home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[155][<<][>>]

kulturreport, 1.7k

Good Bye Unfug

Eröffnungsgala des Werkstatt e.V. im Lofft

Unter dem Motto „Werkstart: Good Bye Unfug“ lud der neu gegründete Verein Anfang April ins LOFFT ein. Das Leipziger LOFFT-Theater ist die freie Produktions- und Spielstätte am Lindenauer Markt und die professionelle Alternative zum Leipziger Schauspielhaus, das in den letzten Jahren der Engel-Intendanz nur noch selten überrascht.

WerkstattmacherInnen

Der Werkstattmacher e.V. will jungen BühnenkünstlerInnen die Möglichkeit geben sich in einem geschützten Raum auszuprobieren, und ihre Arbeiten vor und mit einem Publikum zu diskutieren. Die Werkstätten wollen Labor für Neues, Unfertiges, Experimentelles und zu Testendes sein. Das Format richtet sich in einem Schwerpunkt an junge BühnenkünstlerInnen, die sich der Herausforderung von Konzept- und Bühnenarbeit sowie künstlerischer Kritik stellen. Dabei sind Trompeter, 5.5k Schauspiel, Tanz und Performancekunst gleichberechtigt und die Werkstatt offen für ein Dazwischen. Außerdem ist die Nachwuchsförderung ein wichtiger Gedanke des Konzeptes. Eine Beobachtung die viele junge KünstlerInnen in Leipzig machen, ist die zum großen Teil isolierte und nur im eigenen Rahmen stattfindende Arbeit. Aus diesem Grund ist ein Schwerpunkt der Werkstattarbeit die Vernetzung der StudentenInnen der Leipziger Hochschulen (z.B. der Hochschule für Graphik und Buchkunst, der Hochschule für Musik und Theater mit ihren Studiengängen Schauspiel und Dramaturgie, dem Deutschen Literaturinstitut, dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig.) Es soll ein Netzwerk gebildet werden, dem neben dem klassischen Theaternachwuchs auch Interessierte andere Sparten wie Literatur oder bildende Kunst angehören, wobei ein einschlägiges Studium keine Bedingung für eine Produktion im Rahmen Werkstatt ist. Aus diesem Netzwerk sollen bei Bedarf Teams gebildet werden, die im besten Fall auch nach ihrer Projektarbeit in der Werkstatt des „LOFFTs“ weiterbestehen und arbeiten. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit entstehen spannende Projekte und es können Produktionsformen gefunden werden, die über eine klassische Stadttheaterhierachie hinaus gehen. Besonders in der freien Szene ist seit Jahren zu beobachten, dass sich häufig Teams und Zusammenhänge bilden, die über Jahre hinweg zusammenarbeiten und der kontunierliche Austausch ein wichtiger Motor für die Produktionen ist. Ab April wird es einmal im Monat Werkstätten geben, die zwei Mal zur Aufführung kommen werden.

Eröffnungsgala

Die Eröffnungsgala weckte großes Interesse bei einem vor allem jungen Publikum und potentiellen Produzenten. Zum einem gab es zwei Performances von Tänzerinnen des Leipziger Tanztheaters (Annegret Meier, Julia Schröder, Lilian Mosquera) zu sehen, die über den Abend verteilt ihre Kurzprogramme präsentierten. Als vergnüglichen Programmpunkt der Lounge präsentierten Fredericke E. Bernhardt am Flügel und Lydia Moellenhoff am Mikrophon unter dem Label „ Mondschafinnenlieder“ ihrer Interpretationen verschiedenster Songs. Des Weiteren zeigte die Schauspielerin Monika Hölzl „4.48 Psychose“ von Sarah Kane in der Regie von Marike Moutaiux. Dieser Abend beeindruckte durch die räumliche Anordnung des Kleiderschranks in einem Türrahmen, der die Aufmerksamkeit des Publikums enorm konzentrierte und die Kraft der Schauspielerin, umso intensiver wirken ließ.

