.B. der Intervention in Afghanistan 2001 und im Irak 2003). Die Kriegsbefürworter in dieser Diskussion beriefen und berufen sich hier in aller Regel darauf, dass bestimmte historische Situationen es erfordern, Partei für bürgerliche Werte zu ergreifen und diese eben notfalls mit Gewalt gegen ihre Feinde zu verteidigen sind. Diese Auseinandersetzung, in der oft vor einem „Rückfall in die Barbarei“ gewarnt wird, dreht sich in irgendeiner Form meist auch um die sog. Dialektik der Aufklärung. Die linken Verteidiger der Aufklärung unterscheiden sich nämlich meist von ihren liberalen Mitstreitern durch das Wissen darum, dass eben auch bspw. der Islamismus als modernes Phänomen zu betrachten ist, der in seiner antiaufklärerischen Reaktion „irgendwie“ auch aus der Entwicklung der Moderne erklärt werden muss. Auch andere Erscheinungen – bspw. das Fortleben und immer wieder erneute Aufkeimen nationalsozialistischer Bestrebungen innerhalb westlicher Demokratien – drehen sich mehr oder weniger um die Verschränkung von Aufklärung und Gegenaufklärung als Seiten einer Medaille. Als wegweisend und elementar für die Auseinandersetzung mit diesem Problem muss das von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1947 veröffentlichte Buch „Die Dialektik der Aufklärung“ gelten. Da ich die Auseinandersetzung mit diesem zentralen Werk der kritischen Theorie als unabdingbar für ein Verständnis der heutigen Gesellschaft halte, soll dieser ABC-Artikel eine ungewöhnliche Form haben. Ich will versuchen anhand des ersten Kapitels des Buches, dem „Begriff der Aufklärung“ in das Denken Horkheimers und Adornos einzuführen. Allen Kritikpunkten am Buch, allen ungeführten Diskussionen, historischen Unzulänglichkeiten und begrifflichen Problemen will ich hier keinen Raum geben und eben durch eine Illustration des m.E. zentralen ersten Kapitels des Buches nur einen theoretischen Einstieg geben, der die eigene Beschäftigung mit dem Buch nicht ersetzen, sondern nur anstoßen will. Um eben diesen Einstieg zu ermöglichen, bitte ich darüber hinwegzusehen, dass ich unzählige wichtige Gedanken unerwähnt lassen werde und in gewisser Weise holzschnittartig vorgehe.
Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus verfasst, steht das Buch „Die Dialektik der Aufklärung“ unter dem Stern eines bitter enttäuschten Zukunftsoptimismus. Adorno und Horkheimer schien es an der Zeit dafür, zu begreifen „warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.“(1). Die objektive Möglichkeit einer freien Assoziation von selbstbewussten Individuen auf der Grundlage der durch den Kapitalismus hervorgebrachten Produktivkräfte war den Autoren ebenso bewusst, wie die Tatsache, „daß die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist“(2). Allerdings glaubten sie, „genauso deutlich erkannt zu haben, daß der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der überall heute sich ereignet.“(3). Ziel des Buches ist es also nicht, rudimentäre Elemente mythologischer Epochen in der heutigen Zeit nachzuweisen und in der völligen Tradition der Aufklärer die mythischen Elterklärungen gegen die Aufklärung auszuspielen, sondern das dialektische Verhältnis der beiden Momente zueinander, die Verschränkung und gegenseitige Bedingtheit von Mythos und Aufklärung zu entschlüsseln. Mit Blick auf die grausame Wirklichkeit der 40er Jahre in der „die Selbstzerstörung der Aufklärung“ (4) offensichtlich war, schien es höchste Zeit, jenes Wechselverhältnis von anderer Seite her aufzurollen, bzw. nachzuvollziehen, wie aufgeklärte Vernunft sich aus eigenem Antrieb zurückentwickelt in Mythologie. Damit formulierten sie weder eine einseitige, kulturpessimistische und romantische Aufklärungs- und Zivilisationskritik, welche meist in kruder Rückwärtsgewandtheit gipfelt, noch eine Dekadenztheorie gegenüber diesen Strömungen. Horkheimer und Adorno zielten somit auf die Selbstreflexion der Aufklärung, ihre konsequente Selbstkritik, denn „Nimmt Aufklärung die Reflexion auf dieses rückläufige Moment [der Keim zum Rückschritt] nicht in sich auf, so besiegelt sie ihr eigenes Schicksal“(5). Ihr Begriff der Aufklärung ist somit auch nicht nur an eine geistesgeschichtliche Epoche der Moderne gebunden, sondern versucht deren „Doppelcharakter [...] als historisches Grundmotiv“(6) herauszuarbeiten. Aufklärung wird als „fortschreitendes Denken“(7) verstanden und daher die Untersuchung „bis zum Beginn überlieferter Geschichte ausgedehnt“(8).

