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Pans Labyrinth, 26.0k

review corner Film, 1.4k

Der Schlaf der Vernunft
gebiert Ungeheuer


Pans Labyrinth (El Laberinto del Fauno), Mexiko / Spanien / USA 2006 Festivalbeitrag, Cannes 2006 – 3 Oscars 2007 – Regie: Guillermo del Toro. Film-Homepage
Was erwartet der erfahrene Kinogänger von einem Film, dessen Regisseur sich sonst für Comic-Adaptionen wie Blade II (2002), und Hellboy (2004), nicht zu vergessen: Mimic – Angriff der Killerinsekten verantwortlich zeichnet? Guillermo del Toro, in Mexiko lebender Spanier, habe indes diesmal keinen Horrorfilm schaffen wollen, „sondern ein düsteres Märchen über den Faschismus“. Ein kraftvolles, emotional und visuell überwältigendes Gothik-Fantasy-Märchen soll es sein, das del Toros Faschismusvorstellung als Parabel und Plädoyer für die Kraft von Liebe und Hoffnung darzustellen wage, wird auf der Homepage des Filmes geworben. Womit wir schon am Anfang der Grotesken wären.

Ihren zeitlichen Rahmen findet die Geschichte 1944, kurz nach Ende des Spanischen Bürgerkrieges. Ofelia reißt mit ihrer unter Komplikationen leidenden hochschwangeren Mutter in Spaniens Norden, um dort von ihrem Stiefvater, Commandante Vidal, auf das Kühlste empfangen zu werden. Des Mädchens Abneigung gegen den Führer teilt der Zuschauer vom ersten Augenblick an aus tiefstem Herzen, handelt es sich bei Vidal um eine durchaus glaubwürdige Darstellung des faschistischen Sadisten par exellence, dessen Dienst am franquistischen Spanien darin besteht, die letzten verstreuten republikanischen Rebellen aus den umliegenden Wäldern zu treiben und zu eliminieren. Ofelias ablehnende Furcht vor dem Stiefvater gilt jedoch nicht seinem politischen Treiben, sondern seiner Rolle als Eindringling in die Einigkeit mit der schwangeren Mutter und natürlich seinem desaströsen moralischen Fehlverhalten. So begibt sich das junge Mädchen in seiner Bedrängnis, ausgelöst durch die angstvolle Sorge um die dahinsiechende Mutter und das Gebaren des autokratischen Vidal, auf einen Pfad, der, an der Realität gemessen, unweigerlich in den Wahnsinn führt. In ihrer Unfähigkeit, mit den traumatisierenden Geschehnissen umzugehen, imaginiert sich die Kleine in eine von Fabelwesen beherrschte Phantasiewelt.
Ofelias Wissen entspringt der von ihr mit Hingabe verschlungenen Märchenliteratur und so erstaunt es nicht, dass sie ihrer chimärenbesetzten Welt eine Prinzessin aus dem Unterreich ist, vom liebenden Königsvater gesucht. In einem Labyrinth nahe der von Vidal besetzten Mühle trifft sie auf den Pan, der als Gesandter des Dämoneherrschers ihre Wahrhaftigkeit prüfen soll.
Del Toros Talent ist sicherlich seine Kreativität: sein Repertoire an dunklen Schreckgespenstern scheint unerschöpflich. So vermag er es, ein wunderbar düsteres Bild des Naturgottes Pan (im Original der Faun) zu zeichnen, ihn in seiner charakterlichen Gespaltenheit als Reflexionsfläche für Ofelias Gefühle einfließen zu lassen: Denn je mehr Ofelias reale Welt an Entsetzlichkeit zunimmt, umso stärker ihre Zweifel an der Gutmütigkeit des Fauns werden, desto argwöhnischer und verdächtiger ist das Verhalten ihres Trugbildes, und umso scheußlicher werden die Aufgaben, die sie zu lösen hat. Ofelia muss sich, bewaffnet allein mit drei Zaubernüssen, einer monströsen Kröte stellen, welche an Massen von Gewürm und Krabbelgetier sich labend, im Schleim dahinvegetiert; nur um nach erstem Erfolg zur nächsten Prüfung zu hetzen, die die erste an Gefährlichkeit weit übertrifft. Schließlich muss sie sich aus den Fängen des Pale man, des Kinderfressers, befreien.

