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Buchcover, 18.6k

Paul Berman: Terror und Liberalismus, Europäische Verlagsanstalt: 2004

... sollte Paul Bermans Buch „Terror und Liberalismus“ für jene sein, die sich als Antideutsche verstehen oder dieses Label verwenden.

    „Doch in Wahrheit führen der Weltzionismus und die auf einem Kreuzzug befindlichen Kirchen ebenso wie der Weltkommunismus den Kampf gegen den Islam und die muslimische Gemeinschaft in erster Linie aus ideologischen Gründen und mit dem alleinigen Ziel, diesen soliden Felsen zu zerstören, den sie trotz ihrer vereinten und anhaltenden Bemühungen nicht von der Stelle haben bewegen können. Bei der Konfrontation geht es nicht um die Kontrolle von Territorien oder Wirtschaftsressourcen oder militärische Beherrschung“ Sayyid Qutb

    „Die Geschichte schreibt ihre Zeilen nur mit Blut. Der Ruhm errichtet sein erhabenes Gebäude nur mit Schädeln. Ehre und Respekt lassen sich nur auf einer Grundlage von Krüppeln und Leichen herstellen.“ Abdulla Azzam

    „The world is a dangerous place, not because of those who do evil, but because of those who look on and do nothing.“ Albert Einstein

