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Heebie-Jeebies im CBGB's

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Steven Lee Beeber: Heebie-Jeebies im CBGB's. Die jüdischen Wurzeln des Punk, Mainz 2008, 299 S., 17,90 EUR.

Über die Punk-Subkultur gibt es ziemlich viele Bücher. Egal ob Vorgeschichte, Blütezeit oder Folgen, egal ob großstädtische Zentren oder Provinz, Bandmonographie, regionaler Szenereport, Überblicksdarstellung oder kulturphilosophische Studie: mehr als dreißig Jahre nach seiner Entstehung ist es wohl eher die Qual der Wahl aus der Masse an Lesestoff als der Mangel daran, der es Interessierten erschwert, sich einen Überblick über dieses spannende kulturgeschichtliche Phänomen zu verschaffen.
Mit Heebie-Jeebies im CBGB's fügt der amerikanische Publizist Steven Lee Beeber diesem Mosaik ein weiteres Steinchen hinzu, das sich allerdings nicht ohne weiteres einer der oben genannten Buchgattungen zuordnen lässt. Das Buch ist sowohl kulturphilosophische Studie, als auch Lokalgeschichte eines Teils der alternativen Musikszene New Yorks, zwischen den 1960ern und 1990ern, was deshalb nicht heißt, das es nicht auch den einen oder anderen Blick über den Tellerand des „Big Apple“, hinein in die amerikanische Provinz oder über den Ozean, nach England, richten würde.
Die Geschichte der Entstehung einer neuen Musikkultur, beginnend mit den amerikanischen Garagenbands der 60er Jahre und den von Andy Warhol protegierten Velvet Underground über die New York Dolls, die Stooges, MC5, die Dictators, die Ramones, und auch die Entwicklung der Indie-Szene in den 80ern und beginnenden 90er Jahren, zu der ein Künstler wie John Zorn zu rechnen ist, wurden wohl schon vergleichsweise oft erzählt (ohne das ich zu denen gehören würde, die sich hiermit aufs Genaueste beschäftigt haben). Das Neue daran, wie Beeber sich der Sache nähert, liegt jedenfalls weniger in einem archäologischen Riecher für weitgehend vergessene Läden oder Bands, wie sie seit einigen Jahren durch Samplerreihen wie Killed by death popularisiert worden sind. Es ist mehr der zu einer zeitgemäßen Allgemeinbildung gehörige Teil des Punk, mit dem er sich auseinandersetzt, dies aber mit einem originellen Interesse: Ausgehend von der Beobachtung, das viele der Aktivist/innen der frühen New Yorker Punk- oder Protopunkszene jüdischen Familien entstammten, möchte Beeber etwas aufzeigen, was er die Jewishness in Punk nennt.
Zu diesem Zweck greift er, neben der gängigen Literatur, auf eine Vielzahl von Interviews mit bekannten und weniger bekannten jüdischen Protagonistinnen und Protagonisten der Szene zurück. In dem lebendigen Ausschnitt, den er zeichnet, kann Beeber zeigen, wie grundlegend jüdische Erfahrungen des 20. Jahrhunderts für das gewesen sind, was innerhalb der New Yorker Subkultur der 60er, 70er und 80er Jahre verhandelt wurde: Sich durchzuschlagen in der Großstadt, ein Außenseiterdasein zu führen, die Angst vor Ausgrenzung und Verfolgung in einer Gesellschaft, die wohl aufgeklärt und zivilisiert erscheinen mochte, der man aber einfach nicht über den Weg trauen konnte, und deren brutale, vorurteilsvolle Seite man in unterschiedlicher Weise aus eigener Anschauung und aus der Biographie der Eltern- und/oder Großelterngeneration kannte. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden ist Teil vieler jüdisch-amerikanischer Familiengeschichten. Und natürlich ist der Antisemitismus auch in den USA anzutreffen, in denen, wie Beeber schildert, New York mit seiner großen jüdischen Minderheit selbst eine relative Besonderheit darstellt. Innerhalb einer als verrückt, gemein und beständig zum Schlechteren neigend wahrgenommenen Welt, versucht man als „Davongekommener“ die eigene Würde zu bewahren, in dem man sich von ihr durch Provokation und Humor distanziert. Der schmächtige Außenseiter und Dilletant, der sich selbst, nicht frei von Ironie, zum Star erklärt; das Misstrauen und die Ablehnung gegenüber der etablierten, „guten Gesellschaft“; die Angst vor dem, was andere als Normalität ansehen, schließlich der obsessive Bezug auf Symbole des Nationalsozialismus; all dies sind – das ist Beebers Punkt – Schnittpunkte von jüdischer Erfahrung mit den Merkmalen der Subkultur, die später als Punk bezeichnet werden sollte, und diese Schnittpunkte waren keineswegs Zufälle, sondern müssen – nicht nur, aber auch – mit Blick auf den kulturellen/religiösen Hintergrund eines Teils ihrer Protagonistinnen und Protagonisten begriffen werden.
