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Der Ton macht die Musik.

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In den nächsten drei Ausgaben des CEE IEH wird unter dem Motto »Der Ton macht die Musik« die Weiterverarbeitung alter Hits oder Nicht-Hits und deren seit Jahren praktizierter Umgang bearbeitet. Die ersten zwei Ausgaben werden sich konkret mit Cover-Versionen und Sampling auseinandersetzen, die dritte Ausgabe mit beiden Themen in der heutigen »Musik« und Jugend- oder Nicht-Mehr-„Jugendkultur“.

Wörter und Sätze teilweise gecovert - zusammengestellt von R.O.L.I.

COVER-VERSIONEN

Coverversion sind Neuauflage eines erfolgreichen, manchmal auch unbeachtet gebliebenen Musikstückes, das nicht vom ursprünglichen Interpreten vorgetragen wird. Wobei Arrangement und sogar Gesamthaltung des Stückes in der späteren Fassung erheblich vom Original abweichen könnten. Das hat zur Folge, daß es verhältnismäßig leicht ist, mit einem ehemals erfolgreichen Song, Erfolg zu erzielen, daß es aber auch zahlreiche gute Songs gibt, denen erst Cover-Versionen zum Erfolg verholfen haben.
Sieht man etwas genauer hin, werden die Dinge zugleich interessanter und komplizierter. Es zeigt sich bald, daß die Funktionalisierung nach dem Erfolgskriterium in der Popentwicklung zwar sehr wohl ihren Ort hat, aber als Bestimmungsmerkmal insgesamt bei weitem nicht ausreicht, solange man den Begriff Cover-Version nicht unnötig verengen will. Dies gilt in trivialem Sinne bereits angesichts der bloßen Menge möglicher Beispiele. Da die Anzahl von Fremdbearbeitung in der Popgeschichte inzwischen in die Zehntausende gehen dürfte, ist kaum zu erwarten, daß alle Bearbeiter die Sache ähnlich und mit ähnlichen Motiven angegangen sind.
Die Grundtendenzen ergeben sich im Falle der Cover-Versionen ziemlich unmittelbar aus dem allgemeinen Gang der Popgeschichte. In ihrer ‘naiven’ Frühzeit, in welcher kein ausgeprägtes Werkbewußtsein herrschte, ist die Cover-version quasi der Normalfall und dementsprechend häufig.
der ton macht die musik, 8.4k Die meisten Hits des Rock’n’Roll sind, insbesondere bei weißen Interpreten, Cover-Versionen, wobei die kompositorische und textliche Abhängigkeit zum häufig schwarzen Original graduell variieren kann.
Daß die Beziehung zwischen ‘weißem Hit’ und ‘schwarzem Original’ popgeschichtlich in der Regel als künstlerisches und ökonomisches Ausbeutungverhältnis erscheint und beschrieben wird, hängt dabei, so berechtigt der Befund auch sein mag, nicht zuletzt mit einem grundsätzlichen Zug im Gestus der frühen Cover-Versionen zusammen, der ihren Charakter unabhängig von allen Unterschieden der Hautfarbe prägt. Er besteht wesentlich darin, daß die frühere Coverversion ihre Vermitteltheit nicht merken lassen will. Im Gegenteil erscheint sie als Cover-Version um so gelungener, je weniger man sie für eine solche hält. Die dringlichste Aufgabe des Interpreten ist es, das Vorgegebene so restlos dem eigenen Vortrag anzuverwandeln, daß es in der eigenen Interpretation aufgehoben und als Vorgegebenes vergessen gemacht wird. Es ist leicht einzusehen, daß dieser Zug zu einem guten Teil ökonomisch bedingt ist, denn wer wird schon, wo er doch die eigene Fassung als Hit verkaufen will, aufs Original verweisen und sich damit seine schillernde ‘Neuheit’ grundlos um ein Stück berauben wollen. Über den Verkaufsaspekt hinaus läßt der frühe Pop den reflexiven Verweis auf die eigene Vermitteltheit in seinen Cover-Versionen aber auch seiner ästhetischen Konstitution nach nicht zu, weil jeder Schritt in diese Richtung dem Präsenzdenken und dem daraus abgeleiteten Gestus ostentativer Traditionslosigkeit in der Popwelt zuwiderlief. Dabei erscheint die Tradition weniger als verhaßter Feind, denn als unliebsamer Konkurrent, dessen Errungenschaft man benutzt, um sich gerade nicht mit ihm messen zu müssen.
