home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[51][<<][>>]

Nachdem am 6. November ‘98 mehrer Nazis ungestört bei einem Konzert im AJZ Talschok auftreten und provozieren konnten, bat das Conne Island das AJZ um eine offizielle Stellungsnahme. Diese blieb aus, sodaß es von seiten des Conne Island einen offenen Brief für alle, die es interessiert, geben mußte.
, 0.0k
Offener Brief des Conne Island/LeipzigLeipzig, den 11.12.98

Betreffs: Nazis beim Konzert!

Zu den Fakten: Am 6. November 1998 fand im AJZ Talschok/Chemnitz ein Hardcore-Konzert mit Hard Resistance/Discipline statt. Neben dem üblichen Spartenpublikum befanden sich auch mehrere Nazis (die Angaben schwanken von 5 bis 25) unter den Besuchern. Diese – äußerlich erkennbar u.a. anhand von Skrewdriver T-Shirts und Runenzeichen auf der Kleidung – kamen nicht durch die Hintertür oder mittels Gewaltanwendung in den Saal. Im Gegenteil, völlig unproblematisch ging es an der Einlaßkontrolle vorbei in den Konzertraum. Während des Konzerts wurden HCler am Tanzen gehindert, mindestens einer wurde geschlagen, wobei ihm ein Piercing aus der Haut gerissen wurde. Desweiteren outete sich die besagte Nazi-Gruppe mit White Power- und Sieg Heil-Grüßen. Der Einlaß wurde im Laufe des Konzerts auf die Vorfälle angesprochen. Er reagierte nicht!
Am 12. November 1998 wurde seitens des Conne Island – ein antifaschistisches Jugendzentrum in Leipzig, welches ebenfalls regelmäßig HC-Konzerte veranstaltet – schriftlich um eine Stellungnahme zu dem besagten Vorfall in Chemnitz nachgesucht. Das AJZ Talschok Chemnitz reagierte nicht!
Der Umgang der Verantwortlichen im AJZ-Chemnitz, sowohl während des Vorfalls selber, als auch mit der Bitte um eine Stellungnahme, läßt nur einen Schluß zu: Die Tatsache, daß Nazis ohne jedwede Tarnungsversuche Konzerte und Veranstaltungsorte besuchen, die bis heute im allgenmeinen Verständnis als „alternativ“, „antifaschistisch“, „antirassistisch“, „links“, mindestens aber als nicht rechts gelten, findet man in Chemnitz nicht problematisierungswürdig. Der Vorfall soll gedeckelt werden. Konsequenzen, wenn überhaupt, nur unter Ausschluß der Szene, der Antifa, der Öffentlichkeit gezogen werden.
Sumasumarum: Eine risengroße Schweinerei!
Mag sein, daß HC nicht mehr das ist, ja nicht einmal mehr sein will, was es einmal sein wollte. Büsser hat es aufgeschrieben und die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Der Traum von der linken Gegenkultur „Hardcore“ ist im Großen und Ganzen heute unrealistischer denn je. Aber ist es nun schon soweit, daß die Macher in der Szene zu besseren Sozialarbeitern für Nazis werden? Muß Realitätssinn automatisch im ekelhaftem Opportunismus gegenüber den Verhältnissen enden?
Jedes Kind weiß, wie es um die Jugendkultur im Osten bestellt ist. Den Nazis gehört bis auf wenige Ausnahmen die Straße, das Jugendzentrum etc. Die wenigen Demokraten im Westen erschrecken immer wieder aufs Neue über die Hegemonie der Faschos im Osten. Die Antifa muß sich damit auf einer ganz anderen Ebene rumschlagen und weiß kaum noch, wo ihr der Kopf steht.
Ausnahmen von der Regel bestehen dort, wo Jugendzentren existieren, in denen politische und kulturelle Projekte zusammengehen und dabei einen gemeinsamen Nenner haben: Gegen Nazis zu sein! Das heißt, auch wenn sich der Traum (von den Alten), im Takt von HC-Musik die Gesellschaft umzustülpen, an der Realität blamiert hat, ist nicht jede lokale Szene, nicht jedes Projekt, jedes Individuum und schon gar nicht jede Entscheidung, welche in solchen Kreisen getroffen wird, unpolitisch. Wer die kleine sächsische Gemeinde Roßwein kennt, weiß wovon die Rede ist. In den meisten umliegenden Nestern haben Nazis das Sagen, in Roßwein haben sie hingegen ein Problem. Hier gibt es nämlich eine „linke“ Szene und die trifft sich im Jugendhaus, welches sich mittlerweile als fester Bestandteil der HC-Szene etabliert hat. Antifa-Szene und HC-Szene überschneiden sich, zumindestens macht man dies und das zusammen und meidet sich nicht. Ähnliches kann man in Dessau, Glauchau und nicht zuletzt in Leipzig beobachten.