Aus diesem Blickwinkel versammelt Heebie-Jeebies im CBGB's eine Fülle von Biographien und Ereignissen. Sei dies die Geschichte der überwiegend jüdischen Band The Dictators, die auf ihrer LP The Dictators Go Girl Crazy (1975) den Master Race Rock spielten, oder die der für den Blitzkrieg Bop bekannten Ramones, die sich mit Lederjacken und Ponyfrisuren uniformierten, untereinander aber durchaus aneinander gerieten, wenn es um ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus ging. So berichtet der 1949 in Budapest geborene, jüdische Tommy über sein Verhältnis zu den Nazidevotionalien sammelnden, nichtjüdischen Bandkollegen Johnny und Dee Dee: „Da ich mit der Angst vor dem Holocaust aufgewachsen bin, empfand ich das Zusammensein mit [ihnen] wie ein Leben unter der Gefahr ... Es könnte sein, dass ich rebellierte, während ich mich mit ihnen herumtrieb.“ (Zit. n. Beeber, S. 144f.) Andere Personen, mit denen Beeber sich chronologisch in knappen und lesbaren Kapiteln auseinandersetzt sind z. B. Lou Reed, Danny Fields, Manager der Stooges von MC5, Blondie's Chris Stein, Alan Vega und Martin Rev von Suicide oder Malcom McLaren, der, bevor er Manager und Produzent der Sex Pistols wurde, viele Anregungen bei New Yorkern wie den travestierten New York Dolls oder Richard Hell (u.a. The Neon Babys, Television, Heartbreakers, Richard Hell & The Voidoids) erhalten hatte. Wer sich für die Geschichte von Punk und der nicht zuletzt jüdisch geprägten Subkultur New Yorks interessiert, wird in Heebie-Jeebies im CBGB's viele wertvolle Informationen und eine Reihe weiterführender Literaturhinweise finden.
Kritisch anzumerken scheint mir, dass sich, so spannend die einzelnen Facetten des Themas geschildert werden, über den übergeordneten, konzeptionellen Rahmen des ganzen Buches durchaus streiten ließe. Meines Erachtens bleibt es offen, inwiefern die Lebensläufe, die Beeber beschreibt, es wirklich erlauben, von einer Jewishness in Punk zu sprechen.
Da wäre einerseits das Problem, dass man sich dem historischen Phänomen „Punk“ vielleicht nicht einfach so nähern kann, als wäre es irgendwann zu Beginn der 70er Jahre die Absicht einiger New Yorker Rockmusiker gewesen, eine rebellische Jugendbewegung mit Wiedererkennungswert zu erfinden – wohl eher war das Gegenteil der Fall. (Das fiel mir einmal wieder auf, als ich mir wegen dieser Rezension einen alten Mitschnitt der Voidoids aus dem CBGB's auf Youtube.com ansah, wo zwischen zwei Stücken eine Konzertbesucherin interviewt wird. Auf die Frage der Reporterin, ob CBGB's ein wichtiger Ort für die Underground-Kultur sei, winkt die Befragte nur ab „You know, if you want to talk about like punk and underground it's bullshit, everybody is their own person, their own thing [...].“(1))
Während nun aber Punk wenigstens rückwirkend über die letzten 30 Jahre zu einer recht gut erkennbaren Subkultur geronnen ist (was man gerne bedauern darf), und somit auch zu einem Begriff, den man trotz aller Widersprüche und Unzulänglichkeiten für eine kulturgeschichtliche Untersuchung benutzen kann – diese aber auch benennen sollte – kann dies von Beebers Begriff der Jewishness so nicht gesagt werden. Dem vielversprechenden und spannenden Versuch, Verbindungen zwischen jüdischer Erfahrung, oder genauer vielleicht, amerikanisch-jüdischer Erfahrung mit dem Schwerpunkt New York, und der so folgenreichen Subkultur dieser Stadt aufzuzeigen fehlt es, so mein bescheidenes Dafürhalten, an begrifflicher Klarheit. Jewishness, also ein kulturell, nicht religiös verstandenes „Jüdischsein“ zieht sich als Schlüsselkategorie durch das gesamte Buch, ohne, dass einem aufgeschlossenen, aber in Bezug auf das Judentum eher ahnungslosen Leser wie mir mal erklärt wird, was das eigentlich sein soll, wer es beschrieben hat und wozu man sich seiner bedient. Einige gute Hinweise darauf sind Peter Waldmanns Vorwort zur deutschen Ausgabe zu entnehmen. In Beebers eigenem Text jedenfalls hängt es eher von der Klarheit der Äußerungen und der Entschiedenheit des Bewusstseins der Vorgestellten ab, als von der analytischen Schärfe des Autors, ob die Jewishness als mehr erscheint als nur ein nebliger Begriff, den man in der Stadt der Marx Brothers („I don't want to belong to any club that will accept me as a member.