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Die Welle

Filmplakat, 33.6k

Die Welle, Regie: Dennis Gansel, BRD 2008, 110min
welle.film.de

Der Hintergrund
      „Through the experience of the past week we have all tasted what it was like to live and act in Nazi Germany. We learned what it felt like to create a disciplined social environment. To build a special society. Pledge allegiance to that society. Replace reason with rules. Yes, we would all have made good Germans. We would have put on the uniform. Turned our head as friends and neighbors were cursed and then persecuted. Pulled the locks shut. Worked in the “defense” plants. Burned ideas. Yes, we know in a small way what it feels like to find a hero. To grab quick solution. Feel strong and in control of destiny. We know the fear of being left out. The pleasure of doing something right and being rewarded. To be number one. To be right. Taken to an extreme we have seen and perhaps felt what these actions will lead to. We each have witnessed something over the past week. We have seen that fascism is not just something those other people did. No. it's right here. In this room. In our own personal habits and way of life. Scratch the surface and it appears.“
      (Ron Jones, The Third Wave)
Ron Jones war im Jahr 1967 Geschichtslehrer an einer kalifornischen High School und er war es auch, der das Experiment, um welches sich der Film dreht, durchführte. Jones erschien es nicht möglich den Schülern zu erklären weshalb die deutsche Bevölkerung der Ermordung der Juden und aller anderen unliebsamen Personen zusah und bei ihrer Durchführung behilflich war, später aber alles vergessen zu haben schien. Also startete er ein Experiment und begann mit harmlosen Übungen, wie einer korrekten Sitzhaltung, der Beschleunigung des Eintretens und Platznehmens im Klassenzimmer oder dem ruhigen und lautlosen Verhalten. Am zweiten Tag setzte er das Experiment fort und inszenierte sich als Führerfigur. Seinem Unternehmen gab er den Namen „The Third Wave“. Er erfand einen Gruß, der dem des Nationalsozialismus ähnlich war und forderte von seinen Schülern, diesen auch außerhalb des Kurses zu benutzen. Dieser Forderung kamen die Schüler nach und das Experiment entwickelte immer mehr eine Eigendynamik. Am dritten Tag waren 13 neue Schüler hinzugekommen, welche auch der Bewegung beitreten wollten. Ihre Leistungen in den einzelnen Fächern verbesserten sich in diesen wenigen Tagen enorm und sie zeigten eine stark erhöhte Motivationsbereitschaft. Alle „Teilnehmer“ erhielten Mitgliedsausweise und eine spezielle Aufgabe, z.B. ein Logo zu entwerfen, etc.
Jones erklärte ihnen wie sie neue Mitglieder anwerben könnten und am Ende des Tages betrug die Anzahl der „Parteimitglieder“ über 200. Am vierten Tag beendete Jones das Experiment da er sah, dass es ihm mehr und mehr entglitt. Er verkündete seinen Schülern, dass ihre Gruppe nur ein kleiner Teil einer nationalen Bewegung sei und dass am nächsten Tag der Präsidentschaftskandidat ihrer Gruppierung zu ihnen sprechen würde. Am Mittag des nächsten Tages hielt Jones also eine Versammlung ab und führte seinen Schäfchen nichts als das monotone rauschende Bild eines nicht belegten Kanals vor. Er erklärte den Schülern, dass sie gerade an einem Experiment teilgenommen hätten und alle gemeinsam hätten sie dieselbe Stimmung der Überlegenheit gegenüber anderen und der Gleichheit untereinander geschaffen wie einst in Deutschland.
Jones Experiment ist beispielhaft dafür, was die „Dialektik der Aufklärung“ bedeutet, wie dünn das vermeintlich sichere Eis der Vernunft ist auf dem wir uns bewegen, wie schnell aus der Forderung nach sozialer Gleichheit der Schrei nach Gleichmacherei erwächst, wie schnell der Ruf nach Repression laut wird gegen alles, was den Regeln der eigenen Gemeinschaft oder Clique widerspricht. Dieses Experiment offenbart mehr als den niedergerungenen Nationalsozialismus der Deutschen und ihre plötzlich auftauchende Amnesie, es zeigt die Möglichkeit seiner Wiederholung auf, wenn auch in anderem Gewand, möglich an jedem Ort und zu jeder Zeit.
Zum Weiterlesen: www.vaniercollege.qc.ca/Auxiliary/Psychology/Frank/Thirdwave.html

