home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[22][<<][>>]

soldaten sind mörder, 6.8k
Wer sich das auf’s Auto klebt, muß 8.400 DM zahlen.


Deutsche Geopolitik auf anderen Kontinenten und Unrechtsprechung der Amtsgerichte in der deutschen Provinz.

Mit den Zeiten ändern sich die Sprüche. Stell dir vor, es ist Krieg und niemand geht hin - sollte zu Zeiten des Vietnamkrieges darauf aufmerksam machen, daß jeder einzelne Soldat für einen Krieg mitverantwortlich ist. Stell dir vor, es ist Krieg und niemand schaltet den Fernseher ein - offenbarte zu Zeiten des Golfkrieges, daß es eine antimilitaristische Bewegung kaum noch gab und somit nur darauf hingewiesen werden konnte, daß die mediale Verarbeitung des Krieges eine zunehmend größere Rolle spielt. Stell dir vor, es ist Krieg und die ehemaligen Pazifisten wollen plötzlich alle an die vorderste Front - wäre die passende Zustandsbeschreibung für die heutige Zeit. Die wenigen, die sich außerhalb des nationalen Konsens stellen - daß nämlich mit allen verfügbaren Mitteln gegen den äußeren (Serbien) und inneren (Kurden) Feind vorgegangen werden muß - werden noch nicht standesrechtlich erschossen. Aber deutsche Staatsschützer, Polizisten und Richter beschäftigen sich intensiv mit ihnen. Damit nachher niemand sagen kann, man hätte sie nicht gewarnt. Die demokratische Spielwiese, auf der sich pazifistische Massenorganisationen aufgrund ihrer Staatsnähe und antimilitaristische Splittergruppen aufgrund ihre Marginaliät bislang austoben durften, wird nach und nach zubetoniert. Ein Krieg erfordert nicht nur gute Waffen, willige Soldaten, sondern auch eine zugerichtete Bevölkerung und die völlige Integration bzw. Ausschaltung der Opposition.

soldaten sind mordskerle, 9.0k Weil „Soldaten sind Mörder“ verboten wurde, versuchte sich die Friedensbewegung den Gesetzen anzubiedern und erfand Konstruktionen, wie „Soldaten sind potentielle Mörder“, „... sind potentielle Mörder bzw. Kriegsdienstverweigerer“, „... sind Mordskerle“, „... sind im Kriegsfall Mörder“, „... sind im Kriege potentielle Mörder“, „... waren zu Tucholsky-Zeit Mörder“. Es half wenig, auch gegen diese unsinnigen Sprüche hagelte es Geldstrafen über tausende von Mark. Unsinnig, weil potentiell alle Menschen Mörder sind und ein Mörder auch dann ein Mörder ist, wenn er gerade nicht oder seltener mordert (also in „Friedenszeiten“).

„Ja, morden“ wollen Soldaten...

