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review corner Film, 1.4k

Oil is thicker than blood

Filmszene, 9.7k

There will be Blood, Regie: Paul Thomas Anderson, USA 2007
therewillbeblood.com

Hollywood entdeckt einmal mehr die Abgründe des amerikanischen Traumes. Und feiert sich dabei entsprechend selbst für soviel Mut und Subversivität: Kein Zufall also, dass die beiden Abräumer bei den diesjährigen Oscarverleihungen sich beide um die düsteren Seiten des viel beschriebenen und besungenen Mythos drehen. Die politische Situation in den USA hat dabei unverkennbar Pate gestanden. Was den kritischen Beobachter in Deutschland in diesem Ausmaße kaum bewusst wird und was er zumal als erklärter Verteidiger Amerikas auch nicht so recht hören will, ist die tiefe Spaltung, welche die Ära Bush in der amerikanischen Gesellschaft hervorgerufen hat. Und die für einen großen Teil der sich als progressiv verstehenden Menschen jenseits des Atlantiks ein tiefes Misstrauen in die amerikanische Demokratie und ihre Geschichte erzeugt bzw. vertieft hat.
Heute ist es auch in den USA schick sich „radikal“ kritisch zu geben und der Kern aller Probleme liegt ja auch für alle gut sichtbar auf der Hand: Der Kapitalismus. Und wie so oft erzeugt diese Einsicht eine Form von sich als Kritik missverstehender Ideologie, zu deren jüngsten und wohl plumpesten Ausgeburten das neue Machwerk von Regisseur P.T. Anderson (Magnolia, Boogy Nights) zählt.

Anderson – der auf Motive aus Upton Sinclairs Roman Öl! (1927) zurückgreift – versucht sich an einem amerikanischen Epos, das in die Fußstapfen eines Martin Scorsese (Gangs of New York, Like A Raging Bull etc.) oder Sergio Leone (Once upon a time in America) treten möchte. Es geht um all die großen Themen die recht schemenhaft und sicher häufig auch missverständlich unter das Label des American Dream subsumiert werden: Die Geschichte eines Selfmademan, die mitunter gewaltsame Modernisierung und Eroberung der ländlichen Gebiete der USA im Zuge umfassender Kapitalakkumulation und Ausbeutung der Rohstoffe als Voraussetzung des Aufstieges der Vereinigten Staaten zur globalen Wirtschaftsmacht etc. Und wie letzteres schon ahnen lässt geht es um – und dies sicher ganz im Sinne des Regisseurs – nicht weniger als die „Dekonstruktion“ dieses Konzeptes. Das „wahre Gesicht“ des Traumes, seine alptraumhaften Züge, werden zum Sujet. Und noch mehr: Das ganze wird zu einer Parabel auf die heutige politische, ökonomische und ideologische Situation der USA – oder besser auf das, was Anderson als diese zu erkennen vermeint. Dabei ergeben sich schnell zwei Themen, welche die amerikanische Öffentlichkeit gegenwärtig umtreiben und die dann auf die beiden zentralen Figuren des Films zurückprojiziert werden: Das Öl bzw. der so genannte „War for Oil“ (ein üblicher und ja auch in Europa altbekannter Euphemismus für den Irakkrieg) sowie das Erstarken Neo-Evangelikaler Sekten wie der Born Again Christians.

