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review corner Film, 1.4k

Fixsterne in der Dämmerung.


Woody Allen, 3.6k
Manhattan, Regisseur: Woody Allen, USA 1979, 92 min

Woody Allen und seine Filme

Allens Filme spielen in einen Mikrokosmos mit fünf oder sechs Fixsternen. Die Handlung orientiert sich stets an ihrer Konstellation, holt an den einzelnen Planeten Schwung und sucht sich immer neue Bahnen zwischen ihnen. Die Fixsterne sind die Identitätspunkte der Kunstfigur Allen, zugleich repräsentieren sie auf tragisch-komische Weise den Typus des Intellektuellen der Stadt New York. Dabei sind Allens Filme Darstellung und Kommentar zugleich, er spielt mit einem ständigen Augenzwinkern, das dem Publikum suggeriert, alles, was sich auf der Leinwand abspielt, solle man bloß nicht zu ernst nehmen. Durch diese ironische Brechung schafft er die Möglichkeit der distanzierten Identifikation mit seinem alter ego. Diese ist fast immer bequem und schmerzfrei, sie erleichtert für den Moment das Leiden, das das verkapselte bürgerliche Individuum im Umgang mit seinen Mitmenschen und den von diesen reproduzierten Verhältnissen erfährt. Das Milieu, das das Imago Allen repräsentiert – mag es auch noch so klein sein – kann sich seinerseits in diesem widerspiegeln und erfährt seine Probleme, bzw. dasjenige, was es als seine Probleme projiziert, ein Stück weit aufgelöst in der Komik. Man lacht über Allen und damit ein Stückweit auch über sich. Dies Lachen trägt den bitteren Beigeschmack der Affirmation der eigenen Versagungen in sich. So schlimm sei es dann ja doch nicht. Es ist in den Filmen von Allen eine Affinität zu den gebrochenen Rhythmen des Jazz, von denen Adorno einmal sagte, dass sie der Triumph des Stolperns seien. Dem Individuum werden Stöcke zwischen die Beine geworfen und es erfreut sich an seinem eigenem, erzwungenen Torkeln. Nicht umsonst spielt Allen in einer Jazzband.
Dennoch ist die Figur des ständig gegen Wände rennenden Stehaufmännchens nicht umstandslos zu verdammen. Eine der Kraftquellen Allens ist der jüdische Humor, der sich gerade durch eine gnädige Selbstironie auszeichnet und dem Pogrom insoweit entgegensteht, dass er nicht ein Lachen-über-andere ist. Man setzt sich zu sich selbst in Distanz und geht nicht völlig in der eigenen Gemeinschaft auf. Humor dient hier gerade nicht der Konstruktion von Feindbildern. Komik, die versucht, das Leiden, im Falle der Jüdinnen und Juden, das kollektive Leiden, erträglich zu machen, ohne die Ursachen dieses Leidens auf andere abzuschieben, ist allemal den deutschen Stammtischen vorzuziehen. Schwierig aber ist es, diese Struktur des Humors aufs Kino zu übertragen, denn hier herrscht die Trennung von Publikum und Darsteller. Gelacht wird eben doch primär über den anderen und nur vielleicht über sich selbst.
Woody Allens Filme sind Variationen einer Themenkonstellation und insofern die Wiederkehr des Immergleichen. Sein Imago wird dadurch zum Nicht-Handelnden, es muss spätestens beim nächsten Film wieder bei Null anfangen. Im Gesamten betrachtet ist es eine tragische Figur, wobei der Verhängniszusammenhang nicht zur Darstellung gelangt. Allen ist kein Kommunist, aber das zu sagen, heißt Eulen nach Athen zu tragen. Es gibt bei Allen jedoch trotzdem keine letztendliche Versöhnung im Bestehenden, auch wenn manche Filme ein Happy End haben. Als Fluchtpunkt und Hoffnungsträger seiner Figuren, deren Einsamkeit die Einsamkeit des modernen Menschen ist, erscheint die romantische Liebe, aber sie ist bloßer Schatten ihrer selbst. Keine Ehe mit einer längeren Halbwertszeit als ein Jahrzehnt. Zu aufgeklärt ist der New Yorker über sich selbst und die anderen, als dass er nicht wüsste, dass Liebe pathologisch ist und wenn er von selbst nicht darauf kommt, verrät es ihm sein Psychoanalytiker. Ganz ohne den Mythos des Unbedingten der Liebe kommt Allen natürlich nicht aus. Er sitzt seiner Verführungskraft auf und produziert die Traumbilder, für die Kino