Zu spüren bekam dies die „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“ in Berlin am 5. März 1996, als der Staatsschutz deren Büroräume durchsuchte und umfangreiches Material beschlagnahmte. Gleichzeitig wurden die Anzeigenabteilungen der Zeitungen junge Welt und die tageszeitung durchsucht. Auf dem Durchsuchungsbefehl angegebener Grund: Ein Plakat mit der Überschrift „Ja, morden“ und folgendem Text: „Deutsche Armeen in einer langen Tradition: Ja, Morden. Morden im In- und Ausland ist für deutsche Soldaten nichts ungewöhnliches. Erinnern wir uns: - Angriffskrieg gegen Frankreich 1871 - Deutschland beginnt einen Weltkrieg - Deutschland beginnt noch einen Weltkrieg - Somalia 1993/94. Menschen zu töten, gehört zur Tradition von (deutschen) Armeen. Darauf sind wir stolz. Wir sind immer noch da. Bundeswehr.“ Layout und Inhalt des Plakates lehnen sich an eine Anzeigenkampagne der Bundeswehr an, die unter Titeln wie „Ja, dienen“ oder „Ja, Tapferkeit“ mit soldatische Tugenden für die Bundeswehr werben sollte.
Wegen diesem Plakat, welches acht Monate vorher in der jW und taz veröffentlicht wurde, gingen drei Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft ein, die dann die Ermittlungen gegen die Kampagne und die beiden Zeitungen aufnahm. Das Bundesverteidigungsministerium jedoch hält den Inhalt des Plakates „Ja, morden“ für nicht strafbar und hat deshalb bislang davon abgesehen, selbst Anzeige zu erstatten. Der Durchsuchungsbefehl wurde drei Monate vor der Durchsuchung ausgestellt. Die Kampagne geht deshalb davon aus, daß das Plakat nur ein willkommener Anlaß war, um antimilitaristische Organisationen zu kriminalisieren und drei Tage vor der ersten Lesung eines „Ehrenschutz-Paragraphen für Soldaten“ im Bundestag gezielt Stimmung zu machen. Der Staatsschutz, der bezüglich des Plakates natürlich nichts finden konnte, dürfte sich vielmehr über beschlagnahmte Computer und Adressenlisten gefreut haben. Die Kampagne ist eine der wenigen noch existierenden Organisationen, die Krieg nicht aus einem verschwommenen humanistisch-moralischen Anspruch heraus ablehnt, sondern klar die militärischen Interessen des vereinigten Deutschland analysiert und kritisiert. Deshalb ist sie nicht anfällig für Positionen, die meinen, endlich in Ex-Jugoslawien einmarschieren zu müssen, weil es Pazifisten nicht mit ansehen könnten, wie Menschen ermordet werden. Vielmehr beharrt die Kampagne darauf, daß Deutschland einen erhebliche Anteil bei der Inszenierung des Krieges im ehemaligen Jugoslawien hat, daß Serbien nicht als der alleinige Aggressor ausgemacht werden kann, daß der Einsatz von deutschen Soldaten lediglich deutschen Interessen dient und keineswegs dem Frieden dienlich ist. Klar ist, daß die Kampagne dem Staat ein Dorn im Auge ist, auch weil sie neben ihrer politischen Arbeit im großen Umfang (totale) Kriegsdienstverweigerer berät und unterstützt, was in Berlin dazu geführt hat, daß die Bundeswehr in echte Rekrutierungsnot geraten ist. So existieren einige weitere Anzeigen oder Verfahren gegen die Kampagne wegen diversen Aktionen (u.a. Besetzung des Berliner Gebäudes des Verteidigungsministeriums), wegen einem Kinospot (der die Abschiebung von Flüchtlingen in Kriegsgebiete als Mord bezeichnet und verantwortliche Politiker benennt), sowie hunderte von Strafbefehlen aufgrund von Rekrutenzugblockaden. Gegen die Kampagne Potsdam, die kurz nach der Razzia Plakate am Kreiswehrersatzamt anbrachte, laufen ebenfalls Ermittlungsverfahren. Eine Redakteurin des AStA-Blattes der TU Berlin wurde inzwischen schon zu einer Geldstrafe über 1.500 DM verurteilt, weil sie über eine Anzeige gegen das Blatt wegen Abdruck des Plakates geschrieben hatte.
bullen in der kampagne, 5.6k Während der Hausdurchsuchung bei der Kampagne:
Hier in den danebenliegenden Räumen von Bündnis 90/Grüne, für die kein Durchsuchungsbefehl vorlag, was den Staatsschutz aber nicht störte.

... „Soldaten sind (also) Mörder“ ...

