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Die Kritik der Politischen Ökonomie von Marx


Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Antideutsch-Kommunistischen Gruppe Leipzig (AKG) und von Krisis Halle-Leipzig. (Teil 1)


Freitag, 8. November 2002, 19.00 Uhr
Hochschule für Graphik und Buchkunst (HGB),
Raum 2.41, Wächterstr.11, 04107 Leipzig

HANS-GEORG BACKHAUS
»Die esoterische Wahrheit des Marxschen Theorems: das „gesellschaftliche Sein“ bestimmt das „gesellschaftliche Bewusstsein“«
Gemäß der Marxschen Gesellschaftskritik bestimmt das Sein das Bewusstsein. So wissen es viele alte und neue Linke zu melden. Die „unmittelbaren materiellen Interessen“ seien die „Basis“ der Denkweisen, der Ideologie, des „Überbaus“ einer Gesellschaft. Die Linke versteht und verstand dieses Theorem zumeist völlig verkürzt. Sah sie sich einem Krieg gegenüber, so hatte sie nichts eiligeres zu tun, als die wahren „materiellen Interessen“ der „Kriegstreiber“ offen zu legen. Ein derartig verkürzter und missverstandener „Materialismus“ war und ist jedoch bestens dazu geeignet Gesellschaft zu verklären, anstatt sie zu erklären und zu kritisieren. Die angeblich „unmittelbaren“ materiellen Interessen werden selbst keiner Analyse mehr unterzogen. Gesellschaftstheorie endet, wenn man das zum Krieg gehörige Öl gefunden hat, um welches der Krieg angeblich geführt wird. Eine Analyse der Funktionsweise der Gesellschaft und die Suche nach Ansätzen, diese zu durchbrechen, unterbleiben infolgedessen.
Marx jedoch verstand unter seiner Aussage bezüglich des Seins und Bewusstseins keine Beschreibung des Menschen unter allen gesellschaftlichen Bedingungen. Vielmehr ist als Zumutung des Kapitalismus zu begreifen, dass dieser nicht nur gesellschaftliche Verhältnisse schafft, die sich gegen den Menschen und seine Bedürfnisse richten und ihm tendenziell keine Existenzmöglichkeit zugesteht, sofern er sich nicht verwerten kann oder will. Nicht nur jedwedes Handeln sondern auch das Denken von Menschen verläuft unter kapitalistischen Bedingungen gemäß der Warenform. Das menschliche Denken selbst nimmt Warenform an. Kapitalistische Vergesellschaftung vollzieht sich unter solchen Verhältnissen nicht jenseits der Menschen, sondern durch sie und somit ihre Köpfe hindurch und gleichzeitig über sie hinweg, wie Adorno feststellte. „Sie wissen das nicht aber sie tun (bzw. denken) es“ (Marx, Das Kapital 1).
Will Gesellschaftskritik ihren Gegenstand, den Kapitalismus wirklich treffen, so muss sie über dieses Moment reflektieren. Kapitalismus ist zu begreifen als Gesellschaft des sich selbst verwertenden Geldes welche nur besteht insofern er eben auch von Menschen gedacht wird. Gleichzeitig besteht jedoch in dieser Gesellschaft der Zwang, Ware und Geld zu denken, weil anders sich nicht existieren lässt. Soll diese Gesellschaftsordnung also wirklich überwunden werden, so muss neben einer Kritik des Geldes, über welches sich das bürgerliche Subjekt konstituiert eine Kritik warenförmiger Bewusstseinsformen realisiert werden.
Marxens Satz vom Sein, welches das Bewusstsein bestimmt, muss so in einem umfassenderen Kontext diskutiert werden. Es darf nicht mehr um unmittelbares Sein und Bewusstsein gehen – vielmehr muss ein gesellschaftlicher Begriff vom Sein und Bewusstsein entwickelt werden. Das Sein umfasst also nicht – altmarxistisch verstanden – das jeweilige Klassen- etc -interesse – sondern eben jenen gesellschaftlichen Prozess, in welchem Menschen im Kapitalismus durch Warentausch vergesellschaftet werden. Dieses schafft wiederum ein warenförmiges Bewusstsein. Es handelt sich hier um eine Dialektik von Prozess und Resultat: das gesellschaftliche Sein der Menschen in dieser Gesellschaft bringt die es selbst schaffenden Bewusstseinsformen, auf denen es wiederum beruht, permanent selbst hervor.
Gesellschaftskritik darf sich also nicht darauf beschränken, permanent irgendwelche „Interessen“ gegeneinander auszuspielen oder welche aufzudecken. Sie hat sich vielmehr die Gesellschaft selbst und die aus ihr resultierenden Bewusstseinsformen zum Gegenstand zu erklären. So erst kann Gesellschaftskritik aus dem Schatten einer Interessenpolitik innerhalb der Warenproduktion heraustreten und kann so erst wirklich gesellschaftsüberwindend auftreten.
Der Frankfurter Gesellschafts- und Ökonomiekritiker Hans-Georg Backhaus wird in diesem Kontext dem Marxschen Satz vom Sein und Bewusstsein im „Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie“ in einem umfassenderen Zusammenhang, speziell der gesamten Marxschen Ökonomiekritik in den „Grundrissen“ und der an Lukacs’ Kritik des verdinglichten Bewusstsein anschließenden Ideologiekritik Adornos diskutieren: Das gesellschaftliche Sein bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein, der Prozess schafft sich sein eigenes Resultat, auf dem er wiederum beruht, kapitalistische Gesellschaft formiert sich durch die Köpfe der Menschen hindurch und gleichzeitig über sie hinweg. Dahinter darf wirksame und wirkliche Gesellschaftskritik nicht zurückfallen.

Martin D.
(Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig, Krisis Halle-Leipzig)

Wichtige Literatur:
• Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort
• Theodor W. Adorno: Zur Lehre von der Geschichte und der Freiheit
• Derselbe: Ideologie, in: Institut für Sozialforschung: Soziologische Exkurse
• Derselbe: Reflexionen zur Klassentheorie, in: Soziologische Schriften 1
• Derselbe: Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft, ebenda
• Derselbe: Beitrag zur Ideologienlehre, ebenda

Vorlesungen von Adorno: relativ verständlich und einführend
• Einleitung in die Soziologie (1968)
• Metaphysik (1965)
• Probleme der Moralphilosophie (1963)
• Ontologie und Dialektik (1960/61)
• Zur Lehre von der Geschichte und der Freiheit (2001)

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last modified: 28.3.2007