home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[116][<<][>>]

review corner Buch, 1.8k

Nürnberger Reste. Dead Men Working.


Dead Men Working, 34.2k

Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Maria Wölflingseder, Karl-Heinz Lewed (Hg.): Dead Men Working, Münster 2004
Es ist schwer, etwas über ein Buch zu schreiben, zu dem Robert Kurz auf 13 eng bedruckten Seiten längst das Notwendige gesagt hat: „(M)it ihrem Stehenbleiben und Heruntertransformieren der Theorie fesseln sich diese aufgeblasenen Möchtegerns gerade an eine irrelevante Subkultur von Pseudo-Praktikern, Projektemachern und ewigen linken Gschaftlhubern.“(1) Es lässt sich allerdings auch ohne Kurzens „Haltet die Verräter!“-Diktion, die aus dem aktuellen KRISIS/EXIT!-Konflikt resultiert, wenig Gutes an dem Buch finden.

Möglich, dass die Erwartungen, die an das Buch gestellt wurden, einfach zu hoch waren. Angekündigt als Nachfolger und Fortsetzung des Bandes „Feierabend! 11 Attacken gegen die Arbeit (Hg.: Robert Kurz, Ernst Lohoff und Norbert Trenkle, Hamburg 1999) kann „Dead Men Working“ nicht recht überzeugen. Die hier versammelten Aufsätze zeichnen sich nämlich weniger durch theoretisch erklärenden Anspruch aus (wie es bei „Feierabend!“ der Fall war), sondern bleiben fast ausnahmslos auf einer die Empirie beschreibenden Ebene. Möglich auch, dass gar nicht vorgesehen war, das Reflexionsniveau von „Feierabend!“ zu halten, sondern diese Fortsetzung absichtlich Feuilletoncharakter hat. Dann wäre lediglich den Leserinnen und Lesern zu raten, die beiden Bücher nicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen, sondern am Besten mit „Dead Men Working“ anzufangen.

„Der nachfolgende Text ist aus der Praxis des Autors als Gewerkschafter und Personalrat in einem Großklinikum entstanden“ (44)(2), leitet Lothar Galow-Bergemann seinen Artikel ein, in dem er die Umstellung der Krankenhausfinanzierung von Tagegeld auf Fallpauschalen schildert und den damit steigenden Effizienzdruck skandalisiert. Es ist nicht falsch das zu tun, ganz im Gegenteil. Kürzungen und Kosten-Umverteilungen im Gesundheitswesen sind nämlich tatsächlich Krisenauswirkungen, die man ganz schnell auch im eigenen Umfeld zu sehen und zu spüren bekommt. Das erschwert dann die Ignoranz gegenüber der ökonomischen Empirie (und der Auswirkungen auf das eigene Leben), die Mausebär der linken Szene – zu Recht – attestiert. (siehe seinen Artikel in diesem Heft) Man konnte solche Beschreibungen des Klinikalltags aber auch schon in der „ZEIT“ lesen und Galow-Bergemann selbst weist darauf hin, dass es sich bei dem Beitrag um eine überarbeitete Fassung eines Aufsatzes aus „verdi Infodienst Krankenhäuser“ handelt. Dort ist dann sicher auch die Sentenz „Geld als Maß aller Dinge – auch in den letzten Refugien der Humanität“ (51) eher passend als in einem Buch, das sich kommunistische Gesellschaftskritik vorgenommen hat.

Wie aus den Nürnberger wertkritischen Kreisen gewohnt, ist die Sprache vieler der Aufsätze gewaltig: Schon im Vorwort ist die Rede vom „ökonomieterroristischen Amoklauf“ (8) und von der „arbeitsterroristischen Generalmobilmachung“ (10). Weiter geht’s bei Ernst Lohoff mit arbeitsterroristische(r) Gehirnwäsche“ und „ökonomieterroristische(r) Propaganda“ (17). Dass also die Krisis-Leute die Gefahr des Terrorismus qua Ignoranz verharmlosen, wird man ihnen zukünftig schwer vorwerfen können. Aber auch Norbert Trenkles „menschenfresserische(s) System der modernen Warenproduktion“ und Lohoffs „arbeitsreligiöses Flagellantentum“ sind schwere aber eben auch schwerfällige Begriffsgeschütze, die auf Dauer eher ermüden als wachrütteln.
Eine 15 Seiten lange Dokumentation von Redebeiträgen und brieflichen Reaktionen im Rahmen einer arbeitskritischen Demonstration, die Christian Höner besorgt hat, wirkt in diesem Buch nur deshalb nicht deplatziert, weil ein Konzept oder auch nur eine gewisse Schlüssigkeit, warum hier was veröffentlicht wird, nicht erkennbar ist. Die Chance, im Vorwort einen Aufriss der im Buch behandelten Themen zu machen und in die einzelnen Beiträge einzuführen, wurde leider vergeben, so dass man sich mit der bunten Mischung (im Farbspektrum von aschgrau über steingrau bis mausgrau [Loriot]) alleine gelassen fühlt.