Der Justiz, Bundeswehr und Regierung geht es aber nicht nur darum, effektiven antimilitaristische Widerstand zu bekämpfen. Jede kritische Meinung muß im Keim erstickt werden. Bestimmte Wahrheiten dürfen von niemanden mehr gesagt werden. Zum Beispiel daß Soldaten Mörder sind. Daß sie es sind, kann man jeden Abend in der Tagesschau sehen. Daß Soldaten - im Gegensatz zu den meisten „normalen“ Mördern - für ihr Tun Geld bekommen, jahrelang ausgebildet werden, mit guten Waffen ausgerüstet sind, nach ihrer Tat keinerlei Reue zeigen, aus niederen Beweggründen morden, zuweilen Massenmord begehen bzw. besonders bestialisch vorgehen, kann man in den Filmen nach der Tagesschau sehen.
Das deutsche Soldaten ihr Handwerk seit jeher mit besonderer Gründlich- und Grausamkeit ausüben, fanatisch in jeden Angriffskrieg rennen, der sich ihnen bietet, und selbst die Niederlage vor Augen sie nicht aufgeben sondern nur noch brutaler wüten läßt, dokumentieren die Geschichtsbücher zur Genüge. Daß sich bezüglich der Bundeswehrsoldaten in den letzten Jahrzehnten nicht so viel geändert hat, beweisen die ständigen Meldungen von Kasernennamen und Traditionsecken zu Ehren nationalsozialistischer Offiziere, von faschistischem Liedgut, welches offiziell gesungen wird, von Wehrsportlagern, die durch Bundeswehrangehörige angeleitet werden, von rassistischen, sexistischen und rechtsradikalen Übergriffen durch Soldaten in und außerhalb der Kasernen, von den häufigen Mißhandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte, von dem Umgang mit Deserteuren aus dem 2. Weltkrieg und der Übernahme von Wehrmachtsleuten in die Bundeswehr. Daß die deutschen Anstifter der Mörder ihre geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen in ungebrochener Kontinuität, nur manchmal unter Einsatz anderer Mittel, durchzusetzen gewillt sind, zeigen die verteidigungspolitischen Richtlinien und andere, oft unbekannte Strategiepapiere. Kein Wunder also, daß sich um den Spruch „Soldaten sind Mörder“ ein langer Streit entwickelt hat, dessen Verlauf viel über die dahinterliegenden Interessen verrät. Deshalb sei er im folgenden dargestellt:
Am 4.8.1931 kommentiert Kurt Tucholsky unter Pseudonym in der Weltbühne einen Anti-Kriegs-Pamphlet des Papstes. Darin taucht im historischen Bezug zum ersten Weltkrieg die Wendung von den Soldaten als Mördern auf. Auf eine Anzeige des Reichswehrministers hin wurde Carl von Ossietzky, verantwortlicher Herausgeber der Weltbühne, angeklagt und im Juli 1932 freigesprochen. Einige der Offiziere, die sich laut Anklageschrift damals belästigt fühlten, wurden 1945 als Kriegsverbrecher hingerichtet. Trotz dieser Bestätigung für den Wahrheitsgehalt des Tucholsky-Spruches wurde nach dem 2. Weltkrieg die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ mit ungezählten Geldstrafen wegen Volksverhetzung und Beleidigung geahndet. Dies betraf z.B. auch Redakteure, die in ihrer Zeitung einen Leserbrief mit diesem Satz abdruckten. Oder Soldaten, die Freisprüche von Pazifisten begrüßten und daraufhin vom Truppendienstgericht verurteilt wurden.

