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Im Folgenden dokumentieren wir in Auszügen einen Aufsatz von Gerhard Scheit aus dem Band „Der Iran. Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer“, Hg. v. Stephan Grigat u. Simone Dinah Hartmann. Innsbruck: Studienverlag 2008
dokumentation, 1.1k

Der neue Vernichtungswahn
und seine internationalen
Voraussetzungen.

Wodurch sich Ahmadinejads Islamische Republik von Hitlerdeutschland unterscheidet

Richtig und sinnvoll sei es allein, so Carl Schmitt 1937, wenn „eine vorherbestehende, unabänderliche, echte und totale Feindschaft zu dem Gottesurteil eines totalen Krieges führt“ (Schmitt 1937: 485). An den Führer kann nur tätig geglaubt werden – als praktische, täglich vorangetriebene Vernichtung derer, die als totaler Feind gekennzeichnet werden oder mit diesem kooperieren. Der Feind wird erst dadurch total, daß er für immer ein ganz bestimmter, nicht austauschbarer ist: die Feindschaft muß „vorherbestehend“ und „unabänderlich“ sein, egal wie der Feind sich auch verhalten mag: er wird vernichtet. Nur dann ist es möglich, an die Erlösung in der Vernichtung zu glauben, wenn wenigstens dieser eine nicht austauschbar ist und zugleich die totale Austauschbarkeit verkörpert. Das ist die Logik des antisemitischen Wahns. Bevor das Kapitalverhältnis zum Weltmarkt verallgemeinert war, verkörperten in den frühen Formen dieses Wahns zwar auch schon die Juden das Geld, aber sie galten eben noch nicht als der totale Feind, dessen Imagination das total gewordene Kapitalverhältnis voraussetzt.
Der Nationalsozialismus, schrieb Franz Neumann, „ist kapitalistisch und antikapitalistisch zugleich. Er ist autoritär und antiautoritär (…) er ist für und gegen das Privateigentum.“ (1942/44: 506f.) Zwar bleibe das Privateigentum an Produktionsmitteln – so es sich nicht in jüdischen Händen befindet – weitgehend unangetastet, aber das allgemeine Gesetz und der Vertrag verschwinden systematisch, durch willkürliche Maßnahmen der Bandenkollektive ersetzt (vgl. 522f.). „Die Gemeinschafts- und Führerideologie im Arbeitsverhältnis bedient sich einer mittelalterlichen Terminologie, um zu verschleiern, daß die Rechte der Arbeiter mit der Zerstörung der Rationalität des individuellen Arbeitsvertrages völlig abgeschafft worden sind.“ (488) Daß diese Abschaffung selbst ganz verschiedene Abstufungen kannte – vom Preisstop bei den Löhnen über den Arbeitsdienst bis zur Zwangsarbeit –, gehört zur Physiognomie dieses Unstaats und zu dem Verlauf seiner Realisierung im Vernichtungsfeldzug; gehört essentiell zu einem politischen Gebilde, das in Rackets zerfiel und doch nicht zerfiel, solange die Vernichtung der Juden vorangetrieben wurde. „Theokratie ohne Gott“, wie Ernst Fränkel des NS-Staat bezeichnete, heißt in den Begriffen der politischen Ökonomie – soweit diese Begriffe überhaupt noch etwas fassen können, von dem was vorging: Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte für den Vernichtungskrieg gegen die Juden; aufs Äußerste beschleunigte Aufrüstung im Namen des Führers, der an die Stelle Gottes oder an die Stelle seines Sohnes getreten war, von seiner „Vorsehung“ jedenfalls besessen.
Bei einem Staat wie der Islamischen Republik Iran handelt es sich doch nun offenkundig wieder um eine Theokratie mit Gott. Aber die Anrufung Gottes ist zu offenkundig, als daß dahinter nicht sich etwas zu verbergen suchte, und es kehrt ja nicht wirklich die alte Form der Theokratie zurück. Vielmehr ist der Prophet der modernen Theokratien – oder besser gesagt: diese Form der äußersten Formlosigkeit, dieses himmlische Oberkommando der Rackets, dieser ideelle Gesamtbandenführer – wie der nationalsozialistische Führer nur der positive Ausdruck des totalen Feinds, der die Banden ebenso zusammenhält wie zur Expansion treibt: der „vorherbestehenden, unabänderlichen, echten und totalen Feindschaft“. Darum ist es, wie beim Führer, lebensgefährlich, ihn zu karikieren.
Statt industrieller Aufrüstung und riesiger Militärapparate genügen diesem neuen Gottesurteil eines totalen Krieges Selbstmordattentäter, die allerdings in Massen, und eine einzige Bombe. Es ist, in islamischer Gestalt, die Wiederkehr der Werwolfromantik und des Traums von der Wunderwaffe, wodurch die Deutschen, die um ihren Führer bereits bangen mußten, in der letzten Phase des Kriegs noch einmal beflügelt wurden.
Auch der islamische Unstaat ist kapitalistisch und antikapitalistisch, autoritär und antiautoritär zugleich – aber er ist es auf andere Weise. Seine Stellung zum Privateigentum an Produktionsmitteln ist insofern verändert, als es dieses Privateigentum in Gestalt industrialisierter Produktionsverhältnisse nur in geringem Maß gibt. Das allgemeine Gesetz und der Vertrag sind auch hier verschwunden, an deren Stelle willkürliche Maßnahmen der Rackets getreten, und die Gemeinschaftsideologie bedient sich einer „mittelalterlichen“ Terminologie – aber all das zielt nicht so sehr aufs Arbeitsverhältnis, als auf dessen unmittelbare Voraussetzung auf der Seite des Subjekts: die individuelle Reproduktion in der Familie.
