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Auf den nächsten Seiten dokumentieren wir die beiden Referate, die auf der gemeinsamen Veranstaltung der antinationalen Gruppe Leipzig und der MigrantInnengruppe Café Morgenland am 19. September vorgetragen wurden. Die Veranstaltung fand anläßlich der Prozeßeröffnung gegen die rassistischen Mörder von Achmed Bachir – erstochen am 23. Oktober 1996 in Leipzig – statt. Die Referate zeigen, daß dieser Mord nicht zufällig geschah, sondern Resultat des allgemein verbreiteten rassistischen Konsens innerhalb der normalen deutschen Bevölkerung ist.
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Ohne Euch wär das nicht passiert.

Der deutsche Konsens und seine mörderischen Folgen

, 0.0k Beitrag der Antinationalen Gruppe Leipzig auf der Veranstaltung am 19. September 1997 in Leipzig anläßlich des Prozeßbeginns gegen die rassistischen Mörder von Achmed Bachir - erstochen am 23. Oktober 1996 in Leipzig.

„In Boston bin ich ‘anders’ und dadurch ‘besonders’. In Dresden bin ich ‘fremd’ und dadurch in Gefahr.“ (Duy-An Grace Tran - sie verbrachte als amerikanische Studentin das Sommersemester 1996 in Dresden.)

Es gibt für uns keine Alternative dazu, Dinge zu bennenen, die wir als Mosaiksteine eines großen Ganzen betrachten. Dieses Ganze ist der Zustand in diesem Land, der sich immer und immer wieder durch einzelne Beispiele bestätigen läßt.
Wenn wir in der Ankündigung zu dieser Veranstaltung von Leipziger Verhältnissen als deutsche Verhältnisse schreiben, so meinen wir damit die Gegenwart als von allen akzeptierte Normalität. Diese bestimmt den Alltag in Leipzig genauso, wie an jedem anderen Ort in Deutschland. Es sei deshalb ausdrücklich darauf verwiesen, daß mit dem folgenden keineswegs der Nachweis einer besonderen Situation in Leipzig erbracht werden soll. Was sich uns hier offenbart, bestätigt unsere theoretischen Überlegungen, unter welchen Bedingungen es zu rassistischen Morden überhaupt kommen kann. Die Vermutung, die folgenden Beispiele erheben einen Anspruch auf Vollständigkeit, muß von uns strikt verneint werden. Es sind tatsächlich wahllos herausgepickte Fälle - mit der Einschränkung, uns bis auf wenige Ausnahmen auf diejenigen Leipziger Kreise konzentriert zu haben, die ein besonderes soziales Engagement, ein linkes Verständnis, alternatives Leben, Minderheitenpositionen oder Fremden-Freundlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Kurzum, all diejenigen, die in ihrer Lesart das bessere Deutschland verkörpern wollen. Somit finden nachfolgend weder die zahlreichen rassistischen und antisemitischen Überfälle, Anschläge und ähnliches in Leipzig Erwähnung, auch nicht die stark entwickelte Nazi-Szene dieser Stadt, noch die rassistische Asylpolitik der staatlichen b.z.w. kommunalen Behörden und die damit einhergehenden Diskriminierungen, Schikanen und Deportationen von Flüchtlingen. Ebensowenig wird über die übergroße Mehrheit der Leipziger Bevölkerung gesagt, deren rassistische Sicht- und Denkweise nur dann für uns öffentlich zutage tritt, wenn mal wieder irgendein Bürgerforum zu irgendeinem Scheiß stattfindet, man durch Zufall einen Stammtisch belauscht oder in öffentlichen Verkehrsmitteln einem abgehaltenem Dialog Gehör schenkt.