Von Menschen und Monstern

Im Zentrum des Plots stehen der Oilman Daniel Plainview und sein Gegenspieler der junge religiöse Fanatiker und Erweckungsprediger Eli Sunday. Der Mythos des Selfmademan wird in Plainview ins Negative gewendet, er gleichsam zu einer diabolischen Variante des Great Gatsby. Zu Beginn ist der Charakter noch wenigstens schillernd, doch im Verlauf der Handlung wird er zunehmend eindimensional und verkörpert schließlich nur noch den Bösewicht, den Daniel Day-Lewis mit ähnlich infernalischer Intensität gibt wie seine Darstellung des Butchers in Sorceses Gangs of New York. Übrig bleibt am Ende aber damit nur das Zerrbild des von Gier und Amoralität zerfressenen Kapitalisten, der buchstäblich über Leichen geht und sogar das Leben und Wohlergehen seines adoptierten Sohnes hintanstellt, wenn es ums Geschäft mit dem Öl geht. Dabei scheint die Figur keinerlei nachvollziehbare psychologische und charakterliche Entwicklung zu durchlaufen. Der Film versucht nicht einmal zu erklären, wie denn aus dem etwas kaltschnäuzigen und bärbeißigen Ölpionier, der sich doch anfangs immerhin dem verwaisten Baby seines verunglückten Partners annimmt und ihn stolz als seinen Sohn präsentiert, zuletzt dieses skrupellose Monster wird. Aber warum mit Psychologie einer Figur aufhalten, wenn das Publikum die Zusammenhänge schon kennt? Kaum hat die Suche nach dem schwarzen Gold richtig Erfolg, verwandelt sich Plainview wie aus dem nichts in ein gewalttätiges Ekel erster Güte, der grundlos den freilich bis zur Unerträglichkeit nervenden Prediger verprügelt. Je mehr Reichtum er fortan akkumuliert und umso erfolgreicher seine Ölproduktion ist, desto tiefer fällt Plainview, dem wie es sich für eine echt tragische Figur gehört, letztlich ein einsames und völlig verlassenes Ende beschert wird. Es kann also nur eines sein was den letzten Funken Menschlichkeit in ihm auslöscht und ihn korrumpiert: Die Gier nach Öl und Reichtum. In krudester Weise wird also der moralische und menschliche Verfall des Daniel Plainview – oder besser sein plötzliche Mutation zum Widerling – auf dessen Erfolg als Oilman zurückgeführt. Oder ist es doch gar andersherum, und sein verabscheuungswürdiger Charakter kommt in seiner Okkupation erst so richtig zu sich? Auf jeden Fall wird das Problem der Gewalt, die wie auch immer vermittelt, im ökonomischen System auch der warenproduzierenden Gesellschaft steckt, auf ein moralisches heruntergekocht und damit völlig verkannt: Plainview ist eben nicht nur der Träger der „Charaktermaske“ (Marx) des Kapitalisten, sondern er verkörpert regelrecht das absolut Verwerfliche und Ausbeuterische, die völlige Amoralität und reine abstrakte Selbstzweckhaftigkeit der Verwertung der Werts, die in ihm zu Charaktereigenschaften, zu menschlichen Eigenschaften essentialisiert und verdinglicht erscheinen. Kein Gedanke wird verschwendet an die Frage, wie und warum sich denn ökonomische Imperative in das Individuum hineinvermitteln. Die Frage allein schon scheint überflüssig zu sein, wenn Menschen wie Plainview als Grund allen Übles erkannt sind. Die weiteren Implikationen und Gefahren einer solchen Personalisierung brauchen hier wohl nicht weiter ausgeführt zu werden, viel schon wurde dazu an dieser Stelle(1) geschrieben.

Das Öl selbst gewinnt beinahe schicksalhafte Züge: Wer mit ihm in Berührung kommt scheint verflucht zu sein und verdorben bis ins Mark, es weckt die niedersten Instinkte im Menschen. Das Öl steht gleichsam als universelle Metapher für die Schattenseiten der Moderne ein, die vor allem mit dem Ökonomischen identifiziert werden. Der Titel des Filmes aber lautet nicht There will be Oil, sondern There will be Blood. Schon vom Anfang an erscheinen das Geschäft mit und die Suche nach dem Öl als gefährlich und fordern immer wieder einen Blutzoll in Form von Unfällen. Diese Verbindung von Blut und Öl wird zum Leitmotiv des Films. So ergibt sich der eigentliche Sinn des Filmtitels, der etwas ausführlicher auch Where there is oil, there will be blood lauten könnte. Hier lassen nicht nur die sich einstellenden Assoziationen zu linken Demosprüchen wie „No Blood for Oil“ auf eine erneute Evozierung heutiger weltpolitischer Ereignisse schließen, wird doch der Irakkrieg sowie das militärische Engagement der USA im Mittleren Osten allenthalben als eine Mission zur Sicherung der Öllieferungen verstanden. Ebenso scheint der Film „die wahre“ Natur skrupelloser Ölmagnaten (heute: Manager) zu enthüllen, die auch vor dem Mittel des Krieges gegen Unschuldige nicht zurückschrecken, wenn es um Profitmaximierung oder dessen Sicherung geht.
Blut aber steht auch noch in einem anderen Verhältnis zu Öl im Film: Es wird zu dessen Gegenspieler. Der Film kontrastiert die auf Blutsbanden beruhenden (und damit vormodernen) Verhältnisse des Landlebens mit den abstrakten und nur auf ökonomischen Interessen basierenden des Ölmagnaten. Kaum ein Zufall, dass dieser keinerlei Blutsverwandte vorzuweisen hat. Selbst sein Sohn ist nicht wirklich sein Sohn, sein Bruder nicht sein Bruder. Und beide hasst und bestraft Plainview sobald sie sich nicht (mehr) in den Zweckzusammenhang seines Unternehmens einfügen. Zunächst scheint er auf diese „unechten“ Blutsbande noch wert zu legen, nur um sie dann umso gewalttätiger zu negieren. Sein Sohn scheint am Anfang sein ganzer Stolz zu sein, sein Bruder der einzige Mensch, der in ihm so etwas wie Gefühle fernab von kalter Berechnung wecken kann. Und beide bestraft er grausam in genau dem Moment, in dem sie allzumenschlich werden, d.h. physische oder psychische Schwäche zeigen. Er ist der Prototyp des Zerrbildes vom entwurzelten und entfremdeten modernen Menschen, der sich insgeheim so sehr zu seinen Wurzeln in Blut und Boden zurücksehnt und doch dazu verdammt zu sein scheint, diese zugleich zu hassen. Das Problem ist dabei vor allem die Wertung des Filmes, der entrüstet hinausschreit: Oil is thicker than blood! Und zugleich diese moderne „Tatsache“ verdammt und moralisch verurteilt. Dabei wird sowohl das Öl als das Blut verdinglicht: Beide besitzen Eigenschaften, das Öl verderbliche, zersetzende, das Blut verbindende, gar heilende.