    „We sleep safe in our beds because rough men stand ready in the night to visit violence on those who would do us harm.“ George Orwell
Wenn Hannes Stein ein Buch als das „wichtigste politische Sachbuch [des] Jahres“ bezeichnet, so kann man es sich ohne Vorbehalte zu Gemüte führen. Sollten einige der Leser jetzt die Stirn in Falten legen und sich fragen, weshalb in diesem Heft auf einen Redakteur der Welt positiv Bezug genommen wird, so sei ihnen gesagt, dass der Herr Stein zu dem winzigen Häuflein deutscher Journalisten gehört, die mit allen zehn Fingern beständig in jenen Wunden stochern, welche die „gemäßigten“ Amerika- und Israelfeinde so gerne unter dem Mäntelchen des „Völkerrechts“ und ähnlichem Mumpitz zu verbergen suchen. Stein schloss seine Rezension des Buches vom 5. Juli 2003 mit dem Satz: „Es wird nie ins Deutsche übersetzt werden, weil es quer zu allen hier zu Lande gängigen Ressentiments steht.“ Zum Glück irrte Stein in diesem Punkt, jedoch dürften die Verkaufszahlen kaum an die der üblen Agit-Prop Bestseller des Hinterwäldlers Moore heranreichen. Um an dieser Stelle mit entwendetem Anekdotenwissen zu glänzen: Beide kennen sich von früher, als sie für eine alternative Zeitschrift namens Mother Jones arbeiteten. Berman reiste in dieser Zeit nach Nicaragua, um eine Reportage über die sandinistische Revolution und die ihr folgende Militärregierung zu schreiben. Er fand, wie konnte es anders sein, „erstaunlicherweise“ heraus, dass hinter dem Vorhang der pompösen Ideale sandinistischer Revolutionäre Mord, Vertreibung und andere Gräueltaten stattfanden. Moore wollte den Artikel nicht gedruckt sehen, da er, nach seiner Ansicht, ein einseitiges Bild zeichnen würde und die damalige US-Regierung unterstützt hätte. Wie wenig ihm an einseitigen Bildern gelegen ist, beweist der Josef Goebbels der Anti-Globalisierungsbewegung auf eindrucksvoll differenzierte Weise in seinem neuen Film. Da nämlich wird erst ein Bild gezeigt, lustige irakische Winzlinge, die unter der angeblichen Gewaltherrschaft Saddams sogar Drachen steigen lassen dürfen, und dann ein anderes, üble martialische US-Soldaten, welche die irakische Friede-Freude-Eierkuchen-Diktatur grundlos überrennen.
Im Gegensatz zu dem, sicher bald die deutsche Staatsbürgerschaft beantragenden, Moore, gilt Berman als einer der wichtigsten politischen Essayisten der USA und veröffentlicht Kultur- und Literaturkritiken in bspw. der New York Times und der New Republic. Berman zählt zu dem kleinen Kreis amerikanischer „Linker“, die während des ersten Golfkriegs ihre ablehnende Haltung gegenüber amerikanischen Militärinterventionen überdachten und die Doktrin der „humanitären Intervention“ entwickelten. In groben Zügen und arg unvollständig soll hier nun sein neuestes Buch umrissen werden, für das besagte Doktrin von enormer Bedeutung ist.
Einen zentralen Punkt in Bermans Buch nimmt der Begriff des Totalitarismus ein, den er auf die verschiedensten europäischen Strömungen des 20. Jahrhunderts anwendet (z.B. Faschismus, Kommunismus, Nationalsozialismus) und mit dem sich aktuell der Islamismus bezeichnen lässt. Nun mögen sich einige sträuben und sagen, Berman wäre hier undifferenziert, vertrete die „Totalitarismusthese“; immerhin jedoch schreibt er, dass „Hitlers Nationalsozialismus (...) die extremste dieser Bewegungen“(1) war. Für die Analyse der aktuellen Situation schält er eben jene Momente aus den „totalitären Systemen“ heraus, welche essentiell für die Ideologie des Islamismus und eben auch für die der anderen „totalitären Systeme“ sind. Berman zeigt die Grundidee, den „Ur-Mythos“, all dieser Bewegungen auf, die Offenbarung des Johannes: „Es gibt ein Volk Gottes, sagt uns Johannes. Das Volk Gottes wird angegriffen. Der Angriff erfolgt von innen. Es ist ein subversiver Angriff, den die Bewohner Babylons vom Zaun gebrochen haben. Diese sind wohlhabend und können Dinge aus der ganzen Welt beschaffen, mit denen sie Handel treiben (...). Die große Hure Babylon hat sie verdorben. (Auch diese Geschichte hat ihre sexuelle Komponente.) Das Verderben breitet sich zum Volk Gottes aus. So sieht der Angriff von innen aus. Es gibt auch einen Angriff von außen – vorgetragen aus der Ferne von den Kräften Satans, der in der Synagoge Satans angebetet wird. Doch diese Angriffe von drinnen und draußen werden auf heftigen Widerstand stoßen. Der Krieg von Harmagedon wird stattfinden. Die subversiven und verdorbenen Stadtbewohner Babylons werden zusammen mit all ihren Abscheulichkeiten vernichtet werden. Die satanischen Kräfte des Mystikers von draußen werden vertrieben werden. Die Zerstörung wird entsetzlich sein. (...) wenn das Zerstörungswerk vollbracht ist, wird die Herrschaft Christi errichtet werden und tausend Jahre währen.