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Saalfeld.
Ein Stück deutscher Normalität II.

Die für den 11. Oktober in Saalfeld/Thüringen geplante antifaschistische Bündnisdemonstration unter dem Motto „Den rechten Konsens durchbrechen!“ fand nicht statt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde eine maßgeblich von Gewerkschaftskreisen, Parteien und unabhängigen Gruppen organisierte antifaschistische Demonstration verboten. Die nach den Heß-Aktionstagen der Nazis aufgrund der auf den ersten Blick erstaunlichen repressiven Vorgehensweise des Staates geäußerte Vermutung, dies könne sich bald auch gegen die antifaschistische Bewegung richten, hat sich somit schneller, als dies überhaupt von vielen zur Kenntnis genommen wurde, bewahrheitet.

Ein (unvollständiger) Beitrag über staatliche Repression und Naziumtriebe, Provinzposse und möglichen Präzedenzfall, Gegenaktivitäten und Perspektiven.

Trotz des Verbots kam es am Sonnabend zu zahlreichen Demonstrationen. Ein Großteil der ca. 3500 ursprünglich erwarteten TeilnehmerInnen beteiligte sich bundesweit an Protestveranstaltungen gegen das Verbot. So demonstrierten in Erfurt 300, in Jena 100 und in Leipzig 500 Personen gegen die kriminalisierende Verfügung. Zur wohl aufseheneregensten Aktion des Tages kam es am Nachmittag auf der Autobahn München-Berlin, Höhe Eisenberg. Ca. 600 Antifas aus Berlin, Nürnberg und anderen Städten blockierten angesichts eines weiteren
demo in leipzig, 11.8k
Folglich hatte die Spontandemonstration in Leipzig das passende Motto.
Demonstrationsverbotes für den Ausweichort Erfurt vier Stunden die Fahrbahnen. Kilometerlange Staus waren die Folge. Im Anschluß an die Blockade nahm die Polizei, entgegen ihrer Zusicherung, man könne nach Jena oder Leipzig weiterreisen, um sich dort an Demonstrationen zu beteiligen, 400 Personen fest. Sie wurden in das eigens dafür wiederhergerichtete, ehemalige DDR-Gefängnis Unterwellenborn bei Saalfeld verbracht. Dort herrschten schikanöse Bedingungen: Die Heizung des eigentlich schon stillgelegten Knastes funktionierte nicht, die Verhafteten wurden z.T. mit ebenfalls festgenommenen Nazis zusammengelegt. Letztere erhielten Lebensmittellieferungen von ihren Eltern und Kameraden, während den Antifas Essen und Getränke nur sporadisch und unzureichend bereitgestellt wurden. Weiterhin wurden Gefangene geschlagen, Frauen überdies von den Wärtern sexuell belästigt und mit Vergewaltigungen bedroht. Alle AntifaschistInnen wurden dann Sonntagnacht, unabhängig vom Wohnort und zum großen Teil noch gefesselt, mit einem Sonderzug nach Berlin zurückgeschickt. Da alle Protestaktionen friedlich verliefen, scheint die Verhaftung der Autobahnblockierer wohl als Legitimation für den Riesenaufwand der Polizei, die mit 7000 BeamtInnen aus mehreren Bundesländern im Einsatz war, zu dienen.
Doch damit nicht genug. Bereits am Morgen hatte ein USK-Kommando der Polizei in Saalfeld ein alternatives Wohnhaus gestürmt und 14 Personen festgenommen. Als Begründung für den Überfall gaben die Bullen vermutete Drogen- und Waffenlager an. Daß der eigentliche Grund wohl darin bestand, die dort vermuteten Organisatoren der Demonstrationen festzunehmen und handlungsunfähig zu machen, wurde nicht erwähnt. Im Laufe des Tages kam es auf den Bahnhöfen von Saalfeld und Gera zu weiteren Verhaftungen von anreisenden TeilnehmerInnen.
Die Verbotsverfügung stützte sich im wesentlichen auf die angeblich fehlende Kompetenz der AnmelderInnen und auf den Entwurf „linksextremistischer“ Horrorszenarien. Dazu mußte u. a. ein Diskussionspapier des autonomen Rhein-Main Infos „Swing“ aus dem Jahre 1993 herhalten. Aus der dort geäußerten Einschätzung, „... der Tod eines Faschisten muß nicht gezieltes Kalkül sein, dies widerspricht unserer politischen Moral.“ wurde gar eine Tötungsabsicht konstruiert. Neben weiteren z.T. nicht zulässigen, das Verbot angeblich rechtfertigenden Kriterien, wurden auch einige haarsträubende und – sähen wir uns nicht mit so einer ernsten Situation konfrontiert – erheiternde Punkte angeführt. Das bekanntermaßen weltweit zugängliche Internet beispielsweise wurde als unpassendes Medium zur Mobilisierung beanstandet, da die AnmelderInnen somit nicht mehr die Kontrolle über die ursprünglich Thüringenweit und mit 300 Personen angemeldete Demonstration gehabt hätten. Daß die vor einem Jahr in Wurzen durchgeführte, noch bei weitem größere friedliche Demonstration, sämtliche in Saalfeld konstruierte Sicherheitsrisiken á la „Thüringen als Aufmarschgebiet linker und rechter Chaoten“ (thür. Innenminister Dewes, SPD) ab adsurdum geführt hat, wurde hier konsequent übergangen.

