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Aus Protest gegen die Dresdener Inszenierung des Peter-Weiss-Stückes „Die Ermittlung“ sollten am Abend des 13. Februar das unten dokumentierte Flugblatt vor dem Dresdener Staatsschauspiel verteilt und ein Transparent gezeigt werden. Aufgrund der Sicherheitslage in der Stadt (umherziehender Nazimob usw.) wurde die Aktion allerdings abgesagt.
dokumentation, 1.1k

Ein mieses Schauspiel:
Erinnerung auf Deutsch


Wenn Filme und Theaterstücke über Auschwitz in Deutschland auf besondere Begeisterung stoßen, ist Skepsis angebracht. Die entsprechenden Werke bedienen zumeist die Ressentiments des deutschen Publikums, ihre Rezeptionsgewohnheiten, Entschuldungsbedürfnisse etc. Die Fernsehserie „Holocaust “ stieß in den 70er Jahren auf Begeisterung, weil sie die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden nach dem Muster
Die Ermittlung, 32.4k
Die Ermittlung – in einer Inszenierung in der Deutschen Akademie der Künste, Ost-Berlin, 1965
einer kitschigen Abenteuerserie erzählte. Der Film „Schindlers Liste“ sorgte für volle Kinos, weil er in zweifacher Weise die Ausnahme zur Regel machte – d.h. überlebende Juden und den „guten Deutschen“ thematisierte. Und Roberto Begninis „Das Leben ist schön“ wurde mit Preisen überhäuft, weil er die Möglichkeit bot, auch öffentlich zu tun, was an deutschen Stammtischen längst Usus ist: über Auschwitz zu lachen.

Die „Ökonomie der Endlösung“

In diese Reihe fügt sich auch Peter Weiss’ Theaterstück „ Die Ermittlung“ ein. Das Werk, das den Frankfurter Auschwitz-Prozess thematisiert, gehörte in den 60er und 70er Jahren zu den am breitesten rezipierten zeitgenössischen Theaterstücken der Bundesrepublik. Das hat seinen Grund: Die „Ermittlung“ ist vom Versuch getragen, das Unvorstellbare zu rationalisieren. Im Zentrum des Stückes steht nicht der Verfolgungseifer der Deutschen oder die Erkenntnis, dass Massenverbrechen „nicht nur die Verbrechen an Massen, sondern auch von Massen sind“ (Eike Geisel). Sondern Weiss reduziert die Schuld auf Firmen wie Krupp und IG Farben und bemüht sich, einen Zusammenhang von Ausbeutung und Menschenvernichtung herauszuarbeiten. Das Lager, so Weiss, ist ein System, in dem „der Ausbeutende in bisher unbekanntem Grad/ seine Herrschaft entwickeln durfte/ und der Ausgebeutete/ noch sein eigenes Knochenmehl/ liefern musste“. Auschwitz wird bei Weiss insofern als verkleinertes Abbild der Gesamtgesellschaft dargestellt; die Verhältnisse im Lager erscheinen, wie Gerhard Scheit kritisiert, als kapitalistische Ausbeutung höheren Grades: Die Verfolger werden als Vertreter „der Kapitalisten“, die „Verfolgten und Ermordeten als Stellvertreter des Proletariats zur Sprache gebracht“.
Um eine solche „Ökonomie der Endlösung“ präsentieren zu können, ist Weiss gezwungen, all das zu verschweigen, was sich seinem Klassenkampf-Schema sperrt – und von ihm erst später, in der „Ästhetik des Widerstands“, zaghaft angedeutet wird: Er unterschlägt den antisemitischen Wahn, der dafür sorgte, dass auch die ältesten Juden der abgelegensten griechischen Inseln nach Auschwitz transportiert wurden. Er verschweigt die Vernichtung um der Vernichtung willen, die auch dann nicht gestoppt wurde, als die Waggons, die nach Auschwitz fuhren, eigentlich für den Nachschub für die Front benötigt wurden. Und er verschweigt, dass in Auschwitz Juden ermordet wurden, weil sie Juden waren. Überall dort, wo in den Protokollen und Zeitungsberichten, die dem Stück zu Grunde liegen, das Wort „Jude“ auftauchte, wurde es von Weiss durch den Begriff „Verfolgter“ ersetzt. Während die nahezu zwei Millionen Juden, die in Auschwitz ermordet wurden, somit als „Verfolgte“ auftauchen, werden sowjetische Kriegsgefangene oder polnische „politische“ Häftlinge auch weiterhin als solche bezeichnet. Das Stück ist insofern, wie James Edward Young in seiner Untersuchung „Beschreiben des Holocaust“ formulierte, „judenrein, wie der größte Teil Europas nach dem Holocaust“.
Die von Weiss präsentierte Dialektik von Verfolgern und Verfolgten – das Absehen vom Antisemitismus, Rassenwahn etc. – verführt ihn schließlich zu einer Bemerkung, die an die klassischen deutschen Entschuldungsdiskussionen erinnert. Er lässt einen Zeugen erklären, was in keinem Protokoll des Auschwitz-Prozesses zu finden ist:
Viele von denen, die dazu bestimmt wurden/ Häftlinge darzustellen/ waren aufgewachsen unter den selben Begriffen/ wie diejenigen/ die in die Rolle der Bewacher gerieten/ Sie hatten sich eingesetzt für die gleiche Nation/ und für den gleichen Aufschwung und Gewinn/ und wären sie nicht zum Häftling ernannt worden/ hätten auch sie einen Bewacher abgeben können“.

