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Neues vom deutschen Selbstbewußtsein.

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Mit ihrer Außenpolitik redet die rot-grüne Regierung Klartext. Viel unverblümter als noch während der Ära des „Westlers“ Kohl werden jetzt nationale Interessen vertreten.

Die alte Orientierung der bundesdeutschen Außenpolitik ließ sich bis ‘89 klipp und klar auf den Nenner der „Westbindung“ bringen. Die Einbindung in NATO und Europäische Institutionen war nicht nur der Interessenlage des Kalten Krieges, also der Einheitsfront gegen den Staatssozialismus geschuldet, vielmehr galt diese Orientierung gleichzeitig als eine Konsequenz aus dem Deutschen Sonderweg, dessen Folgen zwei Weltkriege und der millionenfache Mord an den Juden waren. Mit der Anbindung der BRD an die westlichen Demokratien sollte verhindert werden, daß Deutschland noch einmal Unheil über die Welt bringt.
Nach der Wiedervereinigung tastete sich die konservative Führungsspitze der Nation behutsam aber durchaus entschlossen an die Revision jenes außenpolitischen Paradigmas heran. „Kann man unter den neuen Voraussetzungen tatsächlich davon ausgehen, daß die alte Orientierung... die beste aller möglichen Strategien für Deutschland darstellt“, fragte das Lehrbuch neuer deutscher Außenpolitik, herausgegeben von Karl Kaiser, einem Berater des Kanzlers. Die Antwort lautete schon damals, daß man jetzt, nach dem Anschluß der neuen Bundesländer, ökonomisch und „geostrategisch“ viel zu „potent“ sei, um sich einfach aus der Weltpolitik raushalten zu können. Forthin definierte die deutsche Außenpolitik Interessen. Nicht aber ohne sich mit dem Hinweis, daß dies kein Rückgriff auf die Tradition des „geopolitischen Romantizismus“ und deutscher Machtstaatspolitik bedeute, abzusichern.
Nach Meinung von Michael Stürmer, ebenfalls ein außenpolitischer Berater von Helmut Kohl, sollten nationale Interessen noch in den „Dienst der internationalen Ordnung“ gestellt werden. Dieses Konzept der integrierten Großmachtpolitik war die Leitlinie der ersten acht Jahre
fischer im ministersessel, 10.8k
„ethische Weltmacht gut angezogen“
nach der Wiedervereinigung. Sowohl die Ethnisierungspolitik in Ex-Jugoslawien, das Engagement des Kanzlers in der Europäischen Union als auch die „special relationship“ zwischen den Vereinigten Staaten als Welt- und Deutschland als europäischer Hegemonialmacht lassen sich dementsprechend einordnen.
Nicht wenigen erschien schon damals der rechts-konservative Griff nach erneuter deutscher Weltmachtpolitik zu zaghaft. In der 1995 erschienenen Revisionistenbibel „Die selbstbewußte Nation“ wurde eine härtere Version gefordert. Mit einem ehrlichen und ungeschminkten Sprachgebrauch plädierte man hier für einen antiaufklärerischen, irrationalen Nationenbegriff, genauso wie für ein klares Bekenntnis zur Renaissance deutscher Geopolitik. Eine festgefügte Gemeinschaft im Innern ist die Voraussetzung zur Durchsetzung der Ansprüche auf die „Räume“ außerhalb der Staatsgrenzen, so ein Konsens der zahlreichen Autoren. Daß dies, wie bei imperialen Bestrebungen der Deutschen üblich, zu Krieg führt, wurde erkannt und affirmiert. Und das nicht von „rechtsradikalen“ Outsidern. Die unzufriedenen national-konservativen Krakeeler waren durchaus etabliert. Zum Beispiel arbeiteten sie für die Frankfurter Allgemeine. Deren Feldmeyer, Experte für Außenpolitik, argumentierte Anfang der 90er in dem Buch „Westbindung – Chancen und Risiken für Deutschland“, dem Vörgänger der „selbstbewußten Nation“, für das „Eingeständnis, daß militärische Gewaltanwendung, also Krieg, über den Zweck der Selbstverteidigung hinaus ein Mittel der Politik geblieben und unter gewissen Voraussetzungen gerechtfertigt ist.“ Nicht viel später votierte fast das gesamte Parlament der Deutschen für diesen Standpunkt. Der Waffengang gegen Rest-Jugoslawien befriedigte vorerst die akutesten Entzugserscheinungen.
Richtig glücklich ist man bis heute nicht. Immer noch agiere die deutsche Politik und mit ihr das Militär zu sehr im Schatten der Amerikaner. Darauf können sich schon seit Jahren Grüne und Republikaner einigen. Und den eifrigsten Protagonisten der Nation muß ihr lauthals verkündetes Selbstbewußtsein angesichts der Kohlschen Integrationspolitik in Europa wie Perlen vor die Säue erschienen sein. Aber auch der alte Kanzler, jüngst bedacht mit der europäischen Ehrenbürgerschaft, „stöhnte“, laut Nachrichtenmmagazin „Spiegel“, „bisweilen heftig über die Abhängigkeit von den USA, über die Ohnmacht nicht selbstständig entscheiden zu können.“