Werfen wir zu Beginn einen Blick in die kommunalen Vorgaben, wie das Fremde in dieser Stadt zur Wahrnehmbarkeit konstruiert wird. Der Kulturentwicklungsplan dieser Stadt verweist da unter dem Stichwort „interkulturelle Arbeit“ auf das Kulturamts-Sachgebiet „Interkultur“ - vor einigen Jahren vom ürsprünglichen „Sachgebiet Multikulturelle Angelegenheiten“ in ebenjenes umbenannt. Dort heißt es: „So sind alle Tätigkeitsfelder darauf gerichtet, ausländische Mitbürger beim Bewahren ihrer eigenen kulturellen Identität wie auch beim Hineinwachsen in die bisher fremde deutsche Kultur zu unterstützen (...) sowie den oft benachteiligten AusländerInnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ohne Aufgabe der eigenen Identität zu ermöglichen“. An die Adresse der MigrantInnen heißt das im Klartext: Wir raten euch, macht euch so fremd, wie es nur irgendgeht, sonst nehmen wir euch nicht wahr. Seid so folkloristisch, wie ihr könnt, preist uns gegenüber euer Anderssein. Zieht euch auf Eure Herkunft zurück und verharrt dort gefälligst. Verdeutlicht uns, wie fremd euch die deutsche Kultur ist, damit wir euch gnädigerweise in unserem Kulturkreis gewähren lassen.
Im Gegenzug ein Blick in den Jugendhilfeplan der Stadt - gemacht für die deutsche Jugend und seine BetreuerInnen. Unter dem Stichwort „internationale Jugendarbeit“ ergeht dort folgende Weisung an alle, die von der öffentlichen Hand gefördert werden möchten: „Internationale Jugendarbeit muß so gestaltet werden, daß Jugendliche kulturelle Unterschiede wahrnehmen und verstehen, eine Akzeptanz gegenüber den kulturellen Eigenarten, Werten und Normen aufbauen, unterschiedliche politische, gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten erkennen.“ Führwahr läßt sich davon ausgehen, daß die Mörder von Achmed Bachir all dies beherzigt haben und genau daraus die Konsequenz ableiteten, die „kulturelle Eigenart“ ihres Opfers habe hier nichts verloren.
Umso unverhohlener sich in dieser Stadt mittels geschichtsträchtiger Orte und Persönlichkeiten in eine historische Kontinuität gestellt wird, desto intensiver ignoriert und verschweigt man die daraus entspringende Kontinuität im alltäglichen Leben - macht sie also durch Herausfilterung störender, imageschädigender Aspekte geschichtslos.
Das war zu DDR-Zeiten in dieser Stadt nicht anders. Niemand etwa nahm Anstoß an einer Fichte-Straße, einer Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee oder einer Arndt-Straße, die natürlich alle auch heute noch so heißen. Kaum anders ging es zu, als das ehemalige Reichsgericht wieder in Reichsgericht umbenannt wurde. Niemand störte sich auch in diesem Fall daran, daß sich ohne Umschweife dieser unsäglichen Tradition bedient wurde. Man sollte eigentlich annehmen, der Auftritt Freislers gegen Dimitroff hätte dies für alle Zeit unmöglich gemacht und man hätte gar vermuten können, daß Dimitroff dem Image der Stadt gar eher zuträglich wäre. Aber nichts dergleichen ist eingetreten. Dafür aber das:
Der völkische Nationalist und strikte Antisemit, Carl Friedrich Goerdeler, Ehrenbürger der Stadt, genießt in der Leipziger Bevölkerung als Beispiel für einen moralisch sauberen Deutschen ungetrübtes Ansehen. So auch in weiten Kreisen der hiesigen PDS-Anhängerschaft, die darüberhinaus lediglich zu den Goerdeler-Gedenk-Ritualen dieser Stadt ein eher taktisches Verhältnis entwickelt hatte, um damit die Umbennenung des Georgi-Dimitroff-Platzes als Symbol des zu DDR-Zeiten übergestülpten Antifaschismus zu verhindern. Wie auch kaum anders zu erwarten, mißlang dieses Pokerspiel zum Glück gänzlich, so daß Georgi Dimitroff posthum erspart bleibt, seinen Namen als Vorhof-Kennzeichnung des Reichsgerichtes wiederzufinden.
Schmerzlich ist das vor allem für die staatsverliebten demokratischen SozialistInnen, die wieder ein Stückchen DDR flöten gehen sehen und ihren praktischen Antifaschismus allzugerne in derlei sozialistischem Monopoly-Spielchen um Straßennamen und Namensschilder erschöpft sähen. Geblieben aber ist der Fakt, einen - bei aller angebrachten Kritik der Dimitroffschen Faschismusdefinition - Antifaschisten gegen einen widerlichen Antisemiten aufzurechnen, und dabei um die Gunst zu buhlen, wenn schon AntisemitInnen geehrt werden, auch AntifaschistInnen nicht zu kurz kommen zu lassen.