Moral und ihre Wucherungen

Zum Gegenspieler Plainviews wird der Sohn einer Familie, die der Oilman für ein Almosen um das Öl auf ihrem Land gebracht hat. Paul Dano gibt den Preacher Eli Sunday als bubihaft-fanatische Nervensäge. Eli ist die Inkarnation der Antithese zum verdorbenen Kapitalisten, der keine Moral kennt. Und zugleich auch dessen Kompliment: Denn sein moralischer Protest ist um kein Deut „echter“ oder „ehrlicher“ als die Methoden des Daniel Plainview. Seinem religiösen Fanatismus steht die Bigotterie förmlich auf die Stirn geschrieben. Aber auch in dieser Figur verschwendet Anderson keinerlei Mühe an die Ausgestaltung des Charakters. Nichts an ihm ist subtil oder mehrdeutig, die Oberflächlichkeit seiner falschen Heiligkeit lässt keinen Zweifel über deren wahre Motive zu. Diese verrät er letztlich am Ende des Films selbst, als er soweit heruntergekommen ist, dass er seinen ärgsten Feind erneut um ein Almosen angehen muss: Auch er kennt nur das Geschäft und zerbricht daran, dass er sich dies am Ende selbst eingestehen muss.
Es liegt auf der Hand, welchen Gegenwartsbezug Anderson hier zu konstruieren versucht. Würde er sich auf Anspielungen beschränken, das ganze könnte noch erträglich ausgehen. Aber Anderson will mehr, alles: Er liefert sogleich eine Erklärung, deckt die versteckten „wahren Motive“ der gläubigen Eiferer auf, die im heutigen Amerika im Gewand der Born Again Christians und als Kreationisten in die Öffentlichkeit treten. Er vermeint ihnen mit der Figur des Eli ein für allemal den sakral impregnierten Schleier von der Stirn reißen zu können. Aber damit verkürzt, vereinfacht und abstrahiert er. Es ist ein vulgärmaterialistischer Kurzschluss anzunehmen, dass der religiöse Wahn ebenso wie die Gewalt schlicht und unmittelbar aus den ökonomischen Verhältnissen ableitbar sind. Ein solcher verkennt die Rolle von Ideologien, deren Eigendynamiken und die komplexen Vermittlungsmechanismen die in der warenproduzierenden Gesellschaft zwischen ökonomischer „Basis“ und kulturellem bzw. ideologischem „Überbau“ herrschen bzw. die Fragwürdigkeit einer solchen Vorstellung zweier durch unvermittelte Determination verbundener Sphären. Diese Ableitung verkennt damit zugleich die wirkliche Gefahr des religiösen Wahns, die nicht zuletzt davon ausgeht, dass die falschen Propheten tatsächlich an ihre eigene Verkündigung glauben. Der Wahn ist mehr als eine irrationale Maske hinter der sich unvermittelt das nackte rationale Interesse versteckt.

