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das Erste, 0.9k

Was sagt Terror-Ted dazu?


Es kommt zu dir nach Haus, 28.0k

Es! Das Böse? Das Abstrakte? Die Juden? – soziale Bewegung und ihr Ressentiment
Gemeint ist nicht das durchdrehende Zuschauerbefragungssystem aus vergangnen Zeiten öffentlich-rechtlicher Unterhaltung, sondern ein Mann namens Ted Honderich. Der ist kanadischer Philosophieprofessor und hat eine moralphilosophisch verbrämte These in die Welt gesetzt, nach der palästinensischer Terror moralisch gerechtfertigt sei. Professor Georg Meggle von der Universität Leipzig und Honderich selbst stellten sie zusammen in aller akademischen Entspanntheit auf einer Veranstaltung zur Diskussion. Gegen diese Ungeheuerlichkeit demonstrierten nicht wenige jüngere Menschen mit Zwischenrufen und einem Transparent: „Toleranz tötet: Keine Diskussion mit Antizionisten!“
Das Bestürzende dieses Tages ist nicht Honderichs Terrormoral, die ist sowieso indiskutabel, sondern sind Organisator und Publikum des Spektakels. Diese Studenten und ihr Meggle wissen nicht, wie elend und erbärmlich sie sind, die einen beklatschen jeden Ordnungsruf jedes pluralistischen Hanswursts, der andere zeichnet in Kindergartenmanier völlig unsinniges Zeug auf eine Folie (bspw. eine Mengendarstellung: palästinensischer Terror ist Element von Terror, Terror ist Teil von Gewalt und Gewalt ist Teil des Prinzips der Humanität).
Überhaupt schießt Georg Meggle, Anführer der akademischen Volltrottelbrigade, den Vogel ab. Zusammen mit einer herzallerliebst zonig wirkenden „Monika“, die als Prorektorin vorgestellt wird, allerdings sehr viel mehr von einer Pionierleiterin hat, rügt er jeden, der für ihn und seinen verschwurbelten Scheiß nur lautes Lachen übrig hat („Ich habe sie jetzt schon viermal ermahnt!“). Er schwadroniert von der „Schwerkraft der schiefen Ebene“ (die es nicht gibt) und davon, dass die Beantwortung einer Frage mit „ja und nein“ kein Widerspruch sei (scheinbar völlig unbeleckt von dem Wissen, dass genau so der aussagenlogische Widerspruch definiert ist). Er scheidet zwischen starkem und schwachem Terrorismus und will dafür vermutlich anerkennendes Nicken der Protestierenden bekommen. Den Studenten ist sowieso alles egal: Zu allem, was Meggle sagt, nicken sie beflissen. Sie wollen ihr Recht, sich allseitig zu informieren, von niemandem eingeschränkt sehen. Da ist es völlig egal, dass Honderich eine Webseite unterhält, auf der er seine Terrorapologetik unter die Leute bringt und dass es eine wochenlange Diskussion um sein Buch gab, in der die Reizwörter Brumlik, Suhrkamp-Verlag, Habermas (im von Studenten doch so geliebten universitären Betrieb nicht ganz unbekannt) auftauchten. Sie haben einfach keinen Bock zu lesen, sich selbst Gedanken zu machen – sie wollen kontrovers unterhalten werden. Nur konsequent also, dass eine schon ältere Studentin auf Nachfrage eines Honderich-Gegners den Begriff „Antifaschismus“ folgendermaßen definiert: Unbedingt mit allen diskutieren, um jeden Preis, zu jeder Zeit, über alles. Ein Land, das solche Studenten hat, braucht keine Nazis mehr.
Wir ziehen mindestens zwei Lehren: 1. Es gibt eine emanzipatorische Intellektuellenfeindlichkeit. 2. Die Suche nach dem sozialrevolutionären Subjekt ist – negativ – ein weiteres Stück vorangebracht worden. Die modernen Klassenkämpfer von wildcat und Gegenstandpunkt sind vermutlich auch von der Kritikfraktion jetzt besser zu verstehen als früher. Denn nach dieser Veranstaltung ist wohl allen einsichtig, wie man darauf kommen kann, in Fabriken und bei den Inhabern von Prekärjobs würde noch am ehesten emanzipatorisches Gedankengut zu finden sein.

