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Nothing new to the Front
- Popkultur nach dem 11.September.


Eine Veranstaltung der Pop-AG im Conne Island

Über die Bedeutung des 11. September 2001 ist viel spekuliert worden. Gemeinhin dominierte die Interpretation der vier zeitgleich ausgeführten terroristischen Anschläge als politischer Einschnitt, von dem gesagt wurde, nach ihm sei nichts mehr so, wie es einmal war. Darüber kann man sich wohl trefflich streiten.
Schon fast hirntot, 23.7k
"Weltweit US-Amerikanisches Fast-Food / Weltweit amerikanisches Gedankegut / Weltweit US-amerikanische Sprachflut [...] Blut auf den Straßen / Die Völker sind verraten / Von den Mörderstaaten / Denn sie killen auf Raten [...]."
Schon fast hirntot. Da macht das Kiffen gar keinen Spaß mehr... Mellowmark vor dem Coffee Shop Jamaica. (Foto von http://www.mellowmark.de)

Was aber hat Popkultur mit dem 11. September zu tun bzw. bewahrheitet sich diese These des grundlegenden Einschnitts auch für das Verhältnis Popkultur und 11. September? Auf den ersten Blick erst einmal nicht viel. Zwar gab es unmittelbar nach den Anschlägen das Gerede von der Macht der Bilder und Medien, die den 11. September erst groß und zum Pop-Spektakel gemacht hätten. Gleichzeitig hatten wohl die meisten Beobachter der unmittelbaren Ereignisse, die den Einsturz der Türme des World Trade Centers und die darauf folgende Dauerberichterstattung live am Bildschirm verfolgten, Probleme, die Anschläge aus einer populären Repräsentation zu lösen und sie nicht als Inszenierung nach bekanntem medialen Muster, sondern als Auslöschung von Menschenleben, als schreckliche Realität zu begreifen. Auch dies ist Popkultur, soll heute aber nicht im Vordergrund stehen. Eine solche Fokussierung wird von uns außerdem abgelehnt, da sie den Blick von den Ereignissen und den Opfern weg auf die gern beklagte, selten aber ausargumentierte Boshaftigkeit der modernen Welt lenkt. Kurz: Die Anschläge wurden nicht als das wahrgenommen, was sie sind – hinterlistige Attacken islamistischer Fanatiker.
Gemäß unserer Eingebundenheit in Pop interessiert uns mehr, welche Interpretation der Ereignisse in popkulturellen Zusammenhängen sich herausgebildet hat. Dieses Interesse ist nicht zuletzt angestoßen wurden durch unsere eigene Betroffenheit als Veranstaltungsort wie als kulturpolitisch Handelnde, die wir seit dem 11. September und in seiner Verlängerung seit dem Irak-Krieg mit wüsten antiamerikanischen Interpretationen von Bands und Publikum konfrontiert werden, die notgedrungen mit unserem über Jahre ausgebildeten Selbstverständnis und unserem positiven Bezug auf amerikanische pop culture kollidieren.
Noch eine weitere Einschränkung ist vorab vorzunehmen: Von geringerem Interesse für uns sind ebenfalls die Diskussionen, die über den Niederschlag des 11. September in Amerika geführt wurden, etwa über die verstärkte Repression, über den Patriotismus eines Neil Young und eines Bruce Springsteen oder der hierzulande zu vernehmende Aufschrei über die Indizierung vermeintlich anstößiger Popsongs durch amerikanische Radiostationen.(1)

