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kulturreport, 1.7k

Jazz sichtbar machend.
Chet Baker und William Claxton.

Vor zwei Monaten stirbt William Claxton. Im Mai zwanzig Jahre zuvor endet das Dasein von Chet Baker. Vor fünfzig Jahren nimmt Baker seine drei wichtigsten Riverside-Platten auf. Statt eines Kalenderblattes eine Danksagung.

Fotografie ist Jazz für das Auge.
William Claxton

Chet Baker, 52.4k

Es gibt diese Bilder oder Sequenzen, welche von Menschen ein Leben lang behalten werden. Für manche sind es diese rigorosen Nachbarn, welche dem Kind immer Angst einflößten, eine Angst, welche noch den Erwachsenen auffahren lässt. Anderen bleiben die Doktorspiele als immerwährende Erfahrung, die wie ein abrufbarer Film in den seltsamsten Momenten auftaucht.
Und es gibt diese Einstellungen aus den Schwarz-Weiß-Filmen der fünfziger Jahre. Es ist Nacht. Etwas entfernt die Illuminationen und die Geräusche der großen Stadt. Davor die regennasse Asphaltstraße. Der Mann im hochgeschlagenen Trenchcoat, der von irgendwoher auftaucht und die Straße entlang entschwindet. Und dieses Tack-Tack-Tack. Das Tack-Tack-Tack als eindringliches Geräusch, ein Klang welcher all die anderen Großstadtgeräusche noch weiter entfernt erscheinen lässt. Das Tack-Tack-Tack waren die Schuhsohlen des Mannes auf dem Asphalt. Es ist diese kleine Einstellung, diese Collage aus Coolness der Gangster- und Detektiv-Filme sowie der Kühle des film noir, die man nie mehr vergisst. „Alone together“ ist das erste Stück auf „Chet“.
Die heutigen Bar-Jazz- und Lounge-Compilations bieten auch nur einen blassen Eindruck davon. Einen Eindruck eher der Warenverliebtheit, der Reklame, der Zweckorientiertheit, nicht einen des Augenblicks von Einsein. Die zigarettenrauchvollen Bars mit Frauen in Cocktailkleidern, den auf coole Männer in Lederjacken getrimmten Jungs mit ihren pomadigen Tollen. Und da ist diese alles zum Stocken bringende, zum Halten zwingende Trompete. It was very cool, Chet.
William Claxton hatte Chet Baker bis 1957, ein Jahr später wird dieser das Plattenlabel von jenem verlassen und zu Riverside wechseln, als Fotograf begleitet. „Er war ein Engel“, heißt es im Vorwort zu Claxtons Buch über „Young Chet“. „Oder genauer gesagt, er hatte ein Engelsgesicht. Eines dieser unvergesslichen Gesichter, die einen sogleich, wenn man sie sieht, mit einer seltsam magischen Kraft anziehen, was man wohl Präsenz nennen muss, und die einen gleichzeitig daran denken lassen, dass Engel meist vom Fall bedroht sind.“
Claxton gelingt es in fünf Jahren einen Chet Baker zu fotografieren, diesen ewig werden zu lassen. Einen Engel, eine kaum mehr steigerbare Visualisierung von Schönheit. Und es mussten also diese Bilder und die Stimme auf „It could happen to you - Chet baker sings“ den Begriff des Androgynen wahr werden lassen. Eine Wahrheit, die nicht wirklich ist, aber über jene Modetorheiten wie Metrosexualität siegen würde ohne sich ihnen stellen zu müssen.
Beim Betrachten dieser Fotos hören wir Chet Baker bevor wir ihn hören. Man kann schon hören, was man noch sieht. Und später kann man sehen, was zu hören ist. Das ist cool. So ist man bei der ersten Begegnung, ob diese nun die visuelle oder die akustische ist, von diesem Engel erfasst. Wie sollte es auch anders sein.
Es entsteht durch die Fotos ein Bild, dessen Zerstörbarkeit dem Betrachter bewusst ist, für das ein Berührungsverbot gilt. Und so muss es erst recht ein Verbot des Eintritts in diese intime Welt geben, welcher nur zerstören würde. Der Schauende kann nur teilhaben, wenn er dem Drang des Teilnehmens entsagt. Alles andere würde Ruinen hinterlassen.
Und doch nimmt Claxton den Betrachter dieser Fotos, die kein gewollter Schein sind, kein das gewollte Sein illustrierender Zierrat, mit in diese Welt. Manche der Bilder sind so nah, dass man die Illustration für eine nahe Szene hält, dem Sehenden aber schmerzlich bewusst wird, dass er nicht Akteur sein kann.
Die Vorhaltung, dass Baker nie eine Gesetzestafel des Jazz wie Miles Davis mit „Kind of Blue“ erschaffen habe, von jenem musikalischen wie realen Gottesdienst „I love supreme“ von John Coltrane ganz zu schweigen, zerfällt zu Staub durch der Fusion von Claxton (Bild) und Baker (Ton).

Gunnar Schubert

Young Chet: Der junge Chet Baker / photographiert von William Claxton, München-Paris-London, 1998

It could happen to you - Chet Baker sings (Riverside, aufgenommen August 1958)

In New York (Riverside, aufgenommen September 1958)

Chet (Riverside, aufgenommen Dezember 1958 bis Januar 1959)

Chet Baker, 24.8k


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last modified: 25.11.2008