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hebräisch: Partner, 0.9k – Ein Partner.(1)


Israel-Map, 13.2k Israel, der Abzug aus Gaza und der Zaun
    "Eine Untergruppe der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden hat am Freitag in Beit Hanoun im nördlichen Gazastreifen einen 16jährigen palästinensischen Jugendlichen erschossen. Die Familie des Jungen hatte sich dagegen gewehrt, dass die Männer Kassam-Raketen von ihrem Grundstück aus auf israelische Ziele abfeuern. Nach einem Bericht, den Verteidigungsstellen in Israel von palästinensischen Quellen erhalten haben, besteht die Terrorzelle aus sechs Mitgliedern. Sie kamen am Morgen zu dem Haus der Familie Za’anun in Beit Hanoun, bauten einen Raketenwerfer auf und eröffneten das Feuer auf einen gepanzerten Wagen der israelischen Armee (IDF), nicht weit von dem Haus der Familie entfernt. Daraufhin versuchten die Familienmitglieder, die Militanten der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden mit Stöcken und Steinen von ihrem Grundstück zu vertreiben, in der Furcht, ihr Haus werde zerstört, sollten die Kassam-Raketen von dort aus gezündet werden. Während der Auseinandersetzung erschossen die Anhänger der Brigaden Hassan Za’anun. Drei weitere Familienangehörige wurden verletzt. Die sechs Männer verließen daraufhin das Gelände, ohne die Raketen abzuschießen.“
    (Newsletter der Israelischen Botschaft, 23.07.04)

    „A Palestinian teenager who decided against blowing up in Jerusalem caused panic at a Ramallah security office when he went for help to disarm the explosives... He said he was sent by Islamic Jihad in Jenin to blow himself up in Jerusalem. On the way, he had second thoughts. ‘I kept thinking of myself, of my family, and to be honest – I don’t want to die’ he said.“
    (AP/Washington Post, hier zitiert nach Jerusalem Post, 14.05.2004, S. 21)
"Jesch Partner – Arafat hu Partner!“, „Es gibt einen Partner – Arafat ist ein Partner!“, lautete eine der Losungen auf der größten Demonstration in der Geschichte Israels im Mai dieses Jahres in Tel Aviv. Dort waren – die Schätzungen schwanken – zwischen 150.000 und 250.000 Menschen zusammengekommen, um den sofortigen Rückzug aus Gaza und den Beginn von Verhandlungen mit den Palästinensern zu fordern. Die Leute, die sich auf dem Rabin-Platz versammelt hatten, haben unterschiedliche Gründe, sich für den Rückzug einzusetzen. Wohl die meisten aber stimmten den Rednern und Rednerinnen zu, die es als sinnlos bezeichneten, dass „unsere Jungs“ beim Militärdienst im Gazastreifen ihr Leben riskieren, obwohl längst klar ist, dass die israelische Präsenz dort nicht länger zu halten sein wird. Das hat nun offensichtlich auch Israels Premierminister Ariel Sharon eingesehen, der als einer der „Väter der Siedlerbewegung“ gilt, nun aber den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen propagiert und betreibt. In der Folge der Demonstration vom Rabin-Platz hatte er dann auch gesagt, dass er sich über so viel Unterstützung aus der Bevölkerung freue. Das allerdings sehen die Teilnehmer der Demo und die Redner – unter ihnen mit Shimon Peres der Oppositionsführer – anders. Trotzdem ist das Gefühl, dass sie an diesem Mai-Abend „We shall overcome“-singend vereinte, diffuser als es den Anschein hat. Es war nicht so sehr eine Demonstration für den Rückzug, sondern für die Kopplung dieses Rückzugs mit bedingungslosen Verhandlungen, die sofort beginnen sollten. Nicht etwa, weil diese Verhandlungen erfolgversprechend wären, sondern weil es keine andere Perspektive gibt, als miteinander zu sprechen. Deshalb wird der offiziellen Regierungslinie – dass Verhandlungen nicht möglich sind, weil eben kein Partner auf palästinensischer Seite in Sicht wäre – entgegengehalten: „Es gibt einen Partner“. Und inoffiziell verhandelt auch die Regierung Sharon mit Vertretern der palästinensischen Seite. Einer der israelischen Unterhändler ist dabei der Sohn des Ministerpräsidenten, Omri. Auf Seiten der Palästinenser gelten in diesem Zusammenhang als gemäßigt und verhandlungsbereit: zum Beispiel Mohammed Dahlan, der Sicherheitschef des Gazastreifens (er gilt auch als Drahtzieher der jüngsten Unruhen im Gazastreifen, die sich gegen Jassir Arafat gerichtet hatten) und Marwan Barghouti, der allerdings derzeit wegen mehrerer Terroranschläge in israelischer Haft sitzt. Diese beiden sind gegenüber Arafat die eindeutig bessere Wahl. Sie haben nämlich wenigstens ihren Verstand noch einigermaßen beisammen, was man von Jassir Arafat nicht so unbedingt behaupten kann. Er gibt beim gemeinsamen Essen mit Journalisten gerne von seinem Teller Gemüsestücke an andere weiter und erläutert dabei die Vorteile der gesunden Ernährung, bevor er sich dann müde wieder an seinen Schreibtisch zurückzieht, auf dem sich unter anderem der Wimpel einer chilenischen Fußballmannschaft und ein Schokoladenweihnachtsmann befinden.(2)

