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Eine Lebenslüge.

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Auch wenn sie es immer wieder bestreiten: Die Deutschen wußten vom Holocaust!

Sie gehört zu den Unwahrheiten, welche für den Aufbau der deutschen Nachkriegsstaaten konstituierend waren. Die Behauptung, niemand war dabei und keiner hat’s gewußt, reiht sich ein in den Mythos von den guten Deutschen, die angeblich von Hitler mißbraucht wurden oder in seinem Schatten schlafwandelten – ahnungslos, unschuldig.
Nazis böse, Deutsche gut, an dieser Quintessenz der Vergangenheitsbewältigung hat sich seit 1945 kaum etwas verändert und auf ihr basiert auch der gegenwärtige nationale Normalisierungs- und Schlußstrichdiskurs. Walser, Augstein, Dohnanyi, die hocherhabenen Hüter der politischen Kultur geben dabei beredetes Zeugnis ab, mit welcher
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Niemand war dabei
Emphase die Mär von der unbefleckten Vergangenheit der Deutschen verteidigt wird. Die Kameraden, Offiziere der Wehrmacht oder auch nur Sohn eines solchen, halten zusammen, dulden keine Provokation. In Erinnerung den deutschen Helden. Ohne Debatte wird denen ein Memorial nach dem anderen kredenzt: Der eine schreibt ihnen einen Bestseller, der andere bewahrt ihren Antisemitismus im renomiertesten deutschen Nachrichtenmagazin, der dritte poliert den Heiligenschein, indem er als Nachkomme eines „Verschwörers“ des 20. Juli einfach nur da ist.
Sicher, ab und an gab es auch während der Nachkiegsgeschichte zaghafte akademische Vorstöße (meist von nichtdeutschen Wissenschaftlern), die den Konsens der Kollektivunschuld ankratzten. Das Nach-89-Deutschland gestattete sich sogar eine Goldhagendebatte und einen Disput über die Verbrechen der Wehrmacht. Aber erstere ließen und lassen sich außerhalb der Universitäten noch leichter ignorieren, als es schon in ihnen der Fall ist, und bei besagten öffentlichen Auseinandersetzungen sind die Abwehrreaktionen mächtiger, mindestens aber langatmiger und durchsetzungfähiger als deren Auslöser. Sobald die Gefahr besteht, im kollektiven Bewußtsein könnten Zweifel an der reinen Lehre entstehen – immerhin, Goldhagens Buch war ein sensationeller Verkaufserfolg, die Wehrmachtsausstellung sahen bis jetzt 700.000 Besucher – wird eine karthartische Anstrengung unternommen, an deren Ende das Objekt der Provokation zwar weiter existiert, die naheliegenden Schlußfolgerungen jedoch abgewiesen sind. Verschwunden, untergegangen im Meer der unendlichen Differenzierungen. Beispiel: Man könne von den auf tausenden Fotos dokumentierten Verbrechen der Wehrmachtsoldaten nicht auf alle Soldaten schließen, (leider meint dies mittlerweile auch der Initiator der Ausstellung, J.P. Reemtsma), man könne genausowenig von Goldhagens Beschreibung der ganz normalen Vollstrecker auf die Masse der Deutschen verallgemeinern....
Daß man das nicht darf, läßt sich allerdings getrost verallgemeinern. Bei so einem Konsens, bedarf es keines Propheten, um davon auszugehen, daß die Mehrheit der heute lebenden Deutschen nicht nur denkt, ihre Eltern- und Großeltern seien unschuldig an den Verbrechen, die während des Nationalsozialismus geschahen, darüber hinaus glauben sie, daß die meisten nichts davon wußten.