Merkwürdige Kritiker sind das, man könnte sie kritische Kritiker nennen, diese Leute vom Bündnis gegen Rechts (BgR). Ihnen sei gesagt, dass man auch zuwenig Vulgärmaterialismus im Leib haben kann. Wem nicht mehr klar ist, dass erst Essen und Trinken sein müssen und dann Ideologie und auch deren Kritik folgen können, muss anfangen, wie ein Inhaber der absoluten Kritik zu plappern, wie jemand, der durch das Ausspinnen fixer Ideen die Wirklichkeit zu überrumpeln versucht und auch noch sauer ist, wenn die sich partout nicht nach diesen Ideen richtet. Auf einer Veranstaltung im Volkshaus müht sich ein BgR-Vertreter redlich, den drei anderen Leuten auf dem Podium klarzumachen, weshalb man, um die Sache der Linken voranzubringen, grundsätzlich jede soziale Bewegung in Deutschland abzulehnen hat. Die sehen das – angekränkelt von allzu großem Detailwissen über die anstehenden sozialen Grausamkeiten – etwas anders. Das BgR scheint der Agenda 2010 und den Unverschämtheiten von Hartz IV gar keine Realität zuzugestehen – Gegenstand erbitterter Diskussionen ist, wie deutsche Diskurse über die Agenda einzuschätzen sind – Gegenstand ist nicht mehr der Gegenstand der Diskurse, sondern lediglich diese selbst. Das angestrengte Brüten über der Frage: „Wer plappert was in welchem Vokabular?“ erlaubt längst keine Beschäftigung mehr mit so uncoolen Problemen, wie: „Was bedeutet die Agenda 2010 für meine Reproduktion als Mensch?“, „Wie werde ich an Kohle kommen und dennoch Zeit für Ideologiekritik behalten können?“, „Wer könnte mit mir zusammen dafür sorgen, dass ich auch in Zukunft medizinisch versorgt werde?“. In Diskussionen kommt überhaupt nicht vor, dass der Ideologiekritiker im deutschen Sozialstaat durch die Zahlung diverser Leistungen immer noch mehr Zeit für Ideologiekritik hat, als jeder amerikanischer Gesellschaftskritiker mit vier Prekärjobs an der Backe. Die Vereinzelung der Reproduktion ist längst als „Freiheit“ internalisiert – Treffen, Absprachen und gemeinsame Aktionen finden lediglich zum Thema „Nicht-Identisches“ statt.
Versucht man dennoch, auf diesen ganz praktischen „Vorrang des Objekts“ zu verweisen, wird man nicht selten abgebügelt, man würde ja lediglich Krisenverwaltung und ökologisch verträgliche Elendswirtschaft propagieren – daran schließen sich dann ein paar messianische Bemerkungen über die unvorstellbaren Schönheiten des Kommunismus an, ehe der ideologiekritische Genussmensch fix seinen halbkalten Döner runterwürgt, sich wieder an den Computer setzt und dann eine weitere Nacht lang irgendeinen Text über die Aktualität des Bilderverbots in die Tastatur hämmert. Es wäre schön, wenn ich vom Kommunismus dieser Leute verschont bleiben könnte. Danke.

Was sonst noch passierte:
„Der illegale Straßenstrich rund um die Nordstraße – für Anwohner und Geschäftsleute ist er unerträglich.“ (LVZ, 17.10.03) Der illegale. Der halblegale rund um die Eros-Center in den beschäftigungsarmen Landregionen wird schließlich gern genutzt – zwar weniger von Anwohnern (denen ist der illegale – billigere – lieber, solange er nicht vor der eigenen Haustür ist), wohl aber von Geschäftsleuten.
„Spritzbestecke in Gärten und auf Fußwegen, täglich kreisende Freier vor der Haustür, plumpe Anmachen – die Anlieger sind es leid.“ (LVZ, 17.10.03) – sie sind mehr für die halbdumme, aus RTL-Nachmittagsserien abgeguckte Anmache zu haben.

Im Editorial des letzten Heftes wird für meinen Artikel „Manisch-depressiv“ ein Ökonomielexikon als Lesehilfe empfohlen. Nicht, dass das unnütz wäre – nur: Warum kommt niemand auf die Idee, bei den diversen philosophischen Ausarbeitungen nach Philosophielexika zu verlangen? Könnte es daran liegen, dass die antideutschen Zivilisationsretter (in Autoren- wie Leserschaft) eben doch dem Feindbild intellektuellenfeindlicher Dumpfnasen nahekommen und ganz glücklich mit ihrem Philosophiestudium sind, dass sie zwar mit dem Nicht-Identischen so souverän hantieren, als würden sie’s täglich zum Frühstück abfressen, sich mit Kursen und Börsenindizes (ganz zu schweigen vom antisozialen Kahlschlag in den kommunalen Haushalten) jedoch nicht zu beschmutzen wünschen?