Der religiöse Eifer gegen Materialismus, Entfremdung und kalte Berechnung selbst aber ist es nicht, den der Film anklagt. Verurteilt wird nur dessen Verlogenheit, die Tatsache, dass auch der Prediger selbst nicht besser ist als der Kapitalist. Der Film schiebt letztlich den Standpunkt des wahren moralischen Richters über die Plainviews wie die Elis dem Zuschauer unter. Der darf genüsslich konstatieren, dass letztere mit ihrer Kritik eigentlich gar nicht so falsch liegen und dass das Problem nur ihr Fanatismus und ihre eigene Verstricktheit in das, was sie nur vorgeben zu bekämpfen ist. Ganz im Sinne des Zeitgeists, der alles zu quantifizieren trachtet, wird Elis „Reaktion“ lediglich für ihr falsches Maß verurteilt. Verständlich und berechtigt ist sie allemal und der Zuschauer kann sich als den besseren und wahren Moralisten fühlen, der neben dem raffgierigen Kapitalisten auch den fehlgeleiteten Prediger kopfschüttelnd aburteilt: Man weiß kaum mehr, wer von beiden der schlimmere Schurke ist.
Der Film, der mehr und mehr zu einem Wettbewerb der Scheußlichkeiten zwischen den beiden Antipoden ausartet, entscheidet diesen jedoch am Ende: Das Prinzip des ökonomischen obsiegt und es ist wenigstens in aller Verdammenswürdigkeit ehrlich und macht sich nichts vor. Und doch ist es in seiner kalten Grausamkeit abstoßend und man fühlt Mitleid mit dem Mann Gottes, der es ja doch irgendwie gut gemeint hat – aber dessen Korrumpierbarkeit ihn vom rechten Weg abgebracht hat. Sein Fanatismus erscheint lächerlich, auf jeden Fall kann er nicht mithalten mit der Gewalt und Bestialität, in der das Raubtier Plainview über alles herfällt was zunächst seinem Interesse und dann schlicht der Hybris seines Egos im Weg steht. Damit aber spricht der Film einmal mehr unwahr: Die unmittelbarste Bedrohung geht heute nicht von den fiesen „Imperialisten“ und ihrer Profitgier aus, sondern vielmehr von denen, die sie im Namen eines höheren Prinzips, hinter dem sich nichts als die nackte Barbarei versteckt, bekämpfen.
Der Film plädiert gegen alles was glattgebügelt unter die Kategorien des Extremen, Radikalen und Fanatischen subsumiert werden kann. „Entfesselter“ Kapitalismus und religiöser Fanatismus werden beide verurteilt und letztlich auf dieselbe vermeintliche Ursache zurückgeführt: auf die menschliche Schwäche und moralische Verdorbenheit der Protagonisten.

Aber in all dem Dunkel gibt es auch den Einbruch eines Lichtstrahls: Der Sohn Plainviews, H.W., von diesem letztlich völlig entfremdet und tatsächlich verstoßen, wird zur Allegorie der Versöhnung: Er heiratet die Schwester des Predigers und startet sein eigenes Ölgeschäft (man darf annehmen im Geiste von Fair Trade und „rheinisch-ethischem Unternehmertum“). Der Film entpuppt sich also letztlich als Pseudoradikal. Die Lösung des Problems ist immanent, die „Guten“ d.h. „Gemäßigten“ tun sich zusammen und machen wett, was ihre Väter und Brüder verbrochen haben. Damit wird der erzwungene Gegenwartsbezug selbst wieder relativiert, die Gewalt, die der Film versäumt als die im System allgegenwärtige zu denunzieren, rückt in die Ferne einer möglichen Vergangenheit und es wird ein Horizont machbarer naher Zukunft sichtbar, in der ein moralisch gefestigter Menschenschlag das ökonomische wie spirituelle Schicksal der Gattung in die Hände nimmt ohne dabei grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen zu müssen. Was sich als radikale Kritik verkleidet, ist nichts als die nackte Reklame für das nächste gemäßigt liberale Wahlprogramm. Und stimmt damit in die Slogans der laufenden Präsidentschafts-Vorwahlen in den USA ein, die zu weiten Teilen die Rhetorik der großen Veränderung ausbeuten: „Now is the time for a change“. Es ist die Hoffung auf eine politische Agenda, der es gelingt, Kapital wie Religion wieder an die Kette zu legen, von der sie sich scheinbar in der Ära Bush zu befreien vermochten. Die urbürgerliche Amnesie, welche cachiert, dass es auch vorher nicht besser oder sehr viel anders war, trifft auf die naive Hoffnung, Politik könnte endlich wieder richten, was per definitionem überhaupt nicht in ihrer Macht steht. Die Idee der Sozialdemokratie scheint nach ihrem verheerenden Bankrott in Europa nun im politischen Mainstream der USA angekommen zu sein.