Der selbstbewußte Kanzler der selbstbewußten Nation ist prominenter Beleg dafür. Das Outing zur Geschichtsauffassung des Regierungschefs erfolgte im Gespräch mit dem französischen Philosophen Bernhard-Henry Levy und läßt sich in der FAZ vom 19.2.99 nachlesen. Es mache keinen Sinn davon zu sprechen, daß das ganze Deutschland den Judenmord wollte und von ihm wußte, genauso wie man es seiner Meinung nach nicht zulassen dürfe, daß behauptet würde, die Wehrmacht könne in ihrer Mehrheit für Verbrechen verantwortlich sein.
Unser Kanzler, ganz Repräsentant der Gesellschaft, da braucht es eigentlich keine weiteren Illustrationen, um den Mainstream des Meinungsspektrums zu beschreiben. Trotzdem, für die, welche lieber mit Hilfe der Demoskopie argumentieren, an dieser Stelle die Ergebnisse einer zugegebenermaßen schon etwas angestaubten Emnid-Umfrage aus dem Jahr 1992. Damals waren 58% der Deutschen der Meinung, daß nur eine Minderheit bzw. ganz wenige von dem Mord an den Juden erfuhren. Hingegen gingen nur 21% der Befragten davon aus, daß für die Mehrheit bzw. fast alle der Deutschen die Vernichtungsaktionen schon während der NS-Zeit kein Geheimnis waren. Viel wird sich daran nicht geändert haben. Die Geschichtslüge wird immer wieder kolportiert, ja hergebetet. Mit der Angst der Deutschen vor der Rache der Alliierten wurde das behauptete Nichtwissen zur Liturgie. Versuchte Aufklärung hat es bis heute nicht geschafft, diesem Glaubenssatz beizukommen.
Der Grund: Die Masche von der Unwissenheit spielt beim Stricken der weißen Weste eine erhebliche Rolle, denn, so die landläufige Behauptung, hätte das deutsche Volk von dem Massenmord an den europäischen Juden erfahren, so hätte es Hitler die Gefolgschaft verweigert. Da der böse Diktator dem armen irreggeleiteten Volk aber angeblich die Wahhreit vorenthielt, hieß dessen Ehre bis zum Schluß – ja fast wirklich im Sinne der Propaganda: „Bis zum letzten Blutstropfen“ – Treue.
Man merkt, wie wertvoll die Unwissenheitsbehauptung für die Identität der Deutschen ist. Übt jemand an ihr Frevel, behauptet das Gegenteil, sagt, die Deutschen wußten bescheid und damit auch sie wollten es also, sonst hätten sie sich doch dagegen gewehrt oder wenigstens ihren Abscheu zum Ausdruck gebracht, dann trifft ihn der Bannstrahl, dann wird aus allen Rohren gefeuert, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Bisher gelang nur einem das Setting des Themas in einer Öffentlichkeit, die nicht nur im wissenschaftlichen Elfenbeinturm vor sich hindöst. Natürlich ist Goldhagen gemeint. Wer „Hitlers willige Vollstrecker“ noch nicht gelesen hat, der müßte bei anderen Machtverhältnissen ebenso nachsitzen wie der Kanzler. Für alle reumütigen Nachzügler: Im Goldhagen findet sich mit der Beschreibung des „eliminatorischen Antisemitismus“ der Deutschen nicht nur eine plausible Erklärung, warum sie die Juden umbrachten, sondern genauso gibt das Buch Hinweise auf die weit verbreitete Mitwisserschaft der Deutschen.
