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review corner Film, 1.4k

Matrix: Revolutions.


Über den dritten, schlechtesten und somit ehrlichsten Teil des nie enden wollenden Cyberpunk-Debakels der Wachowskis.


    Ich gehe am Schulhof einer Grundschule vorbei. Ein Junge schreit einem anderen zu: »Ich bin Neo!« Dann springt er in die Luft, macht ganz viele Bewegungen,versucht,1000 Tritte und Schläge in zwei Sekunden auszuführen. Er vergisst in der Hektik die Landungsvorbereitungen und fällt hin. Dann schreit ein anderer: »Und ich bin Morpheus!« und macht es dem ersten nach, inklusive Bruchlandung. Der dritte sagt gelassen: »Ich bin der böse Agent«, tut so, als hätte er eine Pistole und schießt auf seine Kollegen: »Bummrummbummtschuktschak!« Die anderen weichen dem mutmaßlichen Kugelhagel in einem bizarren, fast fernöstlich anmutenden Tanz mit wilden Ausweichmanövern und eigenartigen Limbotanzbewegungen aus. Der Agent wirft daraufhin die »virtuelle« Waffe weg und tritt »Neo« in den Bauch, jener krümmt sich vor Schmerzen, »Morpheus« schreit empört: »Das gilt nicht. So was geht nicht in der Matrix!«
    Und ich möchte sagen: Ja, mein Lieber, drauf geschissen, was so in der elenden Matrix geht, aber hier auf dem Schulhof ist ein Tritt in den Bauch in erster Linie halt ein Tritt in den Bauch – genauso schmerzhaft, wie er sein sollte, und mithin die richtige Dosierung Schmerz für die armselige Gefolgschaft der »Matrix«. Sag ich aber nicht; sag ich vielleicht, wenn der dritte Teil kommt.“
    Jarni Starck, entnommen der Satirezeitschrift Titanic, Juli 2003

