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Street by street, block by block
- nun auch das Conne Island?


„Na also!“ wird stöhnen, wer nur Earth Crisis Shirts besitzt und daher bei Konzerten im Conne Island im warmen Strickpullover schwitzen musste: Das Trageverbot wurde fallengelassen. Ein ganzer Blumenstrauß von Begründungen mag dafür von Bedeutung sein. Allen voran: Vegan Straight Edge ist in politischer Hinsicht hier und heute ein völlig irrelevantes Konzept. Die von Earth Crisis prototypisch vertretene Vegan/Straight Edge-Ideologie dient zwar immer noch als Identitätsschablone für eine kleine Szene, politisches Handeln im aktiven Sinn stellt jedoch im Ausagieren dieser Muster eher die Ausnahme dar. Die Illusion politischer Aktivität wird vielmehr durch Boykotthaltungen (keine tierischen Produkte, keine Drogen, teilweise Vermeidung von Sweatshop-Produkten) und Benefizkonzerte vermittelt. Ein Verbot, im Allgemeinen ohnehin nicht gerade dafür bekannt Denkprozesse anzustoßen, muss stringent sein und das war das Shirtverbot nicht. Etwas anderes als Kopfschütteln kann es kaum hervorrufen, wenn man das Earth Crisis Shirt im Schrank lassen muss und stattdessen eines der unzähligen anderen Gemüsemetalbands anzieht, deren Kenntnis man von keinem Einlass erwarten kann. Eher dürften die verirrten Jugendlichen für das mit einfachen Mitteln erreichte rebellische Gefühl dankbar sein, denn wer sonst als schrulliger Partykiller gilt oder von Nazi-Opa zwanzig Euro zugesteckt bekommt, weil die Selbstzucht so schön konsequent ist, der ist für jeden Kontakt mit den „Kräften des Bösen“ dankbar. Viele Rückschlüsse lässt ein Shirt über das Verhältnis des Trägers zur politischen Haltung der Band eh nicht zu, vielleicht gerade mal, dass diese noch unterhalb der individuellen Kotzgrenze liegt, aber das kann auch schon zuviel sein.

Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur: Völkermörder Alkohol, 29.2k Eines bedeutet das Ende des Verbots mit Sicherheit nicht: Die Rehabilitation der durch Earth Crisis repräsentierten Ideologie. Zusammengefasst lässt diese sich ungefähr so charakterisieren: Auf der Welt sieht es gar nicht gut aus. Korrupte Politiker, schlipstragende Fieslinge und Drogenhändler zerstören blindgierig alles, was dem geneigten Zuhörer lieb und teuer ist. Ob alte Kulturen, Familienstrukturen, die Umwelt, ja nicht einmal vor den süßen Tieren machen sie halt. Aufgabe der Earth Crisisschen ParteigängerInnen ist es nun, diesem apokalyptischen Zustand mit allen Mitteln entgegenzutreten. Den Dreh- und Angelpunkt, den Analyserahmen für falsches und richtiges Handeln bietet dafür die Illusion des Natural Order. In diesem weltanschaulichen Konzept wird die Vorstellung eines per ewigem Naturgesetz minutiös geregelten Daseins gegen die Realität eines gesellschaftlich vermittelten Zusammenlebens in Stellung gebracht. Klassisch reaktionär geht es nicht um emanzipative Politik, also die Neuschaffung eines kritischen Bewusstseins, das in die Entwicklung der Gesellschaft im Sinne einer Befreiung von Zwängen eingreift, sondern nur darum, den „richtigen“ Zwang wiederherzustellen, die durch individuelle Gier und westliche Unmoral um ihr Recht gebrachte Natürliche Ordnung von Mutter Erde. Dem entspricht ein Idealtypus des Menschen, der ritterlich kämpft, den Tugenden der Reinheit, des Opferwillens – a knight unyielding to the X i’m crucified – und der Stärke – strengthened to never break – ergeben und natürlich nicht aus Eigennutz, sondern – the helpless are crying out, we have risen to their call – dem Ruf der Unschuldigen und Hilflosen folgend.(1) Völlig offensichtlich tritt der faschistische Charakter dieses Reckentums in seinen textlichen Ergüssen zu Tage, so goebbelt es im EC-Überhit Firestorm: NO MERCY NO EXCEPTIONS, A DECLARATION OF TOTAL WAR/THE INNOCENTS DEFENSE, THE REASON IT'S WAGED FOR.(2) Der positive Bezug auf den Totalen Krieg hindert die Vegan-Landser allerdings nicht daran, sich über den Unseen Holocaust zu verbreiten. Mit realen Juden hat der natürlich nichts zu tun, sein Assoziationsfeld ist schlicht geeignet, alles Schlimme noch ein bisschen schlimmer zu machen und der Verweis auf den historischen Kontext des Begriffs muss Leuten, die sich über Speziezismus wie über Rassismus beklagen sowieso als anthropozentrische Begriffswichserei erscheinen. In dem Lied geht es um den Mord an den native americans. Meine Kritik gilt hierbei natürlich nicht der Thematisierung dieses Verbrechens und seinen Auswirkungen auf die Situation von native americans heute. Es bleibt aber schlicht zu fragen, warum dafür der Holocaust herhalten muss und inwiefern, unter Berücksichtigung der reaktionären Ideologie der Band, das Mitleid mit den „Indianern“ das projizierte Selbstmitleid der antimodernen Ideologen ist, die in den „edlen Wilden“ Repräsentanten einer durch und durch guten, „natürlichen“ Ordnung erblicken, während sie selbst, anstatt mit Pfeil und Bogen auf Büffeljagd zu gehen und Friedenspfeifen zu schmauchen, in der bösen Zivilisation bei Tofuwurst und Limonade leiden müssen.(3)