Entgegen der Behauptung, die „Endlösung“ wurde so geheim gehalten, daß keine Informationen darüber ins „Reich“ dringen konnten, zitiert Goldhagen zum Beispiel die Tagebuchaufzeichnungen von Ruth Andresa-Friedrich vom Dezember 1942: „In Scharen tauchen die Juden unter. Furchtbare Gerüchte gehn um über das Schicksal der Evakuierten. Von Massenerschießungen und Hungertod, von Folterung und Vergasung.“
War es auch nur inoffizielles Wissen, welches zu diesem Zeitpunkt über die Details der Vernichtungsaktionen im Umlauf war, so mußte es im Zusammenhang mit den überall in der Öffentlichkeit stattfindenden Deportationen der Juden in den Osten und mit den Versteigerungen jüdischen Eigentums ein relativ eindeutiges Bild von der Art und Weise der „Endlösung“ erzeugen. Gab es Zweifel, wenn die Juden unter Schikanen in Viehwaggons getrieben wurden und ihr Gepäck zurücklassen erhaengte partisanin, 9.2k mußten? Waren sich die Profiteure der Auktionen nicht sicher, daß niemals ein Jude mehr sein geraubtes und versteigertes Eigentum zurückfordern würde?
Goldhagen bezieht sich in seinen Passagen, die das Mitwissertum der Deutschen belegen, auf die wegweisende Studie „Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat“ von David Bankier. Durch sie kamen eine Vielzahl von Beweisen ans Tageslicht. So muß als Tatsache gelten, daß das Wissen von der systematischen Vernichtung der Juden im Osten mit ihrem Beginn im Herbst 1939 immer mehr Deutsche erreichte. Zeitgleich mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen und dem Beginn der Exekutionen erfuhr die deutsche Bevölkerung, und damit ist die Mehrheit, nicht nur die umittelbaren Täter und Beobachter gemeint, davon. Die Berichte des Sicherheitsdienstes und der NSDAP haben den Informationsstand der Deutschen sorgsam dokumentiert: „So wird bereits im November 1939 in einem Parteibericht aus dem nordwestlichen Westfalen erwähnt, daß sich die Soldaten in der Eisenbahn offen über die Greultaten der SS in Polen unterhalten haben. Nach ihren Erzählungen wurden die Juden in Gräben gestoßen und mit Handgranaten getötet. Einige begingen Selbstmord, um nicht den Todeskampf in den Händen der SS erleben zu müssen.“
Kaum begannen die Mordaktionen, schon sprachen die Deutschen darüber! Wie sollte der millionenfache Mord auch geheim bleiben. Soldaten, die sich daran beteiligten oder nur gafften, schickten detailierte Beschreibungen, oft auch Fotos an ihre Familien, welche die Informationen nicht für sich behielten, sondern weitererzählten.
Schon die Zahl der umittelbar Beteiligten lag nach neuesten Schätzungen (u.a. Goldhagen, aber auch Enzyklopädie des Nationalsozialismus) zwischen über fünfhunderttausend und einer Millionen. Sie alle hatten soziale Kontakte über ihren unmittelbaren Aktionsradius hinaus.
Weitere Belege: In manchen Kirchen predigten die Pfarrer nach der Niederlage von Stalingrad, daß dies die Strafe Gottes für die Behandlung der Juden sei und als in Katyn die Leichen der polnischen Offiziere gefunden wurden und die Deutschen daraus propagandistischen Gewinn ziehen wollten, kam es an öffentlichen Orten zu Äußerungen, man müsse nur ein paar hundert Kilometer weiter graben, um die Leichen von tausenden Juden zu finden. Auch Zwangsarbeiter verbreiteten unter den deutschen Sklavenhaltern die Informationen von den Massenmorden, deren Zeugen sie während ihrer Verschleppung geworden waren. All diese Hinweise auf den Wissenstand der Deutschen sind belegt und trotzdem erdreistet sich zum Beispiel Fritjof Meyer im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ als Reaktion auf Goldhagen unter dem Titel „Ein Volk von Dämonen?“ (Nr 21/1996) zu behaupten, die Deutschen hätten eigentlich doch nichts gewußt. Zwar kursierten hier und da Gerüchte und es gab wohl auch Kentnisse von Massakern, aber die „überwiegende Mehrheit der Deutschen, von Sorgen nur für die Allernächsten bedrückt ... wußte nichts von Auschwitz und den Vernichtungslagern in Polen. ...Woher konnten die Deutschen vom Massenmord erfahren? Er war schließlich eine geheime Reichssache?“
Da man im „Spiegel“ unter der Ägide Augsteins mit Lust und Liebe der Hobbyhistoriographie frönt, bereitet es Meyer einige Mühe, an den Klippen der Nachweisbarkeit für die Lügenkonstruktion vorbeizuschippern. Aber es geht. Wenn sich die Tatsache nicht mehr halten läßt, daß die Deutschen rein gar nichts von der Vernichtung der Juden wußten, so gibt man widerwillig wenigstens zu, daß sie von den Erschießungen durchaus erfahren haben könnten, von den Vergasungen aber nun wirklich nichts wissen konnten.