Zwischen den 15 inhaltlichen Beiträgen des Bandes sind mehrfach kurze Glossen eingestreut, in denen sich, neben der wenigstens lesbaren Maria Wölflingseder, auch der notorische Schandl-Franz – wie Robert Kurz ganz richtig bemerkt in „Babysprache“ – austoben darf. „Muss sein?! Muss bleiben?! Lose Skizzen zum Arbeitswahn der Arbeitsgesellschaft“ (247) heißt eines der Stücke, die man ganz offensichtlich erstens zum Füllen der Seiten und zweitens als Versuch zur Vermeidung von Langeweile bei der geneigten Leserschaft eingerückt hat. Wobei die Furcht davor, dass sich Langeweile bei der Lektüre der Schinken über zum Beispiel „Funken eines nicht-entfremdeten Bewusstseins inmitten des argentinischen Zusammenbruchs“ (191) einstellt, nicht ganz unbegründet ist. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist sehr erfreulich, dass Marco Fernandes, Aktivist beim „Verband der Arbeitenden in selbstverwalteten Betrieben“ und Autor des Artikels, sich in Argentinien für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzt. Bei den Schlagworten „Nicht-entfremdete(s) Bewusstsein“ und „Wiederaneignung von Zeit und Raum“ (199) ist allerdings ganz offensichtlich der Wunsch der Vater des Gedankens. Sérgio, einer der Arbeiter, der in dem Artikel zu Wort kommt, sagt: „Es ist fast vier! Um drei ist hier offiziell Feierabend, und noch immer sind hier ein Haufen Leute. Früher war hier um zehn nach drei keine Menschenseele mehr anzutreffen. [...] Heute hat es keiner mehr so eilig. Einige machen noch fertig, womit sie angefangen haben, andere plaudern, trinken Mate oder warten auf einen Kollegen oder eine Kollegin, um zusammen wegzugehen... Es ist, als ob das hier ein zweites Zuhause wäre. Wir fühlen uns wohl hier. Es gibt sogar Kolleginnen, die ihre Kinder mitbringen, wenn sie niemanden finden, bei dem sie sie lassen können.“ (202) Solche Aussagen könnte man – mit einigem Recht – auch als Belege für die Selbstprekarisierung von Arbeitssubjekten interpretieren. In diesem Fall allerdings könnte man die Selbstverwaltungsversuche nicht in sozialromantischer Manier als Schritt auf dem Weg der „Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs“ (Untertitel des Bandes) loben, sondern müsste sie als das kennzeichnen, was sie sind: Auswirkungen dieses „Amoklaufs“.

Verhältnismäßig kurz – für ein arbeitskritisches Buch – gerät die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. In seinem Beitrag am Ende des Bandes geht Ernst Lohoff auf einer Seite darauf ein, dass Moishe Postone Auschwitz als „‘Fabrik zur Vernichtung des Werts‘„ (297) gekennzeichnet hat und dass „das Zerstörerische an der Arbeit [...] sich in der Arbeit an der Vernichtung zum eigentlichen Inhalt (verselbstständigte)“ (ebd.). „Vor diesem Hintergrund ordnet sich dann auch der Nationalsozialismus in die Epoche arbeitsgesellschaftlicher Inklusion ein.“ (ebd.) Für die ökonomiekritische Diskussion des Nationalsozialismus, wie sie unter anderem hier in Leipzig zwischen den verschiedenen wertkritischen Fraktionen engagiert geführt wird, ist diese Analyse keine Bereicherung. Es wirkt hier so, als ob die Einordnung des Nationalsozialismus in den kapitalistischen ‚Normalbetrieb‘ auf kurzem Weg versucht wird. Das ist ärgerlich und schade, weil Martin Dornis zum Beispiel dazu sicher Spannenderes zu sagen gehabt hätte als zu „‘Ökonomie‘ und ‚Ökologie‘„ (214), dem Thema seines Beitrages. Dort nämlich referiert er – mit bewährt großzügig eingestreutem Kursivdruck – Bekanntes zum Thema Mensch-Natur-Verhältnis und verweist auf die Aufklärungskritik der Gruppe KRISIS (insbesondere auf Karl-Heinz Wedel), die zu lesen sicher sinnvoller ist, als Zeit mit dem vorliegenden Buch zu verschwenden.
Auch wer sich von Frank Rentschlers Beitrag zum Verhältnis von „‘Fordern und Fördern‘„ in der Sozial- und Arbeitsgesetzgebung erhofft, etwas über die Ursachen von Hartz-IV-Demos zu erfahren und Anregungen für die Reflexion dieser gesellschaftlichen Verhältnisse zu erhalten, die über vulgär-antideutsche „Alles Faschisten!“-Rufe hinausgehen, ist wohl besser beraten, Texte des Autors in anderen Publikationen (in Incipito und EXIT!(3)) zu lesen. In Rentschlers Aufsatz für das Buch werden recht ausführlich interne Texte aus Arbeitsämtern und Erfahrungsberichte von Betroffenenorganisationen zitiert, die zwar die Absurdität illustrieren, die zwangsläufig entsteht, wenn nicht vorhandene Arbeit verteilt werden soll. Aber was die neue Sozialgesetzgebung und ihre bevorstehende Umsetzung ab nächstes Jahr mit der Gesellschaft und den Subjekten anstellen könnte, liest man hier nicht und würde es doch gerne diskutieren. Auch Frank Rentschler gehört nun nicht mehr zu Rest-KRISIS, sondern ist zu EXIT! gegangen. Damit bestätigt sich, was Robert Kurz sagt: Die theoretisch fähigeren Leute sind tendenziell eher bei EXIT! als bei KRISIS zu finden.