“ – Groucho), des MAD Magazine und des Komikers Lenny Bruce (der über das Leben in New York befand: „Es ist egal ob du katholisch bist ... hier bist du jüdisch.“ Zit. n. Beeber, S. 31) mit (mehr oder weniger) allem und jedem in Verbindung bringen kann, ohne noch deshalb zu wissen, wozu.
Klar äußert sich beispielsweise Hilly Kristal, der für die Musik und Ästhetik des frühen Punk zwar persönlich nicht viel übrig hatte, aber eine Auftrittsmöglichkeit schuf mit seinem Laden für Country, Bluegrass und Blues in der Lower Eastside, bekannt als CBGB's. So zitiert Beeber Kristal, der vor allem der großen Tradition des amerikanischen Folk verbunden ist: „Die Geige stand, vielleicht weil man sie wegen ihrer Größe einfach transportieren konnte, immer sinnbildlich für das Judentum. In jedem jüdischen Haus spielte irgendjemand Geige. Wenn man kein Land besitzen darf, sollte man irgendetwas anderes besitzen. Und alles, was man mit sich herumtragen kann, ist etwas wert, denn wenn man geht, wenn man weggejagt wird, kann man es mitnehmen.“ (Zit. n. Beeber, S. 105.) Und sicherlich muten die Worte Richard Hells (bürgerlich: Richard Meyers) im Voidoids-Song Blank Generation (1977) auch vor diesem Hintergrund frappierend an: „I belong to the blank generation, and I can take it or leave it each time.“
Gerade der Abschnitt zu Hell, der die Mitarbeit an Heebie-Jeebies mit der Begründung verweigert hatte, sich nie über seine jüdische Herkunft definiert zu haben, macht deutlich, welches Potential für Verwirrung und Missverständnisse Beebers Vorgehensweise birgt, die dem Selbstverständnis derjenigen, die die Konzerte spielten, organisierten und besuchten, ein ziemlich stark begrenztes Interesse entgegenbringt. Beeber zitiert schließlich eine Äußerung Hells von dessen Website, die die Sache benennt: „Für einen Antisemiten bin ich definitiv ein Jude. Mein Vater war ein (deutscher) Jude aus Pittsburgh, meine Mutter war eine Südstaaten-Methodistin aus Birmingham (walisisch und englisch). Die Familie meines Vaters bestand aus linken Intellektuellen, die überhaupt keine Religion praktizierten – obwohl sie sich sicherlich selbst als Juden betrachteten – und er starb als ich sieben war [sic – Anm. Beebers] Ich weiß überhaupt nichts über diese Religion/Kultur zu sagen. Eines Tages werde ich irgendwas dazu machen.“ (Zit. n. Beeber, S. 170.)
Ich jedenfalls weiß am Ende nicht, ob ich Beebers Konzept von Jewishness gut oder schlecht finde, ich glaube ich verstehe es einfach nicht, und ich glaube auch, das ist nicht nur meine Schuld. Manchmal wünschte ich mir während des Lesens, Beeber hätte das Material, also insbesondere die zahlreichen Interviews, aber auch Songtexte, Bilder usw., mehr für sich selbst sprechen lassen und sich mit seinen eingestreuten Deutungen mehr zurückhalten, oder diese klarer organisiert und zur Debatte gestellt. Trotzdem hat er ein sehr lesenswertes Buch geschrieben. Es bleibt sein Verdienst, die vielfältigen Beiträge jüdischer Amerikanerinnen und Amerikaner zur Entstehung des Punk herausgearbeitet und dabei gezeigt zu haben, wie die im Verlauf der 60er und 70er Jahre entstandene Subkultur ihnen als ein Ort diente, an dem sie ihre persönliche Auseinandersetzung mit den jüdischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts führen konnten und dadurch das kulturelle Antlitz der modernen Welt nachhaltig veränderten.

Naldo

Anmerkung

(1) www.youtube.com/watch?v=Lx7bXk4N5no

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last modified: 20.2.2009