Matrix: Revolutions, 27.1k
Wachowski: Matrix: Revolutions, USA 2003
Ja, ja, der gute alte Tritt in den Bauch als Werkzeug materialistischer Erdung, wenn’s doch nur immer so einfach wär’.
Freunde guter Sitzplätze im Kino tragen im Vorfeld stets Sorge, die besseren Plätze zu belegen, umgangssprachlich reservieren (vorbestellen) genannt. Wenn man aber an einem Donnerstag nur noch Karten für die Vorstellung am Sonnabend ergattern kann und selbst da nur noch Logenplätze frei sind, was selbstverständlich in Ordnung ist, denn wer sitzt schon gern inmitten des schlechtverdienenden Pöbels, dann gibt es dafür exakt zwei mögliche Gründe. Entweder der neue Film mit Britney oder aber geniales Marketing. Da in Matrix: Revolutions Britney nicht auch nur einmal zu sehen ist, Sauerei, kann es sich wohl nur um letzteres handeln, doch dazu später. Inmitten von Presswursthosen, Buffaloschuhen, Replayjacken und Frisuren, die anmuten als hätte die kleine Schwester den Kopf der großen mit dem ihrer neuen Barbie verwechselt, durfte man vor Beginn des Films geschlagene 60 Minuten Werbung genießen, wobei eine besonders erwähnenswert schien, da auch diese mit Bravour bewies, wie gutes Marketing, ganz speziell in Deutschland, auszusehen hat. Bei dem beworbenen Produkt handelte es sich um die gar nicht so westliche Zigarettenmarke „West“. „West“ hat nämlich die Zeichen der Zeit erkannt und ließ am unteren Rand der Leinwand die pfiffige Einblendung laufen: „West wird in Deutschland produziert. West gibt es nicht in Amerika.“ Da hol’ mich doch der Teufel, sollte sich die Zahl der verkauften „West“ in Deutschland während der nächsten Zeit nicht wenigstens verdoppeln. Auch das Conne Island sollte umgehend reagieren und auf mindestens zwei weitere „West“tasten samt dazugehörigem Inhalt in seinen Zigarettenautomaten bestehen, will es nicht im gnadenlosen Wettbewerb untergehen. Nun gut, die Werbung zu Ende, es schloss sich der Vorhang, der arme Eisverkäufer wurde laut krakelend empfangen, großes Kino ist schön und der Film begann. Mit ihm begannen auch ca. zwei Stunden furchtbarster Langeweile, die nur durchbrochen wurden von den sehsüchtig erwarteten Actionsequenzen. Größter Lichtblick war der Auftritt Monica Belluccis (Persephone), welche auch – zum Glück – nur einen Satz zu sagen hatte. Die Jungs, und ich meine „die Jungs“, welche dies Epos des Gähnens gesehen haben, wissen, wovon ich schreibe. Nach langem Hin und Her versöhnen sich Mensch und Maschine, beseitigen gemeinsam Agent Smith und alle, die aus der Matrix rauswollen, was für Idioten, dürfen raus. Ende. Neo ist tot, aber wahrscheinlich auch nicht. Die Versöhnung steht auch auf wackeligen Füßen und das unklare Ende bietet Stoff für eine Fortsetzung. Jedoch, wo in anderen Filmen des gleichen Genres (Cyberpunk) das offene Ende als stilistisches Mittel genutzt wird, dient es hier der Option auf eine Fortsetzung, welche mit einiger Sicherheit auch folgen dürfte, in der einen oder anderen Form. Da kommen wir auch schon zu einem der Geheimnisse, weshalb dieser ganze Quatsch so erfolgreich war und ist, dem Marketing. Bei dem ersten Teil haben sich die zwei tatsächlich philosophiestudierten Buben noch richtig ins Zeug gelegt: das interessanteste aus allen möglichen Filmen des Genres geklaut (z.B. Ghost in the shell, Brainslasher, Johnny Mnemonic, Total Recall, etc.), zu einer neuen Story zusammengemischt und mit richtig cooler Action ausgestattet, die heute fast jeder neue Actionfilm verwenden dürfte (Bullet Time, 360deg. Standbilder). Die Action für jene, die sowieso zu blöde sind, irgendwas zu interpretieren, und den „pop-philosophischen“ Hintergrund für die, die in ihren Interpretationen und Spekulationen meist noch dümmer wirken, als die plumpe Actionfangemeinde, auf deren Seite man dann doch lieber sich stellt. Eine Anekdote soll hier Pate stehen: so meinte etwa ein Bekannter allen Ernstes, die rote Pille stünde doch für die rote Fahne, also für Erlösung und Abstreifen der Unwahrheit. Man kann dem Symbol der Revolution und jenen, die es missbrauchen, ja einiges vorwerfen, aber das geht ja dann doch zu weit. Wahrscheinlich ist Jonny Depp Kommunist, weil er in „Fluch der Karibik“ eine rote Schärpe trägt. Noch mal ausführlich das Rezept dieses ganzen Schmonzes: Gute Action, einige mythische Gestalten (z.B. Morpheus – in der griechischen Mythologie Überbringer des Schlafes, der somit auch Träume schafft), „pop-philosophische“ Ansätze von Gesellschaftskritik (ich schäme mich, dies zu tippen), die totale Verschwiegenheit über den Inhalt der Fortsetzung. Zwei wichtige Dinge wurden in dieser Aufzählung nicht erwähnt. Da wären zum einen die vielen Sidekickprodukte, etwa „Animatrix“ (Animé) und das Matrix-Computerspiel, von denen die Wachowskis sagen, dass man die komplette Story nur versteht, wenn man das eine gesehen und das andere gespielt hat. Zum anderen, und das ist das wichtigste, die totale Sprachsperre der beiden Regisseure, sowohl über Film als