In diesen Kontext stellt sich dann auch, was sich in der PDS-nahen Zeitung Leipzigs Neue lesen lassen muß. Anläßlich eines Antifa-Wochenendes in Leipzig 1994 steht dort als Motiv für Antifa-Aktionen folgendes Ziel formuliert: „Handelnde für ein sauberes Deutschland, ein Deutschland, dessen wir Deutschen uns nicht schämen müssen.“ Ungefähr ein Jahr später erläutert die Landtagsabgeordnete der PDS, Monika Runge, in demselben Blatt anläßlich einer Antifa-Demo in Wurzen, „daß wirksamer Antifaschismus sich nicht auf leere, kontraidentische, Gegen- bzw. Anti-Haltungen reduzieren lassen darf“. Was mit dem Topos „kontraidentisch“ gemeint ist, erläuterte dann der Historiker Prof. Werner Bramke auf einer Diskussionsveranstaltung in Grimma wegen der Auseinandersetzungen um eine Antifa-Demo in Wurzen. In Leipzigs Neue stand das so: „Werner Bramke, Mitglied des Landtages, betonte ausdrücklich, für antifaschistische Demonstrationen zu sein, allerdings: Wer ‘Nazis Raus’ rufe, der sei sprachlich nicht weit von der Forderung nach einem judenfreien Deutschland entfernt.“
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„natürliches Gesetz in Deutschland – sich des Fremden vergewissern“ – BILD vom 23.09.1997
Scheinbar beflügelt von Victor Klemperers „LTI“ paart sich die unendliche Suche nach einem Antifaschismus ohne Antihaltung mit der direkten Denunziation antifaschistischer Aktivitäten. Denn was da nach wie vor im Kopf rumspukt, ist die Ursächlichkeit von Rassimus als Folge sozialer Verelendung; nach dem Motto: Mehr Arbeitsplätze und mehr Jugendclubs lassen den Rassimus und die Nazis verschwinden. Schade nur, daß diese Auffassung inzwischen selbst durch den Sächsischen Innenmimister Hardraht konterkariert wird. Der nämlich offenbarte vor einigen Wochen seine Erleuchtungen der Öffentlichkeit: Nur 16% der jungen Nazis hätten keine Arbeit, Lehrstelle oder gingen nicht zur Schule, Geldmangel würden sie so gut wie gar nicht kennen und überhaupt, so haben es seine kompetenten MitarbeiterInnen im Ministerium herausgefunden, hätte Rechtsextremismus nichts mit Arbeitslosigkeit zu tun.
Ei pardauz, wer hätte das gedacht, selbst der Spiegel haut da in dieselbe Kerbe. Die notorische Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen nahm sich auch des Vorfalles in Detmold mitte März dieses Jahres an. Dort hatten Bundeswehrsoldaten eine Hatz auf alles Nicht-Deutsche gestartet. Mitgemischt hat auch Mirko aus Leipzig. „Als einziger trägt er eine Art Irokesen-Haarschnitt, in seiner Heimat ein Signal für Punker“. Zu seiner politischen Einstellung sagt er: ‘Zu Hause hatte ich Probleme mit Rechtsradikalen. Daher habe ich mich eher links eingeschätzt’. Er ‘hängt gern mit Grufties rum’, beschäftigt sich mit Tod, Jenseits, Magie.“ Müßig zu spekulieren, welch’ Hirngespinste das alljährlich in Leipzig stattfindende „Wave- und Gothiktreffen“ tausender Gruftis aus ganz Europa bei Mirko hervorgerufen hat. Tatsache jedoch ist, daß sich dort alljährlich in großer Anzahl neuheidnische, Germanen-verliebte, vermeintlich neurechte „Ethnopluralisten“ und selbst offene AntisemitInnen und RassistInnen nicht nur zur Schau stellen, sondern fett ihren Scheiß propagieren. Anstoß nimmt daran niemand. Und so tönt es dann auch unisono vom Nazi-Blatt Junge Freiheit über Leipzigs Neue bis zur meistgelesensten Leipziger Volkszeitung, was für eine tolle schräge Jugendkultur das doch sei.