Daß diese, in ihrer Gesamtheit bis zum heutigen Zeitpunkt einmaligen Kriterien zum Verbot einer antifaschistischen Demonstration, im Gegenzug von den AnmelderInnen nicht angefochten wurden, darin liegt wohl der einzige Fehler der ansonsten guten Vorbereitung. Gleichzeitig bedeutet dies eine große Gefahr für die Zukunft. Sollte das Verbot nicht im Nachhinein revidiert werden, könnte es als Präzedenzfall für sämtliche vergleichbare Vorhaben herangezogen werden. Faktisch ist so jede Demonstration – würde sie z. B. von einer Gegenanmeldung der Nazis begleitet – zu verbieten. Wie bekannt ist, wurde die Demonstration maßgeblich von Gewerkschaftskreisen organisiert. Neben der Tatsache, daß das Verbot somit ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte darstellt, ist der Bestand dieser, für die derzeitige antifaschistische Arbeit immens wichtigen Konstellation, umso bedeutender. Es ist demzufolge notwendig, der durch die staatlichen Institutionen beabsichtigten Spaltung wirksam entgegenzutreten. Unter anderem wird an einer Demonstration festgehalten. Der erneute Versuch beabsichtigt, mit noch größerer TeilnehmerInnenzahl, unter Einbeziehung aller antifaschistisch und demokratisch gesinnten Kräfte die ursprünglichen Inhalte zu thematisieren und machtvoll unseren Protest gegen das Verbot und die allgemeine gesellschaftliche Diskreditierung von Antifaschismus zum Ausdruck zu bringen.

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Extremistenaufmärsche, Chaostage, etc. ...

Anmerkungen:
(1)Eine Chronologie neonazistischer Aktivitäten ist u.a. im CEE IEH # 37 nachzulesen.
(2)Ein weiteres Beispiel für die Einstellung der Abgeordneten liefert folgende Passage aus dem genannten Schreiben: „Die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die unsägliches Leid nicht nur über das deutsche Volk [sic!], sondern über die gesamte Menschheit gebracht haben, implizieren und erfordern geradezu diese konsequente Haltung gegen Gewalt, Rechtsmißbrauch und politische Ignoranz.“
Über das Verbot hinaus hatte es schon im Vorfeld zahlreiche Versuche der Kriminalisierung gegeben. Das eigentliche Ziel der mit großem Aufwand über Monate vorbereiteten Demonstration – die Thematisierung der lokalen Neonaziumtriebe, insbesondere der Versuch, ein „nationales“ Jugendzentrum zu etablieren und das billigende Verhalten von örtlichen Behörden und Bevölkerung – wurde als unerwünscht abgetan und massiv angegriffen. Während sich die Naziszene in Saalfeld und Umgebung immer fester organisieren kann – die Gründung eines NPD-Verbandes für den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt im Juli ist ein beredtes Beispiel – verfällt auch der Bürgermeister Richard Beetz (CDU) in bekannte Erklärungsmuster: Er kann keine Rechtsextremisten in seinem Zuständigkeitsbereich erkennen.(1) Dabei errinnern die Stellungnahmen der Saalfelder Öffentlichkeit stark an das provinzielle Klima im Muldentalkreis. Unter Leugnung der Naziaktivitäten sorgt sich die Stadt dann auch eher um ihr Ansehen – und arbeitet den Neonazis damit in die Hände –, als eine konsequente Verfolgung der neofaschistischen und rassistischen Auswüchse zu betreiben. In einem offenem Brief an die AnmelderInnen forderte das Stadtparlament, die Demonstration abzusagen: Der Stadt Saalfeld sei bereits im Vorfeld der Demonstration „ein beträchtlicher, nicht wieder gut zu machender, öffentlicher, politischer, sozialer und damit letztlich wirtschaftlicher Schaden zugefügt worden.“(2) Aus der allgemeinen Stimmung resultierte schließlich auch die indirekte Ermunterung der Ostthüringischen Zeitung an die Rechten, doch auch eine Demonstration anzumelden: „... Noch ist zum Glück genug Zeit. Übrigens auch für die Gegenseite, die dem geplanten Aufmarsch erfahrungsgemäß nicht tatenlos zusehen wird...“ (OTZ, 7.8.97). Die daraufhin durch die Anmeldung einer NPD-Gegendemonstration befürchteten Auseinandersetzungen lieferten einerseits einen Hauptgrund für das Verbot, andererseits war ab jetzt nur noch die Rede von den, „durch die Linken beabsichtigten Chaos-Tage.“

