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Kultur-Report, 1.7k

Mit Verstand und Zahnschutz...


zur Buchmesse... oder beides zu Hause lassen


Abraham -Abi- Melzer, 21.2k „Buchmesse feiert Rekorde“. So titelte die Leipziger Volkszeitung über eins ihrer liebsten Kinder. „Besucherrekord“ und „verdoppelte Fläche und Kapazität“, das dürften nur zwei jener angepriesenen Rekorde gewesen sein, so man denn das Gewäsch eines der literarisch anspruchslosesten deutschen Tagesblätter ernst nehmen kann. Tatsächlich war die Buchmesse das, was man allgemein vom derzeitigen deutsch-ideellen Gesamtliteraturhaushalt erwarten und dem Subtext anderer Tageszeitungen entnehmen kann – lau-langweilig. Und hätte man seinen Frieden mit Kulturindustrie, intellektueller Friedenssehnsucht und Antiamerikanismus gemacht, so hätte man dem auch ohne weiteres zustimmen können. Wenn da nicht, ja wenn da nicht wieder jene Klientel zuhauf auf sich aufmerksam gemacht hätte, der am besten das Maul gestopft oder zumindest die Bücher um die Ohren gehauen gehört.
Beispielhaft für jene stehen die „Ketzer“ vom Ahriman-Verlag, die auch dieses Jahr wieder mit dem Slogan „Unser Programm ist die Wiederkehr des Verdrängten“ warben. Dass das im Falle dieses Verlags durchaus ernst gemeint ist und man sich vor diesen Faschisten und deren Verdrängtem tatsächlich zu fürchten hat, offenbart ein Blick ins hauseigene Prospekt. Wer die antisemitische Hauspostille „Ketzerbriefe“ schon mal aus der Nähe betrachten durfte oder die vom Verlag unterstützten Idioten vom „Roten Forum“ kennt, die die Tätowierung von HIV-Infizierten als Maßnahme zur Seuchenbekämpfung vorschlagen, der weiß, dass diese Faschisten mit zum Schlimmsten gehören, was sich in der deutschen Verlagslandschaft so tummelt. Guru Hoevels und seine Mitarbeiter-Sekte, die u.a. ans „Vierte Reich“ glauben, spielen wirklich aller erste Liga in Sachen Verschwörungstheorien. Der „Bund gegen Anpassung“, der ebenfalls mit dem „Roten Forum“ und dem Ahriman-Verlag verbändelt ist, weiß mit ähnlich dummem Zeug aufzuwarten. Jene Vereinigung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Spektrum sozialrevolutionärer Ethnologiestudenten zu rekrutieren beliebt, stieß kürzlich beim Versuch, sich an Leipzigs Universität ins Gespräch zu bringen, auf Widerstand aus dem bürgerlichen Lager, wie eine empörte Stellungnahme des „Bundes“ (www.bund-gegen-anpassung.com) zu einer Veranstaltung der hiesigen Luxemburgstiftung verlautbaren lässt. Darin heißt es bezüglich der Rolle der SPD bei der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg: „Die SPD war der Steigbügelhalter des Faschismus und deshalb noch verächtlicher und verkommener als dieser (der aus seinen finsteren Absichten ja nie ein Hehl gemacht hat) – das und nur das ist die Substanz der Sozialdemokratie und ihre ‘historische Mission’. Dieser Satz ist absolut richtig, von Wilhelm II. bis Bush junior.“ Was sagt einem dieser Kinder-linke Sprech? Was „absolut richtig“ ist, ist wirklich auch richtig, besonders wenn es gegen die SPD geht? Eine Mitgliedschaft in besagter Partei ist schlimmer als die in der NSDAP bis ’45? – Man möchte es lieber nicht erfahren. Im obligatorischen Flugblatt gegen den Irakkrieg sprach dieser Verein wahnhafter Antiimperialisten von „Massenmordvorbereitung“ seitens der US-Administration und dem „Gedächtnis der Völker“, das sich die „ewige Schande zur Strafe“ gegenüber Bush und Co. vorbehalte. Zugleich aber will man sich dem Verdacht des Antiamerikanismus wie folgt entziehen: „Kurzum: wir haben nichts gegen US-Amerikaner, wenn sie als Touristen kommen oder anderweitig ihre Waffen und Erpressungen zuhause lassen. Wie alle anderen Nationen.