wo heute krieg tobt sind soldaten mörder, 13.0k

Erstmals im September 1994 befaßte sich das Bundesverfassungsgericht (BVG) aufgrund einer Verfassungsbeschwerde mit einer Verurteilung über 8.400 DM wegen einem Autoaufkleber, nachdem das Land- und Oberlandesgericht das Urteil bestätigt hatten. Das BVG hob damals das Urteil auf und begründete dies damit, daß im konkreten Fall Mörder nicht im juristischen Sinne zu verstehen sei (schließlich werden Soldaten nie als Mörder verurteilt, sondern höchstens befördert) und daß außerdem nicht die Bundeswehr gemeint sein könnte, da sie sich nie an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt hätte. Auch wenn der Spruch sachlich falsch sei, sah das BVG ihn durch die Meinungsfreiheit als gedeckt an, solange er sich als der historischer Tucholsky-Spruch auf alle Soldaten bezieht und nicht die Soldaten beleidigen wolle, sondern auf die Verwerflichkeit des Krieges aufmerksam machen. Daraufhin heulte die gesamte Stahlhelmfraktion in Presse, Politik und Armee auf: Ein Bundeswehrgeneral verglich das BVG mit dem nationalsozialistischen Volksgerichtshof, die CSU verlangte die Einführung der Gefängnisstrafe für diesen Spruch. Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion warf dem BVG vor, die Verfassung zu verletzen, die ordentliche Gerichtsbarkeit zu unterlaufen und das Prinzip der Gewaltenteilung zu ruinieren. Verteidigungsminister Volker Rühe setzte die Verunglimpfung von Ausländern mit der Verunglimpfung von Soldaten durch diesen Spruch gleich und betonte, daß dieser Mörder-Vorwurf das „ganze deutsche Volk“ treffe (was man ja auch anders verstehen kann) . Lummer von der CDU-Bundestagsfraktion verkündete: „Verfassungsrichter sind Mörder“ und begründete dies damit, daß sie die Ehre der Soldaten nicht zu schützen wissen, sich somit als Rufmörder betätigen, also potentielle Mörder wären; außerdem wolle er prüfen, ob dieser Spruch auch unter Meinungsfreiheit fällt. Der BVG-Richter Dieter Grimm, der das Urteil in der Tagesschau erläuterte, erhielt in Folge Morddrohungen und mußte sich von Bodyguards beschützen lassen.
Der verteidigungspolitische Experte der SPD, Manfred Opel (MdB), ist sich sicher, daß Kurt Tucholsky in der heutigen Zeit nicht mehr so etwas sagen würde, sondern „sich freuen, unsere Republik, unsere Demokratie, die er immer gewollt hat, zu sehen.“ Der Kurt, damals SPD-Mitglied, wäre stolzer Panzerfahrer bei der Bundeswehr oder zumindest „zusammen mit Willy Brandt zu einer großen öffentlichen Attraktion der Deutschen geworden. Er wäre Sinnbild des guten Deutschen und hätte vielleicht sogar einen Friedensnobelpreis bekommen.“ So einfach läßt sich also sozialistische/sozialdemokratische Partei-Geschichte entsorgen, ohne sie verleugnen zu müssen: Tucholsky und die Bundeswehrsoldaten zu Friedenshelden ernennen, das BVG-Urteil kritisieren und feststellen, „alle Staatsorgane“ inklusive der SPD hätten dafür Sorge zu tragen, daß die mutigsten Verteidiger von „Recht und Freiheit und damit auch Meinungsfreiheit“, die Soldaten, nicht Opfer der Meinungsfreiheit werden dürfen. Dies geschah dann auch: Unmittelbar nach dem Urteil verabschiedete der Bundestag eine Resolution, in der sich die Parlamentarier hinter ihre Soldaten stellen.  Im November 1995 befaßte sich das BVG erneut mit dem „Soldaten sind Mörder“-Spruch. Diesmal jedoch plädierte das BVG nicht für Freispruch, sondern verlangte lediglich in vier konkreten Fällen eine erneute Verhandlung durch die Landes- bzw. Oberlandesgerichte, weil sie nicht hinreichend alle Auslegungsmöglichkeiten des Spruches zugunsten der Angeklagten geprüft hätten.
werbetafel gegen jäger 2000, 8.9k Diese Form der Demokratie ist noch erlaubt. Nur: Wo muß ich meinen Stimmzettel für einen Rasenplatz abgeben? Wo bekomme ich ein Kind her? Und befindet sich meine Sozialwohnung auch in Connewitz?

Obwohl das BVG mit diesem Urteil schon weit von seinem 1994er-Standpunkt abgewichen ist, was wohl mit dem massiven öffentlichen Druck zusammenhängt, brachte es auch diesmal die Mörder, Anstifter und Beihelfer auf die Barrikaden. So führte ein Professor für Strafrecht im Auftrag der CDU/CSU-Fraktion aus, daß selbst bei Beleidigung von Juden oder dem Abschiebeschutz von Flüchtlingen das BVG anders urteilen würde, aber wenn es gegen Soldaten ginge, wäre ihnen nichts heilig. Revanchistische Töne kamen auch von der Bundeswehr: Soldatische Pflichterfüllung dürfe nicht diffamiert werden, weder die der Vergangenheit noch die der Gegenwart, stellte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, klar. Heinrich Lummer, Rechtsaußen der CDU im Bundestag, pflichtet ihm bei: Die Wehrmachtssoldaten hätten genauso eine schützenswerte Ehre wie die Bundeswehrsoldaten, da der „Mißbrauch der Armee, (die) in einen Krieg hineingetrieben wurde, der moralisch nicht gerechtfertigt war“ getrennt zu bewerten sei von der „persönlichen Ehre eines einzelnen Soldaten“.
Von vielen Politikern und der bürgerlichen Presse wurde sogar prinzipiell an der Legitimität des BVG gezweifelt. Die Befugnisse des BVG sollten beschnitten werden, der Besetzungsmodus geändert. Zum Widerstand gegen BVG-Urteile wurde aufgerufen. Zum Teil spielten dabei sicherlich auch „Rachegefühle“ wegen anderen Urteile des BVG eine Rolle, wie z.B. das über die Straffreiheit von Sitzblockaden, über den erlaubten Besitz kleiner Haschisch-Mengen für den Eigenbedarf und das Kruzifix-Urteil. Weitere BVG-Urteile, die bald gefällt werden und auf die konservative Kräfte gern Einfluß nehmen möchten, sind das über die faktische Abschaffung des Asylrechts und über die BND-Befugnis, alle Auslandstelefonate mit einem Computer abzuhören.
Es wird klar, daß das Grundgesetz nicht das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht. Wegen all diesen „verfassungsfeindlichen Vorstößen“ (BVG-Richter wahlweise als Mörder, Nazis oder Idioten darzustellen, die niemand ernst nehmen sollte) wurde keine einzige Anzeige erstattet oder gar ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

