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Hoch-Kultur, 1.6k

NOT NOW!


Ein Interview mit Maik Schlüter


    »Kunst, die sich verweigert, ist Politik; Politik der Verweigerung ist Kunst. Solche Dialektik kann aber nur innerhalb der Kulturindustrie statthaben, die nämlich Kunst und Politik von sich aus schon verbindet – diese Verbindung gilt es zu sprengen, um sie als eine von möglicher Befreiung neu zu etablieren.«
    Roger Behrens: Pop Kultur Industrie, 1996

Joker, 28.9k Frage: Fotografie und Kritische Praxis war Titel und Programm Deiner ersten Ausstellung, die im Februar 2001 in Leipzig zu sehen war. Sie zeigte Werke von sechs Künstlern, die Fotografie als ein Medium der Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen nutzen und quasi als Kritik an der Kritik ihre Entstehung, Wahrnehmung und Aussagemöglichkeiten thematisieren und hinterfragen (Rezension im CEE IEH # 75). Mit der Ausstellung hast Du Dein Studium an der HGB, der hiesigen Kunsthochschule, abgeschlossen. Was hat sich seit dem bei Dir getan und wie spiegelt sich das in Deiner aktuellen Ausstellung NOT NOW! ?
M.S.: Die Perspektive hinsichtlich der Möglichkeiten der Kunst hat sich erweitert. Möglichkeiten heißt in diesem Falle, wie bereits oben erwähnt, das Spektrum der Materialverarbeitung als Installation, Video, Zeichnung oder Skulptur etc.. Es bedeutet aber auch zu sehen, dass mit durchaus tradierten Mitteln eine zeitgenössische und inhaltlich orientierte Produktion möglich ist. Gleichzeitig ist die Erkenntnis gereift, dass die viel beschworene Kritik zunächst einmal im eigenen Kontext zur Anwendung kommt, also ein hinausgehen über diese Grenzen, hin zu einer neuen Öffentlichkeit, die vorher kein Interesse für Kunst hatte, illusionär ist. Wenn innerhalb des Segmentes ›Kunst‹ Begriffe wie Konkurrenz, Ausgrenzung, Leistungsbereitschaft, Repression oder soziale Destruktion aufgegriffen werden, dann ist schon viel gewonnen. Also Themen die für alle teilbar und erfahrbar sind, allerdings muss immer wieder die künstlerische Praxis der Motor sein. Ich plädiere da ganz deutlich für eine Abgrenzung der Disziplinen, weil ich glaube, dass sich nur auf diesem Wege effizient argumentieren lässt. Die Behauptung des sog. Interdisziplinären ist leider viel zu oft Thema der zeitgenössischen Kunst. In dem naiven Glauben, in dem ich dieses oder jenes Schlagwort anwende, bereits eine Grenze zu überschreiten. Interdisziplinarität ist wohl so ziemlich das schwierigste was sich herstellen lässt. Die fängt erst dann an, wenn eine Disziplin definiert und angewendet wird und das ist leider allzu selten der Fall. Oder provokant gesagt: Halbwissen plus Halbwissen ergibt nicht automatisch einen vollständige Erkenntnis. Deshalb fordere ich diese Konzentration.

Frage: Was kann Kunst, was politische Praxis oder Theorie nicht kann?
M.S.: Die Loslösung von bereits kanonisierten und akademisierten Begriffen ist mit Sicherheit eine Qualität der Kunst. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt von irrationalem Subjektivismus reden. Kunst kann, muss aber nicht begriffslos sein. Natürlich entzieht sie sich über diesen Wege einer bestimmten Form der Instrumentalisierung, kann aber gleichzeitig schnell zur kontemplativen Dekoration verkommen. Ich denke, die Möglichkeit liegt darin, dass mit den Mitteln der Kunst anders argumentiert werden kann – also Kunst sich auch gegen eine rein sprachliche Dimension behauptet. Da gibt es eine andere Kausalität, da gibt es die Möglichkeit Zusammenhänge zu verdichten und visualisieren. Da spielen natürlich auch Emotionen eine große Rolle, selbst wenn die Kunst nicht emotional ist. Ich glaube der Vergleich von Theorie und künstlerischer Praxis kann nur als Ergänzung oder gegenseitige Beeinflussung verstanden werden, nicht als direkter Abgleich. Die Motive sind da zu verschieden und berühren sich erst dann wieder, wenn die Theorie nicht ausschließlich die Wissenschaft voranbringen will oder Kunst sich nicht ausschließlich auf kunstgeschichtliche Relevanz abhebt. Also einen unmittelbareren Bezug sucht – das geschieht selbstverständlich immer unter den Prämissen der Geschichte, ihrer Theorie oder Begriffe. Da gibt es keine Positionen, die außerhalb stehen würden. Aber mir leuchtet das immer besser ein wenn es einen Link in die gegenwärtige soziale Situation gibt. Das ist zugeben ein enger Fokus: NOT NOW! zeigt aber wie viel unterschiedliche Kunst darunter zu subsumieren ist.