Furcht als Ursprung der Vernunft

„Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.“(9) Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist die Reflexion auf sich selbst und die damit einhergehende Abgrenzung zur reinen Natur. Das heutige Individuum fasst sich als eines auf, welches selbstbewusst seine Umgebung wahrnimmt und nach eigenem Ermessen auf sie einwirkt. Die Herrschaft der Vernunft über die Natur ist es, was der Aufklärung zugrunde liegt. Den triumphierenden Wissenschaften im 20. Jahrhundert, welche scheinbar allen religiösen und mythischen Erklärungen entbehrten, liegt ein angeblich objektives Begriffssystem zu Grunde, nach welchem die Welt kategorisiert werden soll. Sie weisen jeglichen Anspruch auf Subjektivität oder die Verwendung ihrer Erkenntnisse in vorgeprägten Bahnen von sich und halten der subjektiven Erfahrung die rationale und objektive Forschung entgegen. Nach Horkheimer und Adorno bedeutet dies, „Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt.“(10). Der Aufklärung geht es um die direkte Einflussnahme auf Natur durch Wissenschaft, Vernunft und technischen Fortschritt. Objektiv bedeutet: „Nicht auf jene Befriedigung, die den Menschen Wahrheit heiße, sondern auf ,operation', das wirksame Verfahren, komme es an“(11). Dieses Motiv zieht sich durch sämtliche Wissenschaften: von der abstrakten Mathematik – dem Vorbild aller Naturwissenschaften – angefangen, bis hin zur Physik, Chemie usw. geht es letztlich nur um den besseren Wirkungsgrad, den reibungsloseren Ablauf und die höhere Effizienz.
Dabei setzte Aufklärung an die religiösen Vorstellungen des Mittelalters und die mythischen Vorstellungen der Vorzeit an. „Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen.“(12). Die vollendete Trennung von Subjekt und Objekt, des Menschen von der zu bearbeitenden Umgebung, ist Vorraussetzung für diese Art der Einflussnahme. Jedoch ist jenes selbstherrliche Individuum ein historisches Produkt und keine anthropologische Konstante. Die Genesis diese Verhältnisses wird von beiden Autoren im Buch herausgearbeitet und ist Teil der Dialektik der Aufklärung: schon Mythologie ist Aufklärung. Bereits in der Urgeschichte der Menschheit, in welcher sich die Welt durch das Wirken von Dämonen Geistern u.ä. erklärt wurde beginnt nach Adorno und Horkheimer die Einwirkung des Menschen auf seine Natur und somit die Abspaltung von dieser.(13)
Der Ursprung dessen liegt in der Furcht des Menschen vor dem objektiven, gewalttätigen Naturzusammenhang. Erscheinungen wie Feuer, Gewitter und Naturkatastrophen ebenso wie die früher unerklärlichen Vorgänge des Lebens, dass bspw. Pflanzen scheinbar ohne äußeren Einfluss wachsen, konnten sich nicht erklärt werden. Das erste religiöse Prinzip der Menschheit, war die Anbetung des Mana (was man als eine Art Lebenskraft oder „das Wirksame“ übersetzen könnte) welches in allen belebten Dingen herrschte. Angsteinflößende Phänomene wurden durch das Wirken von Dämonen, Geistern o.ä. erklärt: „Der Ruf des Schreckens, mit dem das Unbekannte erfahren wird, wird zu seinem Namen.“(14) Die natürliche Umgebung der frühen Menschen stellte sich ihnen nicht nur als unbeeinflussbare Größe und gefährliche Macht dar, sie war es auf der damalig kaum entwickelten Stufe der Naturbeherrschung auch. Indem „der Primitive“, um mit Horkheimers und Adornos Worten zu sprechen, der natürlichen Übermacht einen Namen gab, machte er das Unbekannte zum Bekannten und nahm es so in gewisser Weise unter seine Regie, da die menschlichen Bezeichnungen der Dinge stets nur die der subjektiven Wahrnehmung und Ausdrücke der begrifflichen Zurichtung sein können. Bereits hier trifft der Mensch, wenn auch nicht bewusst, eine Unterscheidung zwischen der erfahrbaren Umwelt und der Bezeichnung dieser. Der wissenschaftliche Begriff von einem Gegenstand, die Kategorisierung durch Abstraktion vom konkret Erfahrbaren, hat hier seinen Ursprung.(15)
