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kulturreport, 1.7k

Aufstand der Zeichen? Zum Verhältnis von Street Art und Avantgarde.


„ [die Aufgabe einer Theoriebildung, m. dietzns]... ist es nicht, Probleme auf die Weise zu lösen, daß sie sie zum Verschwinden bringt, sondern begriffliche Artikulationen durchzuführen, die es erlauben, bestimmte Fragen erst einmal präzise zu stellen.“
Peter Bürger S.16

Die Frage ist also die nach dem Verhältnis der sogenannten „Street Art“ zu den Intentionen, Auswirkungen, Implikationen der Avantgarde, mithin zu den von den historischen Avantgardebewegungen erkannten und artikulierten Widersprüchen einer Kunst in der Moderne überhaupt. Ich beziehe mich im Text auf den Avantgardebegriff, wie ihn Peter Bürger in seinem Buch „Theorie der Avantgarde“ entwickelt hat. Mit Blick auf das Problem des „Fortschrittes“ in der Kunst ließe sich etwa fragen, inwiefern Street Art, als am jugendlichsten und revolutionärsten daherkommende Strömung der Gegenwartskunst, auf der Höhe der Zeit die Probleme zu artikulieren vermag, mit denen die historischen Avantgardebewegungen mit der Frage nach der Möglichkeit, nach der Aufhebung der Kunst überhaupt sich konfrontierten.
Mit dem Scheitern der historischen Avantgarden scheiterte der radikalste Versuch, die Autonomie, die Isolation der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft zu durchbrechen und damit der Versuch, Kunst in Lebenspraxis zu überführen. Was nach Adorno für die Philosophie gilt, daß sie sich am Leben hält, „weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward“ (Negative Dialektik, S.15), gilt wohl auch für die Kunst. Kunst nach der historischen Avantgarde und erst recht nach Auschwitz perpetuiert ihr Zugrundegehen, wurschtelt und bastelt weiter da, wo sie nicht auf ihre gesellschaftliche Funktion und Situation reflektiert, wo sie die Momente ihrer eigenen Unzulänglichkeit, ihres Scheiterns und ihrer Verstrickung in das falsche Ganze nicht in sich aufnimmt. Kunst nach dem Scheitern der historischen Avantgardebewegungen ist gleichsam mit sich selbst konfrontiert in einer „Dialektik im Stillstand“, mit einer Bewegung ihrer selbst um sich selbst. Was Avantgarde und revolutionär war, wurde integriert; was transzendieren sollte, zementierte einen Immanenzzusammenhang, aus dem für die Kunst kein Weg zu führen scheint. Kunst wird damit zum Betrug, leistet einen Beitrag zur „Aufklärung als Massenbetrug“ (Horkheimer / Adorno, Dialektik der Aufklärung). Was in ihr aufbewahrt wird, existiert nur noch als etwas, das in der Kunst aufzubewahren, nicht aber zu verwirklichen ist; ihr Versprechen wird von ihr im selben Moment gebrochen, weil sie, um die Möglichkeit der Einlösung zu erhalten, mehr sein müßte als Kunst. Ihr droht in der Moderne der Rückfall ins Design, in die Werbung; sie droht, vollends als Schmuck und Verschleierung der Verhältnisse, zur Barbarei zu werden, zum „Beweis“ dafür, daß sich in dieser Welt gut leben läßt.