Die Lektüre dieses Textes von Jones ist ein wesentlich sinnvollerer und vor allem vernünftigerer Zeitvertreib als der Konsum des im Folgenden besprochenen Machwerkes deutscher Filmkunst.

Der Film
      „Es ist bestimmt/ Nicht leicht einen Film zu drehn/ Doch es ist genauso schwer/ Sich einen Film/ Zu Ende anzusehn/ Von einem deutschen Regisseur/ Es ist ja nicht so, dass mir alles aus Amerika gefällt/ Doch das deutsche Kino ist nunmal das schlechteste der Welt...“
      (Jens Friebe, Vorher Nachher Bilder)
Dennis Gansel hat also einen weiteren Film gedreht und es geht wieder um Jugendliche, irgendwie. Vielleicht ist der Regisseur dem ein oder anderen schon ein Begriff, denn er drehte zuvor den wohl packenden Spielfilm „Napoli - Elite für den Führer“ in dem es um irgendwelche jungen blonden Elitehitleristen und deren Ausbildung ging. Darüber kann ich nicht urteilen, für so etwas ist bei mir kein Platz zwischen dem neuen Meisterwerk eines Genres („Shoot `em Up“) und der kompletten Staffel von „The Prisoner“, beides im Gegensatz zum Besprochenen sehr zu empfehlen. Aber da sowohl Guido Knopp als auch Herr Gansel mit ihrem Zeug wohl sehr erfolgreich sind, die Deutschen schauen sich oder ihren Vorfahren halt gern beim „abhitlern“ zu, kommt man einfach nicht daran vorbei. Irgendwann erwischt es einen, feige aus dem Hinterhalt, in den Rücken, absolut unehrenhaft, von Partisanen, Strauchdieben, Anarchisten oder eben der CEE IEH-Redaktion. Und dass man denen und ihren mafiösen Strukturen keine Bitten um Artikel abschlägt, weiß jeder, der schon mal abends in der Leipziger Südvorstadt tanzen war. Manchmal ist der Aufkleber einer Security-Firma eben mehr als nur der Aufkleber einer Security Firma und ein scheinbar achtlos platziertes CEE IEH im Tanzlokal mehr als nur ein scheinbar achtlos platziertes CEE IEH im Tanzlokal.

