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Wir dokumentieren aus gegebenem Anlass einen Beitrag des EA Leipzig zum Umgang mit Gerüchten, Klatsch und anderen Informationen aus zweiter Hand.
dokumentation, 1.1k

Es war einmal...


Hast Du schon gehört? Heute Abend haben sich 40 Nazihools für‘s Connewitzer Kreuz angemeldet ... .“ Wer kennt solche oder ähnliche Erzählungen nicht.

Mitte März wurde berichtet, dass Punker_innen auf dem Vorplatz des Leipziger Hauptbahnhofs überfallen und brutal zusammen geschlagen wurden. Es gab die unterschiedlichsten Aussagen zu diesem Vorfall. Sie reichten vom Tod eines Hundes, Menschen die mehrere Tage im Koma lagen, bis zum Messer im Rücken. Wegen der enormen Brutalität des Ereignisses versammelten sich viele Menschen und demonstrierten spontan von Connewitz in die Leipziger Innenstadt. Was an diesem Tag genau passierte, ist allerdings weiterhin unklar. Bis heute sind eine Menge Gerüchte und widersprüchlicher Informationen im Umlauf. Ein Großteil der „Berichterstattung“ kann auf Indymedia nachgelesen werden. Jedoch konnte bislang keine der Informationen bestätigt werden, Augenzeug_innen oder gar Betroffene haben sich, trotz der ganzen Aufregung, bislang nicht zu Wort gemeldet. Genau dies wäre aber notwendig, um die Betroffenen unterstützen zu können und eine dem Thema angemessene Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.
Dieses Beispiel macht einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, bei der Verbreitung von Informationen einige Standards zu beachten. Denn eine misslungene bzw. unbedachte Veröffentlichung von Ereignissen kann erhebliche Folgen haben.

Warum?

Ein Problem von Gerüchten ist zunächst, dass sie für Unsicherheit und Verwirrung sorgen. Vielen ist klar, dass irgend etwas passiert ist, aber sie wissen nicht genau was und in welchem Umfang. Und genau dieser Zustand schürt Ängste. Dies kann zur Erlahmung ganzer Strukturen führen. Solange unklar ist, was geschehen ist, solange ist auch unklar, wie am besten zu reagieren ist, um sich selbst nicht zu gefährden und um die Interessen der Opfer von Übergriffen zu schützen.
Auch die übertriebene Darstellung von Geschehnissen ist problematisch. Wenn krasse Vorfälle als unbestätigte Geschichten in der Stadt oder im Internet kursieren, oder sich im Nachhinein als unwahr oder überspitzt herausstellen, führt das zum Einen dazu, dass die Betroffenen für unglaubwürdig gehalten werden. Zum Zweiten kann sich mit der Zeit ein gewisser Gewöhnungseffekt einstellen, Vorfälle werden weniger ernst genommen und im Ernstfall bleibt der ein oder die andere dann eben lieber zu Hause. Getreu dem bekannten Sprichwort: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er mal die Wahrheit spricht.“
Viele von euch nutzen das Internet, um Informationen weiterzuleiten, z.B. Indymedia blogs oder communities wie z.B. myspace. Dann solltet ihr euch immer im Klaren sein: jedes Posting ist nachvollziehbar. Denn jedem Posting wird eine eigene IP-Adresse zugeordnet und über diese seid ihr dann auffindbar!(1) Wenn ihr im Internet über Naziüberfälle oder Übergriffe von Bullen etc. berichtet, sollte euch also bewusst sein, dass virtuelle Diskussionen und Berichte über Vorkommnisse reale Konsequenzen haben. Die Folgen einer unüberlegten Veröffentlichung im Internet sind meist nicht vorhersehbar. So können sich zum Beispiel Leute überlegen, eine Spontandemo durchzuführen. Postings können aber durchaus auch ein juristisches Nachspiel für euch (oder andere!) haben, wenn ihr dort z.B. zu Gewalttaten oder Sachbeschädigung aufruft. Falls ihr über eine Aktion berichtet, könnt ihr auch Gefahr laufen, als Zeug_in oder als Beschuldigte_r vorgeladen zu werden. Übertriebene Darstellungen im Netz werden von Polizei und Presse nur zu gern verwendet, um gegen linke Aktivitäten zu hetzen oder z.B. zukünftige Demonstrationen zu verbieten.