Der sicherheitspolitische Sprecher der Sächsischen PDS-Landtagsfraktion, Hans Jürgen Mertha, läßt sich natürlich ebenfalls nicht beirren. So stellt er dann auch fest: „Die Hinwendung zu rechten Ideologien und autoritären Haltungen kann als eine Kompensation von Verlusten und als Antwort auf Desintegrationsprozesse begriffen werden.“ ‘So ist das nun mal’, werden die Bielefelder Jugendforscher um Wilhelm Heitmeyer angesichts solcher Zeilen frohlocken, schließlich haben sie schon vor einigen Jahren ausgetüftelt, was landauf-landab zur hohen Schule der Sozialarbeit erklärt wird - die „akzeptierende Jugendarbeit“ mit rechten Jugendlichen. In Leipzig insbesondere für die Plattenbau-Jugend von Grünau angewandt. Im dortigen Freizeitzentrum „Kirschberghaus“ tummeln sich dann auch die jungen Nazis - inmitten freundlicher Nazi-Propaganda an den Wänden. Die guten staatskonformen, antitotalitär geschulten SozialarbeiterInnen des Freizeitzentrums erklären das wie folgt: „Ziel des Projektes zur Betreuung dieser „rechten“ Cliquen ist es, eine allgemeine Ausgrenzung dieser Jugendlichen zu verhindern, selbst Toleranz zu praktizieren und damit auch bei den Jugendlichen Toleranz zu fördern und Radikalismus entgegenzuwirken“. Auch im nahegelegenen Jugendclub „Völkerfreundschaft“ - welch wirklich toller Name mit Bestand seit DDR-Zeiten - preist die Leiterin der kommunalen Einrichtung, Elisabeth Luboch, die Nazi-Hofiererei: „Unter anderem konnten wir gewaltbereite rechtsgerichtete Jugendliche in unsere Projekte integrieren. Die können unsere Proberäume uneingeschränkt nutzen, selbst Instrumente haben wir hier.“ Das Szenario ist in beiden Fällen dasselbe. Getreu dem „akzeptierenden“ Ansatz kitzelt man auch noch beim letzten schwankenden Kid die rechte Einstellung heraus, um sie zu akzeptieren. Dann läßt man sie wachsen und gedeihen bis die Nazis bestenfalls feststellen, daß es auch ohne Partei und andere Organisationen Spaß macht, Nazi zu sein und schon gehören sie nicht mehr zur - wie sie sagen - „rechten Szene“, sondern sind gereifte deutsche Persönlichkeiten. So bekämpft man eben den sogenannten Rechtsextremismus, den der „Ausländerbeauftragte“ dieser Stadt, Stojan Gugutschkow, erst gar nicht wahrnimmt. Gegenüber dem Neuen Deutschland erklärt er auf Anfrage anläßlich des Mordes an Achmed Bachir, es existiere glücklicherweise keine nennenswerte rechtsextremistische Szene und auf das Opfer des rassistischen Mordes bezogen: „Es hätte auch irgendeinen Deutschen treffen können“. Sein Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, bei dem Gugutschkow in Lohn und Brot steht, ergänzt ihn dann anläßlich des geplanten Naziaufmarsches am ersten Mai gegenüber der Leipziger Volkszeitung: „Ein rechtsextremes Potential ist mir hier nie begegnet. Diese Stadt hat eine ausgesprochen weltläufige und demokratische Atmosphäre.“
Wohl wahr, die herrscht hier tatsächlich. Auch die linke Zeitung Leipzigs Neue geht bei soviel Weltbürgerlichkeit in die Grätsche. Einzig und allein ihrem Leserklientel verpflichtet, wagt sie in einer 95er Ausgabe einen selbst so betitelten „Spagatversuch“, um, wie sie schreibt, „junge und ältere Linke für eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu gewinnen“. Und das liest sich dann so: „Aber wie viele, auch linke Mitbürger, zucken allein schon zusammen bei dem Begriff ‘alternatives Wohnen’. Sie sehen Chaoten, die womöglich ihre Lebensmittel zusammenklauen, die in zerrissenen Jeans, mit verwegenen Frisuren und Silberknöpfen in der Backe herumlaufen - und dann auch noch die schönen frischgetünchten Häuser mit ihren Krakeln vollsprühen. Kurz - mancher Mitbürger fordert mehr Polizeipräsenz, um dem Spuk eine Ende zu machen“. Aber nicht alle appellieren an das staatliche Gewaltmonopol. Als zum Beispiel zwei Punks in einer Schülerzeitung die Zustände in ihrer Schule, dem Brockhaus-Gymnasium im Stadtteil Mockau, bennenen und auf den dortigen Terror der Nazi-SchülerInnen verweisen, greift der Schul-Direktor Otto durch. Nein, nicht gegen die Nazis - er verbietet kurzerhand die betreffende Ausgabe der Schülerzeitung. Wie soll er auch zulassen, daß diese lächerliche Minderheit von Punks eine ganz normale, ordentlich funktionierende Schule in Mißkredit bringt. Als im Vorfeld des ersten Mai dieses Jahres PDS-MitgliederInnen im Stadtteil Reudnitz Plakate mit der Aufschrift „Hier ist kein Platz für Nazis“ kleben und dabei von mehreren Nazis mit Baseballschlägern zusammengeschlagen werden, ermittelt die Polizei großspurig, um dann der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß der brutale Überfall - wie sie in solchen Fällen immer zu sagen pflegen - „keinen rechtsextremistischen Hintergrund“ hatte. Was tut es da schon zur Sache, wie die Opfer den Angriff erlebten. Die nämlich behaupten das genaue Gegenteil.
