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Aktuelles Heft

INHALT #168

Titelbild
Editorial
Bilder im Heft
• das erste: An den Stadtrand abgeschoben
Chuck Ragan, Fake Problems, Digger Barnes
From Amen to Z
It’s all about the skit
RAEKWON
Station 17
electric island
Joker
Antitainment
On, Common Cause
Veranstaltungsanzeigen
Einladung an alle aktiven Gruppen im und ums Conne Island
• ABC: R wie Rassismustheorie
• review-corner buch: Das Problem heißt: Antiziganismus
• cyber-report: Nenne eine deutsche feministische Linguistin…
Kunst der Entfesselung
• doku: Still not lovin‘ Germany
• doku: Veranstaltungen
• sport: Ultras Red Bulls
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• das letzte: Sommerzeit – Reisezeit

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Nenne eine deutsche feministische Linguistin…

Zu Luise F. Puschs Internetseite http://fembio.org

Wenn man sich Luise F. Puschs Seite http://fembio.org durchliest, wird es einem etwas unheimlich zumute. Mit dem Aufrufen jeder weiteren Seite verfestigt sich die Ahnung, dass hier etwas nicht stimmt: Denn um die bekannten Namen von berühmten Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Sappho, Eleanor Roosevelt, Simone de Beauvoir und Hannah Arendt und die etwas wenigen, aber doch berühmten Frauen wie Hilde Domin und Elisabeth von Thadden tut sich eine Welt von Namen, Geschichten und Werken auf, die man entweder gar nicht oder kaum kennt. Wer möchte schon gerne zugeben, dass er oder sie nie von Georgia O'Keeffe, der „bekannteste(n) und erfolgreichste(n) US-amerikanische(n) Malerin“(1), gehört hat? Wer weiß schon, dass Johann Sebastian Bachs zweite Frau Anna Magdalena hieß und vor ihrer Eheschließung mit dem berühmten Komponisten und Genie seiner Zeit eine durchaus erfolgreiche Sopranistin am Köthener Hof (bei Halle) war? Gut, wer sich noch an die Fünf-Mark-Scheine erinnert, dem oder der wird Bettina von Arnim noch ein Begriff sein; besonders, wer sich für romantische Literatur interessiert, kommt kaum an ihr vorbei. Aber dass sie Sozialistin war und neben ihrer Liebe zu Goethe auch große Gefühle für Karoline von Günderode hegte, dürfte vielen neu sein.
Zwei wichtige Faktoren formen diese traurige Wirklichkeit: Auf der einen Seite ist es sicherlich richtig, dass wenigen Frauen die Möglichkeit gegeben war, ihren Genius herauszuformen. Hierfür ist neben Bildung und „Talent“ noch die ökonomische Situation der Frau sowie ihr Status in der Gesellschaft und darin besonders die Möglichkeit zur kreativen Einsamkeit zu beachten, wie Virginia Woolf in Ein Zimmer für sich allein richtig konstatiert: „[…] give her a room of her own and five hundred [pounds] a year [and] let her speak her mind (2).
Anna Magdalena Bach etwa hatte neben den Kindern und der Hausarbeit noch Johann Sebastians unordentliche Kompositionsnotizen sauber abzuschreiben – da gewinnt die angebliche Fähigkeit der Frau zu Multitasking eine historische Dimension hinzu, die dessen positiv-sexistisches Anmerken als zynisch enttarnt. Neben der Schwierigkeit, ein schöngeistiges oder künstlerisches Wirken unter widrigen Umständen zu entwickeln, verschließt aber noch etwas den Weg der Frau zur Unsterblichkeit durch Berühmtheit: Auf der anderen Seite war und ist es für Frauen noch immer viel schwerer, ihre Werke publik zu machen und zu vermarkten. Um beim gewählten Beispiel zu bleiben: A. M. Bach selbst soll die Cello Suiten komponiert haben(3), die als eine der Perlen im genialem Werk ihres Mannes gehandelt werden – und doch wurde dies unter seinem Namen subsumiert. Die Frau wird hier zur Muse wider Willen, zur Inspiration, zur Stütze, zur „starken Frau im Rücken des Mannes“, zur unausgesprochenen, schattigen Seite der Geschichte(4).

