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Kritik ist nicht konstruktiv


Eine Kritik des „konstruktiven Streiks“ der Leipziger StudentInnenschaft von den Wertkritischen Kommunisten Leipzig


    „Genau das Negative war das Positive, dieses Bewußtsein des Nichtmitmachens, des Verweigerns; die unerbittliche Analyse des Bestehenden..., das ist das eigentliche Wesen der kritischen Theorie.“
    Leo Löwenthal: „Mitmachen wollte ich nie“.

Liebe statt Elite, 28.4k

„Finde solche Aktionen schaden mehr der Bewegung als das es was bringen.“ (de.indymedia.org vom 15.01.2004; Rechtschreibung im Original, Anm. des Layouters)
Das „Streikkomitee“ nennt es „konstruktiver Streik“. Die regierungsnahe TAZ bezeichnet es als „Streik light“. Was sich Studenten unter konstruktivem Streik vorstellen, wird in den Verlautbarungen des Streikkomitees schnell klar. Natürlich werde alles friedlich und konstruktiv ablaufen und eigentlich solle ja nichts den Unibetrieb einschränken. Das Komitee will keine „absolute Besetzung“, alle Seminare finden statt und um dem Geldmangel entgegenzukommen, hält man Seminare in der freien Natur ab. „Protestformen, die ernst genommen werden“ sind das laut Ansicht des Streikkomitees. Dem Philosophiedozenten Christoph Türcke wurde dieser Unsinn als Einem der Ersten klar: „Man kann nicht ein bißchen schwanger sein“.
Ein Streik ohne Streik also. Streik bedeutet aber die Verweigerung der Verwertung der Ware Arbeitskraft, die einzige Ware, die wertschaffend ist. Der Besuch von Vorlesungen und Seminaren stellt keine Verwertung von Arbeitskraft dar. Soll der Terminus „Streik“ nun auch für eine Form studentischen Widerstands gebraucht werden, dann muß jedoch Eines klar sein: Eine solche Verweigerung ist niemals konstruktiv. Der Begriff „konstruktiver Streik“ ist damit eine Wortblase.
Das ewige Mitmachen, das Schlucken jeder Kröte und das Mitwirken an jeder sozial- und bildungspolitischen Grausamkeit ist den Leipziger Studenten in Fleisch in Blut übergegangen. Statt sich der Sachzwanglogik zu verweigern und für ein gutes Leben auf die Straße zu gehen, zu überlegen, wie sich ein guten Leben führen lässt, weicht man auf Nebenschauplätze aus und stellt Forderungen auf, die jedem neoliberalen Theoretiker das Herz erwärmen lassen: Gegen die Überfüllung der Hörsäle wird eine Begrenzung der Studentenzahlen gestellt, Studiengebühren werden nicht grundsätzlich abgelehnt. Sündenböcke sind in angeblichen Langzeitstudenten schnell gefunden; ein Bezahlstudium wird durchaus befürwortet, solange es den eigenen Studienbedingungen dient.
Stattdessen käme es darauf an, ganz und gar unkonstruktiv und absolut solidarisch gegen jedwede Kürzung im Sozial- und Bildungsbereich Front zu machen. Also knallhart die materiellen Interessen verteidigen, und zwar nicht nur Studenten gegen Bildungsabbau, sondern diese zusammen mit Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Krankenkassenversicherten auch gegen den Kahlschlag in Bereichen wie Soziales, Gesundheit oder Renten. Wer sich auf die Logik der Kürzungen einlässt oder gar die einen gegen die anderen ausspielen möchte, hat unter der Hand den Kürzungen prinzipiell bereits das Ja-Wort erteilt. Eine „Konter-Reform“ fordert die nächste geradezu heraus.
Immer wieder biedern Studenten in ihren Forderungen ein konstruktives Mitwirken am „notwendigen“ gesellschaftlichen Umbau an. Der Standort Deutschland müsse gerettet werden. Nichts scheint sie davon abzubringen, mit Politikern über das Maß der sozialen Grausamkeiten verhandeln zu wollen und nicht diese generell abzulehnen. Reformen laufen heute nur noch auf Verschlechterungen der eigenen Reproduktionsmöglichkeiten hinaus, die ökonomischen Grundlagen für konkrete Verbesserungen sind (innerhalb des bestehenden Systems) nicht mehr vorhanden. Jede systemimmanente Veränderung führt heute nur noch dazu, die menschenverachtenden kapitalistischen Verhältnisse von ihren sozial-integrativen Momenten vollends zu „befreien“.
