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dokumentation, 3.9k

this polemic is lame.

Leserinnenbrief zu Islam/Postfeminismus Kritik im CEE IEH

Liebe Redaktion

In den letzten CEE IEH-Ausgaben (#157, #158) dokumentiert Ihr den Text „islam is lame“ der Gruppe „Hedonistische Mitte – Brigade Mondän“. Ihr weist explizit darauf hin, dass íhr die dort präsentierte „Analyse des Verhältnisses ... ‚Westen‘ und ‚Islam`“ treffend findet. Der Textdokumentation folgte eine Einladung eines Mitglieds der Gruppe, Thomas Maul ins Conne Island, der über „Islamisches Patriarchat und Postfeminismus“ referierte.

Ich habe mich aus mehreren Gründen über die von Euch so gepushte Position geärgert.
Der Text ist polemisch und redundant, die Kritik am Islam und am Postfeminismus ist undifferenziert und die politischen Forderungen halte ich weder für emanzipatorisch, noch machen sie realpolitisch Sinn.

Polemik

Wie Ihr, so habe auch ich nichts gegen eine „Prise Polemik“ einzuwenden. Polemik sollte aber nicht das ausschlaggebende Argument für den Abdruck von Texten sein. Und sie sollte pointiert sein. Eine Kritik wird nicht dadurch überzeugender, ein Text nicht dadurch erfrischender zu lesen, dass die Kritisierten am laufenden Band mit beleidigenden oder pathologisierenden Bezeichnungen bedacht werden (perverses Weltbild, wahnsinnig und infantil, antideutsche Softies, Feministinnen die sich selbst hassen etc.). Die Schwächen der eigenen Argumentation verschwinden auch nicht dadurch, dass Gegenpositionen als „Marotten“, „Blödsinn“ oder „schlechter Witz“ bezeichnet werden und vor die eigenen Behauptungen alle Nase lang ein „offensichtlich“ gesetzt wird. In der Uni treiben solche Floskeln die KorrektorInnen in den Wahn („Wann kommt der endlich zum Punkt?“), im CEE IEH nerven sie interessierte LeserInnen wie mich („Wo nehmen die bloß diese Selbstgefälligkeit her!“) oder halten sie ganz vom Lesen des Heftes ab („Ich lese eh’ nur noch die Veranstaltungsankündigungen!“).

Die Mär vom säkulären Westen

Bei zu viel Selbstgefälligkeit, bleibt die Differenzierung leicht auf der Strecke.
Entgegen der im Text vorgenommen rituellen Einschwörung auf das eigene, als widerspruchsfrei verkaufte Weltbild, gibt es weder „den Islam“, noch gibt es „das Christentum“ in einer einheitlichen Form säkularisierter „hegemonialer Alltagspraxis“. Es bestehen zahlreiche nationale und regionale Unterschiede, zum Einen was religiöse Inhalte und Praxen angeht, aber auch in Bezug auf die Rahmenbedingungen. Die hegemoniale Alltagspraxis gegenüber Lesben, Schwulen und transgender Menschen ist auch in vielen katholischen Ländern, z.B. in Südamerika von offener Diskriminierung geprägt, besonders im ländlichen Raum gilt das auch für Nordamerika oder Westeuropa. Die Zahl der von ihren Ex-Ehemännern oder Ex-Freunden verletzten oder ermordeten Frauen im katholischen EU-Land Spanien ist erschreckend hoch, trotz entgegenstehendem weltlichen Recht und trotz eines mittlerweile europaweit fortschrittlichsten Gleichstellungsrechts. Und selbst in kosmopolitischen westlichen Großstädten wie New York und Jerusalem kann es einer mit einem T-Shirt bekleideten Frau passieren, dass sie von orthodoxen ChristInnen oder Juden/ Jüdinnen angepöbelt oder mit Steinen beschmissen wird.