Große Gesten der Leere

Gewaltige Ambitionen hat der Film auch formal. Doch misslingt ihm auf weiter Strecke das Vorhaben ein Epos des amerikanischen Westens im Stile eines Leones zu inszenieren. Zu gezwungen scheint die völlig übersteuerte Dramatik. Der Versuch, große, strenge Bilder vor allem von der kargen Wüstenlandschaft des Westens mit der Musik von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood zu konterkarieren gelingt nur bedingt. Die Musik wäre wohl einem Indiemovie vom Schlage eines Gus van Sants bekommen, aber für die epische Form fehlt ihr die Kohärenz. Zu eklektisch gerät die Auswahl der (unfreiwilligen?) Referenzen wie z.B. in der Anfangsszene, in der langatmig die Endeckung des ersten Öls, und die Verwandlung des Goldsuchers in den Oilmen Plainview zur Geburtsstunde des Plots wie des Verhängnisses wird: Die an György Ligetis verstörende Musik erinnernde Untermalung weckt Assoziationen an die „Schöpfungsszene“ in Kubricks SciFi Meisterwerk 2001 – A Space Odyssey. Wie dort mit der Naturbeherrschung durch den Menschen das Unheil der Gewalt und Macht geboren wird, so hier selbiges durch die Entdeckung des Öls, wovon die Musik schon vorab berichtet. Doch hat die oben schon angesprochene Evokation des Schicksals in Verbindung mit dem Öl in dieser Urszene einen schalen Beigeschmack, fehlt ihr doch die Surrealität und Subtilität derselben bei Kubrick. Spielt dieser mit dem Mythos, so fällt Anderson selbst in mythologische Muster zurück. Das Öl als Verhängnis fordert folgerichtig dann schon früh seinen Blutzoll.
Die Überdramatisierung zeigt sich auch am Overacting der beiden Hauptfiguren. Daniel Day-Lewis gibt die Bestie Plainview zwar streckenweise überzeugend, aber es scheint als ob Anderson ihn immer wieder motiviert hat über die Stränge zu schlagen. Was Day-Lewis in der genialen Darstellung des Butchers in Scorseses Gangs of New York gelingt, nämlich trotz aller Bestialität der Figur auch menschliche Züge zu verleihen, scheitert in der Oscarprämierten Darstellung des Daniel Plainview, der jegliche Schattierungen und Ambivalenzen fehlen. Die Figur wird zur reinen entmenschlichten Allegorie des Bösen und damit in ihrer Bedeutungsschwere wieder oberflächlich. Gerade dadurch aber verliert sie nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern auch an Bedrohlichkeit wie an Erklärungspotential: Das wirklich verstörende ist, dass es Menschen sind und eben nicht Monster, die all das Unheil anrichten. Und die wirklich wichtige Frage, die sich der Film gar nicht stellen kann, wäre, was Menschen zu skrupellosen Agenten von Gewalt und Grausamkeit macht.

Die Darstellung des Predigers dagegen leidet unter einer bis zur Hysterie gesteigerten Unerträglichkeit. Und man weiß leider nicht immer so recht warum Eli unerträglich ist: Ist es wirklich die dargestellte Figur mit ihrem falschen Frömmigkeit, oder doch eher Paul Danos Darstellung? Man kauft ihm dieses hysterisch-ekstatische Erleuchtetsein jedenfalls streckenweise schlicht nicht ab – was aber wiederum sicher auch an der oben beschriebenen Konzeption der Figur, der ihrerseits unglaubhaften Tatsache, dass sie sich selber nicht glaubt, liegen mag.