Popkultur nach dem 11. September

Was aber hat der 11. September mit einer deutschen Popkultur zu tun? Seit den Anschlägen auf New York und Washington, die insgesamt an die 3000 Todesopfer gefordert haben, stehen die Vereinigten Staaten in der Meinung der Weltöffentlichkeit wie auch der deutschen Öffentlichkeit wieder einmal ganz oben auf der Abschussliste. Offensichtlich ist das Datum zu einem Bezugspunkt geworden für Ansätze, die Wesen, Erscheinung und Handeln der Vereinigten Staaten erklären wollen, und dies durchweg in einem aggressiven und beschuldigendem Tonfall. Nicht die 3000 Toten werden als Opfer eines mörderischen Angriffs in Schutz genommen, stattdessen werden sie zu Tätern gemacht, die ihren Tod selbst zu verantworten hätten, während über die Ziele der Attentäter wohlweislich geschwiegen wird. Es sollen hier nicht alle Argumentationen erneut ausgebreitet werden. Das mit einer gehörigen Portion Schadenfreude vorgetragene Grundthema jedoch, das den Vereinigten Staaten die Verantwortung für die Anschläge selbst – nämlich aus ihrer Stellung als verbleibende Supermacht, die sie skrupellos ausnutzen würden – zuweist, reicht weit bis in den deutschen popkulturellen Diskurs hinein.
Wut und Empörung entzündeten sich auch an der militärischen Intervention, die die Vereinigten Staaten bald nach dem 11. September zur Ausschaltung des islamistischen Terrornetzwerkes Al-Qaida in Afghanistan durchführten. Ein prominentes Beispiel etwa sind die 40 deutschen Künstler und Künstlerinnen, unter ihnen Nena, Herbert Grönemeyer und Konstantin Wecker, die in einem im Stern veröffentlichten Aufruf mit dem Titel »Stoppt diesen Krieg!« die Militärschläge gegen die Taliban aus ihrem kausalen Zusammenhang rissen und das vermeintlich drohende Inferno in eine Reihe mit früheren US-amerikanischen Interventionen stellten. Einziges Manko dieses wohl gutgemeinten Einspruchs war, dass an dem Tag, als der Stern an die Kioske kam, die Menschen in Afghanistan schon seit zwei Tagen über das Ende der Gewaltherrschaft auf den Straßen feierten, ohne sich um ihre friedensbewegten deutschen Fürsprecher zu kümmern. (Ähnliches ließ sich bekanntlich auch im Irak beobachten.)
Zugleich finden die Beschuldigungen an die USA über den 11. September hinaus ihre Verlängerung bis zum Irak-Krieg. Selten vernahm man die Deutschen in so geeinter Form, ja es scheint fast, dass jetzt keine Rücksicht mehr genommen werden müsste auf den Fakt der 3000 Opfer, sondern dass sich jetzt freier sagen lässt, was man immer dachte: Endlich sieht man die USA dort, wo man sie immer gewähnt hat – beim Krieg führen. Bestimmendes Moment der Äußerungen deutscher Künstler und ihres Publikums, das weit bis in die jugendliche Friedensbewegung reicht, ist das Reizwort »Krieg«. Unter dem Vorwand, die Deutschen hätten aus ihrer Geschichte gelernt, bilden auch die Vertreter deutscher Popkultur von Grönemeyer über die Fantastischen Vier bis zu Gentleman eine Einheit, die hinter ihrem unbedingtem Friedenswillen das antiamerikanische Ressentiment von den gewalttätigen US-Amerikanern transportiert. Auffällig an der ganzen Friedensliebe, die da konsensual von links bis rechts geäußert wird, ist zudem, dass Bands und Publikum sich anlässlich des Irak-Krieges wieder einmal bemüßigt sehen, sich politisch zu engagieren. Erinnert sei nur an die Verwendung des Peace-Zeichens als offizielles Viva-Symbol oder die »War is not the answer«-Kampagne, die auf MTV Dutzende Künstler versammelte, die sich außer im Falle Amerikas sonst politisch nicht zu Wort melden. Dass sie dabei in Einklang mit der deutschen Regierungspolitik auf die Straße und vor die Mikrofone treten, stört sie nicht bzw. fällt ihnen wohl gar nicht auf, schließlich wird eine deutsche „Friedensposition“ ja oft genug sogar gefordert. Thomas D. etwa von den Fantastischen Vier hält mit seiner Bewunderung für die deutsche Außenpolitik nicht hinter dem Berg: »Das Zeichen, das gesetzt wird dieser Tage und auch gesetzt werden muss, ist, dass sehr viele Menschen nicht für Krieg sind, sondern den Frieden behalten wollen. [...] Ich bin sehr froh, dass nicht nur die Menschen, die Bürger, das Volk ›nein‹ sagt, sondern auch unsere Regierung sagt ›Nicht mit uns!‹ Es macht mich stolz.«(2) Warum man auf »unsere« Regierung nicht stolz sein sollte, muss hier nicht besonders dargelegt werden. Es reicht sich zu vergegenwärtigen, dass die deutsche Regierung 1999 einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien geführt hat, dass sie sich mitnichten also einer steten Friedensposition verbunden fühlt.
Inhaltsleerer ist selten über »Frieden« geredet worden. Und, so merkt der Publizist Henryk M. Border zu Recht an, wenn die Deutschen das Wort Frieden in den Mund nehmen, sollte man immer vorsichtig sein: »Die friedensbewegten Deutschen tun so, als reden sie über Afghanistan, tatsächlich reden sie über ihr Land und ihre Geschichte. Sie verurteilen die Bombardierung der afghanischen Städte, um rückwirkend gegen die Luftangriffe auf Dresden und Hamburg zu protestieren, sie solidarisieren sich mit den Opfern von heute, um darauf hinzuweisen, dass sie gestern Opfer der gleichen Mächte wurden.«(3) Warum sie gestern »Opfer« der Mächte wurden, verschweigen sie dabei wohlweislich gern.
Derartige Beispiele für verbale Angriffe, Verwünschungen und Empfehlungen an die Vereinigten Staaten seitens deutscher Kulturschaffender im Gefolge des 11. Septembers ließen sich noch lange dokumentieren. Woher rühren aber diese neuerlichen Angriffe? Sind die USA wirklich das große Übel oder liegt ein Reflexionsausfall vor, der nicht mehr zwischen der Wahrnehmung Amerikas und amerikanischer Wirklichkeit unterscheiden kann? Und, was hat das alles mit Pop zu tun?