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Die Hoffnung knüpft sich an Benjamins Vorstellung, daß die Verhältnisse nur ein kleines Stück verschoben werden müssten, um den Bann zu brechen, um Alles so zu stellen, daß es sinnvoll ist. Die Idee ist also die, daß Street Art, etwa dadurch, daß sie mit der hergebrachten Isolation der Kunst in Museen und Gallerien bricht, vielleicht eben das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft, wenn nicht auf den Kopf stellt, dann doch wenigstens so weit verrückt, daß Wege aus dem Verhängniss offenbar werden.
Wenn als Hauptintention der historischen Avantgardebewegungen die „Zerstörung der Institution Kunst als einer von der Lebenspraxis abgehobenen“ (Bürger S.117), die Organisation der Gesellschaft nach den in der Kunst aufbewahrten, der zweckrationalen Ordnung des Warenproduzierenden Systems entgegengesetzten Prinzipien, gelten kann, stellt sich die Frage, inwiefern Street Art zumindest partiell die Abgetrenntheit der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden in der Lage ist, da sie ja tatsächlich zumindest die räumliche Isolation ganz offensichtlich durchbricht, da sie an dieser Stelle ein grundlegendes Prinzip der Präsentation und Rezeption von Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft ignoriert.
Inwiefern kann, die Frage betreffend, ob Street Art eine „kritische oder affirmative Funktion hat“ (Bürger S.17), davon die Rede sein, daß Street Art Kritik übt „an der Institution Kunst, wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat“ (Bürger S.29), daß sie selbstkritisch ist, daß sie also objektive Tendenzen der Vermittlung der Institution Kunst mit der Gesellschaft in der Lage ist zu reflektieren und zu artikulieren, daß sie mithin ein Bewußtsein ihrer selbst besitzt.
Weiter wäre zu fragen, inwiefern etwa die Kunstmittel, die Techniken als allgemein verfügbare eingesetzt werden, und ob vielleicht, ohne das dies von den Akteuren intendiert wird, Street Art objektiv gesellschaftlich gesetzte Grenzen der Kunst und ihren eigenen Begriff zu transzendieren in der Lage ist.
Ausgehend von Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“, in der er die historischen Avantgardebewegungen zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts interpretiert und analysiert, soll also geprüft werden, wie Street Art zur Avantgarde vermittelt ist, ob sie also das Scheitern der Avantgarde in sich aufnimmt und über die Kunst hinausweist, oder ob sie vielleicht hinter die historischen Avantgardebewegungen zurückfällt.

