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Blog Iran!

Ein Ausflug in die iranische „Blogosphäre“

Ein kleines Rätsel zu Beginn: Was ist das: Rund 700.000 iranische Internetuser haben eins, Ajatollah Chamenei hat angeblich eins und der Iraner Ahmad Reza Shiri wurde für seins zu drei Jahren Haft verurteilt? Richtig. Die Rede ist von Internet-Blogs, jenen handlichen, teils recht stilvollen und leicht zu bedienenden Internet-Tagebüchern. Der Erwerb ist kostenlos, Anbieter wie Blogsome, Blogspot, Blogger oder MyBlog ermöglichen es idiotensicher, sich eine eigene kleine Publikationsplattform zu errichten. Die Zahl der Internet-Blogs ist in den letzten Jahren extrem gestiegen, weltweit geht man von 200 Millionen Blogs aus.(1) Zwar, so räumt es die Blog-Community ein, und jeder, der sich ab und zu auf Blogs rumtreibt oder gar selbst eins unterhält wird dies bestätigen können, haben viele Weblogs kaum Leser, werden entweder selten oder in völlig überforderndem Maße aktualisiert und erweitert. Aber eine hohe Leserschaft, was weitgehend abhängig vom Engagement des Bloggers beim Verlinken, Bewerben und Lesen anderer Blogs im Internet ist, scheint dabei auch gar nicht immer im Vordergrund zu stehen. Das Spektrum an Themenfeldern ist schier unendlich. Von Skurrilen Internet-Fundstücken, Fan-Blogs, Reiseberichten, Photo-Blogs über tatsächlich tagebuchähnlichen Reflexionen bis zum seriösen und auch von den Mainstreammedien rezipierten politischen Kommentar findet man so ziemlich alles, was Menschen eben sammeln und aufschreiben können. Um sich dort zurecht zu finden braucht es – abgesehen natürlich vom Internetzugang und der nötigen Zeit - ein paar knackige Schlagwörter und Suchbegriffe mit denen man sich dann von einem Blog zum anderen klickt.
Vor einiger Zeit sind besonders Blogs von (Exil-)IranerInnen in den Fokus der Medien geraten: Der Iran, jenes autoritär-theokratische Regime, das

Der Jäger I, 12.2k

Der Jäger II, 8.0k

Der Jäger III, 13.1k
aktuell mit seinem Wunsch nach Atomförderung, antisemitischen Hetzreden gegen Israel und einfallsreichen Vorschlägen zur Wiedergutmachungspolitik der Deutschen für den Holocaust von sich Reden macht, mochte es gar nicht so gern, was sich da auf der Dataspace abspielte. Denn des Land, das die Organisation Reporter ohne Grenzen 2005 auf Platz 164 (von 167) der Rangliste der Pressefreiheit führte, macht durch eine, für die arabische Welt ungewöhnlich hohe Anzahl von Blogs von sich reden.(2) Über 700.000 Blogs (wie viele davon aktiv sind, ist schwer zu sagen), so schätzt man, werden von IranerInnen entweder im Land selbst oder aus dem Exil unterhalten. Und weil hier und da doch etwas zuviel an Kritik und unangenehmer Wahrheit über die iranische Gesellschaft zu lesen war, ging der Iran kürzlich auch repressiv gegen Blog-User vor, doch davon später mehr. Im Folgenden soll es zum einen etwas allgemeiner um das Verhältnis von Blogs, Iranischem Staat und Presse- und Meinungsfreiheit gehen, zum anderen sollen einige wenige Blogs etwas genauer vorgestellt werden.

