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Der verschleierte Blick


Robert Kurz: Die antideutsche Ideologie, 22.6k
Robert Kurz: Die antideutsche Ideologie. Vom Antifaschismus zum Krisenimperialismus: Kritik des neuesten deutschen Sektenwesens in seinen theoretischen Propheten. unrast 2003

Ohne Zweifel, da ist einer wütend. Wütend über die Antideutschen, die ihm seine ganze Linke kaputtmachen und auf diese Weise den Kapitalismus retten. Beziehungsweise, da der ja nicht mehr zu retten ist, die Waagschale der Barbarei um das entscheidende Quentchen Masse beschweren, so dass es nix wird mit der emanzipierten Gesellschaft.
Robert Kurz ist tatsächlich so wütend, dass er dreihundert lange Seiten aufwendet, um dem Spuk ein für allemal ein Ende zu machen, der sich in den letzten zehn Jahren in der linksradikalen deutschen Publizistik breit gemacht hat. Eigentlich nur dort, denn dass „die“ Linke in ihrer Mehrheit antideutsche Positionen vertreten würde, dass meint Kurz nicht, hierin mal ganz einig mit den feindlichen Ideologen. Er macht ihr Unwesen in den Zeitschriften „Jungle World“, „Konkret“, „iz3w“, und der „Phase 2“ aus, die eigentlichen Drahtzieher aber säßen in Berlin und Freiburg. Auf Verlautbarungen der „Bahamas“ und des „ISF“ gründet sich denn auch hauptsächlich die Zitatencollage, die Kurz aufbietet, um die – inzwischen in ihrer Mehrzahl sattsam bekannten Vorwürfe – gegen das, was antideutsch ist, zu begründen, die aber, weil sie so schön sind, an dieser Stelle – allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit – noch einmal aufgezählt seien.
Der Hauptvorwurf ist natürlich der der Apologie der bürgerlichen Gesellschaft, wobei sich Kurz nicht ganz mit sich einig zu sein scheint, ob diese Apologie nun bewußt vollzogen wird, d.h. ob die sich gesellschaftskritisch gebierenden Passagen, die sich ja selbst in der Bahamas finden, nur den rattenfangenden Schein wahren sollen, oder ob es sich doch eher um eine Ideologie im klassischen Sinne handelt, die sich durch die Akteure ohne Bewusstsein Bahn bricht. Gestehen wir ihm aber mal letzteres zu und nehmen die Vorwurf der Lüge, der Kurz hier und da mal aus der Feder fließt, als Ausdruck seiner Leidenschaft. Leidenschaft entschuldigt ja so manches. Verteidigt man die westliche Zivilisation, ist man selbstverständlich auch Rassist und hetzt gegen die asiatischen Horden, die einem den Kaviar wegnehmen wollen, in dem man sich als Antideutscher in ausschweifenden Orgien tagtäglich suhlt. Eine Geschichtsmetaphysik brauchen die Antideutschen wie ihr gerade erwähntes Grundnahrungsmittel, schließlich muss es ja eine Begründung für ihr unbeirrtes Beharren auf der Aufklärung geben. Auschwitz hat für Antideutsche mit der bürgerlichen Gesellschaft nichts zu tun, obwohl andererseits der Wert selber antisemitisch sei. Sowieso kümmern sie sich nur um die deutsche Ideologie, alles andere geht ihnen am Arsch vorbei. Die Antideutschen sind laut Kurz der Prototyp des MWW’s, diese Initialen werden demnächst der Renner in Heiratsanzeigen von Bellizisten; sie stehen für „männlich, weiß, westlich“, und als ein solcher Inbegriff des bürgerlichen Subjekts bleibt den Antideutschen auch der Sexismusvorwurf nicht erspart. Letztlich bleiben sie gefangen im traditionsmarxistischen Denken, feiern die Arbeit und trauern um das vergangene revolutionäre Subjekt der Arbeiterklasse.
All diese Anwürfe und noch einige mehr hat das Kurz‘sche Buch zu bieten, alles gerät ihm zu einer unappetitlichen Suppe, die aber all jene begierig auslöffeln werden, die es eh schon immer gewusst haben wollen. Das Problem ist, dass gerade durch dieses pauschale Abwatschen das Buch ungenießbar wird. Man quält sich durch eine endlose Ansammlung von Zitaten, die – aus dem Zusammenhang gerissen und in die entsprechende Richtung interpretiert – ein wahres Horrorszenario verwirrten Denkens ergeben. Eine Polemik sollte schon die Qualität besitzen, dass man sich im Ungenügen der eigenen Argumentationsmuster ertappt fühlt, allein man findet sich in den Vorwürfen nicht wieder, bzw. sind die Stellen, die diskussionsanregend sind, dermaßen rar gesäht, dass es sich nicht lohnt, dafür das Buch in die Hand zu nehmen. Dies liegt schon in der Methodik des Buches begründet, die an ihren Gegenstand herangeht, als wäre er ein einheitlicher und würde sich nicht zusammensetzen aus einer eher bunten Collage von Einzelpersonen und Grüppchen, die im Gegensatz zu Krisis gerade keine theoretische Schule gebildet haben. Dies mag zu kritisieren sein, nicht abgegolten ist der Anspruch auf eine kritische Theorie der Gesellschaft, nur Kurz sucht sich aus dem riesigen Sammelsurium von Texten, der sich unter dem Label antideutsch in den letzten zehn Jahren angesammelt hat, die krudesten Stellen heraus und nimmt sie für das Ganze; ein klassischer induktiver Fehlschluss. Solcherlei Kritik kann man sich sparen, sowohl was das Lesen als auch was das Schreiben angeht, bei aller berechtigten Ablehnung im einzelnen. Dabei ist es ja nicht so, dass es nichts an den Antideutschen zu kritisieren gäbe, gerade was die theoretischen Grundlagen angeht – Kurz stü(r)tzt sich hier vor allem auf die Krisiskritik der ISF „Der Theoretiker ist der Wert“ – wäre eine Auseinandersetzung nach wie vor sinnvoll. Der dritte Teil des Buches „Falsche Unmittelbarkeit“, in dem diese Auseinandersetzung stattfindet, ist so auch der einzig lesenswerte.
Als Hauptbruchlinien zeichnen sich, und das ist nichts neues, der unterschiedliche Krisenbegriff, begründet in einem differierenden Wertverständnis(1) sowie – hinsichtlich eines dialektischen oder eines negativen Verständnisses – ein diametral entgegengesetzter Aufklärungsbegriff ab. Kurz betont immer wieder die Notwendigkeit eines kategorialen Bruchs mit dem bürgerlichen Denken und sieht die Wertkritik auch auf dem besten Wege, dies zu leisten. Schade nur, dass auch er nicht ohne Begriffe wie „Vernunft“, „Solidarität“ etc. auskommt. Wo er die wohl her hat? Gerade in den immer mal wieder vorkommenden Lobeshymnen auf das eigene Werk winkt die traditionelle Theorie heftig mit dem Zaunspfahl, da wird eifrig am Gebäude der eigenen Theorie gewerkelt, immer wieder gilt es noch Lücken zu füllen, neue Etagen zu errichten und Korrekturen vorzunehmen. Das ist sicher alles notwendig, aber eben kein kategorialer Bruch. Diesen herbei zu beschwören, ist Voluntarismus; der Dialektik der Aufklärung entspringen zu wollen, ist psychologisch verständlich und erscheint auf den ersten Blick sympathisch; schlägt allerdings an der Stelle in mangelndes Krisenbewußtsein um, an der die demonstrierenden Schwulen und Lesben auf dem CSD in Berlin wie selbstverständlich von dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz genommen werden. Diese hatten nämlich – so Kurz – keineswegs etwas gegen die Israelfahnen, die am Rande des Volksfestes zu sehen waren, sondern einzig und allein Probleme mit den Antideutschen, die die Fahnen trugen. Bei so viel Naivität einem realen antisemitischen Mob gegenüber kann man sich schon fragen, was all die Versicherungen wert sind, die Kurz in Punkto Israelsolidarität abgibt. Gerade wenn er seine eigene Analyse erst nimmt, nach der sich die Ideologie des Antisemitismus in Krisenzeiten in Handlungen niederschlägt und nach der sich ähnliches wie Auschwitz durchaus wiederholen kann, wäre eine Kritik der neuen sozialen Bewegungen mehr als angebracht. Aber Kurz stellt sich blind und taub, weil er einen Anknüpfungspunkt braucht, der die Alternative zur Barbarei, nach dem endgültigen Zusammenbruch dieses Systems, überhaupt erst zur Möglichkeit erhebt. An diesem entscheidenden Punkt versagt seine Kritik.

Mele

Fußnoten

(1) Der Rezensent erklärt sich ganz unverfroren in dieser Frage nicht kompetent.



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last modified: 28.3.2007