Dort aber wo There will be Blood am schwächsten ist, liegt die Stärke von anderen Filmen, die sich mit Sujet der Schattenseiten des American Dream bzw. der Gewalt in der Konstitution dieser Gesellschaft befassen: Scorsese oder Leone entwickeln ihre Charaktere minutiös, geben ihnen die Vielschichtigkeit und Ambivalenz, die dem Konzept des besagten großen Traumes selbst innewohnt. Jüngst hat der neue Cohen Brothers Film No Country For Old Man eindrucksvoll vorgemacht, wie ein solch komplexes Sujet bebildert und erzählt werden kann – frei von moralischen Plattitüden und dem Common Sense allzu verständlichen und wohlgefälligen Erklärungsmustern – und immer mit dem Rettungsanker des expliziten Verweises des Filmes auf seine Fiktionalität und seinen interpretativen Charakter, seinen spielerischen Umgang mit der Sprache und den Clichés des Genres.
There will be Blood dagegen laboriert an dem alten Manko des Realismusanspruchs: Gerade weil er so authentisch, so real sein will und dazu seinen Aktualitätsbezug in höchstem Maße ausstellt, erstarren ihm die Figuren zu Stereotypen und erfriert ihm der Plot zum großen Narrativ, dass sich in der Geste seiner Größe erschöpft, während es auf innere Kohärenz und Strenge der Form verzichtet.

Erwartungsgemäß kommt der Film aber gerade wegen seines überzogenen Pathos, der – freilich leeren – Geste der Radikalität und Abrechnung mit der eigenen Geschichte wie der politischen Gegenwart gerade auch in Deutschland bestens an. Von Seeßlen bis zu Spiegel Online(2) überschlagen sich die Stimmen der Begeisterung, wie der Häme. Endlich mal jemand der sagt wie es wirklich ist. Die deutsche Linke dürfte euphorisch sein und sich endlich einmal wieder bestätigt fühlen: Jetzt sogar schon vom Feindbild Hollywood selber.

There will be Blood läuft seit 14.02.2008 im Kino.

Sebastien Surleau

Anmerkungen

(1) Siehe z. B. jüngst den Beitrag von Sebastian Voigt Essentials der Antisemitismuskritik in Interventionen. Broschüre zur Kritik des Antisemitismus und Rassismus: interventionen.conne-island.de

(2) So schreibt David Kleingers in Spiegel Online, der Film lege „Amerikas Grundpfeiler frei: Gier und Glaube.“ Diese „Gier nach dem Urschlamm des Raub- und Turbokapitalismus befeuert die pechschwarze Moritat.“ Und ein Interview mit Anderson, ebenfalls auf Spiegel Online, spricht Bände über die Rezeption in Deutschland, die in diesem Falle allerdings den Regisseur besser verstanden zu haben scheint als dieser sich selbst:
SPIEGEL ONLINE: Aber sezieren Sie hier nicht die typisch amerikanische Seele und zeigen die Grundpfeiler, auf denen die Vereinigten Staaten gebaut wurden: Kirche und Kapitalismus?
Anderson: Diese Aspekte sind in der Geschichte enthalten. Aber das war nie das Leitmotiv unseres Films. So ein Unternehmen wie Sie es beschreiben, wäre ja kaum realisierbar.
SPIEGEL ONLINE: Aber Sie haben es realisiert.
Anderson: Vielleicht ist es uns gelungen, weil wir konsequent versucht haben, es nicht zu tun, wenn Sie verstehen was ich meine. Man kann sich verdammt schnell die Finger verbrennen, wenn man versucht einen Film über ein derart schwergewichtiges Thema zu machen. Ich habe einfach versucht, die Geschichte in die richtige Richtung zu lenken, der Rest ergab sich von selbst. Sie werden es nicht glauben, aber wir haben kaum über Kapitalismus gesprochen. Ich glaube sogar, wir haben dieses Wort nie ausgesprochen.“
Die „typisch amerikanische Seele“ identifiziert der deutsche Schreiberling auf Anhieb im Film, denn damit kennt er sich besonders gut aus. Dem Regisseur bzw. seinem Werk jedenfalls hätte eine gute Ladung der hier zur Schau gestellten Zweifel und Bescheidenheit in der Konzeption seines Filmes mehr als gut getan. Und vielleicht hätte er auch zuerst etwas mehr über Kapitalismus sprechen sollen. Vgl.: www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,535347,00.html, www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,534918,00.html

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last modified: 22.4.2008