„Täter gleich Opfer“

Diese Verwischung des Unterschieds zwischen Tätern und Opfern wird von den Protagonisten der neuen deutschen Erinnerungskultur begeistert aufgegriffen. Im vergangenen Jahr präsentierten das Dresdener Staatsschauspiel und der Kreuzchor die „Ermittlung“ erstmals in einer besonderen Inszenierung. Während die Täter-Opfer-Nivellierung bei Weiss eher am Rande auftaucht, wird sie von Holk Freytag, dem Regisseur der Dresdener Inszenierung, in den Mittelpunkt des Stückes gestellt. Die Rollenverteilung des Originals wird am Staatsschaupiel aufgehoben; die Darsteller bilden auf der Bühne einen Chor aus zwölf Personen, die als Einzelpersonen oder als eine Gruppe in den Szenen heraustreten. Ihre Rollen wechseln im Stück: Zeugen, d.h. frühere KZ-Häftlinge, werden von denselben Schauspielern gespielt wie die Angeklagten, d.h. die Täter. Darüber hinaus wird die „Ermittlung“ – und damit zugleich Auschwitz – in obszöner Weise in den Kontext der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg gestellt. So hatte das Stück nicht nur am 13. Februar 2004, dem Jubiläum des Luftangriffs, Premiere und wurde am 8. Februar 2004, aus Anlass einer Gedenkfeier für die Zerstörung Dresdens, in einer Vorab-Präsentation aufgeführt. Auch mit Hilfe der musikalischen Begleitung soll eine Linie von Dresden nach Auschwitz gezogen werden – etwa wenn der Kreuzchor mit Rudolf Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“ ein Lied vorträgt, das eigens für Dresden geschrieben wurde.
Das Stück erhält damit eine klare geschichtsrevisionistische Ausrichtung. Wenn die Täter von den gleichen Schauspielern gespielt werden wie die Opfer, werden die Unterschiede zwischen Tätern und Opfern verwischt. Dabei wird, wie Gerhard Scheit bereits am Original der „Ermittlung“ kritisiert, bewusst ausgeblendet, „was den einen zum Bewacher, den anderen zum Häftling macht; nicht nur, dass der eine sich darin entscheiden konnte, ein Bewacher im Vernichtungslager zu werden oder an die Front einzurücken (und des weiteren darin, für die Wehrmacht zu kämpfen oder sich zu verstümmeln, in der Wehrmacht zu bleiben oder zu desertieren), sondern vor allem, dass der andere sich überhaupt nicht entscheiden konnte, ob er zu den Verfolgten oder den Verfolgern zählen wollte“. Ein Rezensent der Dresdener Inszenierung zieht in der Frankfurter Rundschau folgerichtig – und affirmativ – das Fazit: „In der Welt des Lagers gleichen sich nicht bloß Täter und Opfer an, in einer Welt, die Auschwitz hervorbringt, kann jeder zum Täter werden.
Wo alle Täter sind, ist jedoch niemand Täter; die Verfolger, Arisierungsgewinner und Mörder, mit einem Wort: die Deutschen, werden entlastet.
Mit dieser Einebnung des Unterschieds zwischen Tätern und Opfern geben sich Freytag und Roderich Kreile, der musikalische Leiter der Inszenierung, jedoch nicht zufrieden. So verweisen sie bei ihrem Versuch, die Bombardierung Dresdens in den Kontext von Auschwitz zu stellen, weder darauf, dass der Angriff vom 13. Februar den letzten Dresdener Juden (sie sollten am 16. Februar deportiert werden) die Möglichkeit zur Flucht bot. Noch stellen sie klar, dass die Deutschen, anstatt ihre Führung abzusetzen, durch ihren Dienst in der Wehrmacht, in der Rüstungs- und Versorgungsindustrie, bei der Deutschen Bahn oder im Volkssturm bis zum 8. Mai 1945 dazu beitrugen, dass im Rücken der Front Lager betrieben und Menschen ermordet werden konnten – dass sämtliche Kampfhandlungen der Alliierten also die Voraussetzung für die Befreiung weiterer Lager waren. Anstatt diesen tatsächlichen Zusammenhang von Bombenkrieg und totalem Durchhaltewillen der Deutschen herauszuarbeiten, besteht der Konnex für Kreile darin, dass Auschwitz und Dresden „das gleiche Prinzip“ repräsentieren und demonstrieren, „was Menschen konkret einander antun können“ (O-Ton Kreile).
Der 13. Februar solle, wie eine Dresdener Tageszeitung Kreile im vergangenen Jahr zitierte, zum Anlass genommen werden, „der Toten zu gedenken, die auf schreckliche Weise in den Kriegen umgekommen sind“; er müsse ein „mahnender Gedenktag“ sein, „der sich gegen die Barbarei des Menschen dem Menschen gegenüber wende“. In der Dresdner Inszenierung der „Ermittlung“ verschwimmen damit nicht nur die Differenzen zwischen Tätern und Opfern, sondern auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Ereignissen. Auschwitz wird zu Dresden, Dresden zu Auschwitz, die planmäßige und fabrikmäßige Vernichtung von Menschen (Auschwitz) verwandelt sich in einen kriegsnotwendigen Militäreinsatz (Dresden). Die zentrale Botschaft der Dresdener „Ermittlung“ ist damit identisch mit der Aussage, die ein NPD-Funktionär vor kurzem im sächsischen Landtag formulierte: Der Luftangriff auf Dresden „war ein Bombenholocaust“.

