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Die Fahne des Antihedonismus und Judenmordens


Der folgende Text ist eine leicht modifizierte Fassung von spontan und inkoherent niedergeschriebenen Eindrücken, die ich auf dem „Europäischen Sozial Forum“ (ESF) hatte, das im November 2003 in Paris stattfand.


Es ist nicht nötig, da gewesen zu sein, um ungefähr zu wissen, was dort abging. Das Treffen bestätigte in toto meine bereits vorhandene Kritik an der Bewegung der „altermondialistes“ (wie sie in Frankreich genannt wird). Durch das Hinzutreten von konkreter empirischer Erfahrung zu der theoretischen Kritik wird das Ganze aber noch unausstehlicher.
Es trafen sich auf dem ESF äußerst skurrile Gruppen: von französischen Kleinbauern, die ihre Tiere mitgebracht hatten und politisch korrektes Essen verkauften, über Ökos bis hin zu diversen kommunistischen Sekten war alles vertreten. Mehrere (trotzkistische) Gruppierungen nahmen für sich in Anspruch, die „wahre“ 4. Internationale zu repräsentieren und eine der Gruppen ist gerade dabei, die 5. Internationale zu initiieren, die aus der Anti-Globalisierungsbewegung hervorgehen soll. Die Sympathischsten waren dann noch die Kiffer, die für die Legalisierung von Dope sind und Bücher über spannende Themen wie „Joints bauen – leicht gemacht“ verkauften.
Angekommen in Paris-La villette (einem der Veranstaltungsorte) war nicht zu übersehen, dass überall Plakate von „Herri Batasuna“, dem politischen Arm der ETA herumhingen, auf denen das Europa von heute und das von den baskischen Separatisten gewünschte, zukünftige zu sehen war. Das heutige ist ganz grau, farblos und alles ist ein Einheitsbrei. Das zukünftige Europa ist dagegen bunt und lebensfroh, weil es getrennt nach Sprachen und Ethnien ist und jeder in seiner „natürlichen“ Umgebung mit seinen Volksgenossen leben darf. Da passiert es dann schon mal, dass Deutschland ungefähr auf die doppelte Größe des heutigen Staatsgebietes anwächst. Österreich ist auf diesem Plakat deutsch, ebenso wie die nördliche Schweiz, Südtirol, Teile Belgiens, Alsace-Lorraine, das Gebiet um Kaliningrad und einige Gebiete in Rumänien. Diese völkisch-faschischtische Vision eines Europas mit Großdeutschland in der Mitte erregte zwar die Gemüter einiger ESF-Teilnehmer, aber es blieb bei einer folgenlosen Empörung. Eine heterogene Bewegung muss so was wohl aushalten können.
Diese Heterogenität ist realiter nichts anderes als eine Form der repressiven Toleranz, die alles duldet, was Teil der Bewegung sein will. Die offiziellen Abgrenzungen gegen Nazis, Rassismus, Antisemitismus, etc. sind bloße Lippenbekenntnisse. Die französischen Organisatoren imaginierten sich im Vorfeld des ESF vielmehr selbst als Opfer eines (antiislamischen) Rassismus, wie die Auseinandersetzung um Tariq Ramadan zeigte.(1)
Selbst wenn man der ganzen Scheiße aus dem Weg gehen und sich nur Veranstaltungen zu Themen wie „Aufbau der Festung Europa“ oder „Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse“ anhören wollte, war es nicht möglich, der omnipräsenten Palästina-Solidarität auszuweichen. Es gab insgesamt 14 Seminare/Plena zu Palästina, drei Solikonzerte einer palästinensichen Rap-Band zur Unterstützung des palästinensischen „Widerstandes“ und zwei Photo-Ausstellungen. Außerdem war die Pali-Tuch-Dichte bei den Teilnehmern extrem hoch. An sehr vielen Ständen konnte man Pali-Tücher, Pali-Fahnen und sonstige Accesoires zur Unterstützung der „Intifada“ kaufen.
Ich war auf einer Palästina-Solidaritäts-Veranstaltung. Inhaltlich war schon klar, was die Redner sagen werden. Zuerst hielt ein Franzose eine Art Predigt über die Wichtigkeit des Widerstandes in Palästina und die Notwendigkeit einer internationalen Solidaritätsbewegung. Der Konflikt in Palästina sei die vorderste Front im globalen Krieg. Er sagte es zwar nicht explizit, aber anzunehmen ist, dass er den globalen Krieg der Völker gegen die USA und Israel meinte.