Die hintertriebene oder revidierte Säkularisierung in den islamisch beherrschten Ländern von heute entspricht einem Zustand, worin der Zwang zur Arbeit wieder auf den häuslichen Bereich konzentriert scheint, und in diesem eingeschränkten Sinn wird vorgeblich die Frau als freiwillige ‚Zwangsarbeiterin‘ gefordert, wofür das „Kopftuch“ steht. Es ist jedoch ‚Zwangsarbeit‘ in der Reproduktion dessen, was nicht mehr gebraucht wird: Arbeitskraft. Reproduziert wird im Idealfall der Islamisten auch nicht die Arbeitskraft, sondern die Kraft für Märtyreroperationen. Darum macht man die Reproduktion zur öffentlichen Angelegenheit und zum Gegenstand der Propaganda: die Frau wird in den Mittelpunkt gerückt und ins Visier genommen, wird zur „Institution“ (Fathiyeh Naghibzadeh), weil sie es ist, die dem Unstaat die Märtyrer liefert. Und sollten die Frauen, wie in Teilen der iranischen Gesellschaft, gerade in den Familien, im Privaten, einen Freiraum zur Entfaltung, auch gegen die häusliche Zwangsarbeit, gewonnen und das „Kopftuch“ abgelegt haben, ist der Druck, der von den Rackets in der Öffentlichkeit auf sie ausgeübt wird, umso größer.(1)
Die Zurichtung der Individuen zum Selbstopfer, der Krieg also gegen den eigenen Körper, impliziert in diesem Sinn die besondere Erniedrigung der Frau wie die absolute Ächtung der Homosexualität. Schwule werden hier auf durchaus andere Weise verfolgt als im NS-Staat, der sie unter schweigender Zustimmung der Volksgenossen in den Lagern verschwinden ließ, von denen eines das Motto „Arbeit macht frei“ nicht zufällig trug. Jetzt werden sie wie alle, die der oktroyierten Ordnung der Geschlechter zuwiderhandeln, bevorzugt öffentlich hingerichtet, woran der Umma-Mob sich berauschen soll. Andererseits gibt es für Mord und Totschlag häufig weder Todesstrafe noch Gefängnis, sondern Entschädigungszahlungen: auf den Leib, der verletzt und getötet wird, kommt es eben durchaus nicht an. Mit den Menschen wird demonstrativ verfahren, als ob es keine Ware Arbeitskraft gäbe; der menschliche Körper daher nichts wäre; die Menschenrechte, die sich – wie alle Emanzipation bisher – der Ware Arbeitskraft verdanken, zurückgenommen werden können (vgl. Scheit 2004: 435ff.). Das ist es, was hier zur Schau gestellt wird – besonders einprägsam, wenn die Menschen an Baukränen erhängt werden, wie es jetzt im Iran am häufigsten praktiziert wird.
Während der NS-Staat die Ware Arbeitskraft in der Arbeit zur Vernichtung aufgehen ließ, rechnet der Islam schon fix damit, daß die Arbeitskraft, die zur Ware wird, politisch bedeutungslos ist. Die Zugehörigkeit zur islamistischen Gemeinschaft hat mit ihrem Einsatz so gut wie nichts mehr zu tun: In solcher Gemeinschaft fühlt sich auch gebraucht und nicht überflüssig, wer keinerlei Aussicht mehr auf einen Arbeitsplatz hat und sich diesen selbst von der umma nicht erwartet. Was den einzelnen außerhalb der Rackets bedroht und der Überflüssigkeit preisgibt, projiziert er auf den totalen Feind, das Gegen-Volk. Welches Leid ihm als einzelnem widerfährt – ob er zu wenig bekommt vom großen Kuchen des Erdölgeschäfts oder ob sie als Frau der übelsten Unterdrückung ausgesetzt ist – man erträgt das Opfer-Schicksal wie das „Kopftuch“ auch noch mit kollektivem Stolz und gemeinschaftlicher Würde, indem man sich mit den Palästinensern identifiziert, das heißt: indem man die Auslöschung Israels wünscht, selbst um den Preis der eigenen Vernichtung. Und hier, im finalen Akt, trifft sich die islamistische Gemeinschaft dann doch auch im Hinblick auf das Kapitalverhältnis mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, die noch andere, bürokratischere Methoden der Vernichtung erdacht hatte: Der Gegensatz der Ware, der Gegensatz von Tauschwert und Gebrauchswert wird am eigenen Leib aufgelöst. Das Individuum muß jederzeit bereit sein, den von ihm dargebotenen Gebrauchswert, die Arbeitskraft, auszulöschen – als Opfer, das für Nation und umma zu bringen ist im Kampf mit jenem Gegen-Volk.
Nur daß dieses Gegen-Volk inzwischen eine andere politische Form angenommen hat und nun als der Jude unter den Staaten verfolgt wird – als Gegen-Staat. Der Vernichtungswahn stellt sich dementsprechend um. Wurden die Juden im Dritten Reich von Angesicht zu Angesicht verfolgt, werden sie nun als Staat namhaft gemacht und mit Vernichtung bedroht. Im islamischen Land dürfen sie leben, solange sie mit diesem „zionistischen Gebilde“ keine Verbindung haben.