Und überhaupt, mit den Opfern hier, das ist so eine Sache. Als am 8. Mai 1996 - welch zufälliges Datum wahrscheinlich - Bernd G. an der Bushaltestelle in Leipzig-Wahren auf die Weisung „Hau ab, du schwule Ratte“, dreier wohlerzogener Deutscher nicht reagiert, muß er dies mit dem Tod bezahlen. Selbst als die BILD ihre Leser aufklärt - „Sie schlugen ihn tot - weil er schwul war“ - passiert nichts in der Öffentlichkeit. Niemand äußert sich dazu. Warum, das gab bereits vor Jahren der zuständige Kommissar Schmidt vom Dezernat Raub bekannt: „Schwule leben von Haus aus gefährlich“ und das Motiv der Täter, die, wie es so heißt, „Schwule klatschen“ gehen, ist sowieso nur Geld. Wer es also bisher noch nicht gewußt hat, wo das meiste Geld zirkuliert, jetzt wissen wir’s.
Eine Koryphäe unter den Leipziger demokratischen Linken ist Maxi Wartelsteiner. 1995 veröffentlichte sie ein Buch über Walter S., der aufgrund seines Schwulseins von den Deutschen ins KZ gesteckt wurde. Auch sie verkündet dort ihr Verständnis von Differenz zwischen den „Normalen“ und den „Andersgearteten“: Das Schwulsein, meint Frau Wartelsteiner ist „ganz einfach eine erotische, genetisch bedingte Veranlagung“. Und überhaupt schöpft Frau W. aus dem reichen Fundus deutscher Sekundärtugenden. Auf einer Veranstaltung anläßlich der Veröffentlichung ihres Buches wollte ein Gast von ihr wissen, ob in der DDR alle ehemaligen KZ-Häftlinge eine Ehrenpension erhalten hätten. Darauf Frau Wartelsteiner: „Ja, aber was die Kriminellen angeht, die mit dem grünen Winkel, da will ich doch hoffen, daß sich da nicht einer durchgemogelt hat“.
Mit Vorliebe gedenkt man in Leipzig der von den Deutschen ermordeten Juden mit Kerzen in der Hand. Welche Symbolkraft man daraus zieht, mit brennenden Kerzen von der Nikolaikirche aus kommend vor einer der niedergebrannten Synagogen in der Gottschedstraße zu verharren, bleibt uns nicht verborgen. Die Rituale der deutschen abendländischen Kultur offenbarten auch seinerzeit genügend Toleranz, als die Leipziger Juden zur Deportation und anschließenden Vernichtung im Flußbett der Parthe zusammengetrieben wurden. Heutzutage vermißt man die Juden in Leipzig. Das führende Stadtmagazin Kreuzer weiß beispielhaft, warum. In der 95er Januar-Ausgabe reicht das sogar zum Titelthema „Das Leben im Abendland“. „In Leipzig, nach dem Willen der „Stadtväter“ eine weltoffene Stadt ohne spießiges Provinzlertum, wäre es sicher auch angemessen, an die Eröffnung eines jüdischen Restaurants oder mehrerer koscherer Läden zu denken“. Die Begründung folgt auf dem Fuß: „Der Stadt ist das schlechte Gewissen abhanden gekommen“. Und so ergründet die Autorin Ulrike Dannert ohne Umschweife, welchen Nutzen „die Juden aus dem Osten, aus Kiew, St.Petersburg, Moskau und Tadschikistan“, wie sie schreibt, für die deutsche Volksgemeinschaft haben könnten. Die „Ballettmeister, Optiker, Uhrmacher, die jüngeren Leute mit Doktorgrad und Informatikkenntnissen“ könnten doch, weil sie „Juden“ seien, ebenjene jüdischen Gatsttätten und Läden eröffnen: „So könnte vielleicht das Arbeitsplatzproblem für einige sinnvoll gelöst werden“. Damit aber ja kein Zweifel aufkommt, was in den Gehirnen „der Juden“ herumspukt, endet der Beitrag so: Rolf Isaacsohn, Mitglied der winzig kleinen jüdischen Gemeinde in Leipzig, wird von der Autorin danach befragt, wie er sich denn das denkt mit jüdischen Läden und Gaststätten in Leipzig. Und um ja allen Assoziationen freien Lauf zu lassen, schreibt die Kreuzer-Journalistin dann: „Herr Isaacsohn lächelt auf eine diesbezügliche Frage und tut diesen Gedanken mit einem einzigen Wort ab: ‘Geld’“. Ja, so wird das wohl gewesen sein im Interview.