Wie nicht anders zu erwarten war, saß auch eine Frau von „Gush Shalom“ auf dem Podium, die neben den üblichen Sachen eine ganz neue Argumentation hatte, die mir jedenfalls bisher in dieser Deutlichkeit unbekannt war. Sie meinte, Europa sei gerade dann für Israel, wenn es gegen Israel sei. Dies ist zwar nur widersprüchlicher Schwachsinn, wurde aber folgendermaßen begründet: Israel sei gerade – bedingt durch die Politik der Sharon Regierung – dabei, sich selbst zu zerstören. Die Aufgabe Europas als neutrale Macht sei es, Israel dies klar zu machen und so die Referentin wörtlich „die Juden vor sich selbst zu retten“.
Die Juden wüssten momentan nicht, was ihre Interessen seien, weil sie immer noch zu oft an die Shoah dächten und diese dann als Legitimation für eine unterdrückerische Politik heranzögen. Damit müsse bald mal Schluß sein. So ging es die ganze Veranstaltung. Die Redner waren sich nicht ganz einig, ob Israel ein Existenzrecht hat oder nicht. Dies hänge davon ab, ob Israel, das mal als faschistisch, als rassistisch, als Apartheidsstaat oder gleich als all dies zusammen, bezeichnet wurde, sich zu einer Demokratie entwickle oder dazu strukturell überhaupt in der Lage sei.
Ein Mitglied der Aktion „3.Welt Saar“, das auf dem ESF ein sehr moderat gehaltenes Flugblatt verteilte, in dem das Existenzrecht Israels verteidigt und bestimmte Prämissen der Palästina-Solidarität kritisiert wurden, wurde vor einem Veranstaltungssaal physisch angegriffen. Später wurde ihm das Rederecht verweigert und schließlich von offiziellen Ordnern des ESF die Akkreditierungskarte weggenommen.
Zum Abschluss gab es am Samstag noch eine große Demo. Eine kleine anarcho-syndikalistische Manifestation war noch einigermaßen akzeptabel, aber auf der Hauptdemo tummelten sich alle Gruppen und es zeigte sich das ganze Elend der „Bewegung der Bewegungen“. Es war ein großer Palästina/Irak-Soli Block unterwegs. Dort wurden Sanktionen gegen Israel gefordert und die Parole auf dem Fronttransparent war „Nous détruirons les murs de la honte“ (Wir werden die Mauern der Schande zerstören), wie sie den Sicherheitszaun bezeichnen. Pali- und Pace/Peace-Fahnen waren jedoch in fast allen Blöcken zu sehen. Die griechischen Kommunisten (KKE) hatten eine Palästinafahne, die ungefähr dreißig Meter lang und drei Meter breit war. Im Block der italienischen kommunistischen Jugend tanzten junge italienische Kommunistinnen zu dem Lied „Voulez vous couchez avec moi ce soir“ (Wollen Sie heute abend mit mir schlafen) und wedelten dabei mit einer Pali-Fahne rum.
Die Absurdität dieser Situation ist so evident, dass nur zu hoffen bleibt, dass langfristig der Musikgeschmack gegen die Fahne des Antihedonismus und Judenmordens obsiegen wird und die jungen KommunistInnen sich Sachen zuwenden, die Spaß machen, wie Sex, Drogen, o.ä..
Soweit mein völlig subjektiver, einseitiger und parteiischer Bericht über das ESF. Aber wie sagte schon Karl Kraus: „Man hat mich oft gebeten, gerecht zu sein und eine Sache von allen Seiten zu betrachten. Ich habe es getan, in der Hoffnung, dass eine Sache vielleicht dadurch besser werden könnte, dass ich sie von allen Seiten betrachte. Aber ich kam zu dem gleichen Resultat. So bleibe ich dabei, eine Sache nur von einer Seite zu betrachten, wodurch ich mir viel Arbeit und Enttäuschung erspare. Denn es ist tröstlich, eine Sache für schlecht zu halten und sich dabei auf ein Vorurteil ausreden zu können.“

seb

PS. Abgesehen vom ESF ist Paris eine tolle Stadt.

Fußnote:
(1) Tariq Ramadan ist ein als moderat geltender muslimischer Intellektueller, der eine Hegemonie jüdischer Intellektueller in Frankreich herbeiphantasierte. Für diese Aussage wurde er stark kritisiert. Die Organisatoren des ESF solidarisierten sich vorbehaltlos mit ihm und denunzierten jede Kritik als ideologisch motiviert und rassistisch. Die Tatsache, dass überhaupt Kritik an Ramadan geäußert wurde, veranlasste einige, darin eine Bestätigung seiner Aussagen zu sehen. So schaffen sich Antisemiten ihre „self fullfilling prophecy“. Ramadan trat als Referent bei mehreren Veranstaltungen auf dem ESF auf.



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last modified: 28.3.2007