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Tomorrow-Café, 1.5k

Gewalt und Gesellschaft


Bürgerlicher und kritischer Gewaltbegriff

Wenn in der Öffentlichkeit von Gewalt gesprochen wird, handelt es sich meistens nur um physische Gewalt, bei der es immer ein klares Verhältnis von einem Aggressor und einem Opfer gibt. Dabei erscheint es den bürgerlichen Ideologen so, als ob nur noch eines ihre schöne Welt der Demokratie stören könnte: die Gewalt. Dabei lassen sich die verschiedensten Gestalten der Zeitgeschichte auf einen Nenner bringen, ob dies nun Nazis, Amokläufer oder Diebe sind, wobei von jeglicher Qualität der verschiedenen Gewalttaten abstrahiert wird und somit auch die unterschiedlichsten Inhalte gleich gemacht werden. Aber gerade weil Gewalt dem gutbürgerlichen Bewusstsein als sein Anderes gegenübersteht, also was als „richtig, normal oder erlaubt“ erscheint, wird Gewalt als etwas „Außerordentliches“ wahrgenommen. Der bürgerliche Gewaltbegriff beinhaltet nur, was der bürgerlichen Gesellschaft als gefährlich oder unnütz erscheint, aber lässt jeglichen Umgang beziehungsweise jegliche Reflexion auf Gewalt- und Zwangsverhältnissen nicht zu, wodurch Gewalt auch nie als strukturelle Gewalt begriffen wird, wie es z.B. Arbeit oder Schule darstellen. Aber im Kampf gegen die Gewalt treten die totalitären Züge der Gesellschaft an das Tageslicht. Das Versprechen auf Gewaltfreiheit besteht gerade darin, diese jederzeit anzuwenden. Gewalt wird sogar legitimiert beziehungsweise unbewusst reproduziert: als strukturelle Gewalt. Die unbewusste Reproduktion der Gewalt stellt sich z.B. darin dar, dass für sie Gewalt und demokratischer Rechtsstaat miteinander fast schier undenkbar sind. Den rechtsstaatlichen Einsatz von Gewalt kann man in dem blinden – weil gegnüber den gesellschaftlichen Ursachen des Faschismus unreflektierten – Kampf gegen Nazis wahrnehmen, auch wenn dieser in einem gewissen Maße zu begrüßen ist. Dabei unterscheidet sich das Menschenbild der Schönwetterdemokraten kaum von dem der bekämpften Antisemiten und Rassisten. Denn die Schönwetterdemokraten können nur denen Toleranz entgegenbringen, die ihnen nicht gleichgestellt sind als Staatsbürger, wobei dies nur dem Minderwertigen gelten kann. Dabei geht es weniger um die Opfer von rassistischen und antisemitischen Übergriffen, sondern um das Ansehen der Nation, welches offensichtlich durch die Nazis beschädigt wird und durch die besseren Staatsbürger bekämpft gehört. Auch wenn es sich dabei um eine Form des positiven bzw. kulturellen Rassismus handelt, unterscheidet sich das Menschenbild kaum von den bekämpften Rassisten. Gewalt kann in einem bürgerlichen Verständnis also nicht bedeuten, dass Menschen ausgegrenzt oder obdachlos sind, sondern wenn Häuser oder Betriebe besetzt werden, wenn man illegal in ein anderes Land einreist oder sich Lebensmittel ohne Bezahlung besorgt. Aber das ist bürgerliche Freiheit: Wer (sich) nicht (ver)kaufen kann, hat kein Recht und kann somit auch jederzeit verrecken. Aber vor allem auch die Linken, womit u.a. die sogenannten „Militanten“ und Antiimperialisten gemeint sind, haben die Gewalt mit ihren Formen und Zielen doppelt perpetuiert. Zum einen mit der Beschuldigung des Angegriffenen (z.B. der Polizei), wobei sie doch gerade Gewalt ausüben, um dann doch letzten Endes für ein Ende der Gewalt einzutreten. Dann gibt es unter den Linken wiederum die Fraktion der Gewaltlosen. „Das aber bedeutet, dass die Predigt der prinzipiellen Gewaltlosigkeit die bestehende institutionalisierte Gewalt reproduziert.“ (Herbert Marcuse) Ein Begriff von Gewalt darf weder affirmativ, noch negierend im Sinne von Gewaltlosigkeit sein, sondern muss die wechselseitige Bedingtheit von bürgerlicher Gesellschaft und Gewalt reflektieren und darf sich auf keine der beiden Doktrinen einlassen.