Jedoch ließ die damalige Weltvorstellung keine klare Trennung von Subjekt und Objekt zu, da sich die Menschen selbst als Teil des sie umgebenden Naturzusammenhangs begriffen.(16) Man könnte sagen, dass sie zwar wahrnehmen konnten „was den Erfahrungskreis transzendiert, was an den Dingen mehr ist als ihr vorweg bekanntes Dasein“(17), jedoch erkannten sie es nicht als von sich abgespalten. Das Subjekt, was sich selbst von der Umwelt getrennt wahrnimmt, macht sich im Zuge des Erkenntnisprozesses einen Begriff von einem Gegenstand. Das Gewächs in der Umwelt bspw. und der Begriff „Baum“, welchen ich in meinem Kopf davon habe, sind verschiedene, widersprüchliche Dinge. Begriff und Gegenstand sind nicht identisch. In der „Besetzung bestimmter Orte mit Dämonen und Gottheiten, [...] ist selbst die Trennung von Subjekt und Objekt schon angelegt [nicht vollzogen!, Anm. d. Autors]. Wenn der Baum nicht mehr bloß als Baum, sondern als Zeugnis für ein anderes, als Sitz des Mana angesprochen wird, drückt die Sprache den Widerspruch aus, daß nämlich etwas es selber und zugleich etwas anderes sei, identisch und nicht identisch.“(18).
Dementsprechend ist auch die damalige Form der Naturbeherrschung keine direkte Herrschaft des Subjekts, sondern eher die indirekte der Mimesis. In den magischen Riten des Animismus, welche das frühe Zusammenleben der Menschen organisierten, wurde die Angleichung an Natur vollzogen. „Der Zauberer macht sich Dämonen ähnlich; um sie zu erschrecken oder zu besänftigen, gebärdet er sich schreckhaft oder sanft.“(19). Indem man bspw. den Tod in Ritualen nachspielte oder selbst im Menschenopfer praktizierte, nahm man ihn nicht nur in eigene Regie, sondern machte ihn durch die stetige Wiederholung des Schrecklichen auch alltäglich. Die Schreckensverwaltung war also Ausgangspunkt für die Einwirkung auf Natur. Am oft dargestellten und geläufigen Beispiel des „Regentanz“, welcher die Nachahmung des Phänomens Regen zum Inhalt hat um denselben in der Natur zu erwirken, kann man illustrieren, wie die Beeinflussung der Natur durch Angleichung an eben dieselbe erreicht werden sollte. „Die Zauberei ist wie die Wissenschaft auf Zwecke aus, aber sie verfolgt sie durch Mimesis, nicht in fortschreitender Distanz zum Objekt.“(20)
Die indirekte Beeinflussung der Natur über die Erlangung der Gunst „höherer Mächte“, welche den Lauf der Welt angeblich lenken, setzt sich in den späteren religiösen Welterklärungen als konsequente Entwicklung bis hin zur direkten Herrschaft des Subjekts über die Natur fort. In den Opferriten der Griechen, Römer und Ägypter wie in denen des frühen Judentums u.a. wird die Herrschaft über die Natur zwar nicht von einer indirekten in eine direkte übersetzt, wohl aber auf eine andere Ebene gesetzt. Die Mimesis wird von der bewussten Manipulation abgelöst. Die Gottheiten der Griechen stehen schon eher für ausdifferenzierte Begrifflichkeiten als das diffus anmutende Weltbild des Animismus. Die Kräfte der Umwelt wie Wind, Wasser, Feuer usw. waren begrifflich identisch mit den Göttern welche sie lenkten. Indem bspw. Hades und Tod dieselbe Bedeutung innehatten, wurden die unbeeinflussbaren Naturerscheinungen personifiziert und in Persönlichkeiten übersetzt, welche man um Hilfe bitten konnte. „Wie die Bilder der Zeugung aus Strom und Erde, die vom Nil zu den Griechen kamen, hier zu hylozoistischen Prinzipien, zu Elementen wurden, so vergeistigte sich insgesamt die wuchernde Vieldeutigkeit der mythischen Dämonen zur reinen Form der ontologischen Wesenheiten.“(21)
Man ersuchte das Wohlwollen der Götter nicht mehr durch deren Nachahmung, sondern beinahe schon durch den Dialog, durch bewusstes Anreden; eine Praxis, welche nur von einem selbstbewussten Individuum ausgeführt werden kann, welches eigene Interessen mit der Außenwelt, in diesem Fall mit den Göttern, zu arrangieren hat. Dies ist wohl vor allem auch der Veränderungen der Eigentumsstrukturen geschuldet. „Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Vorraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt. [...] Mit dem Ende des Nomadentums ist die gesellschaftliche Ordnung auf der Basis festen Eigentums hergestellt. Herrschaft und Arbeit treten auseinander.[...]“(22). Durch die Eingebundenheit in die Konsequenzen des Schicksals, welches nicht nur in der olympischen Religion eine zentrale Rolle einnimmt, sahen sich die Menschen dieser Religionen jedoch nicht als völlig eigenständige Individuen. Wie man am Beispiel des Orakelspruchs gegenüber dem Ödipus und den eintretenden Folgen sehen kann, gab es für die Menschen, zumindestens ihrem Weltbild nach, keine Möglichkeit, die ihnen vorbestimmten Bahnen zu beeinflussen. Sie waren ihnen auferlegt, auch wenn sie, wie Ödipus, alles daran taten, das Gegenteil zu erwirken. Dieser objektive Lauf der Dinge, ebenso wie die Verschlungenheit der olympischen wie chthonischen(23) Götter, welche nicht getrennt voneinander existieren konnten und nicht eindeutig voneinander geschieden waren, erinnern noch an das diffuse Weltbild des Animismus, in dem keine Aktion ohne Reaktion, keine Tat ohne Vergeltung und keine Schuld ohne Sühne existieren kann.