“ Dieses Bild vom Volk Gottes, dessen glückliches Leben von üblen Mächten untergraben und von außen bedroht wird, an dessen Ende des Leidensweges ein tausend Jahre währendes Reich steht, lässt sich bei all diesen Bewegungen finden. Es gibt immer ein auserwähltes Volk, wahlweise auch Klasse, dass von den üblen Handel treibenden Bewohnern Babylons verschmutzt wird, die durch Kräfte von außerhalb unterstützt werden. Sei es nun das Proletariat, das durch die Machenschaften der Bourgeoise korrumpiert werde, welche wiederum Unterstützung durch die kapitalistische Einkreisung erfährt oder irgendein anderer Mumpitz, am Ende waren immer auch die Juden Teil des Problems. Das tausendjährige Reich wäre hier die Diktatur des Proletariats, die Reinheit der unausgebeuteten Arbeitskraft. Berman macht deutlich, dass all diesen Modellen ein „Impuls zur Rebellion“ zugrunde liegt, der sich „im Namen eines Ideals sehr schnell in einen Todeskult verwandelt.“ Dies Ideal war stets eines, das nicht auf Skepsis oder Zweifel baute, wohl aber auf dem Begriff des Einen statt des Vielen, etwas totales, gar Gottgleiches. Erschreckend klares Moment jeder dieser Auslegungen war immer Harmagedon, der finale zerstörerische Konflikt, ein unvermeidliches Blutbad. All diese „europäischen Bewegungen“ hatten ihr eigenes ausführliches Programm, „Programme für die gesamte Gesellschaft, die sich nie umsetzen ließen. Doch der Tod war praktisch. Der Tod war die einzige revolutionäre Errungenschaft, die sich tatsächlich verwirklichen ließ. Die Einheit des Menschengeschlechts, die Herrschaft von Reinheit und des Ewigen – diese Ziele waren außer Reichweite in jedem herkömmlichen oder realen Sinn. Aber Einheit, Reinheit und Ewigkeit waren in Gestalt des Massentodes leicht zu verwirklichen.“ Nun mögen einige einwenden, diese Entwicklungen würden vielleicht auf Europa zutreffen, aber die muslimische Welt hätte eine ganz andere Entwicklung vollzogen, unabhängig von den Vorkommnissen in Europa. Dies widerlegt Berman, indem er aufzeigt wie europäisches Gedankengut und die es vertretenden Bewegungen auch dort Einzug hielten. Der „Kommunismus“ bspw. war die erste der „neuen Massenbewegungen Europas (...) die im Nahen Osten gedieh.“ Weshalb auch nicht, kosmopolitische Städte waren kein rein europäisches Phänomen, bestand doch während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bspw. ein ganzes Drittel der Bevölkerung Bagdads aus Juden, von denen die meisten später nach Israel flüchten mussten, um ihr Leben nicht zu verlieren. Doch nicht nur der „Kommunismus“ fand Anklang. Satia al-Husri zum Beispiel, der den Baath-Sozialismus begründete, tat dies auf der Grundlage seiner Studien zu Fichte und den deutschen Romantikern, „den Philosophen der nationalen Bestimmung, der Rasse und der Integrität nationaler Kulturen.“
Berman sucht sich nun den wohl einflussreichsten Schriftsteller der islamistischen Tradition: Sayyid Qutb. Qutb liebäugelte einige Zeit mit dem Sozialismus und schrieb Bücher, die „Spuren von Individualismus und Existenzialismus“ an den Tag legten, sowie „eine westlich angehauchte Sicht auf kulturelle und literarische Fragen“, unternahm Reisen in die USA und schloss an der University of Northern Colorado das Master-Examen in Erziehungswissenschaften ab. Daraufhin kehrte er nach Ägypten zurück und schloss sich der Muslimischen Bruderschaft an. „Qutb wurde der führende Denker der Bewegung – der erste wichtige Theoretiker der islamistischen Sache in der arabischen Welt.“ Doch stets hatte er zu kämpfen, wie er selbst schreibt, mit den „kulturellen Einflüsse[n], die trotz meiner islamischen Einstellungen und Neigung in meinen Geist eingedrungen waren.“ Qutb, in ägyptischer Gefangenschaft, veröffentlichte Im Schatten des Koran, ein Werk, das 30 Bände umfasst und Kommentare zu den verschiedenen Kapiteln und Suren des Koran enthält, von dem „er wollte, dass seine Leser sich nicht zum Vergnügen mit seinem Text beschäftigten, sondern mit dem Eifer von Soldaten, die ihre Befehle studieren.“ Er, Qutb, erklärt, dass in der modernen Gesellschaft der Mensch sich überall unbehaglich fühle und von seiner Natur entfremdet wäre. Qutb sieht den ursprünglichen Fehler im Schulterschluss mit Heidegger, im antiken Griechenland, bei Sokrates. „Der Fehler bestand in einem arroganten und irreführenden Glauben an die Macht der menschlichen Vernunft – in dem arroganten Glauben, der nach vielen Jahrhunderten in der heutigen Zeit die Tyrannei der Technologie über das Leben hervorgebracht hatte.“ Jedoch war Qutb „kein Antimodernist“, er „bewunderte wirtschaftliche Produktivität und wissenschaftliche Kenntnisse“, dennoch erkannte er die „Beschränkungen und Unzulänglichkeiten von hoher Produktivität und Reichtum“. Was er an der Moderne hasste, war nicht der technische Fortschritt, sondern die Scheidung des Heiligen vom Säkularen, die erst den Liberalismus ermöglichte und die Gesellschaft in „zersplitterte Sphären“ trennte. „Seine Angst war (...), dass sich liberale Lehren über Religionsfragen von den westlichen Gesellschaften in die muslimische Welt ausbreiten, dort Wurzeln schlagen und den Islam verdrängen könnten.