Gewalt und die warenproduzierende Gesellschaft

Aber gerade die Wurzeln des warenproduzierenden Systems, wie es selber auch, beinhalten die Anwendung von Gewalt, wie z.B. die barbarische Durchsetzungsgeschichte der Arbeit, in der abermillionen von Menschen in Arbeits- und Zuchthäuser gepfercht wurden. Aber auch jegliche Form öffentlicher Ordnung basiert auf Gewalt- und Zwangsverhältnissen, wie es vor allem die Optionen kapitalistischer Krisenbewältigung von Krieg oder Faschismus darstellen.(1) Beide stehen zwar scheinbar der Demokratie als ihr Gegensatz gegenüber, sind aber deshalb nicht unkompatibel mit dem Kapitalverhältnis.
Gewalt war der bisherige „Motor der Geschichte“, wodurch die Gewalt den Menschen als etwas dem Menschen innewohnendes beziehungsweise natürliches erscheint. Dadurch wird der Mensch von den Gegnern der Gewalt als ein von Natur auf gewalttätiges Wesen gebrandmarkt, das es zu bändigen gilt. Das kann in seiner Konsequenz nur eine Affirmation des Rechts und somit auch des Staates bedeuten. Und ein Bekenntnis zu Staat und Demokratie ist immer auch ein Bekenntnis zu Gewalt- und Zwangsverhältnissen. Gewalt aber auszuschließen, wobei sie für jeden alltäglich und real vorherrschend ist, ist entweder total blind oder einfach nur dumm, auch wenn man sich ihr gerne entledigen würde oder dies einfach auch nur zum guten demokratischen Jargon dazugehört. Gewalt kann also nur insofern legal sein, als dass sie durch die staatliche beziehungsweise kapitalistische Ordnung toleriert, genehmigt oder vorgeschrieben wird. Dabei ist die staatliche Gewalt durch das Recht gesichert. Das Gewaltmonopol Staat garantiert also nicht das Ende von Gewalt, sondern bestimmt nur die Grenzen dessen und bestraft disfunktionales beziehungsweise destruktives Verhalten, welches sich natürlich nur nach den kapitalistischen Verkehrsformen richten kann, um diese zu sichern beziehungsweise zu garantieren. Gewalt ist somit notwendiger Bestandteil der bürgerlichen Epoche. Der Staat ist demgemäß ein Regulierungsinstrument der Gewalten, aber stellt nicht irgendeine Machtausübung einer herrschenden Klasse oder sonst etwas dar, sondern ist notwendige Vorraussetzung kapitalistischer Verwertung, wobei diese für die Ausübenden selbst ein unbewusstes respektive fetischistisches Verhältnis darstellt. Demzufolge können Gewalt und Recht auch in keinem Gegensatz zueinander stehen, sie sind sich gegenseitig Mittel und Zweck, weshalb Gewalt eine unabdingbare Vorraussetzung des Rechts ist, denn will sich Recht durchsetzen, benötigt es Gewalt. Somit lässt sich feststellen, dass die Gewalt eng mit dem Wertgesetz zusammenhängt, denn ist sie gesellschaftlich verwertbar beziehungsweise kompatibel hinsichtlich von Profiten oder einem positiven Bruttoinlandprodukts, wird sie toleriert, ja gefördert, aber wendet sie sich dagegen, wird sie verfolgt. Gewalt ist dabei für die bürgerlichen Apologeten nicht, was der Verwertung dient, sondern Gewalt ist, was die Verwertung stört. Kapitalistische Gewalt ist nicht abzuschaffen durch die geforderte Maxime der Hippies und Schönwetterdemokraten: „keine Gewalt“. Sie akzeptieren nur diejenigen Formen nicht, die die kapitalistischen Verwertungsbedingungen stören, andere jedoch, auf die sich der Kapitalismus notwendigerweise stützen muss, werden affirmiert. „...es beweißt, dass die Gewalt nur als Mittel, der ökonomische Vorteil dagegen der Zweck ist. Um soviel fundamentaler der Zweck als das seinetwegen angewandte Mittel, um ebensoviel fundamentaler ist in der Geschichte die ökonomische Seite des Verhältnisses gegenüber der politischen.“ (Friedrich Engels) Hierin stellt sich gerade dar, dass Gewalt und Recht ihrem Wesen nach das Gleiche sind, nämlich Formprinzipien zur Durchsetzung gesellschaftlicher Gesetzlichkeit oder, um es in den Worten von Robert Kurz zu sagen: „Die Demokratie kann in ihrem Kern gar nichts anderes sein als ein Gewaltverhältnis zur Garantie des Werts.“ Dadurch kann auch die Gewaltlosigkeit des Bürgers keine reflektierte Gewaltfreiheit einer emanzipierten Gesellschaft darstellen, sondern ist notwendiges Element des Warenbesitzers. Gewaltlosigkeit ist nur die individuelle Pflicht innerhalb einer gewalttätigen Gesellschaft.