(24) In der Wiederkehr des Immergleichen wird Gesellschaft schließlich doch in Natur zurück übersetzt. Das Leben erscheint nicht als eins der bewussten Einflussnahme selbstbewusster Individuen, sondern – ebenso wie es die erschreckende Umwelt im Animismus war – als objektiver Zwangszusammenhang, gegen welchen sich aufzulehnen schließlich ergebnislos sein muss, da die eigenen Handlungen nur Ausdruck des vorbestimmten Schicksals sind.
Die Abhängigkeit der Individuen besteht in den monotheistischen Weltreligionen ebenso fort. Ihnen allen ist gemeinsam, dass das menschliche Zusammenleben durch die Allmacht Gottes entstand, die Regeln und Normen durch ihn gegeben sind und der Mensch durch seine Güte geschaffen wurde. Das Individuum hat noch keine völlige Eigenständigkeit erreicht, da es sich nur als Werk Gottes begreift. Definiert man das Subjekts sozusagen als Träger des Erkenntnisprozesses, als Wesen welches seine Umwelt vernünftig begreift und in Begriffe fasst, so trifft diese Beschreibung auch auf jene, sich selbst als durch Gott gegeben begreifende Individuen zu. Im Gegensatz zu dem „Ich bin, weil Gott mich schuf“, hat das neuzeitliche „Ich denke, also bin ich“ (Descartes) des aufgeklärten, selbstbewussten Ichs aber eine neue Stufe des Erkenntnisprozesses erreicht. Das Subjekt reflektiert auf sich selbst als Träger der Erkenntnis, betrachtet die eigene gedankliche Regung in gewisser Weise also selbst als Objekt um sie begrifflich zu fassen und spricht sich Menschlichkeit und Daseinsberechtigung nur aufgrund der eigenen Rationalität zu. Man kann sagen, dass erst an diesem Punkt das wirklich selbstherrliche und selbstbewusste Subjekt in den Lauf der Geschichte eintritt. Erst mit der Absolutsetzung des eigenen Selbst im Gegensatz zur Natur, ist die Grundlage für die Aufklärung geschaffen, die objektive Umwelt konsequent und nur nach eigenen Maßstäben zu analysieren und effizient zu bearbeiten – kurz: sie zu beherrschen und zu unterdrücken. Die Natur wird nun stets als Möglichkeit der Machtausübung begriffen und die Dinge sind nur welche, indem der Mensch sie für sich begreift, d.h. sie gedanklich auf den Begriff bringt und so schließlich zurichtet.(25)
Indem Natur alle Eigenständigkeit und Identität verliert, welche sie als animistischer Zusammenhang ebenso wie als Teil der Schöpfung noch besaß, verkommt sie zur bloßen Objektivität, welche sich dem menschlichen Geist ausnahmslos unterordnet. Von der Erfassung des Objektiven in Begriffen im Erkenntnisprozess über die wissenschaftliche Analyse der „Naturgesetze“ bis hin zur perfektionierten Bearbeitung auf der Basis dieser, stellt sich Natur immer nur als beherrschbare Größe dar, auf welche es Einfluss zu nehmen, deren Wesen es durch bewusste Einwirkung zu verändern gilt. „Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen, wie der Diktator zu den Menschen. [...] Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann. Dadurch wird ihr An sich Für Ihn. In der Verwandlung enthüllt sich das Wesen der Dinge immer als je dasselbe, als Substrat von Herrschaft. Diese Identität konstituiert die Einheit der Natur.“(26)
Indem sich die Menschen völlig von der Natur entfremden, von der äußerlichen durch Erfassung und Bearbeitung, von der inneren durch Triebunterdrückung und Zivilisierung, löst Aufklärung den Mythos ab. Indem aber die aufgeklärten Wissenschaften ihre Erkenntnisse wie die Natur, der sie entnommen sind, als objektiv erklären, als pure Wahrheit, bestreiten sie ihr innerstes Wesen: das der direkten Herrschaft und Zurichtung. Das eigene Anliegen, die Welt nach persönlichen Maßstäben zu verändern, lag schon der animistischen Magie und Mimesis zu Grunde, welche diesen Anspruch offen vertrat. „Magie ist blutige Unwahrheit, aber in ihr wird Herrschaft noch nicht dadurch verleugnet, daß sie sich, in die reine Wahrheit transformiert, der ihr verfallenen Welt zugrundelegt.“(27).

