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Kultur-Report, 1.7k

Zur Kritik der Entenhausener Verhältnisse


I. Neues aus Entenhausen...

Im Zuge der fortgeschrittenen gesellschaftlichen Regression und dem Aufschwung der romantisch-antikapitalistischen Bewusstseinsform besinnen sich Leute, für die der Kapitalismus nur zweite Wahl ist, zum Teil eher reflexartig – das ist nichts Neues – auf die Segnungen der US-amerikanischen Zivilisation als liberaler Musterkultur. Es reicht aber nicht aus, durch offensive Verwendung US-amerikanischer Symbolik seine zweifelsfrei doofe Umwelt zu schockieren. Man sollte auch einen kritischen Blick auf die vom „gesunden Volksempfinden“ stigmatisierte Fracht werfen. Beide
Taugt Entenhausen, 16.2k

... für die Kritik?, 17.2k
Haltungen sind zwar dem antiamerikanischen Ressentiment vorzuziehen, genaueres Hinsehen verringert jedoch die Gefahr des bürgerlichen backlashs, i. e. die Gefahr der Verdrängung der kapitalistischen Katastrophe aus Angst vor derjenigen, welche sich seiner Überwindung (Vollstreckung) in der Volksgemeinschaft verschrieben hat. Nur so ist auch der eventuell vorhandene kritische Splitter in dem ein oder anderen Produkt des „Kapitalismus ohne schlechte(m) Gewissen“(1) zu erkennen. In diesem Text soll versucht werden, Entenhausen, eines der bekanntesten Produkte amerikanischer Kulturindustrie, daraufhin abzuklopfen und seine kritische Rezeption fragmentarisch zu beleuchten. Nicht nur, wer ein lückenloses Buchrückenpanorama stolz sein Eigen nennt, kann sich leicht eine Vorstellung machen von den gigantischen Ausmaßen, die ein solches Unterfangen annähme, wollte man es in seiner Gänze behandeln.
Die Überlegungen beschränken sich auf die Entenhausener Klassik (bis in die 70er Jahre), seine Blütezeit unter dem Zeichner Carl Barks, da hier die für die Betrachtung relevanten Züge der Figuren am deutlichsten heraustraten und die wohl aus relativem Bedeutungsverlust resultierte Hybris der Duck-Geschichten (erinnert sei nur an „Phantomias“) noch nicht spürbar war. Auch die langweilige Lebenswelt des ewigen Saubermanns Micky Maus wird nur als ein Kontrastmittel dienen, das die Charakteristik der Entenwelt hervorzuheben hilft.