Von wem hier welche Gefahr ausgeht, zeigt sich in der abschließenden Betrachtung der Nazis. In den frühen Morgenstunden des 11. Oktober stürmte die Polizei eine Gaststätte in Heilsberg bei Rudolstadt, die schon länger als bedeutender überregionaler Treffpunkt der Nazis dient. 56 Faschos wurden festgenommen. Beschlagnahmt wurden dort eine komplette angriffsfähige Ausstattung; darunter 60 Schlagstöcke, 300 Feuerwerkskörper, 60 Hieb- und Stichwaffen, sechs Äxte, Stacheldraht, mehrere Schreckschußpistolen und Helme, desweiteren eine Funkausrüstung. Außerdem ist bekannt geworden, daß sich Nazis in einem Saalfelder US-Army Shop nach Kaufmöglichkeiten für Helme und Trikots mit dem Aufdruck „Polizei“ erkundigt sowie mehrfach Waffen mit dem Hinweis auf den 11. Oktober gekauft hatten.

Soweit eine Zusammenfassung der Ereignisse. Schon die nächste Demonstration im sächsischen Freiberg am 1. November – auch hier ist ein Verbot im Gespräch – sowie die Entwicklung in Saalfeld werden zeigen, ob das skandalöse Verbot vom 11.10. als ein weiteres Stück deutscher Normalität an Kontinuität gewinnt. Unsere Forderung ist demnach wichtiger denn je:

Den rechten Konsens durchbrechen!!!

Alexander


Dokumentation:

Leipzig, den 11. Oktober 1997

Pressemitteilung

  • Demonstrationen und Aktionen gegen das Verbot der Demonstration „Den rechten Konsens durchbrechen“ in Saalfeld
  • Ungerechtfertigte Massenfestnahme bei friedlichen Aktionen
  • Skandalöse Verbotsverfügung