Die Gebiete

Die palästinensischen Gebiete, also das Territorium auf dem nach sämtlichen Planungen (am wichtigsten: die „Roadmap“ des „Quartetts“ aus USA, UN, Russland und Europäischer Union) schon bald ein palästinensischer Staat entstehen soll, bestehen aus dem Westjordanland (in Israel: „Judäa und Samaria“ oder „die Gebiete“, international: „Westbank“) und dem Gazastreifen.
Im Gazastreifen leben 1,4 Millionen Palästinenser und 8.200 jüdische Siedler. Und das auf einem Gebiet, das 40 Kilometer lang und im Durchschnitt 8 Kilometer breit ist. Der Gazastreifen gehört zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt. Etwa 60 Prozent des Territoriums werden von der Palästinensischen Autonomiebehörde (Palestinian Authority, PA) kontrolliert. Das ist die „Regierung“ die der „Präsident“ Jassir Arafat eingesetzt hat, zur Zeit unter dem – zwar zurückgetretenen, aber weiter im Amt befindlichen – Ahmed Kureia. Ihr Sitz befindet sich, wie auch Arafats von den israelischen Verteidigungskräften (IDF) fast völlig zerstörtes Hauptquartier, in Ramallah im Westjordanland. In letzterem leben zwei Millionen Palästinenser und 200.000 jüdische Siedler. Das Gebiet ist in drei Zonen eingeteilt: „Die so genannte A-Zone – mit den Städten Dschenin, Nablus, Tulkarem, Kalkiliya, Ramallah und Bethlehem – wurde den palästinensischen Behörden übergeben. Die Zone B mit 420 palästinensischen Kleinstädten und Dörfern untersteht der palästinensischen Zivilverwaltung, wird jedoch im Bereich der Sicherheit weiter von Israel kontrolliert. In der Zone C, die mehr als 60 Prozent des Westjordanlands umfasst, übt Israel weiterhin sämtliche Hoheitsrechte aus.“(3)
Fast 50 Prozent der palästinensischen Bevölkerung sind Jugendliche unter 15 Jahren; 75 Prozent sind unter 20. Die Wirtschaft der palästinensischen Gebiete ist vollständig abhängig von Israel und von internationaler Hilfe. Zwei Drittel aller palästinensischen Haushalte leben in großer Armut. Jeder zweite Palästinenser ist angewiesen auf internationale Nahrungshilfe. Die Arbeitslosigkeit beträgt 40 Prozent in der Westbank und 50 Prozent im Gazastreifen. Diese an sich schon hohe Zahl wird in nächster Zeit tendenziell noch weiter steigen, unter anderem, weil Israel aus Sicherheitsgründen die Gebiete immer wieder abriegelt und auf diese Weise erheblich erschwert, dass Leute aus den Gebieten zum Arbeiten ins israelische Kernland gelangen. Auch der geplante israelische Rückzug aus dem Gazastreifen führt zur Verringerung der Zahl von Arbeitsplätzen, weil viele Palästinenser in der Landwirtschaft der jüdischen Siedlungen arbeiten. Einige dieser Arbeiter sind nicht wirklich froh über den Abzugsplan.(4) Und wenn der Trennzaun fertig sein wird und keine Lücken für „illegale Grenzübertritte“ mehr vorhanden sind, wie derzeit noch an einigen Stellen, werden noch weniger Menschen aus den Gebieten zum Arbeiten nach Tel Aviv, Haifa oder Jerusalem gelangen.