Mahnruf: Mehr Milch! Reichs-Milch-Ausschuß, 28.6k In dem Artikel „The kids will have their Jihad!?“ (CEE IEH # 113) wurden die Ursprünge dieses Wahns in der Straight-Edge-Bewegung der 80er und der Einfluss der Tiefenökologie aufgezeigt. Darum und um die Straight Edge Bands, die sich antifaschistisch im o.g. Sinne positionierten, soll es hier nicht gehen.(4) Wichtig zu wissen ist, dass es sie gibt und gab.
Straight Edge ist auch nicht zwingend „lustfeindlich“ wie manche gerne behaupten. Die Entscheidung, Drogen zu nehmen, muss jedem und jeder selbst überlassen werden und Zustände, in denen Abstinenz nicht respektiert, sondern mit einem Generalverdacht überzogen wird, sind abzulehnen. Für Hinweise auf den Lustgewinn, den ich verspürt haben soll, als ich in meiner frühen Jugend auf langweiligen Partys Klos vollgekotzt und mir begleitet von Schwindelanfällen und grünem Schleim das Rauchen angewöhnt habe, wäre ich im Übrigen sehr dankbar. Nur, warum braucht man überhaupt den Begriff Straight Edge und warum muss man die simple Entscheidung gleich zum Schwur auf Lebenszeit aufblasen (der meist ohnehin nicht hält)? Warum muss man wegen eines Solidaritätsrituals, das Jugendliche vor zwanzig Jahren erfanden, eine Szene aufrecht erhalten, noch dazu eine, die inhaltlich bis auf die Ablehnung von Drogen (was auch noch eine Reihe von Definitionsproblemen mit sich bringt, ich sage nur Zucker, Sex und Kaffee) überhaupt keine inhaltlich zwingenden Aussagen hat? Straight Edge ist nicht an sich faschistisch, aber es ist eine leere Hülse, die politisch beliebig, auch faschistisch, gefüllt wird. Ein nettes Accessoire darf das X sein, mehr nicht. Es ist sinnlose Identitätshuberei, die ominöse SE-community retten zu wollen, falls es sie überhaupt gibt, denn vielmehr als ein faules Zusammengehörigkeitsgefühl, dass dem, was man so Entfremdung nennt, einmal die Tür von außen verschlossen werden sollte, hat sie nicht gestiftet. Dumm nur, wenn man einsehen muss, dass es solche Türen gar nicht gibt. Warum wird fast jeder reaktionäre Müll erst mal verteidigt? Nur weil die Leute, die ihn verzapfen, ein ähnliches Konsummuster aufweisen? Manche Leute sehen das natürlich ganz anders und erklären einem auf Anfrage gerne, das sei ja alles gar nicht so gemeint, und ich glaube das gerne. Im gleichen Atemzug ist es mir aber unverständlich, wie man sich, des eigenen lifetime committments sicher, jedes Wochenende den gleichen Blödsinn anhören und dazu lächerliche Kickboxmacker-Eiertänze vollführen kann und dabei noch ernstgenommen werden will.
Lippenbekenntnisse gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus hört man zuhauf. Aber warum halten die Frauen dauernd die Jacken, welchen Mechanismen ist es geschuldet, dass von rassistischer Diskriminierung betroffene sich in der Szene so gut wie gar nicht wiederfinden und wie würden die Rucksackkiddies gucken, wenn sie merkten, dass manche von ihnen auch kurz vor dem Einschlafen noch mal an den verschwitzten Männerpulk denken...
Das Phantom mit der Stahlmaske /
xUNNATURALyORDERz