Fazit: Antifaschistische Jugendprojekte sind die einzige Möglichkeit, den Nazis dauerhaft Paroli zu bieten. Und HC ist hier, am ganz praktischen Beispiel, mehr als nur massenkompatibles Musiksegment. Das natürlich weiterhin, darüber hinaus aber auch Aushängeschild, werbewirksames Medium für einen ganz banalen polit. Grundsatz, dem man wahrscheinlich auch im AJZ (Alternatives...?, Antifaschistisches....?, Anderes...?) Talschok verbal noch zustimmen dürfte: Nazis raus!
In Chemnitz scheint man das nicht kapiert zu haben. Denn nur so erklärt sich die verantwortungslose und nicht problematisierte Einlaßpolitik. Was sich z.B.die Roßweiner, Dessauer, Glauchauer, Leipziger, ... HCler hart erkämpft haben, hängt man hier an den Nagel. Worauf viele junge Linke und Punks bauen, die sonst in ihren Nestern die Übermacht der Nazis tagtäglich spüren, nämlich ein Quentchen Sicherheit und Raum für die eigene Meinung (hier ist noch nicht mal von politischem Engagement die Rede), tritt man hier mit Füßen. Wähnt man sich als Konzertveranstalter aber wirklich zwischen gut und böse, herrscht die Auffassung vor, Kultur sei in jedem Falle, besonders im eigenen, unpolitisch, dann muß dies schnell zugegeben werden. Denn alle, die sich bis jetzt Illusionen hingegeben haben, müssen gewarnt werden! Hoffentlich hat man diesmal mehr Courage und positioniert sich öffentlich.
Ungerecht an der bis jetzt geäußerten Kritik ist wahrscheinlich nur eins: Es könnte der Anschein entstehen, nur der Veranstalter in Chemnitz habe verantwortunglos und politisch fatal gehandelt. Natürlich wäre dies zu kurz gegriffen. Im Konkreten heißt das, sowohl die Agentur als auch das Publikum und die Bands haben an dem besagten 6.11. an der Dokumentation über den traurigen Ist-Stand der Hardcore-Szene (im Osten?) mitgewirkt. (Falls sie nichts mitbekommnen haben, was kaum zu glauben ist, wird der spezielle Schuldvorwurf hinfällig.) Bestehen bleibt aber die generelle Einforderung einer Positionierung zu den beschriebenen Vorfällen. Denn, wenn die Tatsache, daß Nazis sich völlig ungestört und in aller Offenheit bei HC-Konzerten amüsieren, auch nach dieser Veröffentlichung auf so wenig Entrüstung stößt wie bis bisher, müssen diejenigen, für die HC more than music ist, sich überlegen, was sie noch mit der Szene verbindet. Für das Conne Island dürfte das der Ausstieg aus dem HC-Netzwerk bedeuten. Denn hier gehörte Antifa und HC immer irgendwie zusammen. Denen, die anders, zumindestens keine Nazis sein wollen, wird hier immer noch eine Insel geboten, auf der Nazis folgerichtig nichts zu suchen haben, die also mehr ist als Schall und Rausch.
Wird diese Einstellung von Leuten aus der Szene, von den relevanten Agenturen und Veranstaltern geteilt, dann sollte schnell und zwar ganz schnell darüber nachgedacht werden, wie mit ähnlichen Vorfällen in Zukunft umgegangen werden soll. D.h. welche Möglichkeiten der Sanktionierung gibt es gegenüber verantwortungslos handelnden Läden, Agenturen, Bands, Fans. Für uns steht zumindestens jetzt schon fest, daß wir, solange das AJZ Talschok kein Problembewußtsein signalisiert, allen Antifaschisten in der Szene nur abraten können, mit dem AJZ Talschok in Chemnitz zusammenzuarbeiten. Dies ist noch kein Boykottaufruf, könnte aber einer werden!
Desweiteren macht die ganze Aufregung natürlich nur Sinn, wenn gleichzeitig überlegt wird, wie der politische Charakter der Einlaßpolitik transparenter gemacht werden kann, also wenigstens noch ein politisches Aushängeschild der HC-Szene, welches annähernd, oder besser, an einigen Orten der Realität entspricht, populärer gemacht werden kann und vieleicht zu so etwas wie einem neuen Element einer polit. HC-Generation wird.
Abschließend fordern wir alle Angeschriebenen/Angesprochenen auf, zu der Problematik öffentlich Stellung zunehmen. Damit endlich mal bekannt ist, wer wo steht!

Antifa heißt Angriff. HC is more than music. PC ist geil! Mit antifaschistischen Grüßen.

Conne Island Leipzig


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[51][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007