Um Papst Ratzinger scharen sich derweil die Jugendlichen Europas zu Hunderttausenden, wenn er gegen Abtreibung und Homosexualität predigt. Laut sächsischem Schulgesetz erfüllt die Schule ihren Bildungsauftrag, „indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein [...]“ vermittelt. Die Leipziger Universität leistet sich im 21. Jahrhundert im säkulären Deutschland eine christliche Kirche und die sächsische Staatsregierung übt zusammen mit Teilen der christlichen Zivilgesellschaft massiven Druck auf die Universitätsleitung aus, um die Verschmelzung von christlichem Andachtsraum und Universitätsaula durchzusetzen. Der zaghafte Versuch des Referats ausländischer Studierender, einen interkonfessionellen Andachtsraum zu fordern, wurde von niemandem zur Kenntnis genommen. Religionskritische Proteste gegen solche eine Rechristianisierung bleiben völlig aus. Und an der Universität Chemnitz bemühen sich queere Studierende bislang vergeblich, die christlich missionarische Initiative „Wüstenstrom“ aus den universitären Räumen zu verbannen, die Homosexuelle qua Therapie in „gesunde“ Heteros „verändern“ möchte. Bei genauerem Hinsehen kann also von Säkularität keine Rede sein. Wenn ich all diese Realitäten zur Kenntnis nehme, möchte ich weder von der Brigade Mondän als „niveaulos“ beschimpft werden, noch bedeutet das, dass ich frauenfeindliche und homophobe Praxen in Staaten oder Familien islamischen Glaubens ausblende oder irgendwie zu relativieren gedenke! Mein Eindruck ist jedoch, dass der Fingerzeig auf den Islam und das Kopftuch auch dabei hilft, selbst nicht genauer hinsehen zu müssen.
Postfeminismus und sexistische Gewalt innerhalb rassistischer Strukturen

Weder Christina von Braun noch der Studiengang Gender Studies der Berliner Humboldtuniversität repräsentieren „den Postfeminismus“. Zahlreiche PostfeministInnen versuchen vielmehr das komplexe und widersprüchliche Verhältnis von Geschlechtergerechtigkeit und Rassismus im Kontext internationaler Beziehungen zu diskutieren. Universalismus und Menschenrechte spielen dabei eine positive Bezugsgröße. Symphatisch sind mir diese Positionen gerade deshalb, weil sie nicht einfach so tun, als ließen sich alle Probleme dieser Welt einfach im Universalismus auflösen, als hätte der Kolonialismus keine Spuren hinterlassen und als wäre Rassismus in Europa kein Problem.(1) Leider werden diese AutorInnen vom linken weißen Mainstream in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen. Sie weisen auch darauf hin, dass lange vor Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek migrantische Aktivistinnen, die nicht den Status der Wissenschaftlerin für sich beanspruchen (können) auf die spezifische Gewalt in migrantischen Familien hingewiesen haben, ohne dass die Mehrheit sich daran besonders interessiert gezeigt hätte. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wer hierzulande in den Redaktionen und auf den Professuren sitzt. Die Produktion von hegemonialem Wissen geht nicht zufällig einher mit der Nichtwahrnehmung und Disqualifizierung weiblicher und nicht-westlicher Perspektiven. Sexismus und Rassismus spielen (besonders in Kombination) entgegen der Wahrnehmung der Brigade Mondän nämlich auch in Deutschland nach wie vor eine entscheidene Rolle beim Zugang zu Bildung, Arbeit, Wissenschaft und öffentlicher Meinung und das trotz formaler rechtlicher Gleichstellung. „Von allen Frauen, die als StaatsbürgerInnen oder Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus in dem jeweiligen Territorium leben, sind sie [die migrantisch/islamischen Frauen im Westen] nahezu die einzigen, deren elementare Rechte systematisch [von der eigenen Community] beschnitten werden.“ heißt es da. Das zeugt nicht nur von großer Unkenntnis der Situation vieler Frauen, mit zwar legalem aber prekären Aufenthaltsrecht, denen in Deutschland so elementare Rechte wie das Recht auf legale Arbeit, das Recht zu wählen oder das Recht auf Bildung versagt werden. Zugleich wird die rassistische Allltagserfahrungen vieler Frauen in Deutschland ausgeblendet, Diskriminierungserfahrungen die MigrantInnen mit (und ohne) Kopftuch machen und die ihre Fremd- und Selbstwahrnehmung spezifisch und entscheidend mitprägen. Rassismus ist der Gruppe Mondän nicht eine einzige Erwähnung wert.