Deshalb!

Verbreitet Gerüchte und Informationen nicht weiter, ohne dass diese bestätigt wurden. Fragt bei der Person, die euch die Neuigkeit überbringt nach, woher er oder sie diese Informationen hat. Dann überlegt erst mal, kennt ihr diese Person, haltet ihr sie für vertrauenswürdig oder ist sie euch eher aus anderem Zusammenhang als Tratschtante oder Tratschonkel bekannt?

Informationen oder Berichte auf Indymedia oder in Webblogs sollten von Betroffenen oder Augenzeug_innen selbst geschrieben werden. Diese Regel gilt vor allem für die erste Veröffentlichung einer Information. Die Infos aus solchen Berichten sollten dann sobald wie möglich durch Fakten konkretisiert oder dementiert werden.
Zu eurem eigenen Schutz und zum Schutz von Betroffenen bzw. Beteiligten: überlegt euch genau, was ihr wie im Internet veröffentlichen wollt und warum. Fragt euch vorher: Welche Informationen sind wirklich wichtig und auf welche Details kommt es gerade nicht an? Das gilt erst recht bei Aktionsberichten. Überlegt also, ob es für Dritte relevant ist, dass ihr in der letzten Nacht in der Nähe euer Schule „ein super geiles Graffiti“ gesprüht habt oder welche illegalisierten Substanzen ihr bei der letzten Party „geschmissen“ habt. Seid euch bei Postings im Internet immer bewusst, dass diese nicht nur von einem kleinen Freundes- oder Szenekreis, sondern auch von Nazis oder Bullen gelesen werden können und auch gelesen werden. In diesem Zusammenhang sei auch noch mal erinnert: NIE aber auch NIE euren richtigen Namen im Internet verwenden!!!(2)
Das bedeutet auch, dass ihr Postings, in denen Dritte über ein Ereignis berichten, nicht vorschnell Glauben schenken solltet. Und unabhängig davon: glaubt nicht alles, was auf Indymedia, myspace und Co. zu lesen ist. Dort kann jede und jeder posten, also auch Nazis, Bullen und Selbstdarsteller_innen, die auch gerne mal Opfer sein wollen und deshalb sinnlos übertreiben.
Damit meinen wir nicht, dass ihr Berichten von Überfällen im Internet oder von Dritten gar nicht mehr glauben sollt. Wir raten euch einfach, an solche Veröffentlichungen und Erzählungen mit einem gesunden Misstrauen und Menschenverstand heranzugehen und diesen auch nicht auszuschalten, wenn die Meldung sonst wie krass oder unvorstellbar erscheint.
Wenn ihr euch über die Richtigkeit der Informationen nicht im Klaren seid, oder nicht wisst, wie ihr am besten mit Informationen umgehen sollt, könnt ihr z.B. bei zuverlässigen Antifastrukturen nachfragen, bevor ihr sie weitererzählt, z.B. bei Gamma. An diese Strukturen könnt ihr euch auch wenden, wenn ihr selbst etwas wisst. Falls ihr unbestätigte Informationen weitererzählt, macht ausdrücklich und sehr deutlich, dass es sich hierbei nur um ein Gerücht handelt!

Wenn ihr selbst Opfer oder Zeug_innen eines Überfalls geworden seid, wendet euch an vertrauenswürdige Leute oder an Gruppen wie den EA. Diese Strukturen sind in der Lage euch zu beraten und zu unterstützen. Sie überlegen gemeinsam mit euch, welche Möglichkeiten zum Handeln bestehen, können mit euch zusammen eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit machen und euch gegebenenfalls rechtliche Hilfe vermitteln.

Erreichen könnt ihr solche Strukturen über
  • die Kontaktadressen im Gamma: projekte.free.de/infotelefon/
  • das Antifainfotelefon: 0341 - 3 068 235
  • den EA-Leipzig: Tel. 0341/211 93 13, Sprechzeiten jeden Donnerstag 17.30 – 18.00 Uhr im linXXnet, Bornaische Str. 3d, 04277 Leipzig.
Maleranleitung, 18.4k

Anmerkungen

(1) Es gibt auch Möglichkeiten, anonym zu posten, z.B. über TOR oder JAP.

(2) Überlegt euch stattdessen lustige Nicknames, z.B. Micky Mouse ;-).

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last modified: 10.7.2007