In seiner berühmten Studie Kritik und Krise – Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt beschreibt der kürzlich verstorbene Historiker Reinhart Koselleck die Geburt der Aufklärung aus den Strukturen des absolutistischen Staates. Mit der Entstehung einer Idee vom Staat, die Politik und Moral strikt trennt und in der ein Begriff des Politischen gerade dadurch bestimmt wird, dass in ihm nichts als die „Staatsräson“ herrscht, entsteht gleichzeitig, so Koselleck, ein abgetrennter Innenraum, in dem Moral neu verhandelt wird. Existiert dieser Raum – später wird man ihn „Öffentlichkeit“ nennen, aber eigentlich begann es als sein Gegenteil, nämlich äußerste Privatheit – zu Beginn aber noch strikt getrennt von der Politik, so wird er mit der Zeit den Staat mit seiner Kritik konfrontieren und auf ihn zurückwirken. Diese Dialektik, so Kosellecks These, brachte letzten Endes die Französische Revolution hervor. So schreibt Koselleck: „Im Staat wird das Gewissen, dem sich der Staat entfremdet, zur privaten Moral.“(3) und macht darum unter anderem die Caféhaus-Kultur, Geheimgesellschaften und andere kleinere Verbände zu seinem Untersuchungsgegenstand. Denn dort reifte heran, was später offensiv den absolutistischen Staat konfrontierte und ihn letztlich zu Fall brachte. Dies soll uns als mögliche Fährte, nicht als Prophezeiung dienen, was sich über das Verhältnis der iranischen Blogger-Community zum herrschenden Regime sagen lassen könnte.
Mit einem zumindest tendenziell in die gerade beschriebene Richtung tendierenden Anspruch wurde 2003 die Initiative Blog Iran! ins Leben gerufen.(4) Der Zusammenschluss kritischer Blogger, Aktivisten und Menschenrechtler tritt für eine Befreiung der IranerInnen vom autoritären Mullah-Regime ein und vernetzt nicht nur verschiedene mit dem Iran in Verbindung stehende Blogs miteinander, sondern veröffentlichte auch relevante Pressemitteilungen zu oppositionellen Demokratie-Bestrebungen. Inzwischen hat das pro-amerikanische und, angesichts der europäischen Versuche des Appeasments, EU-kritische Blog aber offensichtlich seine Halbwertszeit weit überschritten, denn seit Anfang 2005 gibt es keine neuen Beiträge mehr.
Als Beispiel von gewisser Prominenz, in dem ebenfalls Themen behandelt werden, die der Linie des iranischen Regimes an vielen Punkten diametral entgegen stehen, kann der Journalist Hossein Derakshan gelten, der als „Hoder“ ein inzwischen vielgelesenes und in den bürgerlichen Medien verhältnismäßig breit besprochenes Weblog unterhält.(5) Unter der stolzen Überschrift Editor: Myself schreibt er, nach eigener Aussage, über den „Iran, Technologie und Popkultur“. Derakshan hat die Gründe, warum der Iran sich auf dem erwähnten Platz 164 der Rangliste für Pressefreiheit befand, am eigenen Leibe erfahren. Die liberale Zeitung „Asr-e Azadegan“, für die er vor seinem Studienaufenthalt in Kanada schrieb, wurde von den Mullahs verboten. Und damit ist er nicht allein. Seit 1999, so schreibt Jörg Lau in Die Zeit, wurden über 100 Publikationen verboten, darunter 41 Tageszeitungen.
Der nach Kanada emigrierte Derakshan betrachtet sich selbst bescheiden als Friedensaktivist und weniger als expliziter Dissident oder knallharter Oppositioneller. Dennoch ist er sich im Klaren, dass einige seiner Positionen durchaus kontrovers, wenn nicht gar skandalös sind, im Kontext der iranischen Gesellschaft, ebenso wie in der Wahrnehmung der Iraner im Allgemeinen: „Ich vermute, es ist mein Anti-Bush, Anti-Khamenei und Pro-Reform Standpunkt, der zu kompliziert ist für die einfache Schwarz-Weiß Politik, die die Iraner, besonders jene im Exil, gewöhnt sind.“(6) Dabei sieht sich „Hoder“ hauptsächlich als Vermittler, der zwischen festgefahrenen Fronten nach progressiven Partnern sucht und um Verständnis wirbt. So erzählte er beispielsweise anlässlich seiner Reise nach Israel – eines Landes, so „Hoder“, dessen Namen er im Iran nicht einmal auf der Landkarte finden würde - in einem Tageschau-Interview: „Ich will das dämonisierende Bild von Israel brechen. Und gleichzeitig möchte ich den Israelis deutlich machen: Ahmadinedschad repräsentiert nicht das gesamte iranische Volk.“(7) Die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für Ahmadinedschad und seine Bemühung um ein Atomprogramm zum Beispiel sei, so Derakshan, vor allem unter den jungen Leuten wesentlich geringer, als generell angenommen. Dennoch lässt er keinen Zweifel daran, dass es der iranische Führung nicht um eine friedliche Nutzung geht, sondern tatsächlich um den Besitz von Atomwaffen. Die werde der Iran auch weiter versuchen zu bauen, heimlich, und kaum jemand im Iran würde daran zweifeln.(8) Die Themenspanne auf „Hoders“ Blog hat aber noch mehr zu bieten, das den Mullahs ein Dorn im Auge sein könnte. So machte er, im Kontext der Leugnung des Holocaust von Präsident Ahmadinedschad, Vorschläge zur Verbesserung des Geschichtsbewusstseins vieler Iraner, berichtete über die Bemühungen von Homosexuellen, iranischer Frauen um ein Recht auf freie Entfaltung und diskutierte die möglichen Folgen eines Verbots von Pornographie im iranischen Internet.