Der Jürgen Vogel spielt die Hauptrolle und da beginnt er auch schon, der Horror. Kaum ein deutscher Schauspieler ist so eine unerträglich penetrante Nervensäge wie diese Künstlervisage. Peter Sodann vielleicht, aber als Dauercholeriker wird der es sicher nicht mehr lange machen und dann wird sein Platz auf dem Siegertreppchen frei. Dann können Herr Vogel und dieser Typ mit dem Emoscheitel sich mal schön drum streiten.
Also der Jürgen ist so ein ganz cooler Lehrer, ein Schülerversteher, ein Clash- und Ramonesshirtträger, ein ehemaliger Hausbesetzer aus Berlin, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und einem „Fuck Bush“-Aufkleber auf dem Briefkasten. Eine Respektsperson also zu der man getrost Du sagen darf. Und trotzdem darf der Lehrer nicht den Kurs über Anarchie halten, obwohl er sich doch so gut auskennt mit Hausbesetzung, Politik und den Ramones, voll gemein. Da ist er sauer, der Jürgen, und er rächt sich einfach. Er soll nämlich nun den Kurs über Autokratie halten und nachdem die Schüler ihm sagen, dass in Deutschland heute keine Diktatur mehr möglich wäre, schmiedet er den finsteren Plan des im vorhergehenden Text erklärten Experiments. Schon jetzt weiß man, wer so richtig böse wird, wer am Ende durchdreht und wer sich der Gruppe widersetzen wird. So wird man wenigstens im Verlauf des Filmes nicht überrascht, denn Überraschungen die mögen wir Deutschen gar nicht.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Charaktere eingehen, denn diese sind wirklich hervorragend herausgearbeitet. Da gibt es den jungen Deutsch-Türken der sprüht, die Flaggen während der WM toll fand, da Deutsche endlich wieder stolz auf ihr Land und somit weniger neidisch auf andere sein können und dem bei der Namensfindung der Gruppe nichts besseres einfällt als „Terror Squad“. Schön ist auch der Sandsack der Schule, ein typischer Verlierer der von allen gehänselt wird, dessen Eltern sich nicht für ihn interessieren und der aufgrund fehlender Förderung einfältig und ungebildet ist. Ganz klarer Fall: Amokläufer. Aber den gibt es ja nicht in dem Film, oder irgendwie doch, am Ende, aber da passt eh niemand mehr auf der noch alle grauen Zellen beisammen hat. Dann gibt's noch ein rich kid, eine coole Crew, die schmucklose und darum wohl neidische Freundin der weiblichen Hauptperson, antiautoritäre 68er Eltern, nervige kleine Brüder, konservative Pädagogen, den Sportstar der Schule, die Palituch tragende Klassenzecke, die auch gern mal die Wahrheit für die gute Sache verdreht („Michael Moore macht das auch so.“) und von der Liberalen zurückgepfiffen wird und vor allem: Punks. Oder Anarchos, wie sie im Film genannt werden. Diese Anarchos sehen aus wie eine Mischung aus Metaller, Punk und Obdachlosem und sie markieren ihr Revier mit Anarchiezeichen. Wenn anschließend jemand diese Markierung mit der eigenen ersetzen will, rotten sich die Anarchos zusammen und ihr bärtiger Führer lenkt sie in die Schlacht mit den feindlichen Sprühern. Organisiert wie diese fiesen Punks oder Anarchos in der Regel sind, führen sie auch perfekt getimte Farbbeutelanschläge auf sich in Bewegung befindende Ziele durch, am helllichten Tag. Mit diesem Menschenschlag ist nicht zu spaßen und man sollte in Zukunft einen weiten Bogen um diese Gesellen und ihre Markierungen machen. Der weibliche Hauptcharakter bekommt „Ich seh so süß und unschuldig aus, bin aber voll engagiert“ Bonuspunkte, so was kommt gut an beim männlichen Publikum. Und das sie ihrem Freund verzeihen kann, auch wenn er sie schlägt, das zeugt von Großmut, oder auch Dummheit, die Grenze ist schmal.
Ach ja, die Kamera. Handkamera, oft benutzt, nahe dran am Geschehen, schön eindringlich, schön verwackelt. Ansonsten? Kläglich scheiternde Spielereien mit dem Fokus oder irgendwelchen völlig überzogen wirkenden Blendeffekten. Es soll wohl, gerade durch den ausufernden Einsatz des Handgerätes, der Eindruck von so etwas wie intimer Atmosphäre entstehen. Dies misslingt, aber volles Ballett. Ach ja, Ballett. Tanzen ist auch ein Motiv des Films, irgendwie, aber da ging es schon nicht mehr, also das mit dem Aufpassen.

Fazit: Wer sich wohl fühlt zwischen „Tatort“, „Verliebt in Berlin“, „Lindenstraße“ und den großen deutschen Fernsehproduktionen, der kann hier getrost zugreifen. Ist ja mittlerweile eh alles umsonst, wegen dem Internet. Wer bezahlt also diese Typen für solche Filme? Die Chefs vom Internet?

schlaubi

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last modified: 22.4.2008