Stellung zur Institution Kunst

Als hervorstechendstes Merkmal aller Spielarten von Street Art kann wohl gelten, daß sie eben unmittelbar in den Straßen, im öffentlichen Raum angebracht, ausgestellt ist. Das ist zugleich das, was sie am deutlichsten von anderer Gegenwartskunst unterscheidet, und das, worauf sich ihre Akteure, die „Artists“, am meisten einbilden. Zumindest die Urheber von Street Art haben in der Mehrzahl das Abgetrenntsein der Sphäre der Kunst von der Gesellschaft - in der Phantasie – überwunden: Street Art gilt, und da führt ihr Name in die Irre, vordergründig und „eigentlich“ als Kommunikation mit dem und im öffentlichen Raum und mit den Menschen darin. Was da passiert, ist „illegale, künstlerische Intervention im urbanen Raum. Sie richtet sich gegen hegemoniale Codes der Stadt und wendet sich – mitunter subtil und provokant – dialogisch an ein öffentliches Publikum“ (Gabbert S.17). Darin steckt partiell etwas Wahres. Schon dadurch, daß sie Menschen ungefragt und unmittelbar mit künstlerischen Erzeugnissen konfrontiert, hat Street Art einer Kunst, die sich in Galerien präsentiert, etwas vielleicht entscheidendes voraus: dadurch, daß sie nicht aus einem Vakuum, aus dem isolierten Kunst – und Ausstellungsbetrieb, aus einer abgeschlossen Kunstatmosphäre heraus kommunizieren muß, kann sie tatsächlich viel unmittelbarer wirken. Street Art bleibt es erspart, von vornherein als Kunst identifiziert, und ausschließlich als solche wahrgenommen, rezipiert, und eben nicht ganz für voll genommen zu werden. Inhalte und politisches Engagement können so unter Umständen leichter zu vermitteln sein. Wenn, nach Peter Bürger, in der Moderne die Institution Kunst „zuallererst die gesellschaftliche Funktion des Werkes“ bestimmt, so entzieht sich Street Art dieser Institution und diesem Verhältniss partiell. In der Straße gelten scheinbar andere Regeln, dort kann jede und jeder irgendwelche Sticker oder Plakate ankleben und dergleichen, dort gibt es scheinbar kein auf- und abwerten von Werken, dort soll sich eine demokratische Gleichheit in der Kunst realisieren: „Street Art soll idealerweise eine künstlerische Ausdrucksform sein, die ohne kommerziellen Hintergrund für jeden Zugänglich in der Straße angebracht wird.“ (Reinecke S.10)
Allerdings bedeutet das Nichtintegriertsein in die Mechanismen des Kunstbetriebes nicht, daß damit Street Art die Institution Kunst überwunden hätte, von ihr unabhängig wäre, müssen darunter doch „auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst [begriffen, m. dietzns] werden, die die Rezeption von Werken wesentlich bestimmen.“ (Bürger S.29)
Die historischen Avantgardebewegungen übten zuallererst Kritik an der Institution Kunst und damit an sich selbst als autonome Kunstwerke. Im Interesse einer zu verwirklichenden Kunst stellten sie ihre Funktion radikal in Frage. Die Kritik der Institution Kunst schließt notwendig eine Kritik der Gesellschaft mit ein, ohne die sie eben immanente Kritik wäre. Die Einsicht in basale gesellschaftliche Zusammenhänge und die eigene Verortung darin sind notwendiger Bestandteil eines zu bildenden Bewußtseins einer Kunst von sich selbst. Hier muß wohl, ohne die Analyse vorwegnehmen zu wollen, Street Art und ihren Akteuren komplettes Versagen attestiert werden. Was sich an Aussagen der Artists und der Werke „politisch“ verorten läßt, ist im besten Fall affirmative Ahnungslosigkeit und im schlimmsten Fall Antisemitismus. Dazwischen steht mit Konsum -, Kriegs - und Polizeikritik verkürzte oder überhaupt keine Kritik des modernen warenproduzierenden Patriarchats: „Banksy oder Grim […] wollen mit ihren politischen Botschaften die Menschen auf Missstände in der heutigen Zeit [sic] hinweisen, wie übertriebenen Konsum oder Krieg.“ (Reinecke S.170), auch gibt es eine „generelle Stimmung und Abneigung in Richtung Konzerne und Marken“ (Gabbert S.48). Street Art befände sich damit mehrheitlich auf einem „Standpunkt der Konsum- und Kapitalismuskritik“ (Gabbert S.48)
Konsumkritik plus Konzernkritik ist gleich Kapitalismuskritik. Daß die Rechnung nicht aufgeht, bekommt Banksy immerhin zu spüren, wenn er ans Ende einer seiner Publikationen folgendes setzen muß: „this is not a resource manual for a fucking advertising agency“ (Banksy 2002 Umschlag hinten innen). Fast schon bemittleidenswert ist die Hilflosigkeit, mit der er die vermeintlich plötzlich über ihn hereinbrechenden Verhältnisse mit einem Bannspruch in den Griff zu bekommen versucht. Da sein es Werk nicht leistet, beispielsweise durch Unerträglichkeit, eine Vereinnahmung durch Werbeagenturen zu verunmöglichen, muß er sich den Vorwurf gefallen lassen, da grundsätzlich etwas falsch oder gar nicht verstanden zu haben.