http://fembio.org ist eine Internetseite mit der deutschen Datenbank zu Biographien berühmter Frauen und somit vor allem die Entblößung einer großen Leerstelle. Doch nicht nur der Inhalt der Datenbank macht die Spezifität dieser Seite aus. Auch die Form, in der diese Biographien sortiert und was in ihnen offenbart wird, ist ungewöhnlich. Besonders der Vergleich mit dem großen Bruder Wikipedia (natürlich ist Wikipedia ein Wiki und zudem nicht nur biographische Datenbank, aber es ist doch die Seite, auf die sich viele stürzen, wenn einmal oberflächliche Details zu einem Namen erforscht werden müssen), in dem schon mal ein peinlicher Satz wie „Die Hochzeit muss sehr lustig gewesen sein, denn immerhin ist eine Wein- und Speiserechnung von 27 Talern erhalten.(5) als Informationszugewinn gewertet wird, nicht aber die Information, dass die Frau, die hier beschrieben wird, nach dieser Hochzeit fast ständig schwanger war und viele Fehlgeburten erlitt, deutet nach Luise Puschs Einschätzung auf des Pudels Kern(6): Nicht nur das Verschweigen von wichtigen weiblichen Personen sei ein Symptom unserer androzentrischen Gesellschaft, sondern auch das Verschweigen von lesbischen Beziehungen und Euphemisieren widriger Umstände, die dennoch den Alltag vieler Frauen ausmach(t)en, sei gang und gäbe in Biographien von Frauen. Tatsächlich ist das Lesen von Puschs oft polemischen Glossen (die auch teilweise auf http://fembio.org veröffentlicht sind unter Weblog Luise(7)) und der Rezensionen verschiedener Bücher, Filme, Hörbücher und Platten häufig amüsant und täuscht fast darüber hinweg, was im Grunde hinter der Seite steht: Die aus der gesellschaftlichen Diskriminierung der Frau resultierende Notwendigkeit für eine feministische Biographiedatenbank über Frauen.

Luise Pusch, die 1944 in Gütersloh geboren ist und 1978 zu den ersten Frauen gehörte, die an der Universität Konstanz habilitieren durften, erlebte diese Diskriminierung natürlich auch am eigenen Leibe: Sie ist die einzige der damals 150 StipendiatInnen der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die (und das trotz hervorragender Leistungen) nicht an einen Lehrstuhl berufen wurde. Zur Folge hatte dies, dass sie keine eigene linguistische Schule an der Universität bilden konnte – ganz zu schweigen von der finanziellen Unsicherheit, mit der sie bis Mitte der Achtziger zu kämpfen hatte. Ihre Veröffentlichungen und ihre dennoch große AnhängerInnenschaft haben ihr über dieses Dilemma hinweggeholfen; inzwischen kann man Puschs Werke beliebt und sie selbst erfolgreich nennen; mit ihrem Standardwerk der feministischen Sprachanalyse „Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik“ (Frankfurt am Main, 1984) und anderen (populär)wissenschaftlichen Grundwerken zur feministischen Linguistik, hat sie starken Einfluss ausgeübt auf die deutsche Sprache. So hat ihre Kritik am generischen Maskulinum und dem Herausstellen des male bias(8) unter anderem dazu geführt, dass der Duden Sätze wie „Sie ist jemand, die gerne liest.“ – anders als noch in den 80er Jahren – heute als grammatikalisch korrekt erachtet.