Noch mehr Tabubrecher: PeTA – einer radikalen Tierrechtsorganisation, stößt übel auf, dass bei einem suicide bombing in Israel auch ein Esel starb; kurz danach protestierten PeTA-Leute gegen den Einsatz von Blindenhunden als Tierausbeutung. Bald wird eine neue PeTA-Kampagne starten, in der auf Bildern die ohne Zweifel finstere Tierquälerei in landwirtschaftlichen Großbetrieben und bei Viehtransporten mit dem Leid jüdischer KZ-Opfer assoziiert wird. Diese Aktion wird u.a. von Blümchen, Thomas D., Esther Schweins, den Toten Hosen, Reinhard Mey, Nina Hagen und Uwe Ochsenknecht unterstützt – kurz gesagt von Leuten, die dieses nicht eben sympathische Land mit ihrem Geplapper und ihrer Singerei noch ekelhafter machen, als es ohnehin ist. Eine die anfangs mit von der Partie war, ist dann doch noch abgesprungen – sie mag nur eine bratzendumme Fernsehtante sein, doch ihre menschliche Empfindung hat sich diese Nina Ruge offensichtlich bewahrt: Sie distanziert sich von diesem Dreck.

Die Ticketverkäufer sind unterwegs. Je nach der Art der früheren Beziehungen überziehen sie diejenigen aus der Restlinken mit Liebesentzug und NS-Vorwürfen, die ihre Formulierungen nicht bis zum letzten Komma abnicken. Es hilft nichts, gegen den Krieg gewesen zu sein – man muss die Friedensbewegung schon mitkaufen. Es hilft nichts, die Friedensbewegung kritisiert zu haben – man muss schon für den Krieg gewesen sein. Die Strategie der „Vorneverteidigung“ kann durchaus Erfolg haben, wie man am Beispiel der drei AutorInnen Micha Böhme, Martin Dornis und Kenneth Plasa sieht, die in einer Sonderbroschüre der Zeitschriften Krisis und Streifzüge namens „Scharfe Schafe“ klarziehen, wer wirklich Antisemit ist. In der Zeit, in der die „junge Welt“ einen Palästina-Soliartikel an den anderen reiht, an deren Ende sie Links zu Barghouti-Unterstützungssites setzt, in der Zeit, in der Terror-Ted in diesem Blatt (am 1. Oktober) erneut bekräftigt, dass er „palästinensische(n) Anschläge als moralisches Recht betrachte(t)“, in dieser Zeit also schreiben die drei von der „Befangenheit der Antideutschen in antisemitischer Ideologie“: „In gewisser Hinsicht halten wir auch Teile der Linken für eine solche Bewegung [eine antisemitische Massenbewegung – Mausebär] prädestiniert gerade auch die Antideutschen“. Die Belege dafür, warum Kriegsbefürworter, die für ihre Kriegsbefürwortung kritisiert werden müssen, für eine antisemitische Bewegung vorherbestimmt sind, bleiben die drei schuldig. Ohne irgendeinen konsistenten Argumentationsgang wird vor sich hin gemutmaßt, dass es eine Wucht ist.
Übrigens: In diese Zeit fällt auch die Ankündigung eines bekannten Streifzügeautors, der „jungen Welt“ 50 Euro Soliunterstützung zu spenden. Vielleicht teilt Pirker die ja redlich zwischen Barghouti und Terror-Ted auf?

Eine Leseempfehlung zum Schluss: Romain Rollands Buch „Clerambault“ bietet eine gute Hilfe gegen bekenntniswütige Abdreher. Es ist ein Lob aller Zauderer, all derjenigen, die immer noch Zeit brauchen, obwohl doch längst alles klar ist, in ihm findet sich aber auch eine genaue Beschreibung aller 150%igen: „Sie hielten sich nicht lange bei vorsichtigen Bedenken und halben Maßregeln auf, um die Welt glücklich zu machen – auf ihre Art, wenn nicht auf die seine –, sie diktierten gleich im ersten Anlauf die Unterdrückung jeder Freiheit, die ihrer Idee von Freiheit entgegengesetzt wäre.“

Halbe Maßregeln, skrupulöses Abwägen können sie nun gar nicht leiden, unsere alten Männer, die Entscheidungsträger der jeweilig immer Recht habenden Partei. Wer ihnen die geforderten Bekenntnisse in vollem Umfang abliefert, erhält für ihre Retrofahrt in die 70er Jahre ein Ticket der Ersten Klasse. Nur schade, dass sie an diesem Zug nicht viel Freude haben werden. „Der fährt an die Wand.“

Mausebär

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last modified: 28.3.2007