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Was sich bei Street Art als erfrischende Spontanietät und Unkompliziertheit gibt, erweckt den Verdacht falscher Unmittelbarkeit. Laut Gabbert bedeutet Street Art auch „Rebellion gegen den etablierten Kunst – und Ausstellungbetrieb“ (Gabbert S.89). Diese vermeintlich kritische Haltung gegenüber der Institution Kunst hört sich eigentlich wie der Ruf nach Anerkennung an: der Kunst – und Ausstellungsbetrieb wird nicht kritisiert, weil dort Verhältnisse herrschen, die Kunst verhindern und begrenzen, oder weil Kunst aus eben der Isolation im Kunstbetrieb befreit werden soll, sondern weil im Betrieb kein Platz ist für die Artists; und auf das Wort „etabliert“ muß hier wohl besonderes Gewicht gelegt werden: etablieren darf sich stattdessen ein Kunstbetrieb, in dem auch Street Art ausgestellt und als Kunst gewürdigt wird. Es geht also nicht um die Überwindung von Verhältnissen, sondern allenfalls um deren Reformierung. Wo die historischen Avantgardebewegungen das Ziel hatten, mit der Kunst aus der Kunst auszubrechen, sie zu transzendieren, um die gesellschaftlichen Verhältnisse nach den in der Kunst aufbewahrten Prinzipien umzugestalten, geht es der Street Art um Immanenz, darum, in der Institution Kunst anzukommen und darin ernst genommen zu werden.
Dabei erhält sie sich eine eigentümliche Widersprüchlichkeit, die vielleicht Ausdruck einer allgemeinen Ahnungslosigkeit ist: die Artists nehmen es einander übel, wenn sie, wie Banksy, Werke teuer verkaufen, oder mit der „Industrie“ kooperieren wie etwa Solo One, der gegen Bezahlung sein Tag auf Kleber eines Modelabels setzte. Street Art will einerseits Kunst sein, ernst und wahrgenommen werden, andererseits scheint ein Authentizitätsfetisch zu existieren, der es den Artists verbietet, mit den verhassten „Marken und Konzernen“ innerhalb der Institution Kunst zu kooperieren, also wenigstens für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Vielleicht ist es der Sozialneid der Mehrheit der Artists, die ihre Erzeugnisse nicht verkaufen können, der zur Verachtung eines möglichen finanziellen Erfolgs führt. Aufgrund der verkürzten Kritik an der Institution Kunst, die sich lediglich gegen die Distribution und den Konsum richtet, aber die weitreichenden Vermittlungen von Kunstrezeption und - Wirkung und Gesellschaft, und damit die gesellschaftliche Dimension der Institution Kunst überhaupt aus dem Blick verliert, läuft das Ideal von Street Art auf Anerkennung durch Selbstausbeutung mit der Produktion von „positiven“(Reinecke S.106) Werken hinaus. Gleichzeitig haben die Artists keine Hemmungen, wenn es darum geht, ihre Street Art von der Straße in die Gallerie zu bringen. In Städten wie New York scheint Street Art, die sich tatsächlich im öffentlichen Raum befindet, nur eine Zwischenstufe zu sein, um dann, ohne allerdings den rebellischen Habitus abzulegen oder an der Gestalt der Werke etwas zu ändern, in Gallerien ausstellen zu können.