auch Inhalt des ganzen. Nicht ein lausiges Interview, nicht ein mickriges Statement. Letztgenanntes liefert dann natürlich genug Stoff für nicht enden wollende Mutmaßungen. Das ganze ging soweit, was eigentlich nicht wirklich überraschte, dass Zeitschriften wie die Jungle World oder Konkret mit einer Ernsthaftigkeit diesen Film auseinander nahmen, als ginge es um ein bedeutend kritisches Werk. Wenn etwa Morpheus im ersten Teil davon redet, dass alle Menschen in der Matrix Feinde sind, solange sie nicht von ihr abgekoppelt wären, würde das so ungefähr auch auf unsere Gesellschaft zutreffen. Hallo? Das klingt in etwa wie die Unterstellung, Daisy Duck wurde von einem Pädophilen erfunden, weil sie keine Brüste hat. Oder aber die „zivilisationskritische“ Darstellung der Herrschaft von Maschinen über jene Menschen, die sie erst erdachten und bauten. Nicht nur, dass dies spätestens seit „Terminator“ ein alter Hut sein dürfte, ist es auch – und das nicht nur in Ansätzen – zivilisationsfeindlich. Aber wer braucht schon gruselige Maschinen, wenn man doch 10 Stunden am Tag auf ehrliche Weise seine Rüben aus der Erde ziehen kann. Dies wird jedoch im zweiten und dritten Teil aufgeweicht, als schließlich klar wird, dass der Mensch ohne Maschinen nicht existieren kann. Was für eine Erkenntnis, die teilt sich dann wohl die gesamte Fangemeinde mit allen Trägern von Herzschrittmachern. Konnte man noch über den ersten Teil trefflich mit Leuten streiten, die dieser popkulturellen Gesellschaftskritik für geistig Arme etwas abgewinnen konnten, sind die darauf folgenden wirklich, und das muss zu ihrer Verteidigung gesagt werden, nur noch kitschige Actionfilme. Aber der Autor will auch mal so ganz knorke mitinterpretieren und deshalb die folgenden Zeilen zur Struktur der Story und warum man das als Kommunist nicht gut finden kann.
Fast die gesamte Menschheit ist also an die Matrix, ein System welches von Maschinen erschaffen wurde, die wiederum von Menschen geschaffen, um die Menschheit zu kontrollieren, angekoppelt. Aber einige „Erlöser“ gibt es, die außerhalb dieser, man darf ruhig sagen, „Verschwörung“ existieren und den blinden Rest hin zum Erwachen führen wollen. Sehen wir mal, und das nur ungern, davon ab, dass dies einem antisemitischen Erklärungsmuster der Verfasstheit von Gesellschaft mehr als nur verschwistert ist und konzentrieren uns auf die in „linken“ Zeitschriften wieder und wieder herausgestellte Herrschaft der Menschen über die Menschen durch die Maschinen hindurch, weil ja erst sie es waren, die jene Maschinen dazu befähigten, alles zu kontrollieren. Warum jedoch sollten die Maschinen, keine Menschen, dies wollen, wofür herrschen, wo sie doch keinen leiblichen Genüssen nachgehen können, zu denen ihre Herrschaft sie, wären sie Menschen, sicherlich überreichlich befähigen würde. Aus dem reinen Selbstzweck der Produktion etwa, um den ganzen Quatsch am Laufen zu halten, nur um ihn am Laufen zu halten, ohne vernünftigen Grund?
Die Antwort geben der letzte Teil, als auch die beiden Kurzfilme „The second renaissance pt.1 + 2“ auf der „Animatrix“-DVD. Irgendwann haben nämlich die Maschinen und Programme eigene Gefühle entwickelt, sind praktisch irgendwie Menschen geworden. Da aber die Menschen damit nicht umgehen konnten, begannen sie einen Krieg, verdunkelten die Sonne, um die Energiequelle der Maschinen zu vernichten, woraufhin die Maschinen nach erfolgreicher Schlacht fortan die Menschen als Batterien benutzten, gefangen in der Matrix, um weiter zu existieren. Da hört dann wohl alles auf. Nicht nur, dass Maschinen auf einmal Liebe und Zuneigung, fernab jeglicher Logik, empfinden. Die Menschen sind mit einem mal an ein System angekoppelt, über das sie nicht mehr nur nicht verfügen, sondern dass sie auch nicht einmal in Ansätzen durchschauen können. Diese doppelte Absage ans Subjekt, den Menschen nämlich, der eben kein automatisches ist, passt mit einiger Sicherheit vielen der selbsternannten „Linken“ in den Kram. Zum einen das Verwischen menschlichen Denkens und Fühlens, von dem aus dann, ganz klar, gesagt werden kann, dass, vielleicht nicht gleich Programme, eben auch Tiere ebenbürtige Wesen seien. Zum anderen diese unerträglich popkulturelle Variante des offenen Antisemitismus, es würden ja eh alle unter der Verschwörung irgendwelcher Mächte leiden, die hier, wenngleich Maschinen, durchaus menschlich erscheinen, die eben deshalb so verschworen sind, weil ja niemand um sie wisse und auch der sie Benennende keine wirklich schlüssigen Anhaltspunkte, außer dem Gefühl des Beherrschtseins, liefern könne. Meines Erachtens können die politischen Fans dieses Films es dann leider doch, denn es ist nämlich nicht die Geheimloge der Schlümpfe, welche die Welt unter sich aufteilen, sondern fiese blutgierige Leute wie Bush, die Chefs multilateraler Konzerne und die Juden sowieso.

Las Vegas gehört mir!

Schlaubi



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last modified: 28.3.2007