... aber dabei ganz „ehrenwerte“ Mörder...

Im Januar 1996 befaßt sich das Landgericht Mainz mit einem Fall, bei dem das BVG eine erneute Verhandlung angeordnet hat. Der Richter erklärt, daß aufgrund BVG-Vorgaben., die „anmaßend, juristisch fragwürdig und gesellschaftspolitisch falsch“ wären, der Betreffende leider nicht verurteilt werden kann, obwohl er es gern tun würde. Der Richter entschuldigt sich bei den anwesenden Soldaten. Zur Verhandlung stand ein Leserbrief, indem der Satz „Soldaten sind potentielle Mörder!“ auftauchte. Daß dieser Satz sowohl wahr als auch nichtssagend ist, schließlich sind alle Menschen in der Lage zu morden, spielte keine Rolle. Während die erste Verurteilung auf 3.000 DM erging, stellte der Freispruch im Januar 1996 den endgültigen Durchbruch in der Diskussion über einen besonderen Ehrenschutz für Soldaten dar.
Schon Mitte November 1995 war der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf der erste, der eine Gesetzesänderung forderte. Er beauftragte deshalb seinen Justizminister Steffen Heitmann mit der Erarbeitung einer Expertise, die klärt, wie der „Soldaten sind Mörder“ - Spruch generell unter Strafe gestellt kann. Später stellte Sachsen im Bundesrat den Antrag, an das BVG zu appellieren, ihr Urteil zu überprüfen.
Auf Druck der CDU/CSU-Fraktion präsentierte der FDP-Justizminister Schmidt-Jortzig Ende März/Anfang April verschiedene Versionen für ein Ehrenschutzgesetz, obwohl er wenige Wochen vorher ein solches Gesetz abgelehnt hatte. In den ersten Gesetzesentwürfen sollte die Beleidigung von Soldaten und Polizisten mit zwei Jahren Haft, die Verleumdung mit fünf Jahren bestraft werden können. Es wurde sogar diskutiert, alle Beamten per Gesetz zu ehrschützen oder einen allgemeinen Persönlichkeitsschutz in das Grundgesetz aufzunehmen. Die Fassung, die am 8. März im Bundestag in die erste Lesung ging, sieht vor, in das Strafgesetzbuch (StGB) den §109b einzufügen, der besagt, daß mit bis zu drei Jahren Haft bestraft wird, „wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst verunglimpft“ und damit das Ansehen der Bundeswehr schädigt. Bislang stellte der §185 StGB „Beleidigung“ mit bis zu einem Jahr unter Strafe und der §109d StGB „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ (falsche Behauptungen, die die Bundeswehr stören oder behindern) mit bis zu fünf Jahren. Deshalb lehnten SPD und B90/Grüne, die sehr wohl für den Ehrenschutz und für die Bundeswehr als solche eintreten, einen neuen Paragraphen ab, da die Bundeswehr durch die bestehenden Gesetze genügend geschützt wäre. Dagegen entwarf der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Geis, ein Bedrohungsszenario, daß nämlich, bei der derzeitigen Rechtslage, die Funktions-, Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet wäre. Und Lummer bedauerte, daß „den Deutschen offenbar die Geschichte ein bißchen das Selbstbewußtsein und damit auch das Gefühl für Ehre und Würde ausgetrieben“ hat, während in anderen Ländern Soldaten ein hohes Ansehen genießen würden. „Was die Kriegsgeneration an Beispielen militärischer Tüchtigkeit, Tapferkeit, Opfermut und Kameradschaft erbracht hat, das gehört auch zum unbestrittenen Erbe der deutschen Militärgeschichte“ (Michaela Geiger, Staatssekretärin des Verteidigungsministeriums). Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis auch die Aussage, daß die Wehrmacht Verbrechen begangen hat, unter Strafe gestellt wird...
ja morde, 4.2k Die Kampagne Potsdam klebt das „Ja, morden“-Plakat an das dortige Kreiswehrersatzamt. In Leipzig wird das Plakat gezielt von der Polizei entfernt, sobald es irgendwo auftaucht.

