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Sexismus und Sexualität
Über die notwendige Einheit von materialistischer Gesellschaftskritik und radikalem Feminismus

Der weibliche Charakter und das Ideal der Weiblichkeit, nach dem er modelliert ist, sind Produkte der männlichen Gesellschaft. Das Bild der unentstellten Natur entspringt erst in der Entstellung als ihr Gegensatz. Dort, wo sie human (!!!) zu sein vorgibt, züchtet die männliche Gesellschaft in den Frauen souverän ihr eigenes Korrektiv und zeigt sich durch Beschränkung als ihr unerbittlicher Meister. Der weibliche Charakter ist Abdruck des Positivs der Herrschaft. Damit aber so schlecht wie diese. Was überhaupt im bürgerlichen Verblendungszusammenhang Natur heißt, ist bloß das Wundmal gesellschaftlicher Verstümmelung. Wenn das psychoanalytische Theorem zutrifft, daß die Frauen ihre physische Beschaffenheit als Folge von Kastration empfinden, so ahnen sie in ihrer Neurose die Wahrheit. Die sich als Wunde fühlt, wenn sie blutet, weiß mehr als die, welche sich als Blume vorkommt, weil das ihrem Mann in den Kram paßt.
Adorno, Minima moralia

Ich möchte aufzeigen, daß materialistische Gesellschaftskritik nur in einer Synthese mit radikalem Feminismus betrieben werden kann. Sexistische Herrschaftsstrukturen sollen hier als materiell existente, aus der warenförmigen Struktur der kapitalistischen Gesellschaft resultierende, dargestellt werden. Es geht dabei also nicht um ein >>moralisches<< Problem.
Gehen viele davon aus, daß der Kapitalismus das Geschlechterverhältnis lediglich formt, so denke ich, daß er es hervorbringt. Erst durch eine Beschäftigung mit dem Thema Sexismus kann die kapitalistische Realität überhaupt erfaßt werden.
Entgegen Vorstellungen, die Geschlecht als einen natürlichen Sachverhalt setzen, gilt es, diese Natur von Geschlecht als Ideologie aufzudecken. Das kann auch die gängige Auffassung von Sexualität nicht unberührt lassen. Sexualität darf nicht von Geschlechtlichkeit getrennt werden. Eine Kritik an der Natürlichkeit von Geschlecht muß auch das patriarchale Verständnis von Sexualität und ihre Realität in Frage stellen.

1. Sexismus und männliches/weibliches Prinzip
Sexismus als Verhältnis zu anderen oder zu sich selbst? Sexismus als „Frauenthema“?
Das Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR) notiert in seinem Text „Eine erste Begriffsbestimmung des Definitionsrechts“ (Cee Ieh. Der conne island newsflyer, 70): „Die Rede von TäterInnen und (geschlechtsneutralen) Opfern findet keine Entsprechung in der Realität, in welcher es die Frau ist, die unterdrückt und beherrscht wird. Es sind die männerbeherrschten gesellschaftlichen Verhältnisse, die es eben nicht zum Zufall machen, daß Frauen zu Opfern und Männer zu Tätern werden, eine geschlechtsneutrale Redeweise suggeriert eine bloße Zufälligkeit der Verteilung, suggeriert, daß das Täter-Opfer-Verhältnis innerhalb dieser Gesellschaft leicht kippen könnte“.
Es stimmt, daß das gesellschaftliche Verhältnis nicht kippen wird und daß Sexismus die Herrschaft von Männern bedeutet. Daraus aber zu schlußfolgern, daß es keine Sexistinnen geben kann, ist abstrus. Es herrschen eben nicht konkrete einzelne Männer, sondern das männliche Prinzip, sprich: die bestehende Gesellschaft ist männlich. Im Kapitalismus herrschen überhaupt keine Menschen, sondern das Kapital(1). Anstatt festzustellen, daß „die Rede von TäterInnen... keine Entsprechung in der Realität (findet)...“, muß erklärt werden, warum sie gerade eine Entsprechung in der Realität findet – also warum Frauen Täterinnen sein können – und warum diese Realität trotzdem eine sexistische ist.
Das männlich-patriarchale, herrschende Prinzip kann zwar nicht genausogut von Frauen ausgeführt werden aber es ist immerhin möglich. Es kann für Frauen durchführbar sein, genau die herrschende Rolle zu übernehmen, sich an die entsprechenden Machtpunkte der männlichen Gesellschaft zu setzen und die Funktionen auszuführen, die diese zum Bestehen benötigt (sie können leitende Funktionen in Staat, Wirtschaft, Wissenschaft übernehmen oder sich genausogut im Alltag diskriminierend verhalten). Im Übrigen gibt es auch einen Sexismus von Frauen gegen Frauen. Oder was bedeutet es, wenn eine Frau eine andere als „Schlampe“ beschimpft, weil jene sich der herrschenden Sexualmoral nicht unterwerfen will, sprich: sie ein „freizügiges“ Leben führt. An diesem alltäglichen Beispiel zeigt es sich, wie auch Frauen sexistische Strukturen mittragen. Sie setzen hier einzelne andere Frauen unter den Druck, sich der patriarchal bestimmten Norm zu unterwerfen. Ebenso können Frauen Männer unter den Druck setzen sich männlich zu verhalten. Auch in diesem Fall tragen sie zum Fortleben patriarchaler Realitäten bei.
Es sollte also bei einer Sexismuskritik nicht in erster Linie darum gehen, ob es auch wirklich überall Männer sind, die über Frauen herrschