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Wir dokumentieren hier aus Platzgründen nur den letzten Teil des Aufrufes der Redaktion Bahamas zu einer von ihr veranstalteten Konferenz. Den gesamten Aufruf, das Programm und die organisatorischen Angaben zu der Konferenz findet ihr auf der Homepage: www.redaktion-bahamas.org
dokumentation, 1.1k

Kritik und Parteilichkeit


Aufruf zur antideutschen Konferenz am 18. & 19.11.2005 in Berlin

Was antideutsch ist

Die Gegnerschaft zu allem, „was deutsch ist“, kann, wenn sie es ernst meint und das Objekt der Abgrenzung in seinem Wesen treffen möchte, kein Fundament errichten, keine „Position“ beziehen, keine positiven Wahrheiten verkünden, keine Bekenntnisse erzwingen, keine Gesinnungsgemeinschaft etablieren: Ihr Medium ist allein die Kritik, ihr Maßstab die Bestimmtheit und Genauigkeit der darin ausgedrückten Negation und ihre Wirksamkeit entfaltet sie ebenfalls als Kritik, d.h. als wesentlich interessengeleitete Tätigkeit zur Herbeiführung von Zuständen, in denen jeder ohne Angst verschieden sein kann. Deshalb scheut sie nicht davor zurück, in Konsequenz ihrer Überlegungen sich einzumischen und Partei zu ergreifen. Darin unterscheidet sich antideutsche Kritik in kommunistischer Absicht von marxologischen oder adornierenden Unternehmungen, die sich, Bibelkreisen nicht unähnlich, der Exegese verschrieben haben, deren Wahrheitsgehalt, wie groß er auch immer ausfallen mag, durch die Unwahrheit erkauft wird, daß die Texte sorgsam eingeschreint werden und die Tätigkeit des Interpretierens durchweg allen eingreifenden Charakters, den sie der Sache nach doch an sich trägt, entkleidet wird. Auf der anderen Seite grenzt antideutsche Kritik sich strikt von allen Anstrengungen in positivem „Politik-Machen“ ab, das statt auf vernünftig begründete Parteinahme im Einzelnen notwendig auf Identifikation im Großen abzielt und daher ohne Heilsgewißheiten nicht auskommen kann. Die „Gegenidentifikation“ (Manfred Dahlmann) etwa mit bestimmten außenpolitischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten von Amerika meint eben nicht deren Glorifizierung, sondern ist getragen von der Unausweichlichkeit klarer und eindeutiger Parteinahme in einem Konflikt, in dem eine Seite, der politische Islam mit seinen Selbstmordattentätern an der Spitze, eine unzweideutige, durch massenmörderische Taten beglaubigte Feinderklärung ausgesprochen hat und in dem die andere Seite, die USA, Großbritannien und Israel, diese Feinderklärung angenommen haben, indem sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den auf Vernichtung zielenden Feind bekämpfen, während Old Europe mit seiner Politik des konstruktiven Dialogs de facto mit dem Feind kollaboriert. Maßstab der Gegenidentifikation ist nicht, was der „war on terror“ positiv ist und schafft, sondern was er abschafft und was er nicht ist. Gegenidentifikation meint schließlich das Insistieren darauf, daß die US-Army in Afghanistan und im Irak gerade in ihrer kriegerischen Praxis weit eher eine Ahnung von Frieden zum Ausdruck bringt als all jene, die mit ihrem Gewedel mit Tauben- und Pacesymbolen das Ihre zur Schaffung einer Welt beitragen, die in einem unendlichen Weltkrieg für Gerechtigkeit und ethnische Zufriedenheit genau jenes Armageddon vorbereiten, von dem Ronald Reagan einst im Bezug auf die Sowjetunion dumm aber folgenlos daherfaselte. Öffentliche Parteinahme, die Bereitschaft, in wichtigen Fragen wie der Verteidigung Israels gegen jede Kritik auch Bündnisse mit Leuten einzugehen, mit denen einen darüber hinaus nichts verbindet, war und ist notwendig praktischer Ausweis von Kritik, die sich selbst ernst nimmt.
Aber zur Parteinahme gehört, daß keine großen Gemeinsamkeiten beschworen und antagonistische Gegensätze nicht verschwiegen werden. Der bloße Umstand, daß man mit einem durchschnittlichen Abonnenten der Welt in der Parteilichkeit für Israel weit größeren Konsens hat als mit einem durchschnittlichen Linken, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der gleiche Zeitungsleser höchst unappetitliche Thesen über Drückeberger an der Hartz-IV-Front in petto haben wird, von seinen Einlassungen zum deutschen Vaterland und der erbrachten Opfer im Bombenkrieg einmal ganz zu schweigen. Wenn sich mit ihnen eine vernünftige israelsolidarische Kampagne eröffnen ließe, spräche nichts gegen Zusammenarbeit. Aber genau dazu wird es vermutlich nicht kommen und das mit Gründen. Israelsolidarität in Deutschland gibt es schon viel länger als die Antideutschen – ihr tatsächlicher Sprecher ist die deutsch-israelische Gesellschaft, die leider durchaus legitimiert auch für viele jüdische Organisationen im Land spricht, und ihr Label ist ein Sticker, auf dem die deutsche und die israelische Fahne freundschaftlich nebeneinander im Wind