Feministische Realpolitik: Kopftuch runter?

Die realpolitische Forderung nach einem Kopftuchverbot an Schulen für Lehrerinnen und Schülerinnen mag vielen auf den ersten Blick nicht unsymphatisch erscheinen. Doch auch hierzu zwei Anmerkungen.

Neben Art. 3 (Gleichbehandlungsgebot) enthält das Grundgesetz auch einen Art. 4 und der schützt das Recht auf Religionsfreiheit. Ein Recht, dessen Abschaffung man mit guten Gründen gerne fordern kann, aber eben nicht nur für eine Religion. Dass diese rechtliche Garantie gerade in Deutschland eine sinnvolle ist, scheint mir die derzeitige Debatte um die Gefahr „des Islam“ - bei gleichzeitiger Ausblendung der christlichen Überformung unseres Alltagslebens - zu beweisen, eine Debatte angesichts derer US-amerikanische MigrantInnen oder BesucherInnen, für die religiöse Pluralität zum Alltag und zum Staatsverständnis gehört, nur verständnislos mit dem Kopf schütteln können.

Außerdem berücksichtigen solche Forderungen nicht die dilemmatische Situation in der sich Frauen und Mädchen befinden, die mit rassistischer Diskriminierung und Assimilierungsanforderungen der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert sind und die gleichzeitig ihre Position innerhalb der eigenen marginalisierten Gruppe aushandeln müssen. Frauen und Mädchen, die sexistischen Angriffen und Strukturen innerhalb und außerhalb der eigenen Gemeinschaft widerstehen, sind sich immer bewusst, dass ihr Widerstand der Beziehung zu ihren Familien und Gemeinschaften schaden kann. Sie werden letztlich in einer Gesellschaft zurückgelassen in der sie nicht nur Sexismus, sondern auch Rassismus bewältigen müssen. Zwischen der westlichen Perspektive, die das Kopftuch als unterdrückend wahrnimmt und der islamistischen Perspektive, die das Kopftuch als befreiend darstellt, werden dessen Trägerinnen zerrieben oder gehen ihre eigenen Wege. Ein Kopftuchverbot an Schulen ändert nichts. Es verlagert nur die Konflikte auf die Schultern der Frauen, die den geschlechtsspezifischen Vorstellungen, dass Frauen zu Hause sitzen und darauf warten sollen, dass sie geheiratet werden, nicht entsprechen. Es verhindert weder arrangierte Ehen, noch große Brüder, die die „Ehre“ der kleinen Schwester notfalls auch mit Gewalt „reinhalten“.

Wenn schon realpolitische Forderungen, dann doch eher die, die migrantische/feministische Initiativen seit vielen Jahren erheben: qualifizierte Anlaufstellen und Angebote für Frauen und Mädchen die Gewalt- und Zwangserfahrungen in migrantischen Familien machen und die lehrnplanmäßige Thematisierung von Geschlechterverhältnissen, sexualisierten Geschlechterrollen und pluralen Lebensweisen im Unterricht. An der Einstellung und Positionierung zur Gleichberechtigung von Geschlechtern und Lebensweisen und an der Achtung der Individualität und Menschenwürde der SchülerInnen muss auch die Eignung der Lehrenden beurteilt werden, nicht am Kreuz um den Hals oder am Tuch auf dem Kopf. So viel Achtung vor dem Individuum sollte eine antideutsche Position schon noch haben.

Doris

Frauenarzt Dr. Fleischhauer, 49.7k

Fußnoten

(1) Empfehlenswert ist z.B. der Text von Maria do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan „Das Dilemma der Gerechtigkeit: Migration, Religion und Gender“, Das Argument 266/2006, S. 427-440, die postkoloniale Kritik im Spannungsfeld von feministischer und queerer Gesellschaftskritik verorten.

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last modified: 25.11.2008