Autonomie / Unmittelbarkeit

Die Autonomie der Kunst ist in der bürgerlichen Gesellschaft keine allein der räumlichen Isolation. Was die Kunst in der Moderne zu einem von der Gesellschaft abgetrennten Bereich macht, liegt in ihr selbst: in ihr ist aufgehoben, wofür in der Gesellschaft sonst kein Platz ist: sie ist Ausdruck des Leidens, und damit Refugium für Utopie und Wahrheit. In der Vermittlung dessen, was in ihr aufgehoben ist, scheint es, als hätten die Menschen den Anschluß verpaßt: was dem Durchschnittsbewußtsein als „echte“ und „gute“ Kunst gilt, liegt historisch noch vorm Impressionismus, spätestens bei Kaspar David Friedrich vielleicht. Alles, was die Harmonie im Werk, was das unmittelbare „Erkennen“ dessen, was dargestellt wird und dessen Schönheit gefährdet: die „unrealistischen“ Farben, die Abstraktion, die absichtliche „Häßlichkeit“, das Lossagen vom Handwerk („das kann doch jeder!“), stößt auf Unverständnis oder ist den Menschen gar verhasst. Es scheint darin ein Ressentiment gegen die Autonomie der Kunst überhaupt sich auszudrücken. Peter Bürger hat dargelegt, daß Kunst, die in der Moderne autonom wird und mit der Institution Kunst ihr eigenes Bezugssystem bildet, eben nicht mehr „verstanden“ werden kann im Sinne einer aus den Werken womöglich eins zu eins herauszulesenden „Aussage“. Das Prinzip des symbolhaften Werkcharakters, in dem innerhalb eines vorgegebenen Bezugssystems von Symbolen und Bedeutungen das Werk zu ver – und entschlüsseln ist, kann in einer autonomen Kunst, die weder für sakrale noch für höfische Zwecke produziert, sondern als einziger Teilbereich der Gesellschaft eigentlich „zweckfrei“ ist, nicht mehr gelten. Ganz offenbar ist es dem modernen bürgerlichen Bewußtsein nur sehr schwer möglich, des Ausdrucksmoments in der modernen Kunst inne zu werden, geschweige denn es zu begreifen. Vielleicht zeigt sich darin auch der Widerspruch von Produktionsmitteln und Produktionsverhältnissen: das Bewußtsein ist nicht in der Lage, mit den Werken der modernen Kunst adäquat umzugehen, es hält fest an einem objektiv längst überholten Verhältnis, über das Kunst hinaustreibt. Dieser Widerspruch bestimmt auch das Verhältniss zu Street Art. Darüber, daß Graffiti mehrheitlich bestenfalls als Schmiererei, schlimmstenfalls als Straftat und Zerstörung (vielleicht meldet sich hier ein Objektives in der Kunst an, ohne daß ihre Akteure das wissen: daß sie das zu zerstören treibt, was noch ist, aber nicht mehr sein sollte) wahrgenommen wird, kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Auch wenn Street Art, aufgrund anderer Techniken (Cut - Outs, Sticker, Plakate, Miniinstallationen) der Katalogisierung als Straftat mitunter entgeht, steht es um ihre Rezeption kaum besser. Meist sind es Szenekenner, die die „künstlerischen Interventionen im urbanen Raum“ (Gabbert S.17) entdecken, während Menschen, die nicht selbst unmittelbar mit dem Phänomen zu tun haben, es einfach übersehen. ( Reinecke S.110, Anmerkung: „In Gesprächen mit Außenstehenden, die nicht mit Street Art vertraut sind, ließ sich feststellen, daß Viele die Arbeiten gar nicht zur Kenntnis nehmen.“)
Auch ist fraglich, ob, sollte doch einE AußenstehendeR auf Street Art aufmerksam werden, er oder sie überhaupt irgendetwas damit anzufangen weiß. Das muß die „Artists“ ärgern, denn sie wollen „unterhalten und erheitern, aber auch zum Nachdenken anregen und kritisieren“ (Gabbert, S.54). Die Akteure der Street Art wollen sich mit der Isolation und Wirkungslosigkeit von Kunst in der Moderne nicht abfinden. Aber Kunst, die begriffen würde und nicht wirkungslos bliebe, also ernst genommen würde, wäre schon keine mehr, sondern wäre ihre Aufhebung, ihre „Wegschaffung und Verwirklichung“ (Debord, These 191). Was bleibt, ist der Versuch, sich den möglichen RezipientINNen anzunähern, ihnen das zu liefern, was sie verstehen, und das sind „postive Motive“ (Reinecke S.106): „die bunten, in der Mehrzahl positiven Motive und Wörter, die die Street Aktivisten verbreiten, genießen größere Beliebtheit“ (Reinecke S.106).