Heraus fällt einzig Holger Schatz, dessen Beitrag in der Mitte des Bandes quasi eine Insel der theoretischen Durchdringung einer Empirie darstellt, die in den anderen Texten lediglich mehr oder weniger (eher weniger) eloquent beschrieben wird. Schatz beschäftigt sich mit der real beobachtbaren Entkopplung der Geldleistungen vom „Verdienst“, die einher geht mit dem „‘Abschmelzen der Arbeitssubstanz‘„ (139). Dieses von ihm als „Krise des Leistungsprinzips“ (138) bezeichnete Phänomen könnte nun dazu führen, dass sich die Arbeitslosigkeit „im Verein mit einer faktischen Arbeitsabstinenz [...] von der Arbeit, vom Leistungsprinzip und damit von Angst und Schuld emanzipier(t).“ (144) Psychoanalytisch könne man das folgendermaßen erklären: „In einer Kultur, in der Arbeit derart positiv besetzt ist, wie in der unseren lassen sich die Folgen eines Arbeitsplatzverlusts etwa mit denen einer Auflösung einer Liebesbeziehung vergleichen.“ (ebd.) Nach der Trennung würde man ja auch nicht gleich nahtlos Ausschau nach einem neuen Partner halten, sondern ist „bestrebt, das Objekt aufzugeben, um Selbstbewusstsein wiederzuerlangen“. (ebd.) Misslingt diese „Trauer- und Loslösungsarbeit“ (ebd.), sind „Ich-Schwäche, Depression, Unterwürfigkeit, gesellschaftliche (Selbst-) Isolation“ (145) die Folge. Dynamisiert durch den „aktuellen Krisen- und Reformdiskurs“ (ebd.), kommt es zu einer versuchten Wiederbelebung des Prinzips der Kopplung von Geldleistung an „Verdienst“ („meritokratisches Prinzip“), zu einer „Retotalisierung von Arbeit“ (ebd.): „Jeder kriegt, was er verdient, was er also (er)arbeitet.“ (ebd.) Hier sind wir laut Holger Schatz dann in der Sphäre der Herrschaft: „Arbeit als Wertbasis und Herrschaftsmittel“ (146). Das Programm, das Schatz dann vorschlägt, wäre ein lohnenswertes nicht nur für ein gesellschaftskritisches Buch, das diesen Titel verdient, sondern ist dringender denn je in Zeiten von Zwangsarbeit und Kürzungen an den Grenzen des Aushaltbaren: „Eine radikale Arbeitskritik hätte die Verschränkung von Arbeit, Arbeitslosigkeit und Herrschaft ins Visier zu nehmen, indem sie die Ideologie der Knappheit und den menschenfeindlichen Konnex zwischen Arbeit und Leistung und dem Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum als ‚zusätzliche Unterdrückung‘ im Sinne Marcuses denunziert.“ (148)

Fazit: Das Werk ist all denjenigen besonders ans Herz zu legen, die noch ein Weihnachtsgeschenk für solche Leute (insbesondere Verwandte) suchen, die immer fragen: „Warum quälst du dich mit Marx herum? Was der geschrieben hat, ist doch längst veraltet.“ Diese Leute können aus dem Buch nämlich Gewinn ziehen und Einblick erhalten in eine „lebensweltliche“ Empirie, die nach Kritik verlangt. Diese Kritik beginnt allerdings – wie wir längst wissen und nur unseren Verwandten (und noch ein paar Milliarden anderen Mitmenschen) klarmachen müssen, – dort, wo das Buch ärgerlicher Weise endet.

Sven

Das Buch sowie die anderen im Text erwähnten sind im Infoladen Leipzig ausleihbar.

Fußnoten

(1) Robert Kurz: Dead Men Writing, www.exit-online.org/html/link.php?tab=autoren&kat=Robert Kurz&ktext=Dead Men Writing
(2) Die Zahlen in Klammern sind Seitenangaben aus dem besprochenen Band.
(3) Der Staat muß seine Bürger zur Arbeit verpflichten, in: Incipito Nr. 14, 24-29 und Der Zwang zur Selbstunterwerfung, in: EXIT! 1/2004, 201-229


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[116][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007