Noch einen Zacken direkter brachte es der Leipziger Sozial-Pädagogikstudent und Tierschützer Ray H. auf den Punkt. Er schrieb an den Zentralrat der Juden in Deutschland, was er über „die“ Juden weiß und denkt: „Quälen und Schächten der Tiere grenzt an mittelalterliche Barbarei. Man will quälen, ergötzt sich an der Qual wehrloser Geschöpfe.“ Ob er das wortwörtlich aus NS-Propagandamaterial abgeschrieben hat, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Der Sprachduktus jedenfalls ist wahrlich mehr als adäquat. Aber Ray H. meint es ja sicherlich nur gut - für die Natur und seine Wesen. Genauso, wie die Leipziger alternativen AuenwaldschützerInnen, die desöfteren unter Tränen zusammenbrechen, wenn sie gemeinsam das Lied vom toten Baum als Freund intonieren. Dann schaukeln sie sich gegenseitig wieder hoch, veranstalten „Fahrradtouren der Betroffenheit“ und erklären der Öffentlichkeit, welch „hohes Maß an Lebensqualität und Identität“ mit dem deutschen Wald verbunden werden kann. Mit Verlaub, eine Straße durch den Auenwald würde die Anfahrtszeit zum Schutz des Grünauer Flüchlingsheimes vor Angriffen des deutschen Mobs immens verkürzen - also nichts wie her mit der neuen Straße!
Aber mit der Umwelt hat man es auch in Leipzigs linker Alternativ-Szene dicke. Das reicht von der Organisation der alljährlichen Ostermärsche als Spazierfahrten durch unsere schöne Heimat bis zu den regelmäßigen Anti-Atomstestdemos mit großem Zuspruch. Bei letzteren kommt es auch schon mal vor, Jaques Chirac frankophob als den „Wahnsinnigen von Paris“ zu bezeichnen oder daß sich Leipzigs Grünen-Youngsters kollektiv am Eingang zum französischen Konsulat festketten und Märtyrer für die Natur spielen. Ein als natürlich begriffenes Gesetz in Deutschland ist auch, sich des Fremden zu vergewissern, um eine Halluzination von einer eigenen deutschen Identität zu bekommen. In Leipzig gibt es da so einige der Volks-Gemeinschaft nützende Vereine. Gebündelt treten diese immer zu den alljährlichen „interkulturellen Wochen“ an. Und zufälligerweis beginnen diese Heute, am Tag unserer Veranstaltung. Im Veranstaltungsprogramm weist dann der OB Lehmann-Grube zusammen mit dem Supterintendenten Johannes Richter nochmals für alle Fälle die Richtung. „Die Kenntnis von fremden Kulturen“, so schreiben sie, „müsse als Zeichen dieser Art erkennbar werden und sichtbar bleiben“. Auf die Fahnen geschrieben haben sich das so einige. Beispielsweise der „World Family e.V.“. In einer Selbstdarstellung heißt es: „World Family vereint 120 Studenten und ausländische Mibürger aus rund 20 Ländern, deren Kultur in Liedern und Tänzen in jahrelanger fleißiger Arbeit von den Ensemblemitgliedern gepflegt wird“. Auch eine Regionalgruppe der „Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.“ existiert in Leipzig. Die Gesellschaft für das bedroht Völkische, wie unsereins diesen Kriegshetzer-Verein nennt, stellt sich selbst so dar: Die Gesellschaft „ist die einzige Menschenrechtsorganisation im deutschen Sprachgebiet, die für die Rechte von ethnischen Gruppen und religiösen Minderheiten eintritt. Sie bekämpft kulturellen (Ethnozid) und physischen Völkermord (Genozid).“
