home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[54][<<][>>]

Nur das Private ist politisch!

Blumfeld

, 0.0k
Alles ist so berechenbar. Niemand konnte ernsthaft daran zweifeln, daß Blumfeld, sobald nach ihrem zweiten Album „L’Etat Et Moi“ das dritte Produkt des Hauses erscheinen würde, auch tatsächlich in aller Munde sein werden – vom schlauesten Salonmarxisten in der Metropole bis zum sensiblen Bauernburschen und seiner Frau oder der identitätssozialisierten Großstadtautonomen und ihrem Hund.
Nahezu lückenlos kann, wenn gewollt, die Vermarktungsmaschinerie in Gang gesetzt werden. Und gerade in Hamburg hat man ja in Sachen Pop – deutsch blumfeld, 10.9k gesungen – die Binnennachfrage so kapitalistisch effektiv gesteigert, daß die mit „alternativer“ Authentizität behaftete Musikindustrie auf diesem Gebiet keinen Vergleich mehr mit einem anderen Wirtschaftszweig scheuen muß – im Gegenteil.
Nun gut, das Motzen darüber haben wahrscheinlich auch die Mannen von Blumfeld wenn schon nicht vollends verlernt, so doch entscheidend eingeschränkt und so gut wie auf Null gefahren. Als Beispiel dafür führt gerade das Blatt, daß es inzwischen noch weniger weiß, als eh niemals wußte, die SPEX, ein Stück von der jetzigen Platte „Old Nobody“ an: „(...) deshalb“ hieße „das Lied mit den explizitesten Sätzen über den ‘freien Markt’, ‘das Geld’ und ‘die Macht’ (...) eben nicht ‘Das Kapital’, sondern ‘So lebe ich’’’.
Das Modell Band-Kollektiv stand bei Blumfeld faktisch nie ernsthaft zur Diskussion. Jochen Distelmeyer (JD) war immer so frei, mit jeweiliger Einwilligung medial-öffentlich alle anderen der Band in den Hintergrund zu drücken. Das aber scheint deshalb logisch, weil sein Status als Poet der akademischen Popper nur unter Zuhilfenahme des tradierten Einzelkämpferbildes funktionieren kann. JD ist derjenige, der die Subtilität und Akribie, die durch das Gefühl einer mutmaßlichen Zwischenmenschlichkeit –, was immer das auch letztlich sein mag – hervorgerufen wird, im öffentlichen Raum durch seine Texte privatisiert.
Inzwischen bin ich fest davon überzeugt, daß JD ein fatales Signal aussendet: Die konsequente Formulierung einer Lebensmaxime aus den Distelmeyerschen Texten läßt sich auf die Kurzformel bringen, nur das Private sei politisch. Welcher allgemeinen beschissenen Tendenz oder besser: schon längst eingekehrter Realität er damit das Wort redet, schein JD kaum zu reflektieren.
Als ich die Platte „Old Nobody“ das erste Mal hörte, kam es mir gleich wieder in den Sinn: Das ehemals linke Pop-Umfeld ist heutzutage in aller Regel apolitisch wie nicht mal in den Achtzigern. Und eine Ikone wie Jochen gibt denen sogar noch Recht dabei!
Was nun wäre die Alternative? Ein Mann wie Distelmeyer, der mit linken Referenzen nicht hinter dem Berg halten bräuchte, es aber immer mehr tut, muß sich seiner fatalen Rolle bewußt werden, oder er kann als Quotenpopper ohne Wimpernzucken ins bürgerliche Feuilleton weitergereicht werden, wo die meisten Popper sowieso landen wollen!