Wissenschaft und Positivismus

Der Weg war nun für die positivistischen Wissenschaften geebnet, auf empirischer Grundlage die reine Objektivität der Natur zu erfassen. Berechtigung sollte nur noch das haben, was rational nachzuweisen war. In den mythischen wie religiösen Weltanschauungen blieb die Furcht des Menschen vor der unbekannten Umgebung, dessen Ausdruck die Dämonen und Götter der Frühzeit ja nur waren, bestehen. Dem aufgeklärten Positivismus, dem sich die Frage nach transzendentalen Prinzipien gar nicht mehr stellt, scheint es nichts Unbekanntes mehr zu geben, insofern, als die immer wieder gleiche Kategorisierung der Umwelt nach mathematisch-wissenschaftlichen Prinzipien, die Erfassung der Natur und alles Erfahrbaren zwischen zwei Buchdeckeln, nur eine Frage der Zeit sein kann. „In der vorwegnehmenden Identifikation der zu Ende gedachten mathematisierten Welt mit der Wahrheit meint Aufklärung vor der Rückkehr des Mythischen sicher zu sein. Sie setzt Denken und Mathematik in eins“(28). Die mathematische Formel, in der das Unbekannte schlicht als Variable zum Bekannten gemacht wird, ist selbst nur die sublimierteste Form der mythischen Schreckensverwaltung. „Es darf überhaupt nichts mehr draußen sein, weil die bloße Vorstellung des Draußen die eigentliche Quelle der Angst ist“(29).
Die physikalische wie biologische Erfassung der Welt bis hin zum Behaviorismus, der dies auf den Menschen ausweitet, erklärt die Welt ebenso wie der Mythos zur Wirkung von Aktion und Reaktion, zur stetigen Wiederholung von immergleichen Naturgesetzen. Wie die mythische Welterklärung den Menschen mit Natur identifizierte und dieser somit subjektiven Charakter verlieh, versetzt der Positivismus den Menschen selbst in Objektivität zurück.(30)
Damit verkommt Aufklärung zum starren Begriffssystem, dem alles subsumiert werden soll, ob es passt oder nicht. Der Satz „Die Ausnahme bestätigt die Regel“ ist bester Ausdruck davon. Denken verliert dadurch völlig seinen subjektiven Anspruch und verkommt zum bloßen Herrschaftsinstrument, was nicht anders angewendet wird als ein Messgerät. Es ist nur noch zur Verbesserung der Formel, zur detaillierteren Erfassung, zur Intensivierung der Maschinerie zu gebrauchen und wird ins starre mathematische System des Positivismus unterschiedslos eingeordnet. „Denken verdinglicht sich zu einem selbsttätig ablaufenden, automatischen Prozeß, der Maschine nacheifernd, die er selber hervorbringt, damit sie ihn schließlich ersetzen kann.“(31) Der Computer als Produkt von Wissenschaft wird letztendlich der bessere Wissenschaftler. Die Subjektivität wird durch ein angeblich objektives Begriffssystem ersetzt und indem die eigentlich subjektive Erkenntnis im Positivismus, dem Produkt der Aufklärung, schließlich selbst zum bloßen Werkzeug, zur Sache an sich verkommt, übt sie erneut die Mimesis und macht sich der zu erfassenden Welt gleich.