Am 11.10.1997 fanden in Thüringen und Sachsen mehrere Demonstrationen und Aktionen statt, die sich gegen das Verbot der für den gleichen Tag angemeldeten antifaschistischen Demonstration in Saalfeld richteten. Insgesamt nahmen mehr als 1.500 Antifaschistinnen und Antifaschisten daran teil. Weitere 500 Menschen versuchten, an den Veranstaltungen teilzunehmen, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Für die ursprünglich angemeldete Demonstration wurde zuletzt mit 3.500 Teilnehmenden gerechnet.
autobahnblockade, 4.7k Im Anschluß an eine Autobahnblockade verhaftete die Polizei ca. 400 Menschen. An der Blockade nahmen ca. 600 Personen teil. Die Polizeiaktion war in keiner Weise gerechtfertigt, da die Demonstrierenden während der Verhandlungen mit der Polizei die Bereitschaft zum Verlassen der Autobahn deutlich machten.
In Leipzig demonstrierten 500 Menschen gegen die Verbote. In Erfurt fanden sich 300 und in Jena 100 Menschen spontan zusammen, um gegen die Kriminalisierung von antifaschistischen Demonstrationen zu protestieren. Alle Versammlungen verliefen friedlich.
Das Verbot der antifaschistischen Demonstration „Den rechten Konsens durchbrechen“ in Saalfeld sorgte bundesweit für Empörung.
Erstmals wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine antifaschistische Bündnisdemonstration, die maßgeblich von Gewerkschaften, Parteien und unabhängigen Gruppen organisiert wurde, verboten. Der Anmelder, Angelo Lucifero, wurde exemplarisch dafür gemaßregelt, sich gesellschaftskritisch eingemischt zu haben. Die Verbotsverfügung beruft sich hauptsächlich auf angeblich fehlende Kompetenz der Anmelder und auf den Entwurf „linksextremistischer“ Horrorszenarien. Zur Untermauerung dienen Ereignisse und mehrere Jahre alte Zitate, die in keinem Bezug zu der geplanten Demonstration stehen.
In dieser Art und Weise läßt sich jede größere antifaschistische Demonstration pauschal kriminalisieren. Die Bestätigung des Verbotes durch das Verwaltungsgericht Gera zeigt, daß Antifaschismus politisch diskreditiert werden soll. Dies zeigt sich auch in der unerträglichen Gleichsetzung der antifaschistischen Demonstration mit neonazistischen Gegenaktivitäten.
Wir protestieren auf das Schärfste gegen die im Verbot enthaltene Tendenz, jeden öffentlichen Ausdruck von Antifaschismus zu unterdrücken. Die Erfahrungen mit antifaschistischen Großdemonstrationen, wie im November 1996 in Wurzen, widerlegen eindrucksvoll die konstruierten Sicherheitsrisiken der Saalfelder Verbotsverfügung.
Wir sind auch in Zukunft nicht bereit, uns dem Entzug der Grundrechte durch Verwaltung, Gerichte und Polizei zu beugen. Wir fordern die sofortige Freilassung aller im Rahmen der heutigen Polizeiaktionen gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten Festgenommenen.
Ziel der Demonstration in Saalfeld sollte die Thematisierung der lokalen Neonaziumtriebe und das billigende Verhalten von örtlichen Behörden und Bevölkerung sein.
Während sich im Sommer diesen Jahres ein NPD-Kreisverband gründete, kann Bürgermeister Beetz (CDU) keine Rechtsextremisten in seinem Zuständigkeitsbereich finden. Polizeidirektor Günther Kick geht sogar soweit, die Gefährlichkeit der örtlichen Neonaziszene zu leugnen. Diese hatte sich im Vorfeld der Demonstration durch massive Morddrohungen gegen den Anmelder erneut bewiesen.
Die Polizei erkennt das Gefahrenpotential indirekt an. In der Verbotsverfügung wird auf die Möglichkeit rechtsterroristischer Übergriffe auf Demonstrationsteilnehmende verwiesen. Gegen diese sei auch die Polizei machtlos.
Die politisch Verantwortlichen forderten einhellig das Verbot. Unter Leugnung des Neonaziproblems forderte das Stadtparlament in einem offenen Brief die Anmelder auf, die Demonstration abzusagen. „Der Stadt ist schon durch den Aufruf nicht wieder gut zu machender Schaden entstanden.“ An die Organisatoren der neonazistischen Gegendemonstration erging ein solcher Aufruf nicht.
Wir halten es deshalb nachwievor für richtig, das Neonaziproblem in Saalfeld-Rudolstadt öffentlich zu machen. Daran können auch Demonstrationsverbote nichts ändern. Den rechten Konsens durchbrechen!

Leipziger Antifaschistisches Pressebüro
11.10.1997

Hintergrund I: Chronologie der Ereignisse am 11.10.1997

Am Morgen nimmt die Polizei in Heilsberg bei Rudolstadt 56 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet vorläufig fest. Beschlagnahmt wurden dabei u.a. 60 Schlagstöcke, 60 Hieb- und Stichwaffen, 300 Schuß Leuchtspurmunition, 4 Schreckschußpistolen, 6 Äxte, 10 Funkscanner und eine komplette Funkanlage.
Ebenfalls am Morgen stürmt ein Unterstützungskommando (USK) der Polizei ein Wohnhaus, in dem die Polizei die Organisatoren der antifaschistischen Demonstration vermutete, und nimmt 14 Anwesende fest. Ein Hausdurchsuchungsbefehl wird nicht vorgewiesen. Als Grund für den Überfall, bei dem die Tür des Hauses gesprengt werden sollte, gab die Polizei vermutete Funde von Drogen und Waffen an. Außerdem vermutete die Polizei gewaltbereite Personen im Keller des Hauses. Beschlagnahmt wurden Funktelefone und ein geschnitzter Holzstock. Unter den Verhafteten befanden sich auch drei Kölner Journalisten.
Heute wurden um 14.00 Uhr in Saalfeld während einer Flugblattverteilung von DGB und PDS ca. 20 mit dem Zug ankommende Personen verhaftet. Sie wurden von der Polizei eingekesselt und abtransportiert. Weitere 60 Verhaftungen fanden am Geraer Bahnhof statt. Auch in Saalfeld selbst fanden danach noch ca. 50 Verhaftungen statt.
bullen, 5.3k Ebenfalls 14.00 Uhr demonstrieren in Jena spontan ca. 100 Menschen gegen das Verbot ohne Zwischenfälle. Von 15.00 bis 17.00 Uhr demonstrieren 300 Menschen trotz Verbot ohne Zwischenfälle in Erfurt.
Um 15.30 Uhr blockierten ca. 600 Demonstrantinnen und Demonstranten, die nach Erfurt zu einer Spontankundgebung wollten, die Autobahn in beiden Richtungen mit Fahnen und Transparenten. Gegen 16.00 Uhr treffen mehrere Polizeieinheiten ein und die Polizei beginnt, mit den Blockierenden zu verhandeln. Die Polizei bietet den Blockierenden Demonstrationsmöglichkeiten in Leipzig und Jena an. Ca. 16.30 Uhr will die Polizei ohne erkennbaren Grund die Personalien aller Beteiligten aufnehmen und kesselt diese ein. Um 19.00 Uhr werden sie unter massivem Polizeiaufgebot in das Gefängnis von Unterwellenborn bei Saalfeld verbracht.
16.00 bis 19.00 Uhr demonstrieren 500 Menschen in der Leipziger Innenstadt unter dem Motto „1933 – Verbot der Gewerkschaften. 1997 – Verbot der Gewerkschaftsdemo“. In Redebeiträgen wurde die fatale Bedeutung des Verbots für antifaschistische Politik hingewiesen. Weiterhin war auf Transparenten zu lesen: „Den rassistischen Normalzustand angreifen. Den Nazis den Boden entziehen.“ Im Anschluß an die Demonstration wurde die Kreuzung Karl-Tauchnitz-Str./Marin-Luther-Ring für eine Stunde blockiert.

