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kulturreport, 1.7k

www.derbraunemob.de

Mediawatch schwarz-weiß

Hinter dem braunen mob verbirgt sich nicht eine neuen Bürgerinitiative aus Mügeln, sondern ein Zusammenschluss Schwarzer JournalistInnen und MedienmacherInnen, die sich mit der Darstellung Schwarzer in der Öffentlichkeit beschäftigen. Sie diskutieren Sprache und Bilder, zeigen was sich an Rassismus im deutschen Blätterwald und anderswo tummelt und formulieren starke eigene Positionen. Da sie das nicht nur anschaulich sondern auch unterhaltsam machen, sollen sie hier vorgestellt werden.

Deutsch, Anders Deutsch, Mehrheitsdeutsch

„Das extremste Deutschsein ist Afro-Deutsch-Sein.“, formulierte Adé Bantu, Musiker und Gründungsmitglied der Brothers Keepers 2006 in einem Interview. Er wurde (wozu auch sonst?) einmal mehr nach der Situation Schwarzer Deutscher gefragt. Mit seinem Satz bringt er eine Erfahrung auf den Punkt, die zwei Identitäten bildet und zugleich trennt: Die Deutschen und die Anderen Deutschen.
Gemeinsam ist beiden, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, unterschiedlich sind die damit verbundenen Lebensrealitäten und Selbstverständnisse. Deutsche sind zunächst einmal einfach nur deutsch(1). Andere Deutsche(2) werden Anders-deutsch gemacht. Konfrontiert mit ausschließenden Zuschreibungen von Individuen und differenzierenden institutionellen Praxen ist ihnen eine selbstverständliche Zugehörigkeit nicht möglich. „Schaut mal, der Mehmet beherrscht eure Sprache besser als ihr“ als Kommentar bei der Rückgabe eines Diktates in der Schule ist nur ein Beispiel von vielen aus der breiten Palette von Situationen, denen eine Ansage gemeinsam ist: Du gehörst nicht dazu bzw. hierher. Du hast den falschen Pass, ein falsches Elternteil und/oder siehst nicht deutsch genug aus. Wohlmeinende Kommentare und neugierige Fragen, nüchterne Verwaltungsstrukturen und Gesetze sowie nicht zuletzt die Medien spielen dabei eine nachhaltigere Rolle als die gern bemühte physische Gewalt und bewusste Beleidigungen. In einem politischen Prozess der Selbstverständigung können Andere Deutsche dahin gelangen, diese Zumutungen und Ausweisungen zurückzuweisen und eine Zugehörigkeit, auch in Form einer bewussten Andere-Identität, einzufordern.
Natürlich können sich auch Deutsche mit ihrer Position innerhalb unserer rassistisch strukturierten Gesellschaft auseinandersetzen. Im Gegensatz zu Anderen Deutschen wohnt dem aufgrund des latenten Machtgefälles zu ihren Gunsten das angenehme Gefühl einer individuellen Entscheidung inne. Ihnen winkt eine Identität als Bio- bzw. Mehrheitsdeutsche und eine Sensibilität für weiß-deutsche Privilegien, wie etwa die Möglichkeit mal für einen Sonntagnachmittag unbehelligt in der abgelehnten Mehrheitsgesellschaft abtauchen oder mit dem rotbraunen Pass visafrei eine schöne Reise machen zu können.

der braune mob

Für die MacherInnen des braunen mobs sind diese Verschränkungen von gesellschaftlichen Strukturen, zugewiesenen und erarbeiteten Identitäten eine wichtige Arbeitsgrundlage. Sie sind Medien- und ÖffentlichkeitsarbeiterInnen und: sie sind Schwarz(3). Thema der Organisation und deren wesentlichem Medium, der Webseite, ist die Darstellung Schwarzer Menschen in der medialen Öffentlichkeit. Diese ist eine von rassismuskritischen Diskussionen weitgehend abgekoppelte gesellschaftliche Sphäre. Es herrscht ein biodeutscher Mehrheitsgeist, der in postkolonialer Manier über Schwarze Menschen berichtet. Schwarze Stimmen selbst oder gar Schwarze JournalistInnen kommen selten bis nicht vor.