Blinde Flecken

Da die Aufklärung durch die Ausblendung des Transzendenten in der reinen Immanenz des Positivismus sich an den bloßen Erscheinungen der Umwelt nur aufhalten kann, stellt sie sich die Frage nach den von den erfahrbaren Dingen immer auch verschiedenen Wesenheiten nicht mehr. Der historische Kontext der Aufklärung war eingebettet in die bürgerliche Produktionsweise, der Vermittlung der Menschen über einen anonymen Markt. Indem sich die gesellschaftliche Produktion nicht an menschlichen Bedürfnissen orientiert, sondern höchstens an der ökonomischen Größe des Bedarfs und schließlich an der Erwirtschaftung eines Profits, wird sie zum bloßen Selbstzweck der Geldvermehrung. Gewonnenes dient nicht der Konsumtion, sondern muss neu investiert werden, um durch die Wiederholung des Produktionsprozesses auf höherer Ebene das Unternehmen für die betriebswirtschaftliche Konkurrenz zu rüsten. Somit steht der Mensch nicht im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses, sondern das Prinzip der Kapitalakkumulation, welches den Menschen schließlich zum bloßen Objekt, zum Mittel der Produktion degradiert. Die Einsicht in diese an den Warentausch und die Geldvermehrung fetischistisch gebundene Organisation des Sozialen, als eine von den konkreten Erscheinungsformen der Gesellschaft abstrahierende, bleibt der Aufklärung verwehrt. Nicht mehr Personen, sondern ein abstrakter Selbstzweck schwingt sich zur Herrschaft über die Menschen auf. „Indem die bürgerliche Wirtschaft die Gewalt durch die Vermittlung des Marktes vervielfachte, hat sie auch ihre Dinge und Kräfte so vervielfacht, daß es zu deren Verwaltung nicht bloß der Könige, sondern auch der Bürger nicht mehr bedarf: nur noch Aller.“(32). Den Menschen ist die bewusste gesellschaftliche Organisation durch Aufklärung versagt worden, das Prinzip der Selbsterhaltung zwingt sie wiederum zur unbedingten Partizipation am bewusstlosen Prinzip der Gesellschaft: dadurch praktizieren sie den „Ausschluss Aller durch alle über den Einschluss Aller durch alle“ (Joachim Bruhn).
Das emanzipatorische Potential des aufgeklärten Subjekts: die bewusste Einrichtung einer an menschlichen Bedürfnissen orientierten Gesellschaft, in der nicht ein objektives Prinzip, sei es Natur, Gott oder Warentausch, sondern das konkrete Individuum höchste Priorität genießt, wird durch das zurücktreten des Menschen hinter ein ökonomisches Prinzip blockiert. Dem Gedanken an Utopie, an die Verwirklichung einer freien Assoziation auf der Basis der unglaublich hoch entwickelten Produktivkräfte des Kapitalismus, wird durch den Verweis auf das Gebot der Praxis Einhalt geboten. Wie Denken selbst der Mathematik nacheifert, so wird „schließlich [...] dem Schein nach das transzendentale Subjekt der Erkenntnis als die letzte Erinnerung an Subjektivität selbst noch abgeschafft und durch die desto reibungslosere Arbeit der selbsttätigen Ordnungsmechanismen ersetzt.“(33). Jeglicher Fortschritt wird nur mehr an der unmittelbaren Nützlichkeit am empirisch Erfahrbaren gemessen und somit bestenfalls auf die verbesserte Funktionalität des Bestehenden hin zugeschnitten.
Während der Mythos in der völligen Identifikation mit der objektiven Natur zur Totalität sich erhob, setzte die Aufklärung jene Natürlichkeit ganz fremd, um sich von ihr zu emanzipieren. „Indem sie alles Einzelne in Zucht nahm, ließ sie dem unbegriffenen Ganzen die Freiheit als Herrschaft über die Dinge auf Sein und Bewußtsein der Menschen zurückzuschlagen.“(34) Das anonyme Prinzip des Marktes schwingt sich zum objektiven Zwangszusammenhang auf und tritt den Menschen nicht weniger unbeeinflussbar gegenüber, als die schicksalhafte Natur im Mythos. Gesellschaft wird selbst somit wieder zum Naturzwang. Die positivistische Weltauffassung kann sich jedoch die Frage nach der Herrschaft eines abstrakten, nicht empirischen Prinzips nicht stellen und schreitet in der scheinbaren Emanzipation von der unmittelbar erfahrbaren Natur durch Unterwerfung blind vorwärts. In der Folge gerät „Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, [...] nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.“(35) Durch die Spezialisierung der Technik und den fortschreitenden Grad der Arbeitsteilung durch wissenschaftliche Forschung wird das verhängnisvolle ökonomische Prinzip der Gesellschaft auf immer höherem Grad hergestellt und das Individuum zunehmend von seiner Einflussnahme abgeschnitten, da es sich dem Betrieb der Maschinen in der blinden Produktion für den Markt unterordnen muss. „Je mehr die Denkmaschinerie das Seiende sich unterwirft, um so blinder bescheidet sie sich bei dessen Reproduktion. Damit schlägt Aufklärung in die Mythologie zurück, der sie nie zu entrinnen wußte.“(36).