“ Qutb jedoch wollte die Einheit vor dem einen Gott, eine Gesellschaft fern von Ausbeutung, Wucher und Ungerechtigkeit: Die Staatsgründung auf der Grundlage der Scharia. „Sie war die Aufhebung der Sklaverei. Sie war Freiheit, sowohl für die Gesellschaft als auch für das Individuum. Sie war Gleichheit. Sie war soziale Wohlfahrt. Sie war Moral.“ Und tatsächlich, liest man bei Berman die manifestartigen Sätze Qutbs über die Scharia nach, sie könnten irgendeiner linken Publikation aus unseren Tagen entnommen sein. Doch so einfach lässt sich ein derartiges System nicht installieren, denn„bevor die Scharia etabliert werden konnte, musste der moderne Dschihad stattfinden – der Dschihad, der den Islam vor Vernichtung durch die Heuchler in der muslimischen Welt und ihre Verbündeten in der Außenwelt retten sollte, die Kreuzzügler und die Juden.“
Dabei legt diese Bewegung eine ungeheure Flexibilität an den Tag, die sie eben so unberechenbar und außerordentlich gefährlich macht, bedingt dadurch, dass ihre drei Eckpfeiler (Bedrohung durch Liberalismus, Dschihad und islamischer Staat) verschiedenste Deutungen zulassen. „Die islamistische Bewegung konnte politisch oder weniger politisch sein, vorsichtig und konservativ oder von verbitterter Radikalität; entschlossen, die Form von sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen, die durch sozialdemokratische Gleichheit symbolisiert wird, oder die Form von sozialer Gerechtigkeit, deren Symbol öffentliche Steinigungen sind.“ Berman bringt an dieser Stelle ausführliche und fundierte Beispiele, die seine These belegen und beschreibt die Entwicklung des islamistischen Terrors, sowie die Verstrickungen verschiedenster Regierungen und Organisationen in eben diesen. Weiterhin führt er aus, dass letztendlich der aus Europa stammende importierte„Todestrieb“ alles beherrschender Inhalt dieser Bewegungen ist.
Churchill sagte einst über die Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Nationalsozialismus, man füttere ein Krokodil in der Hoffnung, als letzter verspeist zu werden. Bissig und scharfsinnig analysiert und kritisiert nun Berman, in dem großartigen Kapitel Wunschdenken, die Friedensbewegung damals und heute, sowie die Solidarität mit Palästina.
„Und auf der ganzen Welt wurde die Versuchung groß, geradezu unwiderstehlich, zu dem Schluss zu gelangen, dass die Welt ein rationaler Ort bleibt und das Massenwahn einfach nicht existiert und das Verleumder zugunsten enger materieller Interessen ein Lügengewebe stricken. Nein, Selbstmordanschläge müssen eine rationale Reaktion auf rationale Bedingungen sein (...) Und so beeilten sich Leute überall auf der Welt, Erklärungen dafür vorzulegen, inwiefern der scheinbare Massenwahn überhaupt nicht abartig sei, dass Terror vernünftig, erklärlich und vielleicht sogar bewundernswert sei.“ Berman beschreibt die Verkehrung der Realität, die in den Opfern des Terrors die Schuldigen ausmacht, da sie, einem rationalen Erklärungsmuster folgend, in irgendeiner Weise den Hass auf sich gezogen haben müssen und deshalb auch dafür verantwortlich seien. „Der palästinensische Terror war nach dieser Ansicht der Maßstab für die Schuld der Israelis. Je grotesker der Terror, umso tiefer die Schuld.“ Das Verhältnis von ebensolcher „Kritik“ und Amerika verdeutlicht er anhand des komplett durchgeknallten Linguisten und linkem Liebling Noam Chomsky, was aufgrund Platzmangels hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden soll. Zusammenfassend schreibt Berman: „Letztlich war der Fehler begrifflicher Natur. (...) Es war ein Widerwille, manchmal sogar eine unverholene Weigerung zu akzeptieren, dass politische Massenbewegungen sich von Zeit zu Zeit an der Idee des Hinmetzelns von Menschen berauschen. Es war der Glaube, dass Menschen auf der ganzen Welt bei der Verfolgung normaler und erkennbarer Interessen sich zwangsläufig mehr oder weniger vernünftig verhalten. Es war der Glaube, dass die Welt im Großen und ganzen ein rationaler Ort sei.“
Berman fordert nun dazu auf, den „Krieg der Ideen“ zu führen, einen geistigen, ja philosophischen Krieg. Selbstverständlich erkennt er, dass dieser die militärischen Auseinandersetzungen nicht verdrängen kann, jedoch könnte die Verbreitung liberaler Ideen und Philosophien in den islamistischen Ländern einen Druck von Innen erzeugen. Dies mag nun ein wenig idealistisch anmuten, jedoch weist Berman an dieser Stelle auf relevante Präzedenzfälle hin, die Hoffnung geben.
In jedem Falle ist dieses Buch eine ernst zu nehmende Bereicherung für jeden, der noch nicht völlig mit der Emanzipation der Menschheit abgeschlossen hat, selbst wenn Berman nun nicht unbedingt ein Vertreter der Kritischen Theorie ist und deshalb an einigen Stellen ein wenig ins Holpern gerät.

Schlaubi

Fußnote

(1) Nachfolgende Zitate aus Paul Berman, Terror und Liberalismus, Europäische Verlagsanstalt, 2004

Hinweis: Das Buch kann im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.

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last modified: 28.3.2007