II. Dirt behind the daydream?

Der in den späten 60er Jahren im Westen einsetzende Boom der materialistischen Wissenschaft brachte mit seiner neuen Herangehensweise an Phänomene der Populärkultur bald Publikationen zur Ideologiekritik der Comics hervor.(2) Deren Ergebnisse grob zusammenfassend lässt sich sagen, dass Entenhausen (engl. Duckburg) ein Klischee der amerikanischen middleclass ideology ist, die allerdings im Falle der Ducks mit unübersehbaren Anklängen des romantisch-antikapitalistischen Ressentiments durchsetzt ist. Entenhausen ist ein Idyll der Mittelmäßigkeit, wo zwar die Kräfte von Glück (im Falle Gustav Gans) und Pech (im Falle Donald Duck) die ökonomische Existenz determinieren(3), unter dessen rechtschaffenen BewohnerInnen es jedoch als ausgemacht gilt, dass wahre Freude nur als immaterielles Glück zu haben ist, „Hochmut vor dem Fall kommt, unrecht Gut nicht gedeiht und ehrlich immer noch am längsten währt“.(4) Dies beweist z.B. das ständige Scheitern der Panzerknacker AG oder Gustav Gans’ Glücklosigkeit, wenn es um das „wahre“ Glück der Liebe, sein Verhältnis zu Daisy geht.
Im Gegensatz zu den Geschichten mit Micky jedoch, in denen die Anforderungen des middleclass-Idylls und das individuelle Streben der Helden identisch sind, weshalb die Spannung ihrer plots sich auch stets extern, in Detektivgeschichtchen, entwickelt, beziehen die Geschichten der Ducks ihren Schwung aus Konflikten, deren Ursprung wesentlich in den individuellen Unzulänglichkeiten ihrer Akteure liegt. Daraus motiviert entstand, ebenfalls zu Beginn der 70er Jahre, eine satirische psychoanalytische Deutung des Duck-Clans, deren Ergebnisse für uns positiv wie negativ wegweisend sind.(5) Negativ hervorzuheben ist neben ihrer unkritischen Haltung zur Personalisierung des Kapitalverhältnisses besonders ihr auf die schiefe Bahn geratener Materialismus. In Ablehnung des Begriffs des Schicksals, entsorgt dieser auch den notwendigen Begriff des Zufalls und offenbart so einen Hang zum Verschwörungsdenken. Gustav Gans wird, da seine ständigen Lotteriegewinne und Brieftaschenfunde schlecht glücklicher Zufall sein können, kurzerhand zum Agent des allmächtigen CIA erklärt, der ihn mit seiner (man erinnere sein geschniegeltes Auftreten) – wie könnte es anders sein – homosexuellen Neigung erpresst.(6)
Vom Pechvogel Donald hingegen zeichnet die Literatur ein wesentlich detaillierteres Bild: Donald hat es nicht gelernt, seine Es-Wünsche in die erforderliche Balance mit den Über-Ich-Befehlen zu bringen. Ich-schwach „schwankt (er) zwischen infantilen Rückzugsbedürfnissen, vagen Allmachtsphantasien und übermotivierter Beflissenheit hin und her. Er möchte aus dem ständigen Zwang zur Arbeit ausbrechen, (...) aber er verurteilt seinen Ausbruchsversuch selber, noch ehe er ihn zu Ende gedacht hat.“(7) Seine nicht zu Ende gebrachte Sozialisation prädestinieren ihn zum Unterlegenen mit der psychischen Struktur des latent faschistischen, autoritären Charakters. Sein Matrosenhemd symbolisiert sein Steckenbleiben in der vorpubertären Entwicklungsphase, dem auch sein Verhältnis zu Daisy Duck entspricht. Es verbleibt auf dem biederen Niveau einer Tanzstundenfreundschaft. Nicht nur in der Beziehung dieser beiden spielt der tabuisierte, unterdrückte und daher fehlgeleitete Sexualtrieb eine wichtige Rolle. Alle Hauptfiguren sind dem Kindchenschema folgende, von Sexualität und Lust scheinbar freie Wesen. Bekleidung im Schambereich ist den Ducks selbst auf ihren zahlreichen Polarexpeditionen fremd. Onkel Dagobert, Typus des autonomen Unternehmers und self-made-Millionärs der guten alten Zeit, ist ein besonders tragisches Beispiel für die Lebensfeindlichkeit der kapitalistischen Verhältnisse. In einer Gesellschaft der Verdinglichung – Ententlichung – der Verhältnisse hat er seine Liebesfähigkeit zu anderen Enten nahezu völlig eingebüßt. Er lebt seine Lust in den Goldbädern aus, deren sexualisierter Charakter zu Tage tritt als er sie, wegen der Goldverstopfung seiner Poren einen Arzt aufsuchend, verleugnet.(8)