Ideologie

Die Einbildung der eigenen Subjektivität im objektiven Zwangszusammenhang ist Ideologie, notwendig falsches Bewusstsein, welches sich in der Undurchschaubarkeit kapitalistischer Zustände, nimmt man sie positivistisch wahr, immer herausbilden muss. Im Gegensatz zu frühen bürgerlichen Apologeten, welche ihre Handlungen bewusst den egoistischen Prinzipien der Marktwirtschaft unterstellten, betrachten moderne Staatstheoretiker ihr Wirken nicht einmal mehr einem ökonomischen Zwang geschuldet. „Die Herrschenden selbst glauben an keine objektive Notwendigkeit“(37). In der Einbildung subjektiver, menschlicher Handlungen im falschen Ganzen, der Rechtfertigung eigener Untaten und deren öffentlicher Propagierung, spiegelt sich jedoch das schlechte Gewissen als Ausdruck der ökonomischen Notwendigkeit wider.
Mit Blick auf die zur Macht gekommenen „Cliquen“(38) der Nationalsozialisten, deren Versuch der bewussten Lenkung der Wirtschaft und deren Weltanschauung, welche die Menschen biologistisch wieder zurück in eine Schicksalsgemeinschaft versetzten und den offenen Bezug zur germanischen Mythologie predigten, schrieben Horkheimer und Adorno: „Die mythologischen Lügen von Sendung und Schicksal, welche sie dafür [für die ,notwendige{n} Konsequenzen gesetzlicher Zusammenhänge'] einsetzen, sprechen nicht einmal ganz die Unwahrheit: es sind nicht mehr die objektiven Marktgesetze, die in den Handlungen der Unternehmer walteten und zur Katastrophe trieben. Vielmehr vollstreckt die bewußte Entscheidung der Generaldirektoren als Resultante, die an Zwangsläufigkeit den blindesten Preismechanismen nichts nachgibt, das alte Wertgesetz und damit das Schicksal des Kapitalismus.“(39) Der Höchststand der modernen Produktivkräfte diente schließlich dem absoluten Höchstmaß an Zerstörung: dem totalen Weltkrieg und dem industriellen Massenmord an über sechs Millionen Juden.
Dieses Potential des barbarischen Rückfalls lebt bis heute in der modernen Gesellschaft fort. Nur durch die oben erwähnte Selbstreflexion der Aufklärung auf sich selbst, das Eingeständnis von blinder Herrschaft und mythologischer Verfangenheit, ist dem Einhalt zu gebieten. Ebenso darf emanzipatorische Praxis nicht mehr nur an dem unmittelbar Seienden, den augenscheinlichen „Ergebnissen“ gemessen werden, will man nicht nur die Reproduktion des Immergleichen verwalten. In der Hoffnung, wenigstens einige Fragen aufgeworfen zu haben, will ich hier abbrechen und das Weiterdenken den Lesenden überlassen.