Schrift auf Holzwand: Satan, 65.8k

Wiederum resultiert die zerstörerische Kraft aus dem vorausgesetzten Selbstzweck der Vernichtung, wodurch ein politisches Subjekt das blinde Zerstörungspotential kapitalistischer Krisen sehenden Auges zur eigenen Sache macht. Darüber lassen der Antisemitismus islamischer Politik, die fundamentale Logik des Selbstmordattentats und die einzigartig repressive Moral der politischen Banden und Theokratien, die es organisieren, wenig Zweifel. Ökonomie und Technik ihres Einsatzes sind allerdings so vielfältig und zerstreut wie die verschiedenen Projekte der Nationalsozialisten in den letzten und allerletzten Tagen des Dritten Reichs. Und sie werden, anders als jenes letzte Aufgebot der Deutschen, von der ganzen Welt kreditiert: wären es allein politisch-motivierte und sozialpolitisch camouflierte Zuwendungen, wie die aus den Töpfen der UN-Organisationen und der EU, die Gefahr für Israel wäre vermutlich überschaubar und zu bewältigen. Aber es ist eben wortwörtlich zu verstehen, daß die antisemitischen Vernichtungsaktionen global finanziert werden – von den vereinten, aber eben durchs Kapitalverhältnis vereinten Nationen, in Gestalt nämlich der Renditen, die aus dem weltweiten Erdölhandel in die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens fließen.
Vordem mußte der Staat, ob er nun die großen Unternehmen übernahm oder nicht, Unabhängigkeit vom Welthandel gewinnen, um seine Krisenbewältigungspotentiale zu entfalten, und dann etwa notgedrungen die Rohstoffe durch Krieg sich unmittelbar aneignen (auch hierin war der Überfall des Irak auf Kuwait eine Reminiszenz). Nunmehr trachtet er danach, sobald die Erdölförderung einverleibt ist, umso enger an den Welthandel sich anzuschließen, jede Abkoppelung dadurch wettzumachen und genau hier die fehlende militärische Schlagkraft zu kompensieren. Er bildet mit Seinesgleichen Kartelle (so in der OPEC), um den internationalen Erdölkonzernen Paroli zu bieten und selbst zum global player aufzusteigen. Aber kein Staat agiert, wie das bloße Kapital agieren würde. Die Aktien gelten ihm, wenn’s drauf ankommt, doch nur als Entrebillets für die Waffenarsenale. Der Konkurrenzkampf und der Kampf gegen Israel sind (spätestens seit 1973) bei den Preisabsprachen zwischen den Petrostates nicht zu trennen.
Der Unstaat des Nationalsozialismus beinhaltete noch wirkliche Industrie, die aber immer weniger über den Weltmarkt finanziert und immer mehr „im Vorlauf“ (Heidegger), von den künftig zu erwartenden Kriegsgewinnen, getragen wurde. Daraus ergab sich der Zwang, sofort loszuschlagen, dem Hitler, tobsüchtig von der göttlichen „Vorsehung“ durchdrungen und zu jeder längerfristigen Überlegung unfähig, in allem entsprach. Der Unstaat von heute, der die Erdölrente bekommt und Industrialisierung nur punktuell betreibt, vereinigt Apathie und Aktivismus, unerschöpfliche Lammsgeduld und spontane Opferbereitschaft, Gottvertrauen und Todessehnsucht: das selige Grinsen in Ahmadinejads Drohgebärden gibt davon einen Begriff. Vor allem resultiert daraus die zeitliche Unberechenbarkeit: die Massenvernichtungswaffe kann irgendwann, vielleicht sofort, vielleicht in ein paar Jahren oder auch Jahrzehnten, eingesetzt werden.