Fußnoten

(1) Alle kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus: Earth Crisis, Firestorm 7", Victory Records VR 12, 1994.
(2) Wer sich an der teutschen Übersetzung von Earth Crisis Texten in Gedichtform versuchen möchte – ich denke hier könnten schöne Ergebnisse erzielt werden! Nebenbei bemerkt, hat die Verwendung von Nazibegriffen auch in der VSXE-Szene einige Verbreitung gefunden, ob VEGAN REICH (siehe CEE IEH #113) oder vor ca. 2 Jahren MAROON, die eine ihrer Touren mit unnachahmlicher Ironie „Blitzkrieg Tour“ nannten. Es lässt sich eine Vielzahl von ähnlich dümmlichen NS-Bezügen aus dem Punkrock finden, auf den nicht zufällig die Entstehung von Nazi-Pop-Gruppen zurückgeht. Hier lässt sich jedoch immer das Argument der Überaffirmation ins Feld führen: Gesellschaftliche Tendenzen werden in kritischer Absicht überbetont und ad absurdum geführt. Das ist jedoch in der Welt des Straight Edge Hardcore, formell nicht ironisch, sondern „true“ völlig unüblich und daher, zumal fast 30 Jahre später, anders zu bewerten.
(3) Mir sind stereotype Abqualifizierungen, wie die von Büffeljagd und Friedenspfeife, zuwider. Im Text stellen sie eine ironische Zuspitzung des pathetischen Kulturkitschs der EC Texte dar: The arrow shaft lays broken where the grasses dripped with blood. (aus UNSEEN HOLOCAUST). Über den Zusammenhang von antimoderner Ideologie, Indianerliebe und Antiamerikanismus, siehe z. B.: Stefan Ripplinger: Der Schatz im Silbersee, in: Uwer/Osten-Sacken/Woelidke (Hg.), Amerika, Der „War on Terror“ und der Aufstand in der Alten Welt, Freiburg 2003, S. 37ff.)
(4) Am liebsten werden hier immer Bands wie Chokehold oder Reversal of Man zitiert, was für Fragen von Mackertum, Homophobie und Pro-Life-Kram auch ganz nützlich ist. Ein Lied, dass sich direkt gegen Ökofaschismus, Natural Order Ideologie oder ähnliches richtet, ist mir nicht bekannt, was auch nix heißen muss. Zur Kritik der Tiefenökologie am Besten mal nachlesen bei www.social-ecology.org. Zum Thema Veganismus ist nur zu sagen: es gibt eine Menge guter Gründe, für eine weitestgehende Abschaffung der Tierindustrie zu sein, ohne deshalb Spinner wie PeTA und Konsorten gut zu finden.


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last modified: 28.3.2007