Der Zaun

Die Idee ist denkbar einfach. Zur Verhinderung des Eindringens von Terroristen aus den Gebieten ins israelische Kernland ist nichts besser geeignet als eine Barriere, die nur an Checkpoints mit Kontrollen überwunden werden kann. Dazu müssen lediglich auf einer Strecke von ungefähr 720 Kilometern Zäune aufgestellt werden. An einigen Stellen (ca. drei Prozent der Gesamtanlage) hat die Barriere die Form einer acht Meter hohen Betonmauer. Diese Sperranlage, die außerdem noch einen Streifen aus feinem Sand zum Sichtbarmachen von Fußspuren, Stacheldraht, Überwachungskameras und einen Graben beinhaltet, soll, das beteuert die israelische Regierung, nicht die Grenze zwischen Israel und dem zu schaffenden palästinensischen Staat vorwegnehmen, sondern lediglich der Gefahrenabwehr dienen. Die Anlage sei keine politische Angelegenheit, sondern eine sicherheitstechnische. Das allerdings ist sehr vereinfachend gedacht. Die Anlage, die derzeit im Entstehen begriffen ist, befindet sich nämlich zum überwiegenden Teil auf palästinensischem Gebiet, um eine Pufferzone zum israelischen Kernland zu schaffen und um „grenznahe“ israelische Siedlungen in der Westbank gleich mit einzäunen zu können. Diese Landnahme behindert zahlreiche Palästinenser bei ihrer Arbeit insbesondere in Olivenhainen, die sie nach Fertigstellung des Zauns nur noch über Kontrollpunkte zu bestimmten Tageszeiten erreichen können. Der israelische Oberste Gerichtshof hat diese Benachteiligung der Palästinenser in seinem Urteil vor einigen Wochen anerkannt und die Regierung zur Korrektur des Verlaufs der Anlage an einigen Stellen aufgefordert. Die Argumentation der Regierungsvertreter vor Gericht, dass der bisherige Verlauf sicherheitstechnisch notwendig sei, wurde vom Gericht zwar gewürdigt, aber als nicht hinreichend für die Benachteiligung der Palästinenser gewertet.
Fest steht, dass nach Errichtung des Zaunes in den jeweiligen Gegenden die Anzahl terroristischer Anschläge signifikant gesunken ist. Dies ist das beste Argument für die Sperranlage: sie funktioniert. Seit dem Baubeginn vor 2 Jahren gab es einen Rückgang der Selbstmordattentate: von 46 Anschlägen im Jahr 2002 auf 17 im Jahr 2003. In diesem Jahr waren es bisher (05. August) vier suicide bombings.(5)
Der Sinn der Anlage wird in Israel vom Großteil auch der linken Kritiker der Politik Sharons nicht bezweifelt. Es wird allerdings gefordert, dass sich der Verlauf des Zauns an der „Grünen Linie“ (Waffenstillstands-Linie von 1967) zu orientieren habe, also die Anlage nicht auf palästinensischem Gelände errichtet werden dürfe. „Mosi Ras, der ehemalige Generalsekretär der Friedensorganisation ‚Shalom Achschaw‘ (Frieden jetzt) und ehemalige Meretz-Abgeordnete, kritisiert zwar den Verlauf, sieht in dem Zaun aber auch eine Chance. ‚Auch an der Grenze zu Jordanien hatten wir erst einen Zaun, und nun haben wir ein Friedensabkommen mit Amman. Warum sollte das Selbe mit den Palästinensern nicht möglich sein?‘, fragt er.“(6) Es gibt allerdings auch linksradikale Kräfte, die gemeinsam mit palästinensischen Leuten gegen „die Apartheid-Mauer“ demonstrieren. „Eva, eine junge Anarchistin aus Berlin, [...] fährt jeden Tag aus dem mondänen Tel Aviv, wo sie lebt, in die staubige Westbank, um bei Aktionen (gegen den Zaun, von Fatah und Hamas organisiert, Sven) mitzumachen. Warum sie dann nicht gleich dorthin ziehe, fragen wir. Sie erklärt, dass ihr das ‚zu krass‘ sei. Als Frau dürfe sie hier ja nicht mal laut lachen.“(7)