Mit dem Pan aus der griechischen Mythologie findet del Toro ein Symbol für Trieb, Sexualität sowie Destruktivität und interpretiert so das Wesen der Verdrängung und Regression, deren Leistungen Ofelia so verzweifelt in Anspruch nimmt. Del Toros Vorliebe für Märchen und seine Idole Lewis Carrol, Hans Christian Andersen sowie Charles Dickens und die Bewunderung für den Maler Francesco de Goya weiß er in seinem Film zu einer düsteren Komposition aus unverhohlenem Grauen und Bösartigkeit zu konzentrieren.
Sich in diesen Szenerien verlierend, vergisst man eventuell zu fix, dass das arme Mädchen eine Verwirrte ist, im schlammigen Wurzelwerk grabend, Gottesanbeterinnen als Feen halluzinierend. Doch die wahren Helden des Films sind unverkennbar die Rebellen, der Doktor und die spionierenden Haushälterin Mercedes, welche todesmutig Medizin, Nahrung und Informationen aus des Hauptmanns Lager zu den in den Bergen darbenden und gehetzten Kämpfern schmuggeln. Wenn Doktor Ferrero sich dem Monster Vidal entgegenstellt und dafür mit seinem Leben bezahlt; wenn Mercedes mit Ofelia den Versuch einer Flucht wagt, um sich und das Mädchen zu retten, dennoch gestellt und gequält wird, und endlich, wenn Vidal durch ihre Hand zur verdienten Strafe kommt, möchte man unter der erdrückenden Last der eigenen Tatenlosigkeit erleichtert aufschreien und sogleich der Heldin zur Hilfe eilen. Es wäre ein beispielloser, den sechs Oscarnominierungen in jeder Hinsicht entsprechender Film, würde der Eindruck nicht getrübt durch del Toros Mitteilsamkeit. So verteidigt dieser die Hauptrolle der Ofelia und lässt dabei leider einen flüchtigen Eindruck seines Faschismusverständnisses zu. In einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk auf die berechtigte Frage nach dem Konnex von Märchen und Faschismus antwortet der Spanier geflissentlich:
„Für mich ist Faschismus der Moment, in dem uns jemand befielt, wie und was wir denken sollen und uns nur eine einzige Option bleibt, wir gesagt bekommen, du bist entweder mit oder gegen uns. Oft macht nur die Flucht in die Imagination die Wirklichkeit erträglich. Bei der verdammten Botschaft, vom allein selig machenden Weg geht es doch nur um Machtverteilung in der Politik, eine Botschaft die wir aus allen Ecken der Welt hören. Wer hat eigentlich das Recht, den Irakern zu sagen, was für sie richtig ist? Muss nicht der Aspekt der Menschlichkeit bei politischen Entscheidungen Vorrang haben?“

Wenn man einmal sein Unverständnis gegenüber den Beweggründen, dem von einer Diktatur gebeutelten Irak die Möglichkeit des Aufbaus demokratischer Strukturen zu bieten, in den Hintergrund drängt, so bezeichnet del Toro ganz offensichtlich das pathologische Verhalten eines Kindes als gelungene Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem Regime eines Francesco Francos. Der Regisseur hält es nicht einmal für nötig, die gefahrvollen Taten der tapferen Widerstandskämpfer in einem seiner zahllosen Interviews auch nur zu erwähnen. Stattdessen feiert er Ofelia als die Hoffnungsbringerin, deren Handeln jedoch im Film seltsamerweise keine einzige Wendung zum Guten birgt. Zuguterletzt traut man seinen Augen kaum: Am Ende des Filmes versöhnen sich Realität und Phantasiewelt, Ofelia darf, nachdem sie ihre wahre Identität als Prinzessin unter Beweis gestellt hat, ins Reich des Vaters zurückkehren. Tatsächlich aber wird sie von Vidal erschossen, reiht sich ein in die Liste der Opfer des faschistischen Regimes.
Ein Aspekt, der nicht wenig Verwunderung hinterlässt, ist die Tatsache, wie brachial der Film Geschichte umschreibt: Die Rebellen triumphieren in dem Augenblick, in dem Ofelia in den Tod gleitet. Doch wurde die letzte Statue Francos erst vor zwei Jahren unter dem Gepöbel Ansässiger in der Nacht zum 17. März 2005 auf der Plaza San Juan de la Cruz in Madrid entfernt, el Caudillo Franco herrschte schließlich bis 1975.

Märchen hat der Faschismus wahrlich nicht geschrieben.

Tine

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last modified: 10.7.2007