“ Und auch der Ahriman-Verlag, seines Zeichens ideologischer Wegbereiter solcher Idioten, wusste bis zuletzt noch wie man dem „verdienstvollen Saddam Hussein, der eben jene Kräfte des tatsächlich und kategorisch menschenrechtsfeindlichen Mittelalters in seinem Land mit notwendigerweise harter Hand niederhielt“ zu begegnen hat. In einer Veröffentlichung des Verlags, die sich „Kriegsverbrechen der Amerikaner und ihrer Vasallen gegen den Irak und 6000 Jahre Menschheitsgeschichte“ nennt, kann man im Vorwort u.a. folgendes lesen: „Über zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung steht die 4. Auflage dieses Buches im Schatten der von den USA betriebenen Endlösung (!) des Irak. Die Kriegsverbrecher in Washington und ihre europäischen, mehrteils sozialdemokratischen Gauknechte (!) schicken sich an, mit der Vernichtung (!) des Irak die Herrschaft des US-Monoimperialismus für das dritte Millenium zu zementieren.“ Die Autoren und offensichtlichen Freunde der einstigen Saddam-Clique, reisten 2000 in den Irak, um dem dortigen Kultus- und Informationsministerium feierlich eine Ausgabe ihrer „wohldifferenzierten“ Studie zu überreichen. Die „Ketzerbriefe“ berichteten vom freundlichen Empfang der dem Verlag wohlgesonnenen Gastgeber.
Ebenfalls auf der Bücherschau anwesend und durch fleißiges Relativierungsgefasel auffallend, Herr Melzer vom Melzer-Verlag höchstpersönlich. Auf Anfrage hin bezeichnet er, der selbst Jude ist und dies auch immer wieder in Diskussionen betont, die Politik Israels als faschistisch und menschenverachtend. Die Palästinenser seien im Gegensatz zu den Israelis ein sehr geduldiges Volk und in ihren Anliegen zu verstehen, weiß er neugierigen Besuchern seines Verlagsstandes zu berichten. Eingerahmt von einer stattlichen Menge des beim Suhrkamp-Verlag nicht mehr aufgelegten Terror-Buches von Ted Honderich alias „Terror Ted“, der die Selbstmordattentate der Palästinenser ein ums andere Mal moralisch rechtfertigt, sitzt Herr Melzer in seinem kleinen Eckchen und plaudert mit unbedarften Messebesuchern über den Nah-Ost-Konflikt.
Doch auch anderes war diesmal neben den zumeist mehr als dürftigen Neuerscheinungen der Pipers, DTVs, Eichborns etc. auf dem Messeareal zu bewundern. Etwa ein Viertel des Ausstellungsraumes nahmen sogenannte Rollenspiel-, Fantasy- und Comicverlage ein, die dem jungen Publikum einiges zu bieten hatten. – Ein wohldurchdachter Coup der Messeveranstalter, die so recht plausibel erklären konnten, auch die Jüngsten würden wieder zum Medium Buch zurückfinden. Dass von Büchern im Zwergen-Bereich fast nichts zu sehen war und stattdessen eher komisch verkleidete Figuren die Szene bestimmten, tat der Euphorie in Sachen Kinder- und Jugendliteratur keinen Abbruch. Die RTL- und KIKA-süchtigen Zwerge hat’s wohl gefreut, wie auch die mitten im Kindergetümmel sitzenden ungepflegten und kurzsichtig blinzelnden Rollenspiel-Nerds.
Und – ja da war doch noch was. Die Eröffnungsfeier der Messe oder besser gesagt die ehemalige lettische Außenministerin Kalniete brachte den Zentralrats-Vize Salomon Korn derart in Rage, dass dieser den Festakt verließ. Verständlich, setzte Kalniete doch in ihrer Rede die auf Völkermord hinauslaufenden Verbrechen unter Hitler und Stalin gleich. Die beim Vernichtungskrieg gegen die Juden eigens eingesetzten lettischen SS-Kommandos hat man anscheinend in Lettland sehr schnell vergessen. Der feuilletonistisch sonst so bedachten Welt war dieser „kleine Eklat (...) wenigstens ein bisschen politische und intellektuelle Erregung“ in einer ansonsten „trüben Stimmung aus Fatalismus und Überdruss.“
Alles in allem hätte man getrost zu Hause bleiben können in der weisen Voraussicht auch nächstes Jahr und die Jahre darauf zu Hause zu bleiben. Literarische Köstlichkeiten sind heute schließlich über Internet erhältlich, anders als zu Zonen-Zeiten als man nur auf der Buchmesse bettelnder oder klauender Weise an manches Buch rankam. Heute kann man auf das ganze Spektakel verzichten, wohl wissend, dass man nichts zu erwarten hat von einer Buchmesse, die Michael Moore einen Preis für das beste Sachbuch verleiht.

Roman


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last modified: 28.3.2007