Die Zeichen mehren sich, daß jetzt alles anders wird. Mit einigem Getrampel vollzieht die frischgebackene sozialdemokratisch-alternative Regierungskoalition die nächsten Schritte zur Befreiung von der angeblichen Bevormundung. In der ersten Schröder-Erklärung beschwört der neue Mann an der Spitze „das Selbstbwußtsein einer erwachsenen Nation, die sich niemanden über- oder unterlegen fühlen muß.“ Das Land ist also jetzt erwachsen, die Flausen der Jugendzeit gehören der Vergangenheit an. Und, so ließe sich fortsetzend fragen, ist es da verwunderlich, wenn die Ideen und Taten der Eltern- und Großeltern gar nicht mehr so abwegig erscheinen?
Der FAZ jedenfalls nicht, denn sie erklärt die „erwachsene Nation“ als „die selbstbewußte Nation“, die „ihrer selbst bewußt ist“. Was heißen soll: „Sie wird Konflikte nicht mehr mit sich selbst, sondern nur noch mit anderen erleben...“
Den ersten gab es unlängst, als der grüne Außenminister Fischer bei einem Treffen mit seiner US-amerikanischen Kollegin laut darüber nachdachte, die NATO-Option zum Ersteinsatz von Kernwaffen über Bord zu werfen. Nun werden viele sagen, soviel Pazifismus steht den Verlierern des 1. und 2. Weltkrieges doch gut zu Gesicht, vergessen aber vor lauter Gerührtheit, daß die Deutschen noch nie verlegen waren, wenn es darum ging, handfeste Machtinteressen mit ethischem Hokuspokus zu ummämteln. Selbst wenn Fischer aus „höheren“ Motiven gehandelt haben sollte, dürfte er sich zumindestens im Voraus darüber im Klaren gewesen sein, daß sein im Alleingang vorgetragener Angriff auf das zentrale strategische Abschreckungskonzept der NATO Briten, Amerikaner und Franzosen nur brüskieren konnte.
War dieser Weg das Ziel? Sollte mit einem Paukenschlag die neue Anmaßung der Deutschen in der Welt verkündet werden?
Daß die Sozialdemokraten dabei sind, wenn am deutschen Wesen die Welt genesen soll, ist nichts Neues, daß die Grünen so ungeniert mittun, wird dem einen oder anderen Idealisten vielleicht noch überraschen. Steht doch seit Jahren in den außenpolitischen Grundsatzprogrammen der vermeintlichen Alternative die „Absage an nationale Machtpolitik“ und die „Selbsteinbindung in internationale Zusammenhänge“ ganz oben. Am Ende sind beide Grundsätze mit der Realpolitik der selbstbewußten Nation vereinbar. Ersterer eignet sich beispielsweise hervorragend, um die Rolle der Weltmacht USA zu kritisieren. Mit den Worten des zugegebenermaßen bestangezogenen Außemiministers, den die Deutschen bis jetzt vorweisen konnten, heißt das: „Wenn die in Washington husten“ dürfe das hierzulande „nicht gleich zu Starrkrämpfen führen.“ Und weiter liest man im „Spiegel“ über die Ansichten Fischers: „Viel zu lange hätten die Deutschen mit den Händen an der Hosennaht stramm gestanden.“ Nach dem Willen des grünen Chefs im Außenministerium müssen sich jetzt auch die USA daran gewöhnen, daß die Deutschen wieder eigene Standpunkte vertreten.
Besagte „Selbsteinbindung“ wird in Zukunft noch viel deutlicher Dominanz bedeuten. Von Selbstbeschränkung ist jedenfalls überhaupt nicht mehr die Rede. Stattdessen kündigte man in der EU an, die Nettozahlungen erheblich verringern zu wollen. „Wir wollen keine Politik in Europa fortsetzen, die sich das Wohlwollen der Partner...erkauft“, erklärte Schröder bei der jüngsten Bundestagsdebatte über die Europapolitik. Und Außenminister Fischer polterte beim EU-Gipfel in Wien als sei er ein Festredner der DVU. Deutschland sei nicht mehr länger „die Melkkuh der Union“.
Volk, Parteien und Führung sind sich nicht nur einig, sie sprechen auch noch den selben Jargon. Kein Wunder, daß da auch die Unzufriedenen vergangener Tage Beifall klatschen. Der Feldmeyer der Frankfurter Allgemeinen jubelt: „Jetzt wissen Deutschlands Partner ... wenigstens, woran sie sind ... Niemand kann ernsthaft etwas daran aussetzen, wenn Deutschland seine Interessen ... geltend macht.“ Deutschlands bekanntestes Nachrichtenmagazin findet die „neue Unbefangeheit mitunter erfrischend“ und befiehlt im Sinne des Aufbruchs der Politik: „Hände von der Hosennaht“. Ein „neuer Stil“ lobt auch Karl Kaiser, nicht mehr Kohl-Berater, dafür aber noch Direktor der Gesellschaft für Auswärtige Politik und freut sich besonders darüber, daß die neue Führungsklasse „im vollen Bewußtsein der deutschen Geschichte“ keine Notwendigkeit mehr darin sieht, „ständig historische Gedenkfeiern zu begehen.“
Es greift wirklich alles nahezu perfekt ineinander. Wehrmachtssoldaten und Antisemiten wie Walser und Augstein, die an Auschwitz nicht mehr denken mögen, definieren das „historische Bewußtsein“, und stellen damit den Persilschein für die neuen alten Weltmachtsambitionen der Deutschen aus. Im Großen und Ganzen nichts Neues in der deutschen Politik. Wo es lang geht, egal ob mit schwarz oder rot-grün, ist aber deutlicher denn je. Und das marschiert wird, wohl auch. Tom


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last modified: 28.3.2007