Eine neue Qualität?

Der auch in deutschen Popkreisen weitverbreitete Antiamerikanismus nach dem 11. September stellt keine zwangsläufig neue Qualität dar, sondern ist ein aus dem deutschen Amerikabild resultierendes Ressentiment, wie es zuletzt zum II. Golfkrieg 1991 in vergleichbarer Deutlichkeit wirksam wurde. Diese amerikafeindliche Einstellung, die sich an Amerika zugeschriebenen Phänomenen wie ihrer Stellung als Supermacht, ihrem Anspruch als Weltpolizisten und ihrer Entstehungsgeschichte reibt, ist untergründig angelegt und wird immer dann wirksam, wenn die projektive Interpretation amerikanischen Handelns dies nahe legt. Insofern sprechen wir hier zwar über eine äußerst ekelhafte Bewegung, nicht jedoch über etwas genuin Neues. Eine neue Qualität ist lediglich auszumachen, als das Ressentiment nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1991 nun auch in Ländern des arabischen Raums stärker zum Vorschein kommt und der offen antisemitische Gehalt der islamistischen Terroristen des 11. September die Hemmschwelle zur Äußerung antisemitischer Vorurteile in Verbindung mit antiamerikanischen Äußerungen gesenkt hat.
Besondere Relevanz entwickelt das Ressentiment in unserem Zusammenhang in Form eine dumpfen kulturellen Antiamerikanismus, der insbesondere die populäre Kultur Amerikas betrifft und ihre Verbindung mit globalen ökonomischen Zusammenhängen – Coca Cola, McDonalds, Hollywood, und: englischsprachige Popmusik werden als eine Art subtile Verschwörungstheorie phantasiert, die die »Reinheit« und »organische Gewachsenheit« ursprünglicher Kulturen bedrohen würde. Zu diesem kulturellen Dünkel gegenüber Amerika, seinen Exporten und seinen Einwohnern, der eines der langlebigen da stets präsenten Momente des Antiamerikanismus bezeichnet, zählt etwa die alltägliche Rede vom »Ami-Scheiß« genauso wie die Ablehnung amerikanischer Massenkultur oder das Ressentiment gegenüber den angeblich »ungebildeten« Amerikanern. Der deutsche HipHopper Mellowmark etwa meint diesen Verlust deutscher Kultur in seinem Hit »Weltweit« folgendermaßen beklagen zu müssen: »Weltweit US-Amerikanisches Fast-Food / Weltweit amerikanisches Gedankegut / Weltweit US-amerikanische Sprachflut / Weltweit US-AmArschKult / Weltweit US-amerikanisches Fernsehen / Weltweit US-amerikanisches Erbgen / weltweit US-amerikanische Armeen / Weltweit US am Arsch vorbeigehn [...] Blut auf den Straßen / Die Völker sind verraten / Von den Mörderstaaten / Denn sie killen auf Raten [...].«(4) Nun ja, Mellowmark müsste wohl mal jemand erzählen, welchen kulturellen Mief er erleben dürfte, würde sich seine untergründige Forderung nach Verzicht auf Pop erfüllen.