Frage: Was hältst Du von Roger Behrens’ Aussage? (siehe oben)
Maik Schlüter: Ich denke, dass da eine theoretische Totalität zum Ausdruck kommt, die mit einer konkreten und vor allem anwendbaren Opposition nur zum Teil zu tun hat. So wie Roger das formuliert, wird jede Form der Kritik sofort an einem Maximum von vorstellbaren und notwendigen Veränderungen gemessen – ohne Reformismus predigen zu wollen – bin ich für eine pragmatischere und unmittelbarere Perspektive. Zum anderen denke ich, dass die Gleichsetzung von Politik und Kunst nicht die zentrale Frage ist. Meiner Auffassung nach kann es z.B. keine ›linke Kunst‹ geben und zwar nicht wegen irgendwelcher Autonomiebehauptung der Kunst, sondern weil ich eine linke Position als eine politische Haltung definiere. Also muss sich die daraus folgende Argumentation auch anders herleiten als die der Kunst. Die Begriffe und Anwendungen kommen dann z. B. aus der Philosophie, der Soziologie oder der Ökonomie und müssen zunächst einer theoretischen Herleitung der gesellschaftlichen Bedingungen standhalten. Diese präzise und nachvollziehbare Argumentation steht der Kunst gar nicht zur Verfügung, weil die Mittel und Ziele andere sind. Das bedeutet aber nicht, dass die Themen nicht dieselben sein können. Die Ausstellung NOT NOW! zeigt ja gerade Positionen, die nicht von abstrakten Problemen der Kunst reden und selbstreferenziell sind, sondern Arbeiten, die einen klaren Bezug zur sozialen Realität haben. Die Arbeiten verorten sich aber im Kontext der bildenden Kunst und sprechen eine subjektive und radikale Sprache, die sich vor allem im Material, in seiner Anwendung, Umformung und Präsentation niederschlägt. Und über diesen Weg wird eben immer wieder eine Gegenwirklichkeit sichtbar gemacht. Ich begreife Kunst als ein relevantes Mittel der Kritik. In dieser Hinsicht ließe sich vielleicht von einer Beziehung zu anderen Disziplinen reden, als eine Möglichkeit auf dem Wege einer Umwertung aller Werte.

Frage: Spannungsfeld: Kunst – Kulturindustrie – Kritik...?
M.S.: Das ist ein sehr komplexes Thema. Gerade der Begriff der Kulturindustrie ist wohl der am meisten zitierte, wenn es um Kunst, Kapitalismus, Konsum und Unterhaltung geht. Gleichzeitig aber auch ein Begriff der schnell herausgelöst aus dem Gesamtkonzept von Adorno/Horkheimer verwendet wird und, ich kann nicht anders sagen, allzu schnell als Modebegriffe verwendet wird. Aber wir können es ja versuchen: ich glaube, dass es kein Außerhalb dieses Systems geben kann, jede Opposition findet darin statt und wird leider auch von einem gefräßigen und flexiblen Markt vereinnahmt. Trotzdem gibt es die Möglichkeit, die verdrängten oder verzerrten Tatschen zu benennen und als Signifikanten eines ungerechten Gefälles und einer ausgrenzenden Logik zu benennen. Da gibt es aber innerhalb der Kunst, der Musik, der Literatur etc. die Möglichkeit, die herrschende Wirklichkeit (als Wirklichkeit der Herrschenden) nicht nur unter verinnerlichten Leistungsprinzipien gestalten zu wollen, sondern auch aus der Verweigerung heraus. Und wenn im Rauschen der allgemeinen Verblödung und des Einvernehmens Menschen andere, skeptischere Perspektiven aufzeigen, ist schon sehr viel gewonnen. Da muss man da anfangen, wo man steht. Dann macht auch eine abstraktere, um Überblick und Ausblick bemühte Theorie Sinn. Der oben zitierte Behrens z.B. macht es da nicht anders als ich: er arbeitet innerhalb der Strukturen von Universität und Lehre. Und steht trotzdem für eine konsistente und konsequente Haltung und Argumentation. Da fängt es eben an. Oder Erik van Lieshout, einer der Künstler von NOT NOW!, findet sich auch auf der Biennale in Venedig im holländischen Pavillon, repräsentiert also die Nation und ist Teil eines kommerziellen Kunstevents im globalen Maßstab. Trotzdem findet sich seine Arbeit auch im Kunstraum B/2 wieder und trotzdem forciert er sehr scharf und radikal eine andere Form des Daseins. Die Bilder sehen anders aus und sind anders gemeint als irgendwelche stereotypen Behauptungen der Warenwelt und ihrer Bilder. Die Intention ist eine andere und das Ergebnis auch. Das ist sehr viel und ein Baustein einer lebendigen Kritik.

Inga Schwede

Die Ausstellung NOT NOW! 20. November – 20. Dezember 2003 im Kunstraum B2, Spinnereistraße 7, 04179 Leipzig. Mittwoch bis Sonntag 14.00 – 18.00 Uhr u. nach Vereinbarung (Tel: 0341-478 47 47)


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last modified: 28.3.2007