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Der Stachel Adornos.


Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, 12.8k
Detlev Claussen: Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2003
Es steckt sehr viel Unabgegoltenes in Adornos Gesellschaftskritik. Selbst in den größtenteils beschämenden Hommagen und Diskussionsrunden zu seinem 100. Geburtstag wird dies deutlich. Wie ein Klassiker wird er gerade nicht behandelt, eher herrscht ein Blick auf ihn vor, gleichsam wie auf ein zu groß geratenes Kuscheltier. Verklärend stehen die heutigen Diskutanten und Festschreiber vor ihrer eigenen Jugend und vor einem ihrer Helden, fähig nur dazu, ihre eigenen Erinnerungen aufzuwärmen und die eine oder andere gern erzählte Anekdote zum besten zu geben. Blockiert scheinen sie, ihre revolutionären Blütenträume auch in theoretischer Gestalt aufzuarbeiten und doch wieder dazu getrieben; das Bedürfnis kommt durch Verschiebung zu seinem Recht. Wenn sich denn einmal eine theoretische Auseinandersetzung ankündigt, wie letztens beim ZDF-Nachtstudio, bleibt als Fazit das dümmliche Grinsen des Moderators und der Satz „Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen“.
Allein als kulturindustrielles Phänomen lässt sich der gegenwärtige Hype nicht begreifen, obwohl er natürlich auch dieses ist. Er hat seinen begrenzten gesellschaftlichen Ort, es sind Feuilletons und Kultursender, in denen sich dieser Zwang zur Erinnerung abspielt. Die Generation, die sich über Adorno zu Wort meldet, anderweitig auch unter dem Begriff der ‘68 firmierend, bespiegelt hier wieder einmal ihre eigene Jugend. Sie konnte nicht das einlösen, was Adorno – und mit ihm die kritische Theorie – an Anspruch auf sie übertrug, die Fußstapfen, die er hinterließ, waren um viele Nummern zu groß. Ihr fehlte genau die historische Erfahrung, die die kritischen Theoretiker durch Vertreibung und Exil machen mussten, und wohl auch jener kulturelle Hintergrund, der es ihnen ermöglichte, jene theoretisch zu fassen. Es war das kleine private Glück der BRD, das sie letztlich nicht dazu zwang, größere Brötchen zu backen, ohne dass die Gewähr dafür gegeben ist, dass sie im Moment der Krise nicht in den Schlund der Masse mit hineingerissen worden wären. Detlef Claussen hat wohl eine Ahnung von dieser ganzen Malaise. Seine Adorno-Biographie, die Claussen als kritisch Gestimmter mit einer Reflexion über den Unsinn von Biographien beginnen lässt, ist der Versuch, dem Zusammenhang von Erfahrung und Theorie in Adornos Œuvre auf die Spur zu kommen und nach Claussens Selbstanzeige, „Adornos Texte zum Sprechen zu bringen“.
Wie ein Stolperstein findet sich in der Mitte des Buches das Brechtsche Exilgedicht An die Nachgeborenen. „Ihr aber, wenn es so weit sein wird/ Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist/ Gedenkt unsrer/ mit Nachsicht.“ Diese Zeilen sprechen ebensogut für die Ohnmachtserfahrung des Exils, wie sie Claussens geheime Entschuldigung dafür sind, dieses Buch geschrieben zu haben. Fünf lange Jahre hat er versucht „aus der nötigen Distanz über jemanden zu schreiben, dem ich im Leben so Nahe gekommen bin“ (478), wie er in seltener Offenheit im Dank an seinen Psychoanalytiker formuliert, und dies steht für die Erfahrung der Ohnmacht gegenüber dem Lehrer Adorno. Das Trauma, nicht über ihn hinaus gekommen zu sein, und auch bei der Errichtung einer menschenwürdigen Gesellschaft keinen Schritt weiter, arbeitet Claussen mit diesem Buch ab. Die Einsicht, „kein Nachkomme“ sein zu können, findet sich im Vorwort formuliert. Aus dem Gesellschaftskritiker der „Grenzen der Aufklärung“ wird auf diese Art der „Adornobiograph“, wie es letztlich im Deutschlandfunk hieß. Dabei ist das Buch wirklich gelungen. Claussen ist in der Lage, die Verschränkung von historischer Gewalt, persönlicher Erfahrung und kritischer Reflexion im Leben Adornos sichtbar zu machen. Der Bogen spannt sich dabei – wie sollte es anders sein – über die Frankfurter Kindheit, die Zeit in Wien als Schüler Alban Bergs, das Exil in Los Angeles bis zur Frankfurter Professur. Die Darstellungsweise ist nicht stringent chronologisch. Immer wieder kommt es zu Querverweisen, die sich vor allem daraus ergeben, dass Claussen versucht, Adornos Leben an Auseinandersetzungen mit ihm nahestehenden Personen plastisch zu machen. Namen wie Krakauer, Bloch, Benjamin und Horkheimer flotieren ungebunden durch das Werk. Deutlich wird, wie ähnlich sich die Generation – vor allem – jüdischer Intellektueller, die ihre Kindheit noch vor dem ersten