Hintergrund II: Zur Verbotsverfügung

Die Verbotsverfügung stützt sich hauptsächlich auf:

  • Der Anmelder habe abgelehnt, die Ordner namentlich zu benennen (was unseres Wissen keine legale Auflage darstellt).
  • Der Anmelder habe gegen das Verbot von Seitentransparenten und Hunden Bedenken geäußert.
  • Der Anmelder habe betont, daß massive Polizeipräsenz eskalierend wirken könne. Er plädierte deshalb für polizeiliche Zurückhaltung und versicherte „einige Spinner, die immer dabei sind“ durch eigene Ordner zu mäßigen.
  • Der Anmelder habe die rechtsextreme Gefahr in Saalfeld aufgebauscht. Dies begründet die Ordnungsbehörde mit einem Vorfall, den der Anmelder veröffentlichte, welcher der Polizei aber nur durch die Presse bekannt wurde.
  • Da für die Demonstration im weltweit zugänglichen Internet und bundesweit vertriebenen Zeitschriften aufgerufen wurde, würden mehr als die angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen. Der Anmelder könne den Verlauf deshalb nicht mehr beherrschen.
  • An einem Vorbereitungstreffen zur Demonstration hätten sich bestimmte Personen aus Saalfeld beteiligt, denen die Polizei Rechtsverstöße vorwirft. (Die aus diesen Vorwürfen resultierenden Verfahren wurden allerdings eingestellt.) Der Anmelder verweigere die sorgfältige Auswahl der Teilnehmenden an den Vorbereitungstreffen und wolle dort auch keine Eingangskontrollen durchführen.
  • Straftaten von „Linken“ im Landkreis (ohne das ein Bezug zur Demonstration erkennbar ist).
  • Einen eigenen Demonstrationsaufruf der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO). Daraus wird auf zu erwartende „Schwarze Blöcke“ geschlossen, ohne daß dazu konkret aufgerufen wurde.
  • Neonazis hätten sich in Saalfeld nach Kaufmöglichkeiten für Helme und T-Shirts mit der Aufschrift „Polizei“ erkundigt. Außerdem seien von Neonazis mehrfach Waffen mit Verweis auf den 11.10.1997 gekauft worden. Deshalb seien Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken zu befürchten.
  • Ein Zitat aus einem Diskussionsbeitrag in einer westdeutschen Regionalzeitschrift vom Mai 1993. Dort sieht die Ordnungsbehörde eine zunehmende Gewaltbereitschaft und Brutalität autonomer Antifa bewiesen.
  • In letzter Zeit seien in verschiedenen bundesdeutschen Städten Gewalttätigkeiten bei antifaschistischen Aktionen zu verzeichnen.
Das Verwaltungsgericht Gera bestätigte diese Begründung unter besonderem Verweis auf die zu erwartende größere Zahl an Teilnehmenden und der angemahnten Deeskaltionsstrategie durch Anmelder bei der Polizei. Eine Klage beim Oberverwaltungsgericht wurde nicht eingereicht.
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Die folgenden beiden Redebeiträge sollten auf der Demonstration in Saalfeld gehalten werden. Damit sie nicht völlig untergehen, sind sie hier dokumentiert.