...weil sie für ihr „Vaterland“ morden!

Es lohnt sich wieder in den Krieg zu ziehen. Deutschland hat sich seit 1989 rasch den außenpolitischen Beschränkungen entledigt, die ihm nach dem 2. Weltkrieg auferlegt worden waren. Niemand scheut sich, offen auszusprechen, was deutsche Interessengebiete und Einflußspähren sind. Natürlich versucht man es erst auf die „friedliche“ Art, sich andere Länder gefügig zu machen. Bewährte Mittel sind finanzielle Erpressungen, politische Druck, wirtschaftliche Infiltration, Unterstützung von „Volksdeutschen“ im Ausland, medial vermittelte Drohgebärden. Wenn das nicht helfen sollte, wird die Bundeswehr „zur Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“ (verteidigungspolitische Richtlinien von 1994) überall eingesetzt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Naumann, hat auch schon erklärt, daß die Bundeswehr die Führungsnation bei multinationalen Einsätzen werden möchte. Schon jetzt verfügt die Bundeswehr über mehr Kräfte, die Auslandseinsätze durchführen sollen, als solche, die der Verteidigung des eigenen Landes dienen (beim Heer kommen z.B. auf sechs Krisenreaktions- nur vier Hauptverteidigungsbrigaden). Die geplanten Einsätze verstoßen zwar im Moment noch gegen die Verfassung, aber wenn erstmal alles aufgebaut ist und zur Sicherung des Standortes Deutschland im Nahen Osten einmarschiert werden muß, wird die Verfassung unter dem Druck des Faktischen den neuen Gegebenheiten angepaßt.
Die geschilderte Debatte um die Strafbarkeit der „Soldaten sind Mörder“-Aussage, um „Ja, morden“-Plakate und um einen gesetzlich verankerten Ehrenschutz für Soldaten, stellen also nur einen kleinen Ausschnitt dar, von dem, was man als Neudefinition deutscher Außenpolitik und einer Aufwertung militärischer Mittel zur Durchsetzung dieser begreifen muß. Diese Ehrenschutzgeschichte geht Hand in Hand,
  • mit dem Versuch, den Wehrdienst gegenüber dem Zivildienst aufzuwerten (Zivildienstleistende sind Egoisten, Drückeberge, Vaterlandsverräter), die Bedingungen für den Zivildienst zu verschärfen (Kasernierung, keine freie Wahl der Zivistelle, Verlängerung der Dienstzeiten um drei Monate, weniger Geld, Verschärfung des Anerkennungsverfahren, Wiedereinführung der Befragung), mehr Wehrpflichtige zu rekrutieren (Behauptung, es gäbe zu wenig Soldaten, Einführung der Tauglichkeitsstufe T7) und den Wehrdienst attraktiver zu machen (dafür stehen jährlich 300 Millionen DM zur Verfügung: bessere Ausbildung, Wohnungs- und Arbeitsbeschaffung nach der Dienstzeit, Orden für Auslandseinsätze, kompetente und freundliche Beratung bei der Musterung, Einberufung etc.),
  • mit härteren Strafen für Totalverweigerer (z.B. Verlängerung der Arrestzeiten über drei mal 21 Tage hinaus, was verfassungswidrig ist),
  • mit den Bestrebungen, den Wehr- und Zivildienst durch eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer zu ersetzen,
  • mit einer verstärkten Präsentation der Bundeswehr in der Öffentlichkeit (Anzeigenserie, Werbespots im Fernsehen, öffentliche Gelöbnisse und Rekrutenvereidigungen, Druck auf die Kultusministerien, das Thema Bundeswehr verstärkt in Schulbücher und den Unterricht einfließen zu lassen, Empfehlung der Wehrbeauftragten, Soldaten sollten sich mit ihrer Uniform verstärkt in der Öffentlichkeit präsentieren),