Kritisches Denken befindet sich im Niedergang. Die Studentenschaft schaut angesichts immer neuer Zumutungen wie ein Schwein ins Uhrwerk. Begriffslos und realitätsfern meint sie, dass immer noch genug Geld da wäre, welches nur gerechter verteilt werden müsste. Begriffen wird nicht, dass das System, auf welches sich die Studenten positiv beziehen, nicht für die Bedürfnisse der Menschen, sondern für das Prinzip der Kapitalakkumulation da ist. Die Einrichtung (durchaus system-funktionaler) sozialer Standards war nur in der kurzen Periode einer prosperierenden Wirtschaft möglich. Doch diese Periode ist längst der Realität eines ökonomischen Zerfalls gewichen, der nicht mehr umkehrbar ist. Immer mehr Menschen sind in Folge der „mikroelektronischen Revolution“ für den Ablauf kapitalistischer Produktion nicht mehr notwendig – sie werden überflüssig. Das System schafft sich die Menschen vom Hals und sägt damit an seiner eigenen Grundlage (der Verwertung menschlicher Arbeitskraft). Dies lässt sich über Reformen nicht aufhalten, sondern nur noch verschärfen. Reformen ändern nichts an der Tatsache, dass aufgrund von Automatisierung und Rationalisierung immer weniger menschliche Arbeitskraft notwendig ist, um Produkte herzustellen. Wäre dies doch verquer der kapitalistischen Logik, mit weniger Arbeitskraft mehr zu produzieren. Reformen können die Auswirkungen dieser Logik heute nur noch verwalten und nicht mehr steuern, und auch das immer schlechter, da diese durch die „mikroelektronische Revolution“ spürbar verschärfte Tendenz NICHT umkehrbar ist. Mit gesundem Menschenverstand betrachtet, ist eine Rückkehr zur nichtautomatisierten Produktion auch gar nicht wünschenswert. Wieso auch? Träumten doch schon immer Menschen davon, sich missliche, harte – aber dennoch notwendige – Tätigkeiten vom Leibe zu halten.
Zum ernsten Problem wird diese Entwicklung allerdings innerhalb eines Systems, in dem die Vermittlung von Menschen und Herstellung von Gesellschaft auf der Vernutzung menschlicher Arbeitskraft basiert. (Marx lesen!) Es ist nicht mehr wegzureden, dass soziale Standards heute für den Weiterbestand der herrschenden Gesellschaftsordnung nicht mehr tragbar sind. Es kann deshalb nicht darum gehen, den immer kleiner werdenden Rahmen an Durchsetzbarem konstruktiv auszugestalten. Es gilt, für die Überwindung einer Gesellschaft einzutreten, in der die Menschen nicht selbst ihre Geschicke in die Hände nehmen können und ihre Bedürfnisse den Prinzipien einer kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen sind. Statt „konstruktiv“ zu streiken, ist es nötig, gegen die Zumutungen dieser kapitalistischen Gesellschaft vorzugehen, es bedarf einer konsequenten Verweigerung, eines Nicht-Mitmachens. Wer sich darauf festlegt, „konstruktiv“ zu sein, nimmt grundsätzlicher Kritik die Atemluft. Man fragt dann weder nach dem Charakter, noch nach den Zukunftsaussichten dessen, wozu man sich „konstruktiv“ verhalten will. Innerhalb eines Systems, das sich durch 200-jährige Misswirtschaft auszeichnet, steht man damit von Anbeginn auf verlorenem Posten. Einem einstürzenden Gebäude gegenüber kann man sich nicht mehr konstruktiv verhalten. Es bringt nichts, auf keinen Fall rausrennen zu wollen und statt dessen auf Gedeih und Verderb die herunterprasselnden Balken festzuhalten.
Jedes konstruktive Mitgestalten lehnen wir kategorisch ab. Für einen Streik, der seinem Begriff gerecht wird, sind wir allerdings immer zu haben.

Wertkritische Kommunisten Leipzig
Leipzig, den 15. Januar 2004



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last modified: 28.3.2007