Zwar würde dies eigentlich nichts an der Schlußfolgerung ändern, daß die Deutschen genug wußten, um, wenn sie es gewollt hätten, gegen die Verfolgung der Juden aufbegehren zu können, aber das interessiert Apologeten der deutschen Unbescholtenheit wenig. Ihre unterschwellige Behauptung lautet: Nur das vollständige Wissen hätte das Widerstandspotential der Deutschen zur Explosion gebracht. Und man wäre nicht das an Verschwörungstheorien bestens geschulte Nachrichtenmagazin, wenn man den schwarzen Peter für die angebliche deutsche Unwissenheit nicht den Alliierten in die Militärstiefel schieben könnte. Sie hätten Flugblätter mit Informationen über die „Endlösung“ erst im Januar 1943 über Deutschland abgeworfen, „als sie schon als Rechtfertigung des alliierten Bombenterrors empfunden werden konnten.“ Außerdem, so der Spiegel weiter, hätten die Flugblätter mitunter gefälschte Lebensmittelkarten dargestellt, „die den Benutzer ins KZ brachten.“ Urhebern solcher schamlosen Absichten gehörten die Jahresausgaben besagten Magazins links und rechts um die Ohren gehauen und in den Mund gestopft.
Die Studie von Bankier beweißt, wie platt gelogen die Spiegel-Variation der These von der alliierten Schuld an den Nazi-Verbrechen ist: „Zwischen Januar und März 1943 wurden von der Royal Air Force Flugblätter über die Ermordung von Polen unter deutscher Besatzung verteilt und darin gewarnt, daß, wer immer sich daran beteilige, zur Verantwortung gezogen werden würde. Ausdrücklich wurde die Vernichtung von Polen und Juden auf anderen Flugblättern, die im Februar und März 1943 abgeworfen wurden, erwähnt. In dem Flugblatt „Die andere Seite“, das von der RAF zwischen Dezember 1943 und März 1944 abgeworfen wurde, stand ein Artikel von Thomas Mann und das Manifest der Geschwister Scholl, in dem die Massenerschießungen von Juden erwähnt werden... Auf verschiedenen Flugblättern wurden genaue Angaben über Vernichtungslager gemacht... In dem Flugblatt „Die Luftpost“, von dem zwischen dem 15. und 24. September 1944 über Kiel und Dortmund dreiviertel Millionen Stück abgeworfen wurden, beschrieb der britische Kriegskorrespondent Paul Winterton, der an der russischen Front gewesen war, in Einzelheiten die Gaskammern und Krematorien, in denen täglich 2.000 Juden ermordet worden waren“. Aus den erhaltenen SD-Berichten ist bekannt, daß die Deutschen die Flugblätter lasen und diskutierten.
Auch der Rundfunk der Anti-Hitler-Koalition berichtete in seinen deutschsprachigen Aufklärungssendungen über die Vergasungen. „Mit äußerster Genauigkeit wurde die tragische Geschichte der tschechichen Juden, die im Dezember 1943 nach Auschwitz geschickt und dort am 7. März 1944 vergast wurden, erzählt. Es gab ähnliche Sendungen aus der Sowjetunion über Massenvergasungen in Auschwitz.“
Weder die Behauptung, die Allierten seien letztendlich dafür verantwortlich, daß die Deutschen nichts von den Vernichtungsaktionen wußten, läßt sich aufrechterhalten, noch läßt sich daran festhalten, die Deutschen hätten von den Vergasungen und den Vernichtungslagern nichts gewußt.