Beispiel Eins: Wie heisst das Schwarze Kind oder: Wer benennt die Gruppe der Anderen Deutschen? Innerhalb Schwarzer Zusammenhänge gab es dazu Diskussionen und, auch wenn keine Gruppe universelle Repräsentativität für sich beanspruchen kann, es haben sich bestimmte Selbstbezeichnungen durchgesetzt (Schwarze Menschen, Schwarze Deutsche, People of Colour - kurz PoC, Andere Deutsche) während andere abgelehnt werden (Farbige, Afrikaner, Schwarzafrikaner, Ausländer) und einige einfach überhaupt nicht gehen (N**** – mit herzlichem Gruß an die Redaktion). In der Mehrheitsbevölkerung sind diese Selbstbezeichnungen bislang kaum angekommen(4), in den Medien auch nicht.
Beispiel Zwei: Dummy Nr. 20, Titel: Schwarze. Wie es sich für ein deutschpoplinkes Hochglanzmagazin, das keine Tabus kennt, so gehört, hatte sich die Dummy-Redaktion entschlossen, ein Heft über eine weitere Randgruppe aufzulegen. Die Ausgaben „Frauen“, „Juden“ und „Deutschland“ und „Osten“ hatten sie schon gemacht, jetzt sollten es die Schwarzen sein. Da die die Chefredakteure ihre Finger am Puls der Zeit haben, sollte die Nummer „Neger“ heißen. War natürlich nur provokant gemeint, weil mensch steht ja auf der richtigen Seite, klar. Nach größeren Protesten hat die Redaktion sich dann ohne Einsichtsgewinn auf den Titel „Schwarze“ beschränkt und eine Runde einsam und unverstanden gefühlt. Das Heft selbst ist inhaltlich dünn und atemberaubend biodeutsch. Der weiße Mann kam, schaute kurz und publizierte. Die mittlerweile über hundertjährige Geschichte Schwarzer Deutscher und die jahrzehntelange Arbeit von Organisationen wie beispielsweise der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) oder ADEFRA wurden ebenso wenig erwähnt, wie Schwarze JournalistInnen an dem Projekt beteiligt waren.

www.derbraunemob.de

In Anbetracht der selbstgenügsamen Ignoranz weiter Teile der deutschen Mehrheitsbevölkerung und ihrer hohen Empfindlichkeit in Sachen Rassismuskritik(5) ist der Ansatz des braunen mobs im besten Sinne des Wortes aufklärerisch und muss es sein. Die erste Rubrik „Sprachliches/ Fragen“ stellt in knapper und verständlicher Form Mindeststandards einer respektvollen und inhaltlich korrekten Benennung vor. Die Highlights mehrheitsdeutscher Wortschöpfungen, stammen sie nun aus kolonialen Tagen oder einem gutmenschlichen Impuls werden als unangemessen und/oder sinnfrei dekonstruiert, gleichzeitig werden JournalistInnen mit Alternativformulierungen versorgt. Im selben Teil gibt es auch eine FAQ-Sektion, die in Form von „Warum…?“ Fragen formuliert ist und viele biodeutsche „Ja, aber…!“-Gedanken thematisiert: Warum „Schwarz“, ihr seid doch braun? Warum sind viele bei dem Thema so empfindlich? oder auch: Warum nennen manche Schwarzen sich selbst oder sich gegenseitig „N...ER“?

Die zweite wichtige Rubrik widmet sich konkreten Bespielen aus Print, Funk und Fernsehen. Eingeteilt in „So geht‘s“ und „So geht‘s nicht“ werden exotisierende, offen abwertende, helfen-wollende oder sonstwie nervende Artikel, Werbekampagnen, Fernsehformate etc. vorgestellt. Die Sammlung behauptet keine Vollständigkeit und macht den Eindruck einer eher zufälligen Zusammenstellung. Die vorgestellten Fälle sind trotzdem exemplarisch und sowohl in der Kritik als auch den Reaktionen der Kritisierten lehrreich. Neben dem Material selbst wird auch die Auseinandersetzung zwischen dem braunen mob und den jeweils Verantwortlichen dokumentiert. Der braune mob wendet sich schriftlich an sie, formuliert und begründet seine Kritik und bittet um Stellungnahme. Alles mit der Ankündigung, dass der Briefwechsel aus Zwecken der Dokumentation und der Aufklärung öffentlich geführt wird.
Ein Beispiel für einen längeren Briefwechsel ist die Auseinandersetzung mit Langenscheidt, in der es um die Auflistung des Wortes „Neger“ im Schulwörterbuch Französisch ging. Allen, denen der Ausflug der CEE IEH-Redaktion zum Stichwort Zensur und objektive Sprachrealitäten im Editorial der Septemberausgabe zu kurz gewesen ist, können hier eine ausführlichere Diskussion genießen.

In aller Kürze sei auf „Die braune Karte“ mit lesenswerten Beiträge zur Preisverleihung an den Augsburger Zoo verwiesen, der sich mit einer Neuauflage der von Deutschen heiß geliebten „Völkerschauen“ hervortat, auf das „Archiv“, unter anderem mit satirischen Texten zum deutschen Afrikabild, informativen Beiträgen zu Schwarzer deutscher Kultur und Geschichte und Mode und Schönheit; sowie den „Store“, der eine T-Shirt-Kollektion Schwarzen deutschen Alltags bietet (Fass dir in deine eigenen Haare, Sie sprechen aber gut deutsch, Sei doch nicht so empfindlich). Die jeweiligen Seiten zu finden, kostet auf der teilweise wenig übersichtlichen Webseite einige Mühe, lohnt aber.

Abschliessend soll der Blog vorgestellt werden. In den letzten Monaten hat sich der Aktivitätsschwerpunkt kontinuierlich von der Webseite weg spürbar dorthin verlagert. Aktuelle Geschehnisse, zuletzt die Wahl Obamas und die Beschreibungen und Interpretationen des Ereignisses in deutschen Medien, werden aus Schwarzer deutscher Sicht rassismussensibel kommentiert. Die Verlinkung mit anderen Blogs, etwa dem von Noah Sow(6), anders deutsch(7) oder black rnw(8), schafft einen guten Überblick und stellt Diskussionen in einen breiteren Zusammenhang.

