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Wir dokumentieren hier die Presseerklärung des Bündnis gegen Rechts, die, ein Jahr nach der antifaschistischen Demonstration in Wurzen, die Lage im Muldentalkreis einschätzt. Sie ging tatsächlich an alle(!) Rundfunk- und TV-Stationen sowie Zeitungen hierzulande. Kaum verwunderlich, daß sie totgeschwiegen wurde.
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Leipzig, den 12.11.1997

Presseerklärung

  • Ein Jahr nach der antifaschistischen Demonstration in Wurzen
  • Die scheinbar eingetretene Ruhe trügt
  • Eine Reihe von faschistischen und rassistischen Angriffen und Vorfällen in Wurzen und Umgebung sprechen eine andere Sprache
  • Die NPD hat im Muldentalkreis fest Fuß gefaßt
  • Das Leipziger Bündnis gegen Rechts (BGR) mit einer Einschätzung aus gegebenem Anlaß

Am 16. November 1996 fand in Wurzen, einer Kleinstadt in der Nähe von Leipzig, eine antifaschistische Demonstration mit ca. 6.000 Teilnehmern statt. Mit großem öffentlichen Interesse wurde das Anliegen der Demonstration „Kampf den braunen Zonen – den rechten Konsens durchbrechen! Keine Räume für Faschisten!“ aufgenommen. Alle großen Fernsehstationen sowie die regionale- und überregionale Presse brachten Beiträge über die Demonstration. Die Stadt Wurzen galt zu diesem Zeitpunkt als Inbegriff eines rechten Zentrums.

Mittlerweile scheint in der idyllischen Kleinstadt wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Seit einem Jahr gab es keine Schlagzeilen mehr, die im Zusammenhang mit der rechten Szene im Muldentalkreis stehen. Hat sich die Situation wirklich grundlegend geändert? Nein. Bis heute gelang es nicht, ein politisches Konzept zum Umgang mit den Rechten zu erstellen. Nichtsdestotrotz beschweren sich Politiker und Lokaljournalisten aus dem Muldentalkreis über das Stigma „rechte Hochburg“, welches angeblich nicht mehr den Realitäten entspreche (LVZ, 29.5.97). Wagen es Medienvertreter nachzuforschen, ob sich wirklich etwas in der Kleinstadt verändert hat, so wird dies als „blanke Provokation“ bewertet (vgl. LVZ/MTL, 10.4.97).
demo in wurzen, 6.8k Derweil setzt die Polizei auf sichtbare Prävention. So wurde die Sonderkomission Rechtsextremismus (Soko Rex) personell aufgestockt (LVZ, 30.8.97). Jeden Abend fahren sie in Wurzen Streife, um Übergriffe der Rechten zu verhindern. Infolgedessen hätte sich die Lage in Wurzen „zumindest an der Oberfläche“ beruhigt, so der Pressesprecher des Landeskriminalamts (LVZ, 15.4.97). Der sächsische Verfassungsschutz behandelt Wurzen weiterhin als rechtes Zentrum, halbierte jedoch in einer Verlautbarung vom März 97 die Anzahl der Rechtsextremisten auf 150 gegenüber 300 Rechtsextremisten, von denen vor der Demonstration die Rede war (Kleine Anfrage der SPD im sächsischen Landtag, 22.3.97/Az: 63-0141.50/92).

Von einer grundlegenden politischen Wende im Muldentalkreis kann nach Einschätzung des Bündnis gegen Rechts nicht ausgegangen werden. Der scheinbar eingetretenen Ruhe im Muldentalkreis widerspricht nicht nur der hohe Aufwand, mit dem die Polizei (insb. die Soko Rex) bemüht ist, die Aktivitäten der rechten Jugendlichen zu bändigen, sondern gerade die Tatsache, daß dies nicht gelingt. Vom Zeitpunkt der vorjährigen antifaschistischen Demonstration bis heute liegen dem Bündnis gegen Rechts Informationen von über 45 rassistischen und faschistischen Aktionen vor, die in einem engen Zusammenhang mit der Muldentaler Neonazi-Szene stehen. Die Palette reicht dabei vom Verteilen von Flugblättern und Hakenkreuzschmierereien über die Teilnahme an Demonstrationen bis zu Angriffen auf Migranten und politische Gegner sowie Auseinandersetzungen mit der Polizei. (siehe dazu die Chronologie auf den folgenden Seiten – C.I.)

Genau diese Fakten belegen, daß von einer Beruhigung der Situation in Wurzen und im Muldentalkreis nicht ausgegangen werden kann. Das rechtsextreme Potential ist nach wie vor vorhanden und hat seine Aktivitäten nur teilweise auf umliegende Orte verlagert.
Die NPD hat mittlerweile im Muldentalkreis fest Fuß gefaßt und das Aktionspotential der Rechten auf Ereignisse von bundesweiter Relevanz geleitet, wie bei dem Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung in München, der bundesweit mobilisierten Demonstration zum 1. Mai 1997 und der Beteiligung an den Aktionswochen zum Todestag von Rudolf Heß. Die NPD hat mit ihrem Kreisvorsitzenden Marcus Müller beste Kontakte zum militanten Teil der Neonazis im Muldentalkreis. Marcus Müller ist Kameradschaftsführer von Wurzen und wird vom Verfassungsschutz als eine Person charakterisiert, die „Charisma ausstrahlen und eine Sammlungsbewegung zustande bringen könnte.“ (Sächsische Zeitung, 29.7.96; LVZ, 11.8.97)
Daneben konnte sich auch die faschistische Subkultur im Muldentalkreis weiter verfestigen. So hat sogar der rassistische Klu Klux Klan (KKK) dieses Potential für sich entdeckt und erste Veranstaltungen im Muldentalkreis durchgeführt.
Diese Tatsachen widersprechen den Verlautbarungen der Muldentaler Lokalpolitiker- und Journalisten. Die Gründe dafür unterscheiden sich kaum von denjenigen, die schon vor der antifaschistischen Demonstration im November 96 dafür ausschlaggebend waren, das Problem der rechten Hochburg Muldentalkreis nicht wahrnehmen zu wollen. Ein immer wieder zur Schau gestellter Lokalpatriotismus, eine Wir-Identität, die auch die rechten Jugendlichen mit einbezeiht, verhindert die kritische Anerkenntnis der rechten Hegemonie im Muldentalkreis und damit auch grundsätzlich wirkende antifaschistische Strategien. Das Leipziger Bündnis gegen Rechts behält es sich deshalb vor, auch weiterhin diesen speziellen rechten Konsens anzuprangern und mit Aktionen wie der Demonstration vom November ‘96 dagegen vorzugehen. Die hiermit angesprochenen Medienvertreter fordern wir auf, sich nicht von der „Wir wollen endlich Ruhe in unsrerer Stadt“-Mentalität der Wurzner (u.a.) anstecken zu lassen und auch weiterhin im Muldentalkreis nach den Rechten zu sehen. Bündnis gegen Rechts, Leipzig

Kontakt:
Bündnis gegen Rechts (BgR)
c/o VL
PF 54
04251 Leipzig
Fax: 0341 - 9608303
E-Mail: BGR@LINK-L.cl.sub.de



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last modified: 28.3.2007