Pop vs. Deutschland

Für Pop in Deutschland bezeichnet dieser seit dem 11. September wieder erstarkte Antiamerikanismus eine besonders paradoxe Situation. Nun ist Pop in Deutschland sicherlich Schnittstelle dieses weitverbreiteten Ressentiments, genauso wie es auf Nachfrage in jedem Sportverein anzutreffen ist – da sollten wir uns wohl nichts vormachen. Paradox daran ist, dass auch Pop in Deutschland in einer angloamerikanischen Tradition steht, die ohne die Amerikaner 1945 nicht nach Deutschland gefunden hätte – das Ressentiment gegen Pop als Ausdruck amerikanischer Massenkultur richtet sich also praktisch gegen die eigene Legitimation. An dieses Unverständnis, das zugleich über Generationen meinungsbildend war und ist, zu erinnern, kann nicht oft genug eingefordert werden, deshalb hier einige Grundzüge der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte von Populärkulturen in Europa wie in den Vereinigten Staaten:
Die Entstehung von Massenkultur im Zuge der Industrialisierung zur Mitte des 19. Jahrhunderts, und noch einmal verstärkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen neuer Medien wie Radio, Ton und Film, wurde im kontinentalen Europa und speziell im industriell rückständigen Deutschland stets mit Unbehagen und der Angst vor einem Macht- und Traditionsverlust gewachsener Kulturen begleitet. Dass Kultur nun – einhergehend mit dem »Verlust ihrer Aura« (Walter Benjamin) – materiell und industriell gefertigt werden konnte und noch dazu technisch reproduzierbar war, stieß auf Ablehnung und korrespondierte mit der Angst vor dem Verlust bekannter Lebenswelten, die durch die Industrialisierung ohnehin stets aufs Neue erschüttert wurden. Unbehagen erwuchs auch aus den gesellschaftlichen Folgen der neuen Techniken, die mittels Film und Musik erstmals die aus der bürgerlichen Kultur bis dahin weitgehend ausgeschlossenen sozialen Unterschichten ansprachen, die auf die Produktion und Rezeption europäischer Kultur, sofern sie nicht Volkskultur war, bisher keinen Einfluss gehabt hatten. Zugleich entwickelte sich die »Trivialkultur« nicht zuletzt aus ebendieser Nichtrepräsentation der nichtbürgerlichen Schichten, die mit der Durchsetzung des Kapitalismus ja eine ungeheure Klientel darstellte. Bisweilen konnte das Unbehagen auch in Zensur umschlagen – schließlich beförderte die wirklichkeitsgetreue Darstellung des alltäglichen Lebens etwa im Film die Angst, unliebsame Reflexionen des Publikums über Sexualmoral, Arbeitsethos und den Sinn des Lebens überhaupt herbeizuführen.
Anders hingegen in Amerika. Hier führte der andersgelagerte Niederschlag von Herrschaft und Herkunft zu einer horizontalen, nicht vertikalen Ausrichtung von Kultur – die amerikanische Kultur verläuft also weniger als die europäische von Oben nach Unten, sondern quer zu den bekannten europäischen Mustern. Symbolisch dafür steht das oftmals angefeindete Bild vom »Melting Pot«, vom Schmelztiegel, und die darin aufgehobene Emigrationserfahrung. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass die Umstände, die Europäer zu Amerikanern machten, den europäischen Bedingungen entsprangen, dass »an den amerikanischen Einwanderungswellen die Jahresringe der europäischen Krisen« (Dan Diner) abzulesen sind.
Konkret heißt das unter anderem, dass etwa die Überwindung der europäischen Herkunft, vor der man ja geflohen ist, als Befreiung verstanden wird. Das eigene Selbstverständnis bezieht sich deshalb auf die neue Staatsbürgerschaft als Ausdruck gewonnener Freiheit und nicht auf die ethnische Herkunft. Mit dem Traum einer besseren Gesellschaft, die man in Amerika gewillt zu bauen ist, einher geht eine weniger fortschrittsfeindliche Einstellung den Phänomenen der Moderne gegenüber. Schließlich bezieht sich der Patriotismus auf Werte wie individuelles Glück, Wohlstand und Freiheit und nicht auf Blut, Herkunft oder Religion. Und, die Unmöglichkeit der weiteren Emigration – auf Amerika folgt bekanntlich nichts – verhindert den radikalen Bruch mit der eigenen Gesellschaft, in die man ja geflüchtet ist. Während man sich in Europa also aus der eigenen Wirklichkeit hinwegträumt – paradoxerweise oftmals nach Amerika –, liegt die Hoffnung amerikanischer Popkultur nicht im Überschreiten der eigenen Grenzen, sondern im Gegenteil in deren Öffnung.(5)
All dies fließt ein in eine Definition von Pop, wie sie nach 1945 in Deutschland Verbreitung gefunden hat, und wie auch wir uns ihr verpflichtet fühlen. Ulf Poschardt sagt dazu, »Pop entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als rebellisches Kind der westlichen, kapitalistischen Zivilisation, um als Sprachrohr, Gefühlsverstärker und Identitätskonstrukteur schnell fast alle Jugendliche dieser Zivilisation zu einen.«(6) Pop ist demnach universell und erhebt von zu Hause aus den Anspruch, über Konstrukte wie Nation, Geschlecht, Rasse etc. hinauszuweisen. Die Kenntnis des Popbegriffs, seiner Intention und seiner Herkunft – so scheint es – kann somit vor Dummheiten wie der antiamerikanischen Interpretation des 11. September aus einem Popdiskurs heraus schützen.

