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Identität mit MIA


„In den Grenzen früherer, fast vergessener Länder“

Im Januar-Programmheft des Werk II steht ein langer Text – ein Novum. MIA wird angepriesen. Der erste Satz ist keine Lüge: „Eine Band, die wunderbar frischen, innovativen Pop macht.“ Innovativ und wunderbar frisch. Das spricht für Qualität. Meine neue Zahnbürste beispielsweise ist innovativ. Bei ihr schwingt nicht nur, wie bei all den anderen – ehemals innovativen – Zahnbürsten der Hals senkrecht, sondern auch waagerecht. Wunderbar frisch, die weitere Umschreibung des MIA-Pop, ist als Umschreibung nicht unbedingt innovativ, wenn sie neben die Umschreibung innovativ tritt. Sie soll das Gleiche ausdrücken, aber zugeschnitten für Leute, denen Fremdwörter nicht so liegen, weil sie die deutsche Sprache schützen wollen oder sich in ihr nicht weitgehend auskennen. Wunderbar frisch wird daher Schwarzwälder Kirschtorte angepriesen, die in der Nähe von Altersheimen in Konditoreien verkauft wird.
Doch MIA wird von der „Werkleitung“ des Werk II schließlich doch noch konkreter beworben: „Eine Band, die sagt, wo sie herkommt und welche Sprache sie spricht – und zugibt, dass sie diese Sprache mag und ihre Heimat auch.“ Ich übrigens gebe hiermit zu, ursprünglich aus Querfurt in der DDR, jetzt Ostdeutschland, zu kommen und die Sprache Deutsch mit sächsischem Akzent zu sprechen. Ich habe damals, nicht ganz so freiwillig wie MIA heute, auch Lieder für mein Land gesungen – zum Beispiel: „Ich liebe mein Land, die Sorge darum, ob alles auch gelinge/ daß jedes Jahr mit Liebe und Schweiß uns weiter ein gutes Stück bringe/ Und wenn ich mich auch mit alledem noch lange nicht begnügen werde/ so setz ich doch alles daran, daß niemand es jemals gefährde“ (Text: Olaf Möller). Die Werkleitung zitiert in ihrem Text ausgiebig „Mieze, die Mia-Frontfrau“: „...wir gestalten unser Leben selbst... Ich möchte mich nicht hinter vorgehaltener Hand mit dem Thema Deutschland beschäftigen...“ Liebe Mieze, keiner will verhindern oder dir ausreden, dein Leben selbst zu gestalten, also neben Scooter beim deutschen Grand Prix anzutreten und zu verlieren. Und auch über Deutschland darfst Du in Deutschland ungeniert reden. Wie Du in einem deiner Lieder ein Liebes-Verhältnis zu Deutschland eingestehst, so tun dies alle, die Dir das jetzt oder in naher Zukunft verbieten könnten. Schröder und Merkel sagen laut: „Ich liebe Deutschland“. Schrei es gleich so laut du kannst und nicht mit vorgehaltener Hand aus dem Fenster heraus und du wirst plötzlich merken, dass du schon frei bist. Mieze weist uns in ihrem von der Werkleitung zitierten Statement auf unsere Zukunftschancen hin: „Dass wir anfangen, uns laut mit unserer Identität zu beschäftigen, ist eine Chance, nutzen wir sie.“ Ich komme, wie schon erwähnt, aus Querfurt in der DDR, jetzt Ostdeutschland, und spreche die Sprache Deutsch mit sächsischem Akzent.
Die Werkleitung findet MIA zudem nötig, weil in unser Bewusstsein und in unsere Realität immer stärker Europa tritt: „Die darin wohnen, dürfen ihre eigenen Sprachen und kulturellen Eigenheiten durchaus pflegen, aber wer wird sich in Zukunft noch darum kümmern, inwieweit sich das in den Grenzen früherer, fast vergessener Länder vollzieht?“ Vielleicht können neben MIA die berüchtigten ostdeutschen Nazijugendbanden die Sorge der Werkleitung abmildern und sich gemäß hiesiger kultureller Eigenheit darum kümmern? Dann würde ein Europäer aus Warschau zukünftig in Görlitz zu hören bekommen: „Eh du Bollacke, du gannst gerne dene Sproache und dene guldurellen Egenheiden – also Autos klon – pflegen, aber tue das innerhalb der Grenzen denes früheren, fast verjessenen Loandes.“

Hannes aus Querfurt in der DDR, jetzt Ostdeutschland


JVA Leipzig, 72.9k


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last modified: 28.3.2007