Auch über den Charakter von Auschwitz wußten sie bescheid. Wenn deutsche Reisende mit dem Zug durch Auschwitz fuhren, standen sie auf, um
deutsche erhaengen partisanen, 5.0k
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Keiner hat's gewußt
besser sehen zu können. Ruth Andreas-Friedrich erwähnt in ihrem Tagebuch einen SD-Mann, der in einem Vorortzug prahlte, in Auschwitz würden wöchentlich 2.000 Juden ermordet und unter Polizisten und Zivilisten kursierte die Bemerkung „In Auschwitz wird hübsch gebraten.“
Unzählige Fakten ließen sich aufzählen, welche, käme es auf die Kraft der Beweise an, das Lügengerüst von der Unwissenheit der Deutschen zusammenbrechen lassen würden. Gegen den Unwillen der Deutschen, die Realität zur Kenntnis zur nehmen, läßt sich damit nicht viel ausrichten. Immer wieder wird behauptet, ja aber Genaues, Details von den Grausamkeiten... wußte die Bevölkerung damals nicht. Es waren doch alles nur Gerüchte, die unter dem Verdacht der Feindpropaganda standen. Am liebsten bringt die Abwehrfront aber ein ganz besonders perfides Entlastungsargument in Stellung: Die Informationen über die Vernichtung der europäischen Juden durch systematische Erschießungen, in den Gaskammern der Vernichtungslager, durch Arbeit oder auf den Todesmärschen waren so unglaublich, wie konnten sie da für die Wahrheit angesehen werden. Selbst die Alliierten glaubten ja nicht daran. Da das Argument fester Bestandteil der Geschichtsverdrehungen ist, steht es auch im besagten Spiegelartikel. Mit Bezug auf die abgeworfenen Flublätter der US-Force, heißt es: „Doch solche Enthüllungen, welche die Deutschen zur Rebellion bringen sollen, vermochten nicht mal die Amerikaner zu überzeugen: Mehr als die Hälfte der US-Bürger erklärten in einer Umfrage zu der Deklaration, sie glaubten nicht, daß die Nazis die Juden vorsätzlich getötet hätten.“
Mal abgesehen davon, daß die Amis auch keine Brüder und Väter hatten, welche mit ihren authentischen Eindrücken die anfänglichen Wissenslücken spätestens beim ersten Fronturlaub schließen konnten, suggeriert die Behauptung eine gleichartige Unbefangenheit von deutscher und amerikanischer Bevölkerung, die in Schul- und Uni-Gefilden eventuell noch ahnungloser Dummheit entspringt, jedoch auch dort und im Allgemeinen sowieso dem Entlastungskalkül zuzurechnen ist.
Schon bevor Hitler den Reichstag übernahm, bekannten sich Antisemitien in Deutschland zu einer eliminatorischen Option der „Lösung der Judenfrage“. Was sollte die Deutschen nach 1933 daran zweifeln lassen, daß jetzt, wo bekennende Judenhasser die Macht im Staate hatten und Antisemitismus zur offiziellen Ideologie avancierte, die „Endlösung der Judenfrage“ angegangen werden würde? „Die Juden sind unser Unglück“ oder „Juda verrecke“ waren Parolen, die überall zu sehen und zu hören waren. Wie waren die Nürnberger Rassegesetze, wie die Pogromnacht zu deuten? Als hoffnungsvolle Garantien für das Leben der Juden? Die Richtung der stufenweisen Ausgrenzung, Kennzeichnung und Konzentration der Juden wurde von den offiziellen Verlautbarungen der Ober-Nazis bestimmt. Hitler, Rosenberg, Goebbels etc. nahmen nie ein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, die baldigen „schärfsten Maßnahmen“ gegen die jüdische Bevölkerung anzukündigen.