Wer Ahmadinejad mit Hitler identifiziert, läuft zwar zunächst nicht Gefahr, die augenblickliche Bedrohung zu verharmlosen, und sie kann nicht ernst genug genommen werden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, ihre Ausdauer und Beharrlichkeit zu unterschätzen. Dieser Vernichtungswahn kann sofort losschlagen, und er kann warten; ein anderer Führer vermag sich irgendwann an seine Spitze zu stellen; oder diese Spitze wird überhaupt nur noch von stets wechselnden Rackets besetzt, bei denen die Führerrolle undurchsichtig bleibt, da es doch den ideellen Gesamtbandenführer gibt, das himmlische Oberkommando aller Rackets.
Damals wie heute bildet die Einheit in den Unstaaten ein Erlösungsversprechen: die Vernichtung der Juden, die Zerstörung Israels. Das Versprechen wird jeweils anders formuliert – so wie die Aufrüstungskonjunktur im Nazistaat sofort in den Einsatz der produzierten Waffen mündet, während die Erdölkonjunktur des Islam immer weitergeht, solange der Welthandel nach dem Rohstoff verlangt und damit den Kauf oder die Konstruktion der Massenvernichtungswaffen ermöglicht. Als viertgrößter Erdölexporteur ist die Islamische Republik den Boykottversuchen auf lange Sicht gewachsen. Denn die Front des Westens, so heftig sie auch gegen den Terror beschworen wird, vermag sich ökonomisch niemals ganz zu schließen: der Hinweis auf China und Rußland, mit denen zu vermitteln Deutschland sich in seiner Position, innerhalb und zugleich außerhalb des Westens zu sein, neu bewähren kann, ist nur empirischer Anhaltspunkt dafür, daß der Westen selbst eben nichts anderes als einen Begriff darstellt für den Versuch, politische Vernunft inmitten eines unvernünftigen Ganzen zu bewahren. So ist alles zu tun, diese Vernunft zu stärken, aber ohne Illusionen, denn die schwächen sie letztlich nur – eher noch glückte nämlich die kommunistische Weltrevolution, als daß die Front des Westens gegenüber dem Vernichtungswahn sich endgültig schließen würde.

Gerhard Scheit

Zitierte Literatur
  • Fränkel, Ernst: Der Doppelstaat [1938/40]. In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 2. Hg. v. Alexander v. Brünneck. Baden-Baden 1999
  • Fränkel, Ernst: Das Produkt des Großkapitals [1942]. In: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 2. Hg. v. Alexander v. Brünneck. Baden-Baden 1999
  • Neumann, Franz: Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism 1933-1944 [1. Aufl. 1942; 2. Aufl. 1944]. New York 1963
  • Scheit, Gerhard: Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt. Freiburg 2004
  • Schmitt, Carl: Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat [1937]. In: ders.: Frieden oder Pazifismus. Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik. Hg. v. Günter Maschke. Berlin 2005

Fußnoten

(1) Vgl. hierzu den Beitrag von Fathiyeh Naghibzadeh [im Buch „Der Iran“], die in aller Deutlichkeit auf diesen Widerspruch aufmerksam macht, daß hier, im Unterschied etwa auch zur saudiarabischen Gesellschaft, traditionelle und verbürgerlichte Formen des Familien- und Privatlebens Obhut bieten können vor dem sonst allgegenwärtigen Zwang der Mullah-Banden, der aus der Produktion von Märtyrern resultiert und dem die Frauen in der Öffentlichkeit schutzlos ausgeliefert sind.


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last modified: 25.11.2008