Ich hab’s mir lange überlegt und posaune es hier heraus: Wer wie Distelmeyer tatsächliches Interesse daran hat, die Politik im Spiel zu lassen – und das hat er, das weiß ich –, der muß sich angesichts der eigenen Verantwortung gegenüber einem entpolitisierten Zustand Gedanken über Schlüsselerlebnisse machen, die den Bruch mit dem Gegenwärtigen effektiv symbolisieren. Und das bestünde insbesondere darin, als nächstes Blumfeld-Album ein Agit-Prop-Album zu machen, wo die Dinge mal wieder explizit beim Namen genannt werden! Meinetwegen im Austausch mit den Goldenen Zitronen, die als explizite Politband die Texte für Blumfeld liefern und Distelmeyers metaphorisch-poetische Texte vertonen könnten. O super, was gäbe das für einen Aufschrei und eine Empörung! Allein der Gedanke daran ist zum Händereiben!
Distelmeyers Texte bringen über das o.g. Referenzmodell jedoch gleichzeitig auch die Gefühle in die Linke zurück. Das jedoch passiert zu dem Preis, daß nur noch Eingeweihte vom linksradikalen Anspruch des Herrn Distelmeyer wissen können. Dennoch ist es wichtig und gut, daß die Gefühlsebene durch JDs Texte für einen Linken reflektierbar wird und sich nicht ausschließlich im Beliebigkeitspoppool sonstwo bedient werden muß. Denn, so banal es für Außenstehende auch anmuten mag, Gefühle auf der Ebene mutmaßlicher Zwischenmenschlichkeit sind in der Linken bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr ist es schon immer ein Manko der Linken gewesen, daß es innerhalb ihrer Strukturen kaum eine Ebene für zwischenmenschliche Gefühle gegeben hat. Schließlich galt das, was dann recht schnell als Geühlsduselei abgetan wird, bis heute als entscheidender Denkvorgang beim beginnenden Rückzug ins Private. Und dieser wird, bei aller sozialen Verbindung, Freundschaft, Feindschaft oder sonstwas, immer als Weg ins Unpolitische begriffen.
Gleichzeitig muß aber gesagt werden, daß der Zustand, wo das individuelle Gefühl zum politischen Maßstab wird – also quasi zu einer Art „zweiten Natur“ nach Marx, der diesen Begriff für das das Alltagsdenken durchdringende Warendenken im Kapitalismus einführte –, den Abgang der Linken von der Weltbühne der Geschichte bedeuten würde. (Wohin solches Denken führt, läßt sich gut an der Entwicklung des Identitätsfeminismus ablesen. Dort nämlich wird aus einer gefühlsmäßgen Identität heraus das als Realität Wahrgenommene kritisiert – siehe dazu den Artikel „Herrschaftskritik und Feminismus“ im Heft).
In diesem Zwiespalt steckt die Linke. Und der Riß geht eben auch durch Distelmeyer, auch wenn er’s sich vielleicht selbst gar nicht vergegenwärtigt. Insgesamt nämlich stellt sich bei JD die Frage, wie die Texte, die in einem eigentlich unvertretbaren Maße über den Kopf zustande kommen, ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden sollen: Gefühle funktionieren ja eben gerade nicht über den Kopf. In diesem Sinne ist Distelmeyer so schizophren wie die Linke insgesamt, denn Kopf und Gefühl schließen sich als Gleichzeitigkeit eigentlich aus. Der musikalische Horizont von Distelmeyer kann inzwischen als entideologisiert gelten. So und nicht anders werte ich hier mal seine diversen O-Töne zu den musikalischen Referenzen und Einflüssen für „Old Nobody“. Diese Entideologisierung wird bei Distelmeyer jedoch durch eine popspezifische Ästhetisierung ersetzt, die glücklicherweise auch die Ebene der philosophischen Rezeption seiner Texte verbaut. Das senkt unmittelbar den öminösen, nirgends wirklich definierten intellekutellen Anspruch auf das erforderliche Popmaß des Erfolges – ohne, daß die Akademien hierzulande die Institution Blumfeld alleinig „der Straße“ oder besser: den Charts überlassen müßten. Ralf


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[54][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007