Weltkrieg zubrachten, in ihrer Lebenserfahrung war und wie unterschiedlich doch die Konsequenzen, die die einzelnen Individuen daraus zogen. So nimmt beispielsweise der Bruch mit Ernst Bloch, den Adorno am Ende seines Lebens vollzog, Konturen an, indem die unterschiedliche Art und Weise des Umganges mit den Moskauer Schauprozesses in den 30 Jahren dargestellt wird, die sowohl Bloch als auch Brecht – „Gedenkt unsrer/ mit Nachsicht“ – zu rechtfertigen suchten, während diese für Adorno und Horkheimer aber den endgültigen Bruch mit jeglichem Parteikommunismus nach sich zogen. Auch der, bei aller Betonung des Konkreten, abstrakte d.h. gegen Erfahrung abgedichtete Utopismus, den Bloch zeitlebens an den Tag legte, trug zu diesem Bruch bei. Auschwitz hatte bei ihm keinen Platz im Denken, für Adorno jedoch – und es ist Claussen hoch anzurechnen, dass er dies immer wieder herausstellt – war es nach ’45 die entscheidende Invariante.
Durch das gesamte Buch ziehen sich die kursiv gesetzten Zitate Adornos, stellenweise kunstvoll in den Text montiert. Besonders fruchtbar erweist sich dieses Verfahren, das formal den Zusammenhang zwischen Erfahrung und Erkenntnis deutlich machen soll, im Kapitel über Adornos Kindheit. Das „Paradies der Kindheit“, besonders die Liebe der Mutter, wird als unhintergehbarer Ausgangspunkt der adornitischen Kritik deutlich. Dabei ist dieses Paradies kein ungebrochenes, sondern immer schon angekratzt durch die Entsagungen der bürgerlichen Gesellschaft. Literarisch ist das doppelbödige Glück der bürgerlichen Familie in Walter Benjamins Berliner Kindheit um Neunzehnhundert verarbeitet, Adornos theoretische Reflexionen stehen damit im Gleichklang: „Das Ende der Familie lähmt die Gegenkräfte. Die heraufziehende kollektivistische Ordnung ist der Hohn auf die ohne die Klasse: im Bürger liquidieren sie gleichzeitig die Utopie, die einmal von der Liebe der Mutter zehrte.“ (51) oder „Ja, Glück ist nichts anderes als das Umfangensein, Nachbild der Geborgenheit in der Mutter. Darum kann kein glücklicher je wissen, dass er es ist. Um das Glück zu sehen, müßte er aus ihm heraustreten: er wäre ein Geborener.“ (61/62).
Claussens Buch ist die Wahrheit des vor nicht allzu langer Zeit erschienen Adorno-ABCs von Roger Behrens. In diesen wenigen Zeilen ist die Umfang der eingefangenen Gedanken- und Erfahrungswelt nicht wiederzugeben. Zentral sind die musikalischen Schriften und das Trauma des gescheiterten Komponisten Adorno, besonderes Augenmerk findet die Jazzkritik, deren teilweise Berechtigung darzustellen versucht wird. Schmerzlich fehlen Stichwort- und Personenregister. Claussen arbeitet viel mit sich wiederholenden Wendungen und Zitaten. Mag auch der didaktische Gehalt eines solchen Verfahrens einleuchten, nerven die dauernden Reprisen ab einer gewissen Stelle des Buches doch. Kaum erwähnt sind die beiden großen theoretischen Werke Negative Dialektik und Dialektik der Aufklärung, entfaltet wird die adornitische Theorie eher an den kleinen Schriften und an Briefen, auch die Vorlesungen finden wenig Beachtung. Manche Schwerpunktsetzungen sind fragwürdig. Warum es dreißig Seiten bedarf, um die Bedeutung Adornos bei der Entstehung von Thomas Manns Doktor Faustus herauszustreichen, Alfred Sohn Rethel aber nur mit wenigen Zeilen bedacht wird, bleibt im Dunkel der Intentionen des Autors. Überraschendes findet sich, wie etwa die Freundschaft Adornos mit Fritz Lang, dem Regisseur von Metropolis, die nur ein Hinweis drauf ist, wie gut Adorno Einblick hatte in die Filmmaschinerie Hollywoods und an welch konkretem Material sich das Kulturindustriekapitel der Dialektik der Aufklärung entfalten konnte. Claussen ist zumindest bemüht, Adorno nicht allzu sehr in den Himmel zu heben. So zieht das Wort „Sklavensprache“ seine Giftspur durch das ganze Werk, mit dem Claussen die Verschleierung der kommunistischen Intensionen und der Kritik der Gesellschaft durch Adorno anzeigt.
Ganz im Trend der Zeit will ich mit einer Anekdote schließen, derer sich glücklicherweise nicht allzuviele im Buch finden. Adorno schreibt: „Ich will nicht leugnen, dass ich zuweilen dem bösen Beispiel meiner Großtante folgte, von der die Familienchronik berichtete, sie habe als Kind in ihrem französischem Diktionär nachgeschlagen, was die Backmulde auf französisch heiße, und als er [der Französchlehrer, dc] die Antwort schuldig blieb, hämisch triumphierend geantwortet. ätsch, ätsch, ätsch, la huche.“ (84)
Fazit: Lesen.

mele


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last modified: 28.3.2007