erfunden wurde, nur auf höherem Niveau. Wenn die Frau in „Hannah und ihre Schwestern“ dem Mann, trotz seiner Unfruchtbarkeit, in der letzten Szene ihre Schwangerschaft gesteht, dann klangen die Glocken nie süßer. Wessen Herz wird nicht weich, wenn in „Manhattan“ der mitvierziger Allen sein Liebe zur einer Siebzehnjährigen am Ende doch noch entdeckt, nachdem er sie einige Monate vorher verlassen hat. Er fängt sie auf dem Weg zum Flughafen ab, gesteht ihr seine Liebe, doch sie geht trotzdem nach London. „Sechs Monate sind keine lange Zeit. Du musst ein bisschen Vertrauen in die Menschen haben“, sind ihre letzten Worte. Dies taugt nur bedingt als praktischer Imperativ, weder in New York noch anderswo. Das Illusionäre einer solchen Aussage bleibt deutlich, dennoch erscheint in solchen Worten eine Sehnsucht, die nicht eingelöst ist. Nur das Träumen des Traums bleibt als Substitut seiner Erfüllung in der Realität.
Die Mythen des Kinos und auch des Radios sind bei Allen längst selbstreferentiell geworden. Sie sind die Mythen seiner Jugend. Wenn man etwa die „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“ von Benjamin mit „Radio Days“ vergleicht, so erscheint in beiden das bittersüße Glück der Kindheit, das später nicht mehr einzuholen sein wird. Die Form der Vermittlung hat jedoch gewechselt. Der kleine Woody träumt Radiosendungen hinterher, an ihnen findet er sein Glück, für den kleinen Walter sind es noch die Gegenstände selbst, die ein Geheimnis in sich tragen. Dies mag einen Unterschied ausmachen, tritt der Warencharakter des schreckenerregenden Telefons bei Benjamin doch noch lange nicht so deutlich in den Vordergrund, wie bei den kulturindustriell produzierten Radiosendungen Allens. Beides jedoch ist verklärt im Blick des Erwachsenen.
Allens Filme sind in ihren Fixpunkten intim, sie drehen sich fast durchweg ums Private. Der Mikrokosmos Allens besteht aus Liebe, Sex, der eigenen Ungläubigkeit, dem wöchentlichen Gang zum Analytiker und der Suche nach einem Umgang mit dem Tod. Gebrochen wird diese Regel auch nicht durch den Einbruch des Antisemitismus in diese Welt. Allen gibt ihm eine Pointe pro Film, der notwendige Umgang mit ihm gehört als privater zum Leben des Allen-Imagos dazu. Hintergrund des Allen’schen Themenkonglomerats ist die Stadt New York, die bei Allen selbst zum Mythos wird. Sie dient als Folie vor der sich das alltägliche Kammerspiel der großstädtischen Intellektuellen abspult. Und sie funktioniert als Mythos nach wie vor. Brecht konnte vor mehr als 70 Jahren hoch auf dem Moskauer Ross vom „verschollenen Ruhm der Riesenstadt New York“ schreiben und die Moskauer Bauleute der Metro als ihre eigenen Bauherren feiern. Moskau ist heute das New York, das Brecht verdammte, verloren die Strahlkraft des sozialistischen Fortschrittspathos. New York hat sich die „mühsam gebändigte sexuelle Kraft einer Dschungelkatze“ erhalten, auch wenn sich der leicht antiamerikanisch angehauchte Präteritum Brechts über die New Yorker, „dass ihr System des Gemeinwesens denselben/ Jämmerlichen Fehler aufwies wie das/ Bescheidenerer Leute“, als Präsens immer noch bewahrheitet.
New York bleibt ein Inbegriff der kapitalistischen Vergesellschaftung und in Allens Filmen tritt ein kleiner Ausschnitt daraus in Erscheinung, das liebenswerte, neurotische, kosmopolitische Milieu der Intellektuellen, die nichts von Kunst verstehen. Sie bieten sich von daher als Projektionsfläche bei der LeserInnnenschaft dieser Zeitung an, was sie zwar nicht besser macht, aber witzig bleiben sie allemal.

Wer schon immer mal wissen wollte, wie das Zitat mit dem Baseballschlägern und den Nazis wirklich lautet, das seit Jahren durch Aufrufe antideutscher bzw. antifaschistischer Gruppen geistert und letztens in Berlin sogar auf einem Transparent zu Ehren kam, sollte sich am Dienstag den 14.9 um 21.00 in der Braustraße „Manhattan“ anschauen.

mele


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last modified: 28.3.2007