Der Konsens verschiebt sich weiter nach rechts

Ein Redebeitrag über die NPD und die JN von einigen Antifas aus Leipzig. Dabei soll allerdings weniger auf deren Rolle in der Nationalsozialistischen Szene eingegangen werden, dies dürfte durch die vielen Artikel in diversen Szene-Publikationen ausreichend bekannt sein. Vielmehr wollen wir über die Rolle der NPD und JN in der Gesellschaft ein paar Worte verlieren.

1. März 1997 – 5.000 alte und neue Nazis demonstrierten durch die Münchener Innenstadt gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht
1. Mai 1997 – zwischen 5.000 und 10.000 Neonazis wurden zur Großdemonstration des „nationalen Widerstandes“ in Leipzig erwartet.

All dies geschah unter der Federführung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten (JN).
Jedoch gelang es der selbsternannten Führung des „nationalen Widerstandes“ seit München nicht mehr, einen mehrmals großmäulig angekündigten noch größeren Aufmarsch durchzuführen. Und eben darin zeigte sich das bei der NPD noch vorhandene organisatorische Defizit, welches allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß sie durchaus dazu in der Lage wäre, den Erfolg von München in ähnlicher Weise zu wiederholen. So z.B. am 1. Mai nächsten Jahres, wofür sie schon kurz nach dem diesjährigen Desaster einen erneuten Aufmarsch anmeldeten. Dabei soll auch wieder die soziale Frage im Vordergrund stehen, adäquat zum letzten Jahr.
Nur, daß sie damit im nächsten Jahr, bedingt durch den Wahlkampf, den etablierten Parteien noch mehr das Wort reden kann. Scheinen doch die nationalchauvinistischen Losungen der NPD/JN für die meisten Menschen in diesem Land eine reelle Alternative zu sein. Schließlich ist Arbeit knapp – und sich jeder selbst der Nächste.
Schon seit einiger Zeit widmen sich NPD und JN verschärft diesem Themengebiet, um dadurch das politische Klima weiter nach rechts zu schieben. In der Januarausgabe der JN – nahen Zeitschrift „Einheit und Kampf“ war z.B. zu lesen, daß die NPD in Abstimmung mit der JN beschlossen habe „als Partei der wirtschafts- und sozialpolitischen Erneuerung das bundesweite Deutschlandtreffen am 1. Mai dem Tag der Arbeit durchzuführen.“
Im Kontext der NSDAP, die während der Weltwirtschaftskrise 1929 ebenfalls die soziale Frage als populistisches Element für sich entdeckte, nutzt die NPD heute den Sozialabbau und die im folgenden auftretenden sozialen Probleme für ihre Propaganda aus.
Beispiele dafür sind die „Rettet die D-Mark“ oder die „Arbeit zuerst für Deutsche“-Kampagnen. Mit eben jenen greifen sie die rassistischen und nationalchauvinistischen Ressentiments innerhalb der deutschen Bevölkerung auf und schüren Haß gegen Migrantinnen und Migranten sowie gegen ein – auf Kosten der deutschen Großmacht – vereinigtes Europa.
Mit ihrer Propaganda des sogenannten dritten Wegs versuchen sie scheinheilig eine Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu bieten. Der sogenannte revolutionäre Nationalismus sei die einzige Möglichkeit um etwas zu verändern, da Kommunismus sowie Kapitalismus versagt hätten.
Das gefährlichste an dieser Propaganda ist unserer Meinung nach, daß dadurch der gesellschaftliche Konsens noch weiter nach rechts verschoben wird und sich somit auch bürgerlichen Parteien getrost auf Kosten jeglicher Minderheiten, seien es nun MigrantInnen oder Obdachlose, profilieren können.
Ein weiterer Punkt, bei dem die NPD gegenwärtig auch als Wegbereiter für einen weitere rechtsorientierte Politik der bürgerlichen Parteien verstanden werden muß, ist die Thematik der inneren Sicherheit. Agitieren sie doch dort schon seit Jahren „Sicherheit durch Recht und Ordnung“ und fordern ein härteres Agieren der Polizei gegenüber Kleinkriminellen, Drogendealern und andere Straftätern sowie einen härteren Strafvollzug.
Mittlerweile gibt es hiergegen ja nicht einmal mehr Widerstand von fortschrittlich, humanistisch denkenden Menschen. Schließlich ist die Repression für die schwache Linke in diesem Lande, aus eben jenem Faktum, der momentanen Stagnation, eher gering, und wen stört es schon, daß sich der Staat bei den Hess-Aufmärschen so martialisch wie selten seit dem Deutschen Herbst zeigt. Hämisch vergnügt man sich über den Bulleneinsatz, da ja die richtigen, und vor allem noch mit den von ihnen propagierten Mitteln, getroffen werden.