Die „neue deutsche Erinnerungskultur“

Das Dresdener Staatsschauspiel bewegt sich damit voll und ganz im Mainstream der neuen deutschen Erinnerungskultur. Die klassische Schuldabwehr, das von den Mitgliedern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung in den 50er und 60er Jahren beschriebene Leugnen und Verschweigen, existiert seit geraumer Zeit nicht mehr. Die Schuldabwehr ist heute paradoxerweise im Bekenntnis zu Auschwitz bzw. im Verweis auf den Holocaust zu finden. So begründet Deutschland inzwischen nicht nur seine Kriegseinsätze mit einer besonderen politischen Verantwortung „wegen Auschwitz“ oder tritt dem Staat der Überlebenden des Holocaust vormundschaftlich und mit moralisch erhobenem Zeigefinger entgegen. Das neue Deutschland ist zugleich bemüht, sich der ermordeten Juden noch einmal zu bemächtigen. Stellvertretend für die gesamte deutsche Erinnerungsbranche wird in der Presseinformation zur Dresdner Inszenierung der „Ermittlung“ erklärt: Man wolle „im Gedenken an die Zerstörung unserer Stadt die Toten des Holocaust endlich zu unseren Toten machen“. In dieser großzügig vorgetragenen Bereitschaftserklärung, nebenbei auch an diejenigen zu erinnern, die von den eigenen Vorfahren verfolgt und ermordet wurden, wird der eigentliche Sinn der neuen Erinnerungskultur angedeutet: das noch unverschämtere Reden über „deutsches Leid“ und „deutsche Opfer“.
Die damit verbundene Gleichsetzung der ermordeten Lagerhäftlinge und der getöteten Volksgenossen ist nur möglich durch die bereits beschriebene Entkontextualisierung von Auschwitz, der Bombardierung Dresdens und des Vormarschs der Alliierten – d.h. durch den Verzicht auf die Frage nach den Tätern und den Opfern. Die historischen Bezugsrahmen der Ereignisse werden ausgeblendet und negiert; das Leid der Juden wird auf eine Stufe mit dem Leid der Täter gestellt; alles vergeht in einem barbarischen Jahrhundert, als dessen Symbole Auschwitz und Dresden ausgemacht werden.
Der zentrale Bezugspunkt dieser Universalisierung des Leids der ermordeten Juden ist die selbstbewusste Nation. Auch hier macht sich der Gesinnungsdresdener Freytag unfreiwillig zum Sprecher des erinnerungspolitischen Mainstreams: „Erst wenn man sich seiner Geschichte stellt,“ so erklärt er in Hinblick auf Auschwitz und Dresden, „die Toten seiner Geschichte wirklich auf dem Friedhof der eigenen Geschichte zulässt, kann man an den Bau der Zukunft gehen.“ Mit anderen Worten: Mit Auschwitz im Rücken soll die Nation selbstbewusst zu neuen Aufgaben schreiten.

Antifaschistischer Arbeitskreis (AfA) Halle, Februar 2005
www.afa-halle.antifa.net

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last modified: 28.3.2007