Basteln / Design / Kunst

(Mit diesem „Positivismus“ und gute – Laune – Zwang verabschieden sich die Artists dann in Richtung Design.) Was, laut Reinecke, viele der Artists vom Graffiti zur Street Art geführt hat und noch immer führt, ist, daß sie vom illegalisierten Sprayen zu gesellschaftlich akzeptierteren Formen der selbstautorisierten Kunst im öffentlichen Raum wechselten, um das Risiko einer möglichen Strafverfolgung zu mindern. Dazu gesellt sich das Streben der Sprayer nach gesellschaftlicher Anerkennung und einer Legalisierung von Graffiti („Graffiti is not a crime!“). Es scheint also parallel zu den „gesellschaftskritischen“ Positionen der Wunsch zu existieren, in dieser Gesellschaft einen Platz zu haben, in aller Ruhe rumwurschteln zu können. Offenbar geht es nicht so sehr um Dissidenz und Widerstand („Street Art richtet sich gegen die hegemonialen Codes der Stadt“ Gabbert S.17); sondern die Tatsache, daß das selbstermächtigte Anbringen von Kunst im öffentlichen Raum irgendwie nicht auf Gegenliebe stößt, ist den Artists sogar ein Dorn im Auge. Anstatt das Potential einer Street Art gerade in diesem Spannungsfeld zu verorten: daß sie etwas macht, etwas schafft, was eben kontrastiert zur Tristesse und Monotonie vieler urbaner Räume, der in ihr sich Bewegenden Menschen und der sich in ihr ausdrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse, scheinen ihre Akteure einfach ihre Arbeit, ihr Handwerk machen, und dafür gelobt werden zu wollen. Die Kunst, die die Artists machen wollen, ist keine, die in dieser Gesellschaft in dieser Form unmittelbar sich realisieren läßt. Anstatt aber sich dessen bewußt zu werden, und genau in diesem Spannungsfeld zu operieren und es zu artikulieren, herrscht die Tendenz vor, Street Art den Gegebenheiten anzupassen, Spannungen auszuweichen: Street Art soll anerkannt werden und Graffiti legal.
Gleichzeitig sprechen Deutungen der Wirkung von Street Art und die Artists selbst von Dissidenz und Subversion, von Aneignung und Umdeutung des öffentlichen Raumes: „Die Mauer in ihrer Funktion als Abgrenzung, Schutz, Strukturierung - und Ordnungsmaßnahme innerhalb der Stadt bekommt neue Funktion und neuen Sinn“ (Gabbert S.47). Die Mauer erhält allerdings nicht, wie suggeriert, an Stelle ihrer „Funktion als Abgrenzung, Schutz, Strukturierung - und Ordnungsmaßnahme“ die Funktion einer Kunstausstellungsfläche, einer öffentlichen Galerie, sondern allenfalls zusätzlich dazu; Die Mauer wird verschönert, bekommt eine Erscheinung, die von ihrer Funktion ablenkt. Street Art muß sich die Frage gefallen lassen, ob die vermeintlich desintegrierenden, unterdrückenden Funktionen der Mauer nicht durch sie verschleiert werden, und ob avancierte Kunst diese Mauern nicht vielmehr konsequenterweise einreißen - oder sie wenigstens so häßlich machen sollte, daß sie unerträglich werden. Hier ließe sich eine Prallele ziehen zu Graffiti, die ja den Menschen in der Mehrzahl unerträglich sind. Allerdings sollen, nach dem Willen der Mehrheit, ja