Am 30. Januar 1939 verkündete der Führer die berühmte, gleichfalls unmißverständliche Prophezeiung: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“ Die Rede erschien im Völkischen Beobachter und wurde als Sonderdruck verteilt. Kaum jemand im Reich dürfte sie nicht wahrgenommen haben.
Auch die Propaganda ließ keine Fragen offen und trug ihren Teil zur Dämonisierung und Erniedrigung der Juden bei: In den 1940 aufgeführten drei antisemitischen Filmen, „Die Rothschilds“, „Jud Süß“, und „Der ewige Jude“ wurden die Bestandteile des Antisemitismus - Haß, Verachtung und Furcht - dermaßen gesteigert, daß in der Logik einer ungebrochenen Rezeption die Rettung des deutschen Volkes auf den Willen zur Vernichtung der Juden hinauslief.
Im März 1941 referierte Alfred Rosenberg, bekannter Hauptideologe der Nazis auf der Gründungssitzung eines „Instituts zur Erforschung der Judenfrage.“ Als Zuhörer befanden sich berühmte Professoren und Ehrengäste im Saal. Rosenberg kündigte die „Gesamtlösung der Judenfrage“ an und verband diese mit den Worten von der „säubernden biologischen Weltrevolution“. Aus dem Publikum pflichtete man ihm bei und erklärte, daß der „Volkstod“ der Juden das ultimative Ziel der „Gesamtlösung“ sein müsse. Auch diese Konferenz war nicht geheim, die Sitzungberichte wurden veröffentlicht und in einer bekannten medizinischen Zeitschrift erschien ein Bericht über die Tagung. Ähnliche Bekenntnisse wiederholten die Repräsentanten des deutschen Staates desöfteren. Und trotzdem sollen die Deutschen den Berichten über die Vernichtung der Juden keinen Glauben geschenkt haben, weil sie so unwahrscheinlich schienen?
Allein schon der Charakter des gesellschaftlichen Gesprächs, der überall transparente Vernichtungsantisemitismus mit seiner unverhohlenen Ankündigung des Mordens macht es fragwürdig, sich überhaupt auf eine empirische Beweisführung der Mitwisserschaft (so wie es im Vorangegangenen teilweise geschah) einzulassen. Denn das millionenfach Gewußte und das sogenannte und meist nur angeblich Nichtgewußte sind qualitativ nicht grundverschieden. Vielleicht ist es der Unterschied von Todesurteil und Vollstreckung. Aber auch dieser läßt sich nicht so einfach konstatieren, denn die ganz normalen Mitwisser, wurden, wenn man sie brauchte, zu ganz normalen Tätern.
Die ungebrochene Behauptung vom Nichtwissen müßte wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, stünde dem nicht ein kollektiver Abwehrmechanismus entgegen, der gegen herkömmliche Aufklärungsstrategien immun macht. Kurz nach dem Krieg erkannten einige schlaue Leute, daß man den Deutschen die Wahrheit über sie selber nur mit harten Bandagen wird eintrichtern können: So zwangen amerikanische Soldaten die Bevölkerung in der Umgebung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, sich die Leichenberge von geschundenen Häftlingen anzusehen. Nur kurze Zeit hat man an der harten Linie festgehalten, später dann im Westen während der Systemauseinandersetzung auf demokratischen Formalismus und die lockere lange Leine vertraut. So kommt es, daß sich hier bei der Betrachtung des Nationalsozialismus seit Jahren der gleiche Mist reproduziert und wohl auch weiterhin die Aufklärung gegen die Dreifaltigkeit der Schutzbehauptung – die Deutschen waren unwissend, ungläubig, unschuldig – versagen wird.
Frank


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last modified: 28.3.2007