Der Versuch wurde gemacht, die junge Generation der Ducks, Donalds Neffen Tick, Trick und Track (Verwandschaftsverhältnisse ersten Grades gibt es nicht) als antiautoritäre Identifikationsobjekte zu etablieren. Dies ist jedoch nicht haltbar. Zwar sind sie ausgeglichener, besser an die Verhältnisse angepasst und weniger autoritätsgläubig als Donald, gegen dessen durchschaubare Pseudo-Autorität sie beständig rebellieren. Doch bleibt ihre Rebellion stets konformistisch, richtet sich also gegen das Präfix Pseudo- und nicht gegen die Autorität an sich. Ihre theorieloser Pragmatismus lässt sie in der Auseinandersetzung mit Dagobert allenfalls gegen jene Geschäfte meckern, die sich in einer legalen Grauzone abspielen, doch ihre naive Boyscoutmoral steht mit der Entenhausener Ideologie und den Absichten Dagoberts in Einklang, denen sie unbezahlt sich und das Know How des Schlauen Buches zur Verfügung stellen.
In noch stärkerem Maße als Gustav Gans regt der reiche Onkel Dagobert die Phantasie der Verschwörungstheoretiker an. Der Umstand, dass sein amerikanischer Name Uncle Scrooge, benannt nach dem Läuterung erfahrenden Geizkragen Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens Weihnachtsgeschichte, sich U.S. abkürzt und andere, ähnlich schlagkräftige Beweise machen dann auch den Hauptgehalt so nützlicher Bücher wie „Welteroberung aus Entenperspektive“(9) aus. Die Methode des letztgenannten Werks folgt formell jener, welche Produkte lediglich im Raster des Klassengegensatzes betrachtet, wobei der Verdacht auf unzureichende Berücksichtigung desselben sie als Blendwerk gegen die proletarische Revolution ausweist. Die Kategorien der antiimperialistischen Lesart sind Klassen aber nur dem Namen nach, die Dichotomie heißt hier: Unterdrücktes Volk und Imperialist. Aus welchen psychologischen Motiven dieser handelt liegt auf der Hand: Es ist die „Pornographie der Macht“, die Profitgier. Sie „erregt Dagobert; seine Vorbereitungen für die Reise sind das Vorspiel zu aufregenden Abenteuern, deren Höhepunkt in der Besitznahme jungfräulicher Länder und Völker ist.“(10) Indem jeder relevante Punkt unserer Erlebniswelt sich nach einem geheimnisvollen Duck-Code chiffriert wieder finden soll, wird die Welt der Enten als Parallele zur eigenen (nicht verstandenen) Wirklichkeit betrachtet. Unstimmigkeiten werden übersehen oder zurechtgebogen. Der rassistischen Stereotypen folgende Exotismus, mit dem die BewohnerInnen der von den Ducks auch in akkumulatorischer Mission bereisten Expeditionsgebiete gezeichnet werden, sollte nicht geleugnet werden. Nur zu offensichtlich sind jedoch die Starrheit und der Rassismus seiner antiimperialistischen Kritiker. Das zeigt sich z.B. in ihrer „Übersetzung“ der 1950 erschienenen Geschichte „Die magische Sanduhr“, zu der sich Barks offensichtlich von den Konflikten um das Öl des Nahen Ostens inspirieren ließ. Die Rebellen in der Geschichte könnten „nationalistische ägyptische Guerilleros sein, die die amerikanischen Ölfirmen aus dem Land vertreiben wollen, während die von Dagobert angeheuerten Männer (auch wenn sie eher arabisch aussehen) die von Amerika unterstützten Israeli sein könnten, die im arabisch-israelischen Krieg Ägypten schlugen.“(11) Selbstverständlich kommen in diesen munteren Projektionen historisch seriöse Überlegungen genauso wenig vor wie all jene Tatsachen, die dem falschen Bewusstsein noch mehr auf die Nerven gehen als Besuch, der die Schuhe nicht auszieht – Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust.(12) Hinter einer impliziten, durch nichts zu rechtfertigenden Nachkriegszäsur, der zu Folge vorher „alles irgendwie anders war“ und daher nun, gleichwohl schlimm, irrelevant sei, verschwinden die geschichtlichen Hintergründe Israels, das sich vor dem azurblauen Himmel der Mittelmeerküste ausnehmend gut als imperialistischer Brückenkopf macht. „Konzentrationslager“ kommen nur im Zusammenhang mit der Ermordung der nordamerikanischen Indianer und anschließend in Korea und Vietnam vor. Die hochkriminelle „Colaisierung“ der Dritten Welt bleibt nicht ohne Folge, „die lebendige nationale und ethnische Identität ihrer Bewohner ist ausgelöscht“.(13) Gerne wird auch die Verhandelbarkeit des Betrachterstandpunkts ignoriert. Die Möglichkeit, sich in mehreren Personen der Handlung, oder eben in keiner, in der Abgrenzung zu allen auszuleben, wird überhaupt nicht in Betracht gezogen.(14) Geradezu unüberwindbar scheint dem Bewahrer des Glücks ihrer „nationalen und ethnischen Identität“ der Zwang der Subalternen zu sein, sich humoristisch vertröstet mit dem ewigen Versager Donald zu identifizieren und die eigene Lage so noch hoffnungsloser zu machen.