Wie mit Gewalt umgehen?

Somit ist auch die Gretchenfrage, wie man es denn mit der Gewalt hält bzw. ist die Frage nach einem Ja oder Nein zur Gewalt, die falsche. Denn der Einsatz von Gewalt ist abhängig von bestimmten Situationen beziehunsweise davon, ob sie unumgänglich oder gar notwendig ist. Ein Abschaffen der Gewalt kann nur ein Abschaffen der bestehenden Verhältnisse bedeuten, der Rest ist reine Affirmation. Freiheit ist demzufolge auch keine Demokratie, Gewaltfreiheit somit auch nicht mit dem Dogma der Gewaltlosigkeit zu verwechseln. Dies bedeutet, sich auf „...kein demokratiebesoffenes ‚Nein zu‘, aber auch kein autonomiebetroffenes ‚Hoch die‘...“ (Franz Schandl) zu beziehen. Ein absoluter Gewaltverzicht ist in den heutigen Verhältnissen nicht möglich und sollte auch nicht propagiert werden. Gewalt stellt aber immer auch ein Spektakel dar, gerade weil sie an ihre ureigensten Vorraussetzungen erinnert. Sie erhält also gerade ihre Aufmerksamkeit, weil sie als das Gegenteil der bürgerlichen Gesellschaft wahrgenommen wird. Deshalb sollte ein bewusster Umgang beziehungsweise eine Auseinandersetzung über Gewalt stattfinden, die auf deren ureigenste Ursachen schaut und reflektiert, was bei Gewalt eigentlich von Interesse ist. Falls Gewalt von jemandem ausgeübt werden sollte, sollte dies reflektiert geschehen, wobei sie aber nie „ernsthafte“ Kritik oder irgendeine Form von einem revolutionären Umbruch sein kann. Dabei kann sie höchstens dem individuellen Aggressionsabbau (aber nicht gegen Menschen) oder einer Vereinfachung des Lebens in der falschen Gesellschaft, wie z.B. durch kostenlosen Erwerb von verschiedenen Waren, dienen. Die Anwendung von Gewalt (oder von dem, was darunter verstanden wird) liegt aber in der individuellen Entscheidung eines jeden Einzelnen und soll hier keineswegs hofiert beziehungsweise befürwortet werden. Dabei sollte die Kritik von Gewalt aber nicht personifizieren, sondern sich gerade gegen die bürgerliche Gewaltlosigkeit innerhalb einer gewalttätigen Gesellschaft aussprechen und sich negativ auf diese Gesellschaft beziehen. Aufgabe kommunistischer Kritik kann es nur sein, Kapitalismus als Ganzes zu kritisieren und nicht nur seine immanente Gewalt zu verurteilen, um ihr eine bessere Gewalt entgegenzuhalten. Es muss Aufgabe kommunistischer Kritik sein, die inneren Widersprüche dieser Gesellschaft zu denunzieren, indem sie ihre Verbindung von Gewalt und Gewaltlosigkeit in Recht und Moral entlarvt. Sie fasst und verwirft Kapitalismus als historisch gewordenes System und setzt diesem keine Entwürfe einer besseren Gesellschaft vor, sondern kritisiert gerade, dass sich jegliche Verbildlichung einer emanzipierten Gesellschaft nach kapitalistischer Rationalität richtet.

Robert F.

Fußnote:
(1) Die Aufzählung soll als keine Gleichsetzung verstanden werden. Es gibt auch keine logische Notwendigkeit für diese Formen der Krisenbewältigung, welche aus dem Kapital abzuleiten wären oder sich notwendig aus ihm heraus ergeben würden. Die Problematik spezifisch deutscher Krisenbewältigung soll hierbei nicht erörtert werden, aber es sollte noch erwähnt werden, dass es notwendige Kriege gibt, um die Möglichkeit der Emanzipation zu verteidigen, wobei dies immer nur auf dem Boden einer falschen Gesellschaft geschehen kann.



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last modified: 28.3.2007