Nothing new on the German Front

Nicht jedoch in Deutschland. Das Unwissen über Pop samt seiner antiamerikanischen Unterfütterung reiht sich ein in die Debatten von Mitte der neunziger Jahre, die unverhohlen die nationale Ummantelung von Pop einforderten. Prominentestes Beispiel war wohl der Liedermacher Heinz-Rudolf Kunze, der 1996 die Diskussion um die Radioquotierung deutschsprachiger Musik anheizte, um Deutschland vor dem sogenannten kulturellen Genozid zu bewahren. Diese Versuche, Pop deutsch zu erden, setzen sich bis in die Gegenwart fort. Die Aufregung um den Titel des PopUp-Vorläufers »Neue Deutsche Beiträge zur Popkultur« aus dem Jahr 2000 ist noch nicht ganz verflogen, da findet sich in der aktuellen Ausgabe der einst linken Musikzeitschrift Spex ein vierzigseitiger Sonderteil unter der Headline »Popstandort Deutschland – Woran bastelt dieses Land?«, der sich unter anderem positiv auf die diesjährige Leipziger Messe bezieht. Im Jahr 2003 hat man offenbar jede Scheu vor einer nationalen Inanspruchnahme verloren, wie sie zu Beginn der neunziger Jahre nicht denkbar gewesen wäre. Nun lässt sich darüber streiten, wie ernsthaft diese Entwicklung betrieben wird, bzw. ob sie nicht überbewertet wird. Für Heinz-Rudolf Kunze etwa oder die rechte Band Rammstein ist die gewollte Zurschaustellung des Nationalgefühls wohl anzunehmen; der gegenwärtigen Spex-Generation hingegen muss man wohl Unwissen und Desinteresse attestieren, das mit der Verabschiedung von einst präsenten linken Positionen im Heft Einzug gehalten hat. Auch hier ist festzuhalten, die genauere Kenntnis von der universalistischen Intention von Pop kann solchen Verfehlungen vorbauen.
Überhaupt hat es Pop in hiesigen Breiten nicht gut getan, dass die schlauen Köpfe der Achtziger und teilweise noch von Anfang der 90er, die Hardcore-Pop-Apologeten von einst nach und nach dem Popdiskurs den Rücken gekehrt haben. Linke politische Praxis und Theorien sind somit innerhalb der Popszenerie zur endgültigen Verwurstung preisgegeben worden. Jahrelang galt Pop in der Linken als ein heiß umstrittenes Subversionsmodell, mit dem die Gesellschaft unterminiert oder gar aufgemischt werden könnte. Dieses Modell hat die restliche verbliebene Linke längst wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Die einstige Monopolisierung des Pop durch die Linke als eine ihrer subversiven Waffen lässt den Pop ausgehöhlt und nichtssagend zurück. In diesem entstandenen Vakuum macht sich zusehends nationale Identität als vermeintlicher Rettungsanker breit.
Kritik an diesem nationalistischen Backlash von Pop, die auch das kulturell geprägte antiamerikanische Ressentiment einschloss, kam ab Anfang der neunziger Jahre von einer Bewegung, die sich unter dem Namen Antinationale/Antideutsche nicht nur Freunde machen sollte. Diese Kritik der in der Linken bis 1989 weitverbreiteten und nur wenig in Frage gestellten Amerikafeindlichkeit zeitigte auch Auswirkungen auf ein differenzierteres Verständnis von Popkultur. Im positiven Bezug auf Amerika und seine vom Prinzip her demokratische und universelle Massenkultur trafen sich die Antinationalen mit Teilen der vornehmlich westdeutschen Kulturlinken, die über ein bisweilen reformistisches Interesse an den minoritären kulturellen und sozialen Bewegungen der Vereinigten Staaten wie etwa HipHop ebenfalls nicht in die nationalisierende und antiamerikanisierende Falle tappen konnten. Eckpunkte dieser Gegenstrategie waren etwa die von den Hamburger »Wohlfahrtsausschüssen« 1992 organisierte bundesweite Diskussionstour »Etwas besseres als die Nation«, die mit Diskussion und Konzert linke Kultur und Politik zu verbinden suchten.
Dass die Wohlfahrtsausschüsse 1992 auch im Conne Island Station machten, kann im Rückblick nur als Glücksfall gewertet werden. Gemeinsam mit der ab 1995 auch in Leipzig um sich greifenden antideutschen Politisierung der Antifa-Szene verhinderte unser in Theorie und Praxis präsenter, stets positiver Bezug auf das anglo-amerikanische Popmodell, in ein ähnliches Fahrwasser zu geraten, in dem sich heute der Großteil der deutschen Kulturschaffenden wie auch unser Publikum sich bewegt.