Allein schon wenn man sich ein bißchen durch die Linkliste auf Derakshans Blog klickt, gerät man zu unzähligen skurrilen, lustigen und informativen Blogs. Unter den Iran-kritischen Blogs sind natürlich gerade Karikaturen der Renner, andere informieren über ihre Lieblingsautos, wieder andere posten Reiseberichte, nutzen das Blog, um Telefonkarten zu verkaufen oder lassen den Leser teilhaben an poetischen Versuchen (Mit so schönen Titeln wie „Nachsinnen über den ontologischen Status eines gekochten Eis“) – in diesem Sinne kaum anders als der durchschnittliche westliche Blog-User. An Politik, Philosophie und deren Anwendbarkeit auf den Iran ist auch der/die AutorIn von The Brooding Persian (Der brütende Perser) interessiert.(9) Auf dem Weblog diskutiert er oder sie (das lässt das Blog, zumindest soweit es überschaubar war, offen) Jürgen Habermas, Antonio Negri, Carl Schmitt und Karl Löwith im Bezug auf die aktuelle Lage im Iran, so wie gleichfalls Pamphlete der Situationistischen Internationalen verlinkt sind. Einem solchen Blog, stark vernetzt mit anderen politisch und philosophisch ambitionierten Weblogs, lässt sich, auch unter einem „linken Blickwinkel“, einiges entnehmen. Zum einen, dass es unter den Iran-kritischen Blogs einerseits kaum Lösungsvorschläge gibt, die über den, durch das Wort „Demokratisierung“ gesteckten Rahmen hinausgehen – Jörg Lau sprach vom Ton „absoluter Ernüchterung“(10) - und dass anderseits auch die Haltung zu eben jenem Prozess, der verbunden ist mit der Idee des regime change, keineswegs einheitlich ist. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass ein Großteil der Kritik am Iran vor einem starken nationalistischen Hintergrund geäußert wird. Vor allem aber lässt sich durch die Blogs etwas über die psychische Verfassung der (Exil-) IranerInnen erfahren. An einer Stelle zitiert das The Brooding Persian einen Text des US-amerikanischen Kommentators Christopher Hitchens. Dieser schreibt dort von einer Begegnung mit einer iranischen Frau, die ihn fragte: „Könnten die Amerikaner nicht einfach für ein paar Tage kommen, die Mullahs und die Waffen beseitigen und dann wieder gehen?“(11) Es wäre genau diese Haltung des wishful thinking – so der/die AutorIn des Blogs – die das Land lähme und der auch eine Intervention nicht abhelfen könne, die vielleicht sogar eher schädlich wäre. Zusammen mit dem alltäglichen politischen Klima der Repression ergibt sich eine unheilvolle Mischung, die das Leben im Iran nahezu unerträglich mache und vielleicht erklärt es sich so, warum ein Artikel jüngst verkündete: „Auf Arabisch heißt „Internet“ „Freiheit““(12) Denn was lässt sich nun, und dadurch sollte sich der Bogen schließen, zu den eingangs erwähnten Thesen von Reinhardt Koselleck, genau sagen über das Verhältnis der Blogs und der iranischen Führung? Als das Mullah-Regime der Ausmaße, die die Entwicklung der Weblogs und der Internetaktivitäten im allgemeinen – allein in Teheran gibt es über 1500 Internetcafés – gewahr wurde, reagierte es so, wie ein autoritäres Regime eben reagiert. Viele Seiten wurden gesperrt, Provider unter Druck gesetzt und verschiedene Blogger und Internetaktivisten kamen ins Gefängnis. So wurde der oben erwähnte iranische Blogger und Journalist Ahmad Reza Shiri im Januar 2006 zu drei Jahren Haft verurteilt.(13) Und im Oktober 2005 verurteilte die Regierung in Teheran den Blogger Omid Sheikhan zu einer Haftstrafe von einem Jahr und 124 Peitschenhieben, weil er in seinem Blog regierungskritische satirische Cartoons veröffentlicht hatte. Ernsthaft infrage stellen können die Blogs den status quo deswegen vielleicht noch nicht und wie wir bereits gesehen haben, ist das weder der ausschließliche Zweck der Weblogs, noch das Einzige, woran sie zu messen wären. Relevant in diesem Kontext ist, dass sie zumindest jenen – vorerst nur privaten – Raum bieten, in dem sich die Bewohner des Iran, denen die Möglichkeit überhaupt gegeben ist, ein Stück Autonomie zurück erobern können. Inzwischen scheint die iranische Regierung zumindest noch eine weitere Strategie einzuschlagen. Man könnte sie mit Herbert Marcuse als repressive Toleranz bezeichnen, denn, so lässt sich bei „Hoder“ erfahren, im Februar 2006 gab Ahmadindschads fundamentalistischer Kulturminister öffentlich seine Unterstützung und sein Wohlwollen bezüglich der Weblogs bekannt, kündigte aber gleichzeitig an, sie mit in den Kreis der Medien aufzunehmen, die offiziell von iranischen Regierung überwacht werden.(14)

