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Kulturabbau

In unser aller Lieblingsblatt Heimatstadt bezogener Provinzialität war letztens ein Artikel zu lesen, welcher, passend zur Überschrift, in apokalyptischem Schwarz gehalten war und die harte und auch leicht undurchsichtige Headline „Leipzig stirbt Kultur“, welche wohl eine Persiflage auf den noch unverständlicheren Werbeslogan „Leipzig lebt Kultur“ ist, trug. Worum ging es dabei eigentlich? Um Kulturabbau, d.h. der Kommune gebrichts an Barem und Sparen muß jeder und warum nicht bei der ach so kostenintensiven Kultur. 21 Millionen sollen allein im Kulturetat eingespart werden, und zwar in den Bereichen der Hochkultur. Der Aufschrei der Intendanten war weder überraschend noch besonders originell und schwankte zwischen kämpferischen Drohungen und Krokodilstränen. Schließlich versteht sich die Kommune wechselweise als Messestadt, Buchstadt oder eben auch als Kulturstadt (für Geschichtsinteressierte sei hier bemerkt, daß dieserelei Bezeichnungen zum ersten Male massiv nach 1933 eingeführt wurden und, bewußt oder unbewußt, eine Kontinuität herstellen können, bei der einem übel werden sollte). Gespart wird freilich auch in anderen Bereichen, aber das soll hier außen vor bleiben.
21 Millionen mögen einem viel Geld erscheinen, machen aber jeweils nur ein Viertel bis die Hälfte des Jahresetats der großen Häuser (Oper bzw Gewandhaus) aus. Kleine Fische also. Warum die ganze Aufregung?
Mitnichten. Entscheident sind doch bei diesem Problem nicht die Summe, sondern die Tendenz und der Kontext, in dem dieses passiert. In einer Zeit der, nennen wir es einmal, spätkapitalistischen Rezession und des neoliberalen Geschwätzes von „Deregulierung“, „mehr Markt“ und „weniger Staat“ wird halt gespart, was das Zeug hält. Wobei weniger Staat beileibe nicht heißen soll weniger Polizei oder Überwachung, ganz im Gegenteil, ein kleiner Blick in einige der bundesdeutschen Polizeigesetze sollte genügen, um einem das Gegenteil zu beweisen.
Ist Kultur nicht ein konsumierbares Produkt, eine Ware? Und wird Kultur (hier: Hochkultur) nicht auch als staatstragend im völkischen Sinne begriffen? (ach ja, was waren sie zivilisationsbringend, die Wagner, Goethe und Beethoven, auf Grund solcher Namen war dieses Land einst als das der Dichter und Denker bekannt)
Eigentlich könnte man Luftsprünge vor Freude machen, wenn man hört, daß zur Abwechslung mal die großen Theater und Opernhäuser halbwegs kostendeckend arbeiten sollen, die sogenannte Subkultur muß es ja auch (halbwegs, wenn man die Besucherzahlen im Vergleich zu staatlichen Subventionen sieht). Man könnte auch die Formen des hochkulturellen Erlebens in ihrer bürgerlichen Tradition vom aufgeklärten, gebildeten und unterhaltungsbedürftigen Menschen sehen und sich fragen, ob dieses leicht romantische Wunschbild noch irgendeine Relevanz in der jetzigen Zeit haben kann. Keine?! Hochbezahlte Musiker, Konzertmeister etc. sind meines Wissens auch nicht gerade diejenigen, die sich mit 490-Mark-Jobs durchs Leben schlagen müssen. Sollte man sich also ins Fäustchen lachen oder vielleicht doch besser in den Chor derer einstimmen, die sich und ihre Ideologie durch den Abbau staatlicher Finanzierungsmöglichkeiten getroffen fühlen?
Keines von Beiden. Die Mischung aus Inkompetenz und Sparwilligkeit, aus „Standort Deutschland“ und provinziellem Denken wird wohl für jene gefährlich werden, die Kultur eher als einen Bestandteil subversiven Tuns und Denkens begriffen haben und dadurch stärker als je zuvor marginalisiert werden (genau das ungewasche Pack, was nächtelang in irgendwelchen Konzertschuppen laute, undeutsche Musik hört und sowieso verboten werden müßte; kleiner Exkurs in die Meinung der Stammtische). Oder müßte man sich mehr um außerstaatliche Geldmittel bemühen und sich damit von Sponsorengeldern abhängig machen und in die Gefahr laufen, zur Zeitgeistscheiße degradiert zu werden, weil man sich mehr denn je an die Erfordernisse des Marktes anzupassen gezwungen ist.
Egal, die Widersprüche werden sich verschärfen, sozial wie kulturell, und das wird auf der einen Seite eine wesentliche Verschlechterung der Lage in dem Bereich der kulturell Tätigen bringen, auf der anderen Seite wird es aber auch diffuse Selbstverortung unmöglich machen und, gezwungernmassen, „gut und böse“ besser differenzierbar werden lassen.
Ansonsten mögen Gewandhausmuiker zur Erheiterung der Winkeltrinker an allen Stellen dieser Stadt aufspielen und damit praktische Sozialarbeit leisten.

Kay


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last modified: 28.3.2007