III. „…if I die, I die“

Für im Bereich der Feld-, Wald- und Wiesendialektik Bewanderte wird es keine Überraschung darstellen, dass ausgerechnet jene der Verwertung zuträglichste Eigenschaft der Duckgeschichten den Abdruck des Gummistiefels der Hoffnung trägt. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass die Abenteuer der Ducks, auf den Nährboden der unkritischen Betrachtung fallend, ihren affirmativen Charakter entfalten. Doch bin ich versucht, ihre Ambivalenz anzuerkennen, die Kraft der unverhüllten Antagonismen besteht, deren scheinbare Auflösung im Bestehenden – die Methode der Ideologie – nicht spurlos vollzogen ist. Entenhausen muß nicht falsch chiffrierte Wirklichkeit, sondern kann auch wirklich chiffrierte Falschheit sein, ein Chiffre des gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs. Es ist vergleichbar einer Traumwelt, die im Konkreten realistisch erscheint, deren surreales Wesen sich jedoch in ihren absurden Kategorien widerspiegelt. Müßig auch, sich über das mangelnde Klassenbewusstsein der Entenhausener zu beklagen, da der Kapitalismus eben unter spezifisch menschlichen Bedingungen zur Katastrophe wird, die er für die unsterblichen Entenhausener nicht sein kann. Die Lust, welche die Menschen antreibt und der sie beschränkende Tod sind ihnen fremd. Ihre Verhältnisse, in denen bürgerliche Lustfeindlichkeit und Todesverleugnung sich als Realität versuchen, sind versteinerter als unsere es je sein können. Und trotzdem sind die Bewohner des desexualisierten Middleclass-Idylls neurotisch. Es sind die Friktionen der Entenhausener Verhältnisse, die objektive Unvereinbarkeit ihrer individuellen Wünsche und der lebensfeindlichen Verhältnisse, welche, verbunden mit der Überwindung des Zwangs zur identifizierenden Lesart, die Möglichkeit bieten, Entenhausen nicht als humoristische Sublimation sondern als Satire auf die Zurichtung der Menschen zu betrachten, aus deren Distanz sich das in den Stereotypen widerscheinende Licht des falschen Bewusstseins bricht. Der auf der Stadt lastende Fluch der Stagnation wird so zur Konsequenz aus Donalds autoritärem Charakter, Onkel Dagoberts groteskem Fetischismus, Oma Ducks Geschwätz von der guten alten Zeit, Primus von Quacks positivistischer Fachidiotie und Daniel Düsentriebs einfältiger Technokratie. Auch die Rolle von Tick, Trick und Track, den antiautoritären role models von einst, erscheint wenig erfreulich, betrachtet man sie vor dem Hintergrund der Auflösung ihrer Individualität. Sie finden ihre Identität nur als Gruppe, und zwar gleich zweimal. Die Drillinge sind an ihren verschiedenfarbigen Kappen unterscheidbar, doch nur so lange sie nicht als Mitglieder ihrer paramilitärischen Pfadfinderorganisation Fähnlein Fieselschweif (engl. Junior Woodchucks) auftreten. Darum soll es jetzt aber nicht mehr gehen, denn es „ist gut, materialistischen Untersuchungen einen abgestumpften Schluß zu geben.“(15)

Giostone

Fußnoten:
(1) Zit. nach: Leo Löwenthal: Mitmachen wollte ich nie, Frankfurt 1980, S. 137.
(2) Besonders empfiehlt sich: W.U. Drechsel, J. Funhoff, M. Hoffmann: Massenzeichenware (MZW); Die gesellschaftliche und ideologische Funktion der Comics, Frankfurt 1975. Auf den Seiten 24 bis 59 wird u.a. die Entenhausensche Ideologie aufschlussreich gegen die Barbarei der „Fix und Foxi“-Geschichten kontrastiert
(3) Vgl. hierzu: Roger Behrens: Emanzipatorische Praxis und kritische Theorie des Glücks, in: krisis Nr. 26, Bad Honnef 2003, S. 84ff.
(4) Zit. nach MZW S. 44.
(5) Grobian Gans: Die Ducks. Psychogramm einer Sippe. Reinbek bei Hamburg 1972.
(6) Grobian Gans S. 68. Donalds Pech wird nicht aus der Präsenz dunkler Mächte hergeleitet. Die CIA-These wird in der seriösen Literatur nicht übernommen.
(7) Zit. nach MZW S. 45.
(8) Vgl. Abbildung aus: G. Gans, a. a. O., S. 25.
(9) David Kunzle: Carl Barks, Dagobert und Donald Duck; Welteroberung aus Entenperspektive. Frankfurt 1990.
(10) Beide Zitate in: Ders. S. 30.
(11) Ders. S. 59.
(12) Dies obwohl jedeR Comic-Interessierte um die Anti-Nazi-Trickfilme in den USA, die auch in den Disney-Studios produziert wurden, weiß (z. B. „Donald gets drafted“, 1943).
(13) Ders. S. 67, 43, 39. Siehe hierzu auch die Abbildung aus „A spicy tale“ (1962).
(14) Vgl. z.B. H. R. Brittnacher, Ästhetik des Horrors, Frankfurt 1994, S.126.
Dort wird die Identifikation des/der LeserIn von Vampirgeschichten als oszillierend bezeichnet, d.h. sexuelle Neigungen werden in der Identifikation mit antagonistischen HandlungsträgerInnen ausgelebt (Gewaltphantasien in der Identifikation mit dem/der VampirIn, Unterwerfungsphantasien in der Identifikation mit dem Opfer).
(15) Zit. nach: Walter Benjamin: Das Passagenwerk, Frankfurt 1982, S. 592. Der Autor gesteht ein, dass er in diesem Text Ansätze verwendet, deren Entstehung vermutlich nicht völliger Unkenntnis, sondern vielmehr einer diffusen Ahnung der Benjaminschen Kategorien entspringt. Er gibt zu, aus Faulheit hierfür keine Belegstellen herausgesucht zu haben.

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last modified: 28.3.2007