Arthur

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Anmerkungen

(1) Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/M 1988, S.1.
Das Buch kann im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.

(2) Ebd., S.3.

(3) Ebd.

(4) Ebd.

(5) Ebd.

(6) Ebd., S.51.

(7) Ebd.

(8) Ebd.

(9) Ebd., S. 9.

(10) Ebd., S.10.

(11) Ebd., S.10.

(12) Ebd., S. 9.

(13) Im Buch ist die Entwicklung der Aufklärung aus dem Mythos heraus nicht in zeitlicher Reihenfolge skizziert, sondern Anhand verschiedener Gemeinsamkeiten der dialektisch vermittelten Welterklärungsmodellen. Ich werde versuchen diese Entwicklung anhand einiger Beispiele in eine gewisse Chronologie zu bringen.

(14) Ebd., S. 21.

(15) „Die Verdopplung der Natur in Schein und Wesen, Wirkung und Kraft, die den Mythos sowohl wie die Wissenschaft erst möglich macht, stammt aus der Angst des Menschen, deren Ausdruck zur Erklärung wird.“ (Ebd., S. 21).

(16) „Was der Primitive dabei als übernatürlich erfährt, ist keine geistige Substanz als Gegensatz zur materiellen, sondern die Verschlungenheit des Natürlichen gegenüber dem einzelnen Glied“ (Ebd., S. 21.)

(17) Ebd., S. 21.

(18) Ebd.

(19) Ebd., S. 15f.

(20) Ebd., S. 17.

(21) Ebd., S. 12.

(22) Ebd., S. 19f.

(23) Die der Unterwelt

(24) „Der mythische Dualismus führt nicht über den Umkreis des Daseins hinaus. Die vom Mana durchherrschte Welt und noch die des [...] griechischen Mythos sind ausweglos und ewig gleich. Alle Geburt wird mit dem Tod bezahlt, jedes Glück mit Unglück. Menschen und Götter mögen versuchen, in ihrer Frist die Lose nach anderen Maßen zu verteilen als der blinde Gang des Schicksals, am Ende triumphiert das Dasein über sie.“ (Ebd., S. 22).

(25) „Das erwachen des Subjekts wird erkauft durch die Anerkennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen.“ (Ebd., S.15).

(26) Ebd., S. 15.

(27) Ebd.

(28) Ebd., S. 31.

(29) Ebd., S. 22.

(30) „Der Furcht wähnt er [der Mensch] ledig zu sein, wenn es nichts Unbekanntes mehr gibt. Das bestimmt die Bahn der Entmythologisierung, der Aufklärung, die das Lebendige mit dem Unlebendigen in ineinssetzt wie der Mythos das Unlebendige mit dem Lebendigen. Aufklärung ist die radikal gewordene mythische Angst. Die reine Immanenz des Positivismus, ihr letztes Produkt, ist nichts anderes als ein gleichsam universales Tabu.“ (Ebd.).

(31) Ebd.,S. 31.

(32) Ebd., S. 48f.

(33) Ebd., S. 36.

(34) Ebd., S. 48.

(35) Ebd., S. 19.

(36) Ebd., S. 33.

(37) Ebd., S. 44.

(38) Ebd.

(39) Ebd.

 

21.12.2009
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