Fazit

Bleibt abschließend die Frage, ob und wie sich eine Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten – noch dazu über Pop – überhaupt formulieren lässt. Schließlich droht neben der antiamerikanischen Ideologisierung auch die Gefahr, durch die allzu leichtfertige Inanspruchnahme des amerikanischen Glücksversprechens die Realität aus den Augen zu verlieren. Zweifelsohne ist vor einem deutschen Hintergrund der Antiamerikanismus der Deutschen zu kritisieren und amerikanische Verhältnisse gegen deutsche Verhältnisse in Stellung zu bringen. Zugleich sind wir uns dessen bewusst, dass wir den positiven Bezug auf amerikanische Popkultur nicht zuletzt als »Verteidigungsstrategie« gegen deutsche Verhältnisse verstehen, da wir auch über die regressiven Momente, die Pop nicht zuletzt in Deutschland annehmen kann, wissen. Nach unserem Verständnis zählt also die Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung Amerika zugeschriebener Phänomene und der amerikanischen Realität, die letztlich dazu führt, an einer Kritik der Realität überhaupt festhalten zu können.
Nur wenn man das Realsubstrat des Antiamerikanismus – die kapitalistischen Verkehrsformen – nicht leugnet, wird man zwischen konkreten Missständen und Projektion unterscheiden können und den Antiamerikanismus letztlich als das kritisieren können, was er ist – als menschenverachtende Ideologie, die nicht zuletzt aus Unwissen über Amerika herrührt. Auf Pop übertragen bewahrheitet sich damit unser schon in anderen Zusammenhängen kolpotierter Satz, der unser Verständnis kritischer Popkultur auch in Bezug auf die Überwindung antiamerikanischer Einstellungen hin auf den Punkt bringt: »Sogenannte kritische oder politische Popkultur muss, wenn sie diesen Impetus tatsächlich vertreten will, ihr eigenes Scheitern und ihre unabänderliche Eingebundenheit in die kapitalistische Verhältnisse stets mitdenken und tatsächlich auch thematisieren.«

Pop-AG im Conne Island
pop@island.free.de

Vorstehender Text diente als Grundlage für ein Referat zu der Diskussionsveranstaltung »Nothing new on the German Front – Popkultur nach dem 11. September«, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Kritische Popkultur?« am 10. Mai im Conne Island stattfand.

Fussnoten

(1) Vgl. dazu etwa Martin Büsser, Let’s Roll the Freedom. Pop nach dem 11.September, in: konkret Nr. 9/2002, der lediglich den Niederschlag in der amerikanischen Öffentlichkeit beschreibt.
(2) Zit. n. konkret 04/2003, 51.
(3) Vgl. Henryk M. Broder, Kein Krieg, nirgends. Die Deutschen und der Terror, Berlin 2002, 12.
(4) Zit. n. konkret 05/2003, 36.
(5) Vgl. den sehr lesenswerten Artikel von Georg Seeßlen, Global Pop made in USA: Kreolisierung oder Korruption. Zu einigen Aspekten der globalen Wirkung von US-amerikanischer Pop-Kultur, in: Das Parlament vom 27. Januar 2003.
(6) Ulf Poschardt, Stripped. Pop und Affirmation bei Kraftwerk, Laibach und Rammstein, in: Beute Nr. 3, 54-67, 56.



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last modified: 28.3.2007