Israel

Letztens, in Tel Aviv, habe ich die Leute, mit denen wir im Auto fuhren – ein schwules Paar um die 30, der eine Doktorand, der andere arbeitet bei einer Bank – gefragt, was sie von Ariel Sharons Plan eines einseitigen Rückzugs aus dem Gazastreifen hielten, über den am selben Tag eine parteiinterne Abstimmung im Likud stattfand. Sie sagten, sie hätten Sharon nicht gewählt, deshalb sei für sie diese Frage falsch gestellt. Sie seien gegen die Besatzung insgesamt und müssten sich nicht den Kopf von Sharon zerbrechen. Das ist eine typische linksalternative israelische Antwort. So einfach ist das nämlich mit dem Abzug nicht. Es ist zu befürchten, dass nach dem Ende der Besatzung und der Militärpräsenz in Gaza das Chaos ausbricht. Eine Kostprobe dessen gab es letztens, als die Hamas gegen Korruption in der PA demonstrierte, indem sie Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen entführte. Das bedeutet, es blieb den radikalen Islamisten – wahrscheinlich in Ermangelung „geeigneter Geiseln“ – nichts übrig als durchgeknallte Pali-Freunde zu drangsalieren. Demnächst – ohne Israelis und auf sich selbst gestellt – müssen sie sich dann vermutlich gegenseitig entführen. Zwei Umfrageergebnisse verdeutlichen das Dilemma des Abzugs: 62 Prozent der Israelis sind für den Rückzug aus Gaza(8) und die Mehrzahl (65 Prozent) der Palästinenser ist dagegen.(9) Bei den Israelis scheint der Wunsch nach Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten, die derzeit noch dort Dienst tun müssen, zu überwiegen, bei den Palästinensern die berechtigte Sorge vor Chaos.
Und die „Mauer“? Sie gibt – mit korrigiertem Verlauf – Anlass zur Hoffnung auf Bewahrheitung des Spruchs „Gute Zäune machen gute Nachbarn“. Vielleicht kann Israel sich bei sinkender Terrorgefahr den anderen wichtigen Problemen zuwenden: Iran kann demnächst mit Atomsprengköpfen jeden Punkt Israels erreichen(10); die Einschnitte, die derzeit in Israels Sozialsystem vonstatten gehen, stellen Hartz IV so ziemlich in den Schatten(11) und die Zahl der Selbstmorde in der israelischen Armee ist um 30 Prozent gestiegen, sodass erstmals in der Geschichte der israelischen Verteidigungskräfte im Jahr 2003 Selbstmord unter den jugendlichen Soldatinnen und Soldaten die häufigste Todesursache war.(12)

Sven

Fußnoten

(1) hebräisch: Es gibt keinen Partner
(2) vgl. FAZ, 6.8.04, S. 8
(3) www.tagesschau.de/
(4) vgl. Gisela Dachs, Trennung in Feindschaft, in: DIE ZEIT 30/2004: www.zeit.de/2004/30/Siedler
(5) vgl. Erik Schechter, Where have all the bombers gone?, in: Jerusalem Post, 5.8.04: www.jpost.com/
(6) Michael Borgstede, Vereint hinterm Zaun, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.7.04, S. 7
(7) Ivo Bosic, Kleine Intifada, in: Jungle World, 23.6.04, S.16
(8) Umfrage von Jedioth Aharonot vom 1.5.04, vgl. Bret Stephens, For disengagement, con’t, in: Jerusalem Post, 7.5.04, S. 24
(9) Studie des palästinensischen Politikwissenschaftlers Chalil Shikaki und des israelischen Meinungsforschers Jaakov Shamir veröffentlicht am 4.7.04, vgl. http://derstandard.at/?url=/?id=1718011
(10) vgl. Jörg Bremer: Israel fürchtet iranische Atomwaffen, in: FAZ 13.8.04, S. 6
(11) vgl. Sylke Tempel, Hartz auf hebräisch, in: Jüdische Allgemeine, 12.8.04, S. 1
(12) vgl. Amir Rapaport, Suicide no.1 cause of death in IDF, 15.7.04: www.maarivintl.com

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last modified: 28.3.2007