wehen. Als es darum ging, Israelsolidarität in klarer Abgrenzung zu den wirklichen Feinden Israels zu formulieren – sei es gegen den palästinensischen Mob am sogenannten Tag des Bodens in Berlin 2002 oder gegen die Freunde genau dieses Mobs im Auswärtigen Amt, der Bundeszentrale für politische Bildung oder in den zahlreichen in den Autonomiegebieten ihr Unwesen treibenden NGOs – war von der traditionellen Israelsolidarität wenig zu hören. Die kuschte und konnte dann wieder befreit durchatmen, als der Zentralrat der Juden in Deutschland ausgerechnet an Joseph Fischer den Leo-Baeck-Preis verlieh. Zuviel Genörgel am Friedensjoschka und an der nicht minder friedfertigen islamischen Religion stört den Geschäftsgang, den man sich als einen kurzen Weg ins Vorzimmer des Außenministers vorstellen muß, wo die staatlich anerkannten Antisemitismuskritiker und Vertreter jüdischer Organisationen auf das Plauderstündchen mit dem Minister warten. Zum Erfolg wird dann hochstilisiert, was das Dokument der eigenen Kritikunwilligkeit ist: Wenn zum Beispiel in regierungsamtlichen Verlautbarungen vor Antisemitismus und Rassismus und Islamophobie in einem Atemzug gewarnt wird.
Antideutsche Kritik muß und wird notwendig jeden scheinbaren Parteigänger verunsichern, der nach einer positiven Bezugsgröße fahndet, an die man sich halten kann. Antideutsche Kritik kann sich keines gesicherten Fundus' versichern, am allerwenigsten jener Schlagworte aus den frühen 90er Jahren, als man jede ungeliebte Erscheinung mit dem Etikett „völkisch“ versah und unverdrossen einen waffenstarrenden deutschen Imperialismus mit eigenem Hinterhof in Südosteuropa wähnte. Sie wird vielmehr, gerade weil sie ideologiekritisch und nicht ideologisch ist, sich weder den Fakten und noch weniger der eigenen Erfahrung des Kritikers verschließen – eine Erfahrung, der deutlich vor Augen tritt, das Deutschland nicht mehr militaristisch zerstört, sondern pazifistisch zerstören läßt, das aber von den alten Freunden. Gerade die realitätsvergessene Verachtung solcher Fakten, der empirischen Wirklichkeit, die stille Übereinkunft, sich auch generell mit Realität nicht befassen zu wollen, weil man das gar nicht nötig habe, zeichnet deutsche Ideologie in so niederschmetterndem Maße aus. Die Kritik am Islam – nicht an Übertreibungen, bedauerlichen Auswüchsen, Extremismus, sondern genau am Islam – hat in den letzten zwei Jahren unter Beweis gestellt, wie antideutsch es ist, sich mit der Sache selber in ihrer ganzen Rohheit und Schmutzigkeit zu befassen statt den Ideologen zu lauschen oder selber Ideologien zu zimmern. Dieser scheinbar nüchterne Zugang zum Erlebten, zum Material, eben zur Sache selbst, ist der einzig mögliche Zugang zur Empathie mit den vom Islam für Dreck Erklärten und in den Dreck Geworfenen. Empathie mit Theo van Gogh und Hatun Sürücü ist deshalb überhaupt nicht zufällig hierzulande hauptsächlich eine antideutsche Angelegenheit geblieben.
Diese Auseinandersetzung um die Sache, dieser daher nicht nur in Deutschland notwendig fremde Standort des Kritikers, der doch zugleich der einzig mögliche ist, muß man – ohne mit Stalinisten, Wertkritikern und anderen Mißbrauchern über Eigentumstitel zu streiten – kommunistisch nennen. Das gilt auch trotz des Umstandes, daß der Versuch, sich durch ein bestimmendes Adjektiv – als antideutscher Kommunist also – hinreichend abzugrenzen, die Verbindung zwischen kommunistischer Sache und Parteigeschichte nicht ganz aus der Welt zu schaffen vermag. Gerade weil antideutsche Kritik sich nicht verabschieden kann von einem Anspruch, den zu Unrecht „die Linke“ stets für sich verbucht hat, kann sie, auch wenn sie nie konstruktiv sein kann und wird, die Überzeugung nicht aufgeben, daß es etwas Besseres gibt als die jämmerlichen Verhältnisse, unter denen die Menschen auch in der liberalsten bürgerlichen Republik ihr Dasein fristen müssen.
Den fremden Ort der Kritik zu beziehen, von dem aus man der Realität sich öffnet, gerade weil er scheinbar weltabgewandt ist; von dem aus man sich erst recht parteilich einzumischen vermag in gesellschaftliche Konflikte, gerade weil man am Unort nicht unmittelbar in die Realität verstrickt ist, sondern ihr mit gehöriger Distanz gegenübertreten kann, ist unhintergehbare Voraussetzung und dringliche Tagesaufgabe antideutscher Kritik. Das hat auch dann zu gelten, wenn die eigene Stimme nicht „links“, aber eben auch nicht in der liberalen Mitte kaum auf Gehör und schon gar nicht auf Zustimmung zählen kann, sich also der fremde Ort zugleich als ein einsamer erweist. Insofern gilt es, an dem festzuhalten, was einmal – bevor der Name endgültig durch den Dreck gezogen war und das ist sehr lange her – als „links“ galt.

Redaktion Bahamas

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last modified: 28.3.2007