lediglich die Mauern von Graffiti befreit werden, und nicht die Stadt von den Mauern. Ausserdem gräbt Graffiti damit, daß sich die Sprayer gegen die Illegalisierung wenden, sich selbst das Wasser ab. Nicht, weil real die Verhältnisse durch Graffiti zum tanzen gebracht werden und weil es emanzipatorisch ist, sondern einzig, weil es illegal ist, hat Graffiti überhaupt ein Potential. Legal wäre Graffiti seiner Destruktivität ledig, und wäre wirklich nichts als Wandmalerei. Weiterhin stellt sich die Frage, ob nicht mit der oberflächlichen Fixierung auf die unmittelbare „Kritik“ an städtischer Infrastruktur, an grauen Mauern und Wänden, die Verhältnisse, deren Ausdruck jene sind, aus dem Blick geraten: „Street Art befreit die Architektur des urbanen Raumes von ihrer funktionalen und institutionellen Markierung, um sie zur sozialen Materie umzudefinieren“ (Gabbert S.88). Das ist unwahr; vielmehr wird dadurch, daß die Architektur ihre sichtbare Kälte und Ödniss verliert, ein Zustand vorgetäuscht, in dem tatsächlich städtische Infrastruktur und Gebäude „soziale Materie“ sind. Darüber, daß es nicht damit getan ist, Wände bunt anzumalen und Street Art – Installationen anzubringen, daß ein öffentlicher Raum, der tatsächlich Resultat von Entscheidungen und Bedürfnissen der darin lebenden Menschen ist, noch viel mehr sein müßte, als bloß die selbstautorisierte Gestaltung der Oberflächen, betrügt Street Art, wo sie sich schon als Verwirklichung dessen wähnt, wovon sie doch allenfalls, wie jede Kunst, eine Ahnung geben kann.
Gleichzeitig will Street Art auch „[…] überraschen und entertainen“ (Zitat von D*Face, Reinecke S.112), und „[…]verstanden werden und […] der Unterhaltung dienen“ (Reinecke S.106). Es geht also auch darum, ganz unmittelbar die Stadt zu „verschönern“, wie immer auch oberflächlich zu gestalten. Hier nähert sich Street Art dem Design an, weil sie nichts sein will als das, was sie ist; und vor dem Pauschalurteil, sie wäre damit Schrott, schützt sie vielleicht die These Adornos, es sei „Nicht […] generell darüber zu urteilen, ob einer, der mit allem Ausdruck Tabula Rasa macht, Lautsprecher verdinglichten Bewußtseins ist, oder der ausdruckslose Ausdruck, der jenes denunziert.“ (Ästhetische Theorie S.179). Das hieße umgekehrt auch, daß darüber nicht generell zu urteilen ist, ob das „positive Motiv“, der lächelnde Character, die bunt besprayte Wand Ideologie und Betrug sind, oder die Vorwegnahme einer befreiten Menschheit und die Behüter deren Möglichkeit. Ob also dadurch, daß Street Art so tut, als könnte hier und jetzt unmittelbar Kunst verwirklicht werden, sie vielleicht durch ihre Unbeschwertheit und mitunter Fröhlichkeit, ihren Spiel – und Bastelcharakter eine Spannung erzeugt, vielleicht auch zur Erkenntniss des „so lieb ist die Welt ja gar nicht, aber so sollte sie sein“ treibt. Oder ob Street Art dadurch nicht vielmehr zynisch ist, zumal in einer Welt, in der Auschwitz passieren konnte, daß sie so tut, als könnte überhaupt Irgendetwas in Ordnung sein.