Im Mai 1992, als die Pogromstimmung der Deutschen etwas ungeregelt daherkam, veröffentlicht der damalige Kolumnist des Stadmagazins Kreuzer, Nikolaus Schneider, einige Gedanken, die der Leserschaft des Kreuzers in keinsterweise Unbehagen bereiteten. So schreibt er: „So wie der Mensch konstruiert ist, muß das massenhafte Zerstören von Vertrautem hier wie da zu Ablehnung und Mißtrauen führen. Was wir also gegenwärtig erleben, daß die Menschen ihnen Fremdes ablehnen, ist normal und hätte eigentlich vorausgesehen werden können. Hier sollte angefangen werden: Beim Bewahren dessen, worauf sich ein gesundes Selbstbewußtsein gründet.“ Solchen Dreck hätte vermutlich Goebbels nicht besser formulieren können. Doch Anstoß, wie schon gesagt, hat daran niemand genommen. Schließlich finden sich in dem Stadtmagazin beispielsweise genügend Inserate von Kneipen, Clubs und Gaststätten, in denen der Einlaß nur Deutschen gewährt wird. Das fand man erst letztlich in einer gemeinsamen Aktion von Ordnungsamt und „Referat ausländischer Studierender“ heraus. Ergebnis: In jeder fünften Kneipe gewährt man ausschließlich Deutschen Einlaß. Getrieben wurde das Unterfangen, wie so immer, einzig und allein von der Sorge um das Image der „weltoffenen Messestadt“. Um die Opfer von derlei Türpolitik schert man sich letztlich einen Dreck.
Das alles funktioniert dank eines praktizierten Wechselspiels von Kontinuität und Geschichtlsosigkeit. Und so freut sich auch die Leipziger Volkszeitung auf ein in zwei Jahren eröffnendes Museum über die DDR folgendermaßen: „So wie vor einem halben Jahr Dokumente über Wehrmachtsverbrechen München in helle Aufregung versetzten, so konfrontiert in Leipzig künftig das Museum über die DDR seine Besucher mit unbequemen Ansichten der eigenen Vergangenheit.“ Erstaunlich ist, wie sehr man in einem solchen Fall auf geschichtsträchtig macht. Als 1994 in Leipzig das Pilotprojekt zur Zwangsarbeit als „Arbeit statt Sozialhilfe“ gestartet wurde, gab es nicht eine Stimme, die eine Parallele zum „Reichsarbeitsdienst“ ausgemacht hätte. Dabei heißt es in einem von der Stadt Leipzig herausgegebenen Faltblatt zur Anpreisung des Zwangsarbeitprojektes u.a.: „Arbeiten statt einfach nur Sozialhilfe zu beziehen, denn, Arbeiten ist mehr als Geldverdienen. Arbeit stellt für Menschen mehr als nur die Grundlage für die Erwirtschaftung ihrer existentiellen Grundbedürfnisse oder sogar eines gewissen Wohlstandes dar“. Ja, und das mit der Fetischisierung der Arbeit haben auch die Aktivisten des „zum Verständnis zwischen Deutschen und Ausländern“ arbeitetenden Projektes „Felsenblume“ begriffen. Die „Ausländer“, so meinen sie, seien ausschließlich tüchtige Leute „und sie wollen lernen, arbeiten und zum Wohl der Gemeinde tätig sein“. Wehe ihnen aber, sie sind es nicht. Wie die Serben zum Beispiel. Dann kündigt man ihnen die Freundschaft und ruft stattdessen zu „eindrucksvollen Mahnwachen“. Wie der Leipziger Flüchtlingsrat im Sommer 1995. Zusammen mit Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, die sich selbst als Bosnier begreifen, wetterte man an diesem Tag gegen die „serbische Aggression“ und moniert das „hilflose Zusehen der internationalen Gemeinschaft“. Diese Aktion des Flüchtlingsrates e.V jedoch ist folgerichtig. In ihrer Satzung steht es schwarz auf weiß: „Zweck des Vereins ist die Förderung der Völkerverständigung“.