Für wen ist diese Empfehlung und warum?

www.derbraunemob.de ist allen Mehrheitsdeutschen, die sich (noch) nicht als solche verstehen, ans Herz gelegt. Jedem und jeder, dem/der jenseits der Herren Blanco, Asamoah und Naidoo zum Thema Schwarzem Leben in Deutschland wenig einfällt. Und allen, die lieber über eine Seite surfen als Bücher wie „Farbe bekennen“(9), „Andere Deutsche“(10), „Die Banalität des Rassismus“(11) oder „Deutschland Schwarz Weiß“(12) zu lesen, um ihren Horizont zu erweitern. Die Seite versammelt Schwarze Stimmen, ist verständlich geschriebene und gibt (manchmal zu) knappe Einblicke in wichtige Debatten und Konzepte.
Aus einer linken Perspektive bleiben wichtige Fragen offen: Was lässt sich zu den historischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen rassistischer Ausgrenzung sagen? Wo liegen die Grenzen und Fallstricken reflektierter identitätspolitischer Ansätze? Wie werden gesellschaftliche Machtverhältnisse konzipiert und wie politisch angegangen? In welchem Verhältnis stehen pragmatische Interventionen zu einer größeren emanzipativen Perspektive? Diese und andere Fragen sind berechtigt und müssen an anderer Stelle diskutiert und beantwortet werden. Wer die Webseite besucht hat, ist sich dabei vielleicht auch wichtiger Tatsache bewusst, wie beispielsweise, dass nicht-deutsch-sein-wollen(-aber-sein) ein Luxus ist, den sich mancheR erst erkämpfen muss.
Viel Spass beim Surfen wünscht:

Fia

Fußnoten

(1) So die Selbstsicht, die später im Text noch relativiert wird. Für alle, die auch Fussnoten lesen hier schon einmal eine Präzisierung: Deutsche im hier gemeinten umgangssprachlichen Sinne sind weiße Passdeutschen, gern mit weißen passdeutschen Eltern, die weder von Behörden noch in den Zuschreibungspraxen anderer weißer Passdeutscher unter „nicht-deutsch“ firmieren. Das schließt natürlich ein kritisches Nachdenken über und Hadern mit der eigenen kollektiven Zugehörigkeit nicht aus. Ganz im Gegenteil, in linken Kreisen ist es ein typisches Qulitätsmerkmal.

(2) Im Text werden die Begriffe Schwarze Menschen, Schwarze Deutsche und Andere Deutsche relativ synonym benutzt. Der Webseite folgend sind damit faktisch und trotz allgemeinerer Definitionen in erster Linie Afrodeutsche gemeint. Sowohl der Begriff „Schwarz“ als auch der Begriff „deutsch“ kann in einer politischen Lesart deutlich weiter verstanden werden (siehe u.a. N.Sow: Deutschland Schwarz Weiß, S.26ff; P.Mecheril & T.Teo: Andere Deutsche, S.9ff).

(3) Damit nutzen sie ein reflektiertes Identitätskonzept, in dem ihre Zugehörigkeit nicht essentialistisch einfach, quasi per Hautfarbe besteht, sondern sich als Reaktion auf Rassismuserfahrungen bildet, die jeweils unterschiedlich erlebt, bewertet und verarbeitet werden. Um diese Erfahrungshintergründe reflektieren und im Rahmen einer eigenen Perspektive artikulieren zu können, ist es wichtig Räume zu haben, die nicht von der Mehrheitskultur strukturiert werden.

(4) In konkreten Begegnungen sind dann des öfteren verbale Eiertänze zu beobachten, etwa weil Biodeutsche das Wort „Schwarz“ buchstäblich nicht über die Lippen bekommen (Schwarz-sein ist ja ein Makel und mensch möchte seineN Gegenüber nicht verletzen) und so schnell noch auf „dunkelhäutig“ (ist ja nicht so doll schwarz) ausweichen. Der Schweiß wird von der Stirn gewischt aber der/die andere ist trotzdem irritiert.

(5) Rassismus, das waren doch die Nazis! Also ich bin wirklich nicht rassistisch. Zum Beispiel, der Bruder meiner Frau hat eine russische Nachbarin und ich habe der mal die Blumen gegossen. Sie unterstellen mir hier, dass ich Schwarzafrikaner schlagen würde. Unerhört!

(6) www.noahsow.de/blog

(7) andersdeutsch.blogger.de/

(8) blacknrw.wordpress.com

(9) Oguntoye, Katharina, Opitz, May & Schultz, Dagmar (1986) Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Orlanda

(10) Mecheril, Paul & Teo, Thomas (1994) Andere Deutsche. Zur Lebenssituation von Menschen multiethnischer und multikultureller Herkunft. Dietz

(11) Terkessidis, Mark (2004) Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive. transcript

(12) Sow, Noah (2008) Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. Bertelsmann

Screenshot www.derbraunemob.de, 67.2k

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last modified: 25.11.2008