Form / Inhalt

Peter Bürger verortet die historischen Avantgardebewegungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts an der Stelle, an der die Kunst zu einem Selbstbewußtsein gelangt nicht allein in Hinblick auf ihre Stellung zur Gesellschaft, sondern auch die Verfügbarkeit der Kunstmittel, der Techniken betreffend. In den historischen Avantgardebewegungen werden die „Kunstmittel […] als Kunstmittel verfügbar, wie zugleich die Kategorie Inhalt verkümmert“ (Bürger S.25).
Es ließe sich also fragen, inwiefern in den Erzeugnissen der Street Art die allgemeine Verfügbarkeit der Kunstmittel erkennbar ist. Spätestens an dieser Stelle müßte von Artist zu Artist, von Werk zu Werk einzeln unterschieden und analysiert werden, etwas, das ich hier allenfalls anreißen kann. Vielen Erzeugnissen von Street Art wohnt die Tendenz inne, sich in eine katalogiesierbare Technik einordnen zu lassen: Sticker und Plakate sind Träger von Inhalten, die die Form unberührt lassen. Es handelt sich dabei um verlässliche und „etablierte“ Techniken, die in ihrer Austauschbarkeit auch den Bastelcharakter von Street Art verstärken. Cut - Outs heben diese Tendenz zumindest in der Hinsicht auf, daß die Form ein Stück weit sich am Inhalt orientiert; es gibt dort nicht das stereotypische Format, auf das irgendein Inhalt aufgebracht wird. Dennoch handelt es sich dabei um eine Technik des „an die Wand klebens“. Die Schablone, die dem Graffiti noch recht nahe steht, die geklebten Kacheln sind ebenfalls Kunstmittel, die für verschiedenste Inhalte angewendet werden. Beobachtbar ist eine gewisse Verselbstständigung der bereits erfolgreich erprobten Techniken gegen die ihnen dann angepaßten Inhalte. Es kann oftmals wirken, als wäre ein Werk eben kein eigenständiges Erzeugniss und Resultat von Entscheidungen, sondern Vertreter einer Gattung, ein Exemplar. Vielleicht gibt es eine Parallele zwischen der oberflächlichen Kritik an den bestehenden Verhältnissen und der oberflächlichen Technik der Street Art. Es muß allerdings bedacht werden, daß Street Art eben nicht ganz unbefangen sich für Techniken entscheiden und diese dann einsetzen kann. Die starke pragmatische Orientierung an der schnellen und unkomplizierten Umsetzung, die ihr von ihrem halbillegalen Status aufgezwungen wird, läßt wenig Raum für Projekte, die über eine bloße Veränderung und Gestaltung urbaner Oberflächen hinausgehen. Eben ihre Position jenseits der Institution Kunst verhindert hier eine „künstlerische Freiheit“, eine Autonomie, die auf nichts Rücksicht nehmen muß. Damit ist Street Art zugleich befreit und gefangen: dafür, dass sie an Unmittelbarkeit gewinnt, fehlt ihr weitestgehend die essentielle Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Was alles denkbar ist an selbstautorisierten künstlerischen Eingriffen in städtische Bausubstanz und Infrastruktur liegt meist im Bereich der Illegalität, und muß deshalb unrealisiert bleiben; nicht weil man nichts Verbotenes tun darf, sondern weil das Risiko, während der Realisierung oder hinterher festgenommen zu werden, viel zu hoch ist.

Es steht wohl außer Frage, daß jegliches „Fazit“, ein Ergebnis, eine Schlußfolgerung komplett überzogen wäre und wohl auch falsch. Die Frage zu klären, ob Street Art eine affirmative oder kritische Funktion hat, ist auf Einzelanalysen angewiesen, aber nicht, um dann abzuzählen und auszurechnen, ob die Mehrheit der Arbeiten nun kritisch oder affirmativ ist, und das Ergebniss Street Art allgemein zuzuschreiben, sondern um in den Besonderheiten der einzelnen Werke einem Allgemeinen nachzuspüren. Also genau das, was diese Arbeit nicht geleistet hat. In dem Maße, wie der Text leichtfertig und unzulässig über Widersprüche hinweggleitet, und ihm dadurch ein tieferer Einblick in die Dynamik und Problemhaftigkeit der Verhältnisse verwehrt bleibt, versucht er zumindest, freilich spekulativ, das einzufangen, was beim Nachdenken über das Problem hängenbleibt, der Frage nachzugehen, ob eine Auseinandersetzung mit Street Art überhaupt lohnt. Es ist der Versuch, den Begriff abzuklopfen, ob dabei überhaupt etwas von Belang aus ihm herausfällt, etwas, das für die Erkenntnis und das Verständnis von Kunst und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft und zur Utopie heute von Belang ist.

m. dietzns

Literatur
  • Adorno, Theodor W., Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M.1970
  • ders., Negative Dialektik, Frankfurt a.M. 1982
  • Bürger, Peter, Theorie der Avantgarde, Frankfurt a.M. 1974
  • Debord, Guy, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996
  • Gabbert, Jan, Street Art – Kommunikationsstra-tegie von Off-Kultur im urbanen Raum, Masterarbeit im Studiengang Kultur – und Medienmanagement an der Freien Universität Berlin. Potsdam 2007
  • Horkeimer, Max / Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1971
  • Reinecke, Julia, Street-Art – eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz, Bielefeld 2007


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last modified: 21.10.2008