Das alternative „Reinheitsgebot“ für ein Leben in der vermeintlichen Nische verzückt so manchen Ex-Revoluzzer auf der Scholle Connewitz. Dort lassen sich dann so allerlei Nettigkeiten organisieren: folkloristische Reggae-Partys und Benefiz-Konzerte oder Musik-Sampler für die „Zapatistische Armee der nationalen Befreiung“ zusammenstellen. Diese vermeintlich linke Szene ist tatsächlich nicht mehr in der Lage, das Ausmaß der hiesigen rassistischen Zustände wahrzunehmen. Vielmehr fördert sie diese durch Passivität und Anerkennung.
Auch die Linksradikalen Leipzigs fühlen sich dort wohl. Deren notorische Reflexe auf antinationale Positionen sollen hier nicht unerwähnt bleiben. In der autonomen Szenezeitschrift „Klarofix“ vermerkt ein A.R. zum Stichwort deutsche Sonderrolle: „‘Sonderrolle’ - wir deutschen Linken sind also etwas besonderes!“ Er nennt es weiter hinten in seinem Artikel „Germanozentrismus“, was von antinationaler Seite festgestellt wird. Und so motiviert schwingt der Autor sich auf, jegliche konstruierten Kollektiv-Identitäten zu verteidigen: „Und dieses ‘Wir’-Gruppen-Bewußtsein ist nicht nebensächlich oder eine Konzession an verirrte ‘Völkerschaften’, die für sich das „Selbstbestimmungsrecht“ a’ la UNO-Charta einklagen, sondern ein zentraler Aspekt, wenn wir z.B. über bosnische Muslime sprechen“.
1993 machte in Leipzig das Polit-Kultur-Spektakel „Etwas besseres als die Nation“ halt. Anläßlich dieser Veranstaltung äußerten sich auch Gruppen und Einzelpersonen aus Leipzig, die sich eher als linksradikal begreifen. So Hanna Kahina in ihrem Beitrag „autonome Flüchlingshilfe“. Sie begegnet aller antinationalen Postionierung wie folgt: „Welche/r den grünen Paß als unerträgliche Bürde empfindet, sollte ihn abgeben und sich einreihen in das ‘Heer’ von staatenlosen PalästinenserInnen, KurdInnen, AlbanerInnen und sonstigen, denen bisher jegliche Staatsbürgerschaft verwehrt oder die einfach irgendwo ausgebürgert wurden“.
Auch die „Projektgruppe ‘DRUCK’ macht in ihrem Papier mit dem Titel: „Differenzen positiv bewerten“ deutlich, wie sehr die Volksverliebtheit verinnerlicht wurde: „Da wir der Idee einer revolutionären Elite sehr skeptisch gegenüberstehen, ist es essentiell, daß wir für breite Bevölkerungsschichten transparent und zumindest potentiell offen bleiben. Reine Opposition erfüllt zwar dieses Kriterium, ist aber weder befriedigend noch eine Alternative zur faschistischen Bewegung“. In einem weiteren Text mit dem Titel „Wir vermissen Lösungsansätze“ wird man dann noch etwas deutlicher: „Wenn unsere Initiativen und Projekte direkt ins öffentliche Leben eingreifen und Positives bewirken, dann könnten gerade hier im Osten ziemlich starke linke Aktivitäten entstehen, denn die linken Utopien stecken noch in vielen Leuten“.
Mit diesen Utopien wollen wir jedoch dann lieber nichts zu tun haben. Den Muff von tausend Jahren, den die DDR ungestört fortleben lassen konnte, brauchen wir ebensowenig wie die anbiedernde Volksoption. Der deutsche Konsens besteht bei allen erwähnten Beispielen in der konstruierten Identität, daß das Fremde zur Konstituierung eigener, deutscher Kollektivität benötigt. Daraus entspringt der mörderische Wahnsinn, ohne den Achmed Bachir heute noch leben würde. Deshalb zum Abschluß nochmal an alle vorgehend Zitierten und Erwähnten: Ohne Euch wär’ das nicht passiert! Antinationale Gruppe Leipzig


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last modified: 28.3.2007