An Frau Puschs Einschätzung des heutigen Sexismus in ihren Glossen kann berechtigterweise kritisiert werden, dass es doch etwas hanebüchen anmutet angesichts der Tragödie von Winnenden zu behaupten, dass „die epidemische Gewalt von Männern gegen Frauen […] immer brutaler wird“(9), denn dass diese „epidemische Gewalt“ in vorigen Jahrhunderten geringer war, ist zu verneinen. Dennoch bleibt „Gewaltkriminalität“ auch heute männlich(10), was selten aufgeschlüsselt oder gar analysiert wird. Erfrischend hingegen ist ihre Sicht auf die gemeinhin als antisexistisch erachtete Generation der 68er. Pusch stellt richtig, dass „das Gute an 68 war, dass sich die Frauen da abgespalten und ihre eigenen Interessen artikuliert haben.(11) Man kann also ihre Polemisierungen und Provokationen als Mittel ansehen, die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu lenken, oder sich selbst in Polemiken über ihren Ton und ihre Vergleiche zergehen und darüber den eigentlichen Gegenstand vergessen.
Zu der Frage, warum sie auch problematische Frauen wie Leni Riefenstahl in ihr Verzeichnis aufgenommen hat, entgegnet Luise Pusch nur: „Gerne lösche ich solche Biographien – sobald die Negativ-Gestalten aller Wilhelms aus den Geschichtsbüchern gelöscht werden […].“(12). Die Frage sollte vielleicht eher lauten, wieso selbst in gut sortierten Videotheken wie der Leipziger Filmgalerie Alpha 60 die einzige Frau in der Rubrik „Regisseure“ (!) Leni Riefenstahl ist – wie wäre es, wenn auch Ulrike Ottinger, Helke Sander, Doris Dörrie, Margarethe von Trotta (um nur einmal ein paar deutsche Regisseurinnen zu nennen) diese Ehre zuteil würde? Wenn sich solche Kanones änderten und mit ihnen folglich die Strukturen dahinter, könnten vielleicht mehr Leute antworten auf Fragen geben wie: Kennen Sie zwei US-amerikanische Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts? http://fembio.org leistet jedenfalls einen wichtigen Beitrag dazu.

Virginia Spuhr

18a.jpg

Anmerkungen

(1) Siehe: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/georgia-okeeffe (zuletzt am 02.05.2009).

(2) Siehe http://www.american-buddha.com/room.own.5.htm (zuletzt am 15.05.2009), kostenfreie Onlineversion der unwahrscheinlich aufschlussreichen und schönen Essays zu Frauen und Literatur, die Virginia Woolf 1929 in ihrem eigenen Verlag „The Hogarth Press“ unter dem Titel „A Room of One's Own“ veröffentlichte.

(3) Dies berichtete Luise F. Pusch bei der Lesung vom 03.04.2009 im Frauenkultur Leipzig e.V.

(4) Hier soll nicht behauptet werden, Frauen seien die einzigen in diesem großen Schatten gewesen; vielmehr nehme ich Bezug auf den Subjektstatus, welcher im 18. Jahrundert nicht nur Frauen nicht durchweg zugesprochen wurde. (Zur Negierung des Subjektstatus der Frau können etwa die androzentrischen Forderungen der französischen Revolutionäre um 1790 herangezogen werden.)

(5) Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Magdalena_Bach (zuletzt am 02.05.2009).

(6) Pusch bemerkte in ihrer Lesung auch, dass sie sich mehrmals in Wikipedia eingebracht hatte, um zu den Artikeln beizutragen oder falsche Daten zu berichtigen. Ihre Anmerkung, Anna Magdalena Bach, die in zehn Jahren zehn Kinder gebar und nur drei davon durchbrachte, sei „beinahe ständig schwanger“ gewesen, ließ man jedoch nicht gelten.

(7) Siehe: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/blog (zuletzt am 02.05.2009).

(8) Der male bias bezeichnet das linguistische Faktum, dass mit einer männlichen Bezeichnung alle Menschen gemeint sind (bspw. Wähler meint Wähler und Wählerinnen) und das so erzeugte Ungleichgewicht, dass zuvorderst an einen Mann gedacht wird, auch wo vor allem Frauen gemeint sind (bspw. die SchülerInnen, die im Attentat von Winnenden ihr Leben ließen, wurden zumeist in der Presse als „Schüler“ bezeichnet, obwohl es sich um acht Schülerinnen und einen Schüler handelte).

(9) Siehe Luise Puschs Blog auf http://www.fembio.org/biographie.php/frau/blog (zuletzt am 01.05.2009).

(10) Zu finden in der polizeilichen Statistik von 2001 unter „3.18 Gewaltkriminalität“ auf S. 234, siehe http://www.bka.de/pks/pks2001/index2.html (zuletzt am 02.05.2009): 88,2% der Gewaltdelikte wurden von Männern ausgeübt, 11,2% von Frauen.

(11) Siehe Interview von Benno Schirrmeister auf http://www.taz.de/regional/nord/nord-aktuell/artikel/1/worte-sind-die-sache-selber/ (zuletzt am 02.05.2009).

(12) Siehe Interview von Vivianne Berg auf http://www.luisepusch.de/dateien/pdf/pusch-nzz-21-03-04.pdf (zuletzt am 02.05.2009).

27.08.2009
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