Walther Schrotfels

Fußnoten
(1) http://www.zeit.de/2006/11/C-Blogs
(2) http://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste-der-pressefreiheit/rangliste-2005.tml
(3) Reinhardt Koselleck: Kritik und Krise – Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt a.M. 1989. S.23.
(4) Vgl.: http://www.activistchat.com/blogiran/
(5) Vgl.: http://hoder.com In deutschen Medien wurde über Hossein Derakshan unter anderem in Die Zeit (http://www.zeit.de/2005/25/IranInternet) und der Tagesschau berichtet (http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5198456_REF1,00.html) Beide Berichte sind in diesen Text eingeflossen.
(6) http://hoder.com/weblog/archives/cat_israel_visit.shtml [Alle folgenden Übersetzungen W.S.]
(7) http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5198456_REF1,00.html
(8) Ebd.
(9) Vgl.: http://www.broodingpersian.blogspot.com/
(10) Vgl.: http://www.zeit.de/2005/25/IranInternet
(11) Vgl.: Christopher Hitchens: Let the Exchange and Trade of Ideas with Iran begin. (http://www.slate.com/id/2137560)
(12) Vgl.: http://www.theatlantic.com/doc/prem/200603u/nj_rauch_2006-03-07
(13) Vgl.: http://www.netzpolitik.org/2006/iran-blogger-zu-drei-jahren-haft-verurteilt
(14) Vgl.: http://hoder.com/weblog/archives/015035.shtml

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last modified: 28.3.2007