  • mit gehäuft auftretenden Verstößen der BRD gegen Embargobestimmungen und Exportverbote für Waffen,
  • mit dem auf andere Länder ausgeübten Druck, ihre Waffensysteme zu verbieten, damit die „fortschrittlichen“, deutschen Waffensysteme überall Anwendung finden (z.B. beim Verbot von Anti-Personen-Minen),
  • mit dem Gerede von deutschen Arbeitsplätzen, die bei Pleiten von Rüstungskonzernen drohen, verloren zu gehen,
  • mit der geplanten Steigerung der jährlichen Rüstungsausgaben von sechs Milliarden DM (1995) auf neun Milliarden DM (2001) (das bedeutet eine Erhöhung des Rüstungsetats am Gesamthaushalt des Verteidigungsministeriums von 23% auf 30% und beinhaltet die komplette Modernisierung aller wichtigen Waffensysteme sowie den Neukauf einiger wichtiger Waffengattungen, die bei Auslandseinsätzen und Angriffskriegen von Wichtigkeit sind),
  • mit den Bestrebungen der BRD, einen Sitz im Sicherheitsrat der UNO zu erhalten,
  • mit den Versuchen, im europäischen Rahmen die Verfügungsgewalt über Atomwaffen zu erhalten (immer verbunden mit der Drohung an Frankreich und England, andernfalls eigene Atombomben zu bauen; die BRD verfügt seit langem über eine Flieger-Staffel, die im Kriegsfall mit Atomwaffen bestückt werden soll),
  • >
  • mit dem Gefasel von den aus der deutschen Geschichte zu ziehenden Lehren, die gerade die Deutschen verpflichten würden, im Rahmen der UNO und NATO an militärischen Einsätzen teilzunehmen,
  • mit der Propagandaoffensive vom serbischen Aggressor, den die Deutschen in die Knie zwingen müssen, und von den heldenhaften deutschen Soldaten und ihren Frauen die an der (Heimat-)Front für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen,
  • mit der rasanten Entwicklung einer behäbigen und großen Wehrpflichtarmee, die hauptsächlich Verteidigungszwecken diente, hin zu kleinen und schlagkräftigen Berufsarmee, deren Krisenreaktionskräfte überall auf der Welt eingesetzt werden können, um „deutsche Interessen“ zu schützen,
  • mit der Aufstellung des „Kommandos Spezialkräfte“ (1.000 Mann), einer Art GSG 9 des Militärs, welches zur Guerilla-Bekämpfung eingesetzt werden kann,
  • mit dem neuen Ermächtigungsgesetz, welches es der Bundeswehr ermöglicht, zivile Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge in Krisenzeiten (bislang nur im Kriegsfall) zu beschlagnahmen und für sich einzusetzen (ein entsprechender Entwurf wurde im Februar 1996 dem Bundestag vorgelegt, Begründung: für Auslandseinsätze wie in Jugoslawien reichen die Transportmittel der Bundeswehr nicht aus und die zivilen Tranportunternehmen sind der Bundeswehr zu teuer),
  • mit der nationalsozialistischen Traditionspflege in der Bundeswehr und dem Versuch, Wehrmachtssoldaten zu rehabitlieren sowie Deserteure weiterhin zu diffamieren uvm.

fascho-aufkleber, 6.9k
Diese von einer rechtsradikalen Organisation hergestellten Aufkleber verteilte der Reservistenverband (Büro im Kreiswehrersatzamt, Wodanstraße) vor dem Leipziger Bahnhof.


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[22][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007