Obwohl diese Art von Cover-Versionen für die 50er und frühen 60er Jahre besonders kennzeichnend ist, bleibt sie als Grundhaltung natürlich nicht auf das Frühstadium des Pop beschränkt. Sie dominiert vielmehr bis heute alle Bereiche der Popkultur, welche sich strukturell in unmittelbarer Nachfolge zum frühen Pop definieren. Überall wo Historisierung und bewußte Traditionsbildung innerhalb eines bestimmten Stiles oder einer bestimmten Sparte ausgespart bleiben, oder aber verhindert werden müssen (wie im Radio- und Fernsehpop), bleibt auch die gehaltliche Indifferenz zum Original erhalten.
???, 9.2k Die andere Möglichkeit, die Distanz gegenüber dem Original zu artikulieren, liegt in dessen bewußter Destruktion. Dabei wird das Original in seiner gehaltlichen bzw. ästhetischen Eigenart mehr oder weniger genau lokalisiert, um anschließend entweder umfassend oder lediglich in bestimmten Facetten negiert zu werden.
Bilden destruktive Cover-Versionen in der Pop-Geschichte bis zum ästhetischen Umschwung um 1976/77 insgesamt eher die Ausnahme, so beginnt mit dem Einbruch von Punk und New Wave ihre eigentliche Epoche. Mit dem Aufkommen dessen, was man, um das pophistorisch Neue und verbindende Element in Punk und New Wave, Industrial etc. zu fassen, als die neue Ästhetik der ‘fortschrittlichen’ Poptradition bezeichnen kann, definiert sie sich im Gegensatz zu allen früheren Strömungen als radikal modernistisch, anti-illusionistisch und explizit negativistisch. Die Negation erstreckt sich dabei sowohl auf den gesellschaftlichen (Schein-)Konsens als auch auf den Hauptstrang der bisherigen Popentwicklung .
Versucht man sich die Stellung der Destruktiven Cover-Version im Verhältnis zur Cover-Version im allgemeinen sowie als Indikator für popgeschichtliche Veränderungen zu vergegenwärtigen, so lassen sich grob vier Phasen unterscheiden. Derjenigen, bei der Destruktionsimpetus für die Cover-Versionen keine ernstzuhnehmende Rolle spielte, folgte ab Mitte der 60er Jahre eine Epoche, in welcher sich Destruktion, wo sie auftrat, primär als Kampfmittel gegen ein als popextern erfahrenes Establishment artikuliert, von dessen kultureller Manifestation man sich distanziert. Mit der vielfach vorbereiteten, aber erst um 1977 massiv hereinbrechenden Neuen Ästhetik radikalisiert sich der kritische Impetus von einem (strukturell) avantgardistischen Teilstrang der Popkultur aus so sehr, daß nun auch die Ikonen der ‘normalen’ Poptradition der Destruktion anheimfallen. Die destruktive Cover-Version erlebt hier, weil sie als Angelpunkt von emphatischer Abstoßung und noch emphatischem Neubeginn fungieren kann, ihre unbestrittene Blütezeit. Mit dem Zerfall der neuen Ästhetik bzw. deren Verschwinden aus der allgemeinen Rezeption verliert sie hingegen notwendig wieder an Relevanz, geht aber zumindest zum Teil in andere kreative und kritisch reflektierte Formen über. Daneben entstehen aus der gleichen Entwicklungslinie heraus Schwundformen, in denen der einst destruktive Impetus zwar äußerlich weiter gepflegt wird, de Facto aber zum nostalgischen Traditionalismus erstarrt. Im allgemeinen scheint zu gelten: Für Bands, denen selbst gute Songs einfallen, sind nostalgische Cover-Versionen überflüssig, den anderen aber helfen sie nicht.


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last modified: 28.3.2007