To play a game

Die Werkstattbühne wurde an diesem Abend mit dem Stück „Familiengeschichten.Belgrad“ von Biljana Srblianovi eröffnet. Hier nun einige Anmerkungen zu den Auseinandersetzungen, welche die Regisseurin Sophie Domenz, Dramaturgin Sarah Reimann und Bühnenbildnerin Lena Wilms geführt haben. Die Belgrader Autorin verfasste das Stück 1997 und somit zeitlich gesehen zwischen dem Ende des Krieges in Bosnien- Herzegowina und den NATO- Luftangriffe auf Serbien. Ihr Stück zeigt den Verfall der Gesellschaft im postkommunistischen Belgrad. Die Menschen sind von der Wirtschaftskrise zerrüttet, zutiefst misstrauisch und egoistisch. Die Lebensmaxime lautet: „Kopf in den Sand, Arsch an die Wand“. Srbilanovi zeigt in grotesken Szenen, in denen erwachsene Schauspieler Kinder darstellen, die Familie spielen, dass die Strukturen des Mikrokosmos Familie sich enorm gleichen mit denen von Staat und Gesellschaft und das ein autoritäres Regime vor allem durch den Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen regiert. In dem Stück führt jeder gegen jeden Krieg. Jeder versucht mehr Macht zu gewinnen und Gesetz und Moral spielen keine Rolle. Damit führt die Autorin vor, was im 1700 schon der Staatstheoretiker Thomas Hobbes formuliert hat: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“.(1) Außerdem versteht die Autorin das Stück als eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem damaligen Belgrader Regime. Im Jahr der NATO – Luftangriffe 1999 wurde das Stück an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen gespielt und renommierte Medien wie z.B. die Theaterzeitschrift „Theater heute“ veröffentlichten seitenlange Interviews samt Porträtfoto. Die Autorin wurde ebenfalls durch ihre regelmäßigen Kommentare in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu einer Kronzeugin der Ereignisse, obwohl die Autorin immer wieder denen widersprach, die sie zu einer Repräsentantin Serbiens machen wollten, sie wisse gar nicht, was das sei, das serbische Volk, lautete ihre Antwort. Das Stück wurde stark als ein aktueller und politischer Kommentar rezipiert. Der dramaturgische Einfall des dreifachen Spiels, ermöglicht in „Familiengeschichten.Belgrad“ Zwischenräume zu finden, die heute und ausgehend von unserem Kontext aus zu füllen sind und so für das Publikum erfahrbar zu machen. Die Wirklichkeit wird immer wieder gebrochen und das gesamte Spiel wird zu einem fragilen Moment auf der Bühne. Das Stück sucht die Auseinandersetzung auch außerhalb des Stücktexts, z.B. hat ein Foto von Milosovi und seiner Frau, das sie in scheinbarer Ruhe im Garten zeigt, Kommentarfunktion, es dient als Symbol vergangener Zeit. Außerdem beschriften die Schauspieler (Josephin Eckhardt, Cornelius Danneberg, Nico Ehl, Sarah Trilsch) zu Beginn den Bühnenraum, der aus einem Kubus besteht, der nach Außen mit einer Plane verhangen ist und nach Innen mit Pappe ausgekleidet ist, mit Sätzen, die verschiedene Dimensionen der Betrachtung eröffnen, z.B. den Satz des slowenischen Philosophen und Psychoanalytiker Slavoj Žižek „Der Balkan ist immer der Andere“(2). Žižek macht in seinen Arbeiten deutlich, dass die Bezeichnung des Balkans immer eine imaginäre Kartographie ist, auf die Westeuropa oftmals uneingestandene, ideologische Antagonismen projiziert.
Ansonsten ging es vor allem um den Moment des Spiels im Spiel. Zwei eigentlich banale Einsichten wie: „Das Spiel ist gesetzlos, d.h. es gibt sich seine eigenen Gesetze selbst“ und „Spiel ist immer bewusste Selbsttäuschung“ geben Anlass neben der immanenten Betrachtung, vor allem über die Kunst des Theaters zu reflektieren, denn viele Definitionen der Spieltheorie lassen sich ebenfalls auf den Theaterrahmen beziehen. Zum einen legt der Theaterrahmen von Anfang an fest, dass es sich bei dem Gezeigten nur um ein Spiel handelt, das allein dazu dient Handlungen vorführen(3), bei denen es nicht darum geht den eigentlichen Zweck zu verwirklichen und somit immer in Differenz zu realen Handlungen stehen. Und exakt diese Differenz zwischen den Figuren und den Schauspielern, ermöglicht die Aktionen auf der Bühne zu kommentieren. Niemand der Beteiligten war in den 90ern in der Region oder hat einen anderen Krieg erlebt. Das Wissen ist allein über Erzählungen und Bilder der Medien und anderen Informationsquellen übermittelt worden. Um diese Distanz zu verdeutlichen, wird der Abend mit der Vorstellung der Rollen begonnen. Die Schauspieler und Schauspielerinnen betreten die Bühne und informieren das Publikum mit:„Andrija, 10 Jahre, der Sohn, nach Bedarf auch die Tochter.“ Besonders mit der Figur des Andrija wird deutlich, dass es dem Stück um keine Repräsentation einer psychologisch ausgearbeiteten Figur geht, sondern um ein exemplarisches Zitat, das ebenfalls mit unserer Perspektive arbeitet. In den Alltagssituationen, die das Stück zeigt, wird mit unseren Vorstellungen und Klischees gearbeitet. Der dramaturgische Trick ermöglicht es verschiedene Ebenen zu öffnen, in denen man einen teamspezifischen Zugang zeigen kann und es aus dem engen Belgrader Kontext herausholen kann.

Die Werkstatt sucht fortlaufend Konzepte von Teams oder auch Einzelpersonen mit einer Idee. Antragsformulare und weitere Informationen findet ihr unter werkstatt.lofft.de oder meldet euch bei Interesse unter: werkstattmacher@gmx.de

Pecha Kucha

Anmerkungen

(1) Hobbes, Thomas, Kilian Kai (Bearb.): Leviathan. 13.Kapitel. Köln, 2007.

(2) Žižek, Slavoj: Wo fängt der Balkan an? In: Staatstheater Stuttgart ( Hg.): Familiengeschichten.Belgrad. Programmbuch des Staatstheaters Stuttgart. Stuttgart, 1999.

(3) Siehe Menke, Christoph: Die Gegenwart der Tragödie, S.123.

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[155][<<][>>][top]

last modified: 20.5.2008