Neben der gesellschaftlichen Rolle, welche die NPD und die JN aus eben genannten Gründen momentan gerade einnimmt, kommt ihnen aber auch noch, und besonders der JN, eine wesentliche Rolle innerhalb der Neonaziszene zu.
Sie fungieren als Sammlungsbewegung, da über ihren Organisationsapparat und ihre nationalrevolutionären Parolen eine Verknüpfung militanter Kameradschaften mit dem parteistrukturellen Arm der „nationalen Bewegung“ stattfinden kann. Somit kommt der JN eine Organisierungs- und Mobilisierungstätigkeit (vor allem über Internet und die „nationalen Infotelefone“) zu, welche sich z.B. eindrucksvoll in München zeigte, wo militante Kameradschaften gemeinsam mit der Führungsebene der NPD und JN, aber auch der CSU marschieren konnten.

Wir hoffen nun, mit dieser Demonstration ein Zeichen gegen den rechten Konsens zu setzen und noch einige Leute mehr dazu aufzurufen, der Organisierung der NPD/JN keinen Raum zu lassen.

Kein Fußbreit den Nationaldemokraten in Saalfeld, Rudolstadt und anderswo!!!

Den Berg aushöhlen

Vorletzten Dienstag, am 30. September, beschäftigte sich das Bundeskabinett anhand des Berichtes von Innenminister Kanther mit dem Zustand der deutschen Jugend. Im Kantherschen Bericht heißt es unter anderem: Das „ausländerfeindliche und rassistische Gedankengut sei häufig die banale Aneinanderreihung von Phrasen und Vorurteilen, die auch außerhalb der (...) Szene in der Bevölkerung anzutreffen sei“ (zitiert nach Süddeutsche Zeitung v. 02.10.97).
Nun gut, was die Bundesregierung deshalb erwähnt, um es zur Entlastung der jugendlichen deutschen Rassisten ins Feld zu führen, sollte Antifaschisten einmal mehr Anlaß sein, die Bevölkerung nicht in Schutz zu nehmen, wie es erst am Montag dieser Woche die linke Tageszeitung junge Welt hinsichtlich der antisemitischen Ressentiments durch die Bewohner des brandenburgischen Gollwitz ekelerregend praktizierte. (siehe Artikel zu Gollwitz im Heft)
Was uns hier in Saalfeld an Antipathie und Ignoranz hinsichtlich der Inhalte dieser Demo seitens des Saalfelder Volkes entgegenschlägt, kennen wir zur Genüge aus vielen anderen deutschen Nestern und Städten. Nicht zuletzt aus dem sächsischen Wurzen, wo wir vor fast genau einem Jahr die dort stattgefundene Demo maßgeblich organisierten.
Und wieder einmal kommt es uns so vor, als wäre die deutsche Bevölkerung geklont. Fast wortgetreu finden wir hier in Saalfeld Äußerungen wieder, die wir nur allzugut kennen: „Die Gewalt gehe eigentlich von den Linken aus.“ „Es gebe doch gar keine Nazis in Saalfeld“ Und so weiter und so fort. Deshalb auch, finden wir es sehr legitim, unter dem Slogan „Den rechten Konsens durchbrechen“ hier zu demonstrieren.
Wenn wir über die „rechte“ Hegemonie jugendlicher deutscher Rassisten in Saalfeld oder sonstwo sprechen, so sollten wir, angesichts der landläufigen deutschen Normalität, uns davon wegbewegen, kramphaft jegliche rassistischen Aktivitäten, Strukturen oder Denkweisen unbedingt in die Naziecke zu drängen. Denn nicht von ungefähr gelingt es Antifas seit Jahren immer schwerer, den Nachweis zu erbringen, daß die, die wir meinen, tatsächlich die Nazis sind, die wir in ihnen sehen wollen. Wenn sich Antifas nicht vor der zwingend notwendigen gesellschaftlichen Analyse drücken, wie es leider allzuoft der Fall ist, läßt sich nur unter Anführung von halben Wahrheiten vertuschen, wie normal das Morden und Brandschatzen als Ergebnis eines tatsächlichen rassistischen Volkskonsenses ist. Und so ist es auch hier im Vorfeld dieser Demo passiert. Nimmt der Aufruf der Saalfelder Antifa wenigstens noch mit einem Satz auf das rassistische Wohlwollen der Saalfelder „Normal-Bevölkerung“ Bezug, so wird dieser Aspekt im Aufruf der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation vollends ausgespart – und daher klingt ihr Aufruf wie die Darstellung eines aufgesetzten Verschwörungszenarios von „oben“, sozusagen als Futter für den möglichen Klassenkampf.
Schlimmerweise hat diese Darstellung von Zusammenhängen seit fast einem Jahrhundert System in der deutschen Linken. Weder die Toten im Landwehrkanal, die Shoa, die 68er oder 1989 konnten als Schlüsselereignisse ein Umdenken bewirken. Nahezu ungebrochen macht man einen großen Bogen um alles, was der romantischen Träumerei von einem monolithen Klassenkampf im Wege sein könnte. Dafür opfert man auch großzügig den Glauben an das zur Emanzipation fähige Individuum.
Mit Erschrecken erlebten wir dies beispielsweise auf der Demo gegen den Rudolf-Hess-Marsch am 9. August dieses Jahres in Quedlinburg. Viel scheint die Antifa (M) aus Göttingen vom selbstbestimmten Individuum nicht zu halten. Jedenfalls sprachen sie in Quedlinburg von ihm, als wäre das Individuum eine salopp zu vernachlässigende Größe. Von der „offensiven Propagierung kollektiver Ideen, die im totalen Gegensatz zu Vereinzelung, Zersplitterung und Individualisierung“ stehen müßten, war dort die Rede. Und weiter Antifa (M): „...die Nazis haben ja die gleichen Probleme, wie die linken Organisationen, in einer Gesellschaft der Vereinzelung, Unverbindlichkeit und Individualisieung Leute ernsthaft politisch einzubinden. Nur das gesellschaftliche Klima steht derzeit günstig auf rechtem Zeitgeist.“ Was der Antifa (M) scheinbar nicht auffallen will, und dafür werden sie uns, wenn wir dies an dieser Stelle sagen, ganz bestimmt nicht lieben, ist, daß hier eine Nähe zur faschistischen Argumentation von der Gemeinschaft hergestellt wird. Wir wollen der Antifa (M) nicht die bösesten Absichten unterstellen, eher gehen wir von politischer Unbedarftheit aus. Fakt ist aber, mit solchen Äußerungen, mit meteorologischen Beschönigungen des rassistischen Konsens in Deutschland, verabschiedet sich die „M“ von ernstzunehmender Gesellschaftsanalyse.
Aus unserem Selbstverständnis, das wir darüber hinaus für eine Linke als unumgängliche Prämisse betrachten, rufen wir alle Linken dazu auf, keinen Deut von der Verantwortung und Bedeutung individueller Entscheidungen abzurücken. Erst von dieser Position aus darf über Perspektiven linker Politik überhaupt diskutiert werden, da ansonsten nach unserer Einschätzung der Rückfall in antiquierte Uniformitäten und blinde Massenanbiederungen vorprogrammiert scheint. Eine krampfhafte Suche nach dem Subjekt, welches aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit per se antifaschistisch ist, scheidet für uns aus. Jedoch nicht etwa, weil wir uns dem Nihilismus verpflichtet fühlen, sondern weil Antifaschismus unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Verhältnisse immer eine individuelle Entscheidung sein muß, für die einstmals die Floskel von der Politik der ersten Person gefunden wurde. Das heißt, daß wir nicht als Propheten zum Berg gehen wollen, sondern den Berg
(1)Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, S. 446
auszuhöhlen, das ist unser Ziel. Dabei ist die eigene individuelle Sozialisation, die uns zu Antifaschisten macht oder gemacht hat, Ausgangspunkt weiterer Überlegungen.
Das ist die historische Wahrheit, die uns erst jüngst Daniel Jonah Goldhagen vermittelt hat und mit der sich durchaus neu über einen linken antifaschistischen Ansatz reden läßt. Er schreibt: „Die Deutschen konnten zum Massenmord nein sagen. Sie haben sich dazu entschlossen, ja zu sagen“.(1)
Wenn es gelingen sollte, aus dieser historischen Feststellung eine antifaschistische Praxis abzuleiten, die sich gegen Verkürzungen auf die „Herrschenden“ insofern sperrt, als dahinter die Einzelverantwortlichkeit nicht verschwinden kann, so ist uns um die Zukunft der Linken, ehrlich gesagt, viel weniger bange. Und das wäre doch was. Oder etwa nicht?

Bündnis gegen Rechts, Leipzig, den 09.10.1997

Kontakt:
Bündnis gegen Rechts
c/o VL
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04251 Leipzig
Fax: 0341 - 9608303
E-mail: BGR@LINK-L.cl.sub.de



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last modified: 28.3.2007