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review corner Film, 1.4k

Golden Lemons
- Ergebnis eines Alptraumes.


Wesley Willis & Ted Gaier, 17.9k
Golden Lemons, Regie: Jörg Siepmann, Deutschland 2003, 83 min
Zwei Wochen auf dem Highway zwischen Barneys Pizza Pub und dem TTT Truckstop, den Fokus auf den produktiven Streit zweier souveräner Persönlichkeiten, auf Tour als Vorband für Wesley „I am a rock“ Willis, zwischen provinzieller Einöde und Las Vegas. So in etwa kann Golden Lemons in knapp 40 Worten beschrieben werden.
Ein Roadmovie über das angenehm gespaltene Verhältnis der Goldenen Zitronen gegenüber den USA. Ähnlich wie einem zweiwöchentlichen Trip auf der Autobahn zwischen Rostock und München fällt es jedoch schwer, den auf Zelluloid gebannten Ansichten Sympathie entgegen zu bringen, es sei denn, man fährt auf Kitsch á la Karl May ab, mit Kakteen, entwurzelten, vom Winde verwehten Büschen, untergehender Wüstensonne und dem ganzen Zeug.
Teilweise wie aus einem Ufo abgesetzt wirken die Shows einer Band aus Deutschland, die in gewohnt geliebter Manie damit beginnt, das verstörte Publikum berechtigter Weise vor den Kopf zu stoßen. Das im nächsten Atemzug entlarvte „Do you believe in Rock&Roll?“ von Schorsch Kamerun steht dabei im scheinbar absoluten Gegensatz zum Auftritt von Wesley Willis. Es ist jedoch bezeichnend für das Verhältnis ihm gegenüber. Er, der Abend für Abend auf die Bühne geht, um gegen die Dämonen in seinem Kopf anzuspielen und der im Musikmachen die für sein Leben so wichtige Ordnung gefunden hat, der in der Pose, im „I am a rock, I am a Roll“ den sein Leben strukturierenden Sinn gefunden zu haben scheint. Stark unter Schizophrenie, Angstzuständen und Autismus leidend habe Wesley Willis die Musik für sich gefunden, denn er habe keine Zeit, um in den Knast zu gehen, sagt er selber dazu.
Leider wird auch in Golden Lemons nicht deutlich, was die Popularität von Wesley Willis tatsächlich bedingt. Es scheint die variierende Mischung zu sein, aus dem Verlangen Einiger nach Freakshow, echtem Entzücken über die entlarvend einfachen, naiv wirkenden, ehrlichen Alltagsansichten, die Wesley Willis bietet, und wirklichem Gefallen an der Musik.
Dass der Film mehr Fragen stellt als sie zu beantworten, wird erstmals deutlich, als Wesley Willis, dessen Platten auf dem Label von Jello Biafra, „Alternative Tentacles“, veröffentlicht werden, das Lied „Osama Bin Laden“ und die implizite Anrufung der US Army intoniert und das Publikum darüber in echte Begeisterung geriet. Woher kommt diese? Wird das, was Wesley Willis an einem solchen Punkt zu Gehör bringt, ernst genommen oder wird es eben gerade als Überspitzung wahr genommen und findet darin seine Beachtung?

Schade ist, dass die Betrachtung der Goldenen Zitronen sehr stark auf den konstruktiven Zwist zwischen Schorsch Kamerun und Ted Gaier beschränkt bleibt. Dabei präsentieren sich die Zitronen als eine Band, die sich, souverän und überlegt, einen angenehmen, zuweilen selbstironischen politischen Gestus erhalten hat und dabei natürlich um dessen tatsächlich minimale Wirkung weiß.
Der symbolisch politische Akt, die Grenze nach El Paso, zwischen arm und reich, zwischen den USA und Mexico zu queren, endet demnach nur folgerichtig im verloren wirkenden Herumstehen und Untergehen in der Wirklichkeit endloser Grenzstaus. Ein, zwei Mexicaner huschen durchs Bild, noch ‘ne Aufnahme von Hütten auf mexikanischer Seite und ab zurück in den Tourbus.
Souverän hingegen und ohne Ablenkungsmanöver vermag es Ted Gaier, das schwierige Verhältnis zwischen kultureller Rebellion und dem höchst privaten Zwängen auf dem Punkt zu bringen, indem er seinen und Schorsch Kameruns Absprung in die Hochkultur benennt, wohl wissend um die gesellschaftliche Bedeutung und Aufgabe sogenannter hochkultureller Kunst. Lediglich kommentiert durch die Art, wie er es in einem kurzem Interview dem Publikum darbringt.

Golden Lemons ist ein durchaus gelungenes und hochspannendes Roadmovie über Rock & Roll und Kapitalismuskritik, reizvoll, wenngleich ohne Colts und schnelle Autos. Außerdem ist Golden Lemons eines der wenigen cineastischen Zeugnisse über Wesley Willis, der Ende August an Leukämie verstarb. In diesem Sinne: Rock over London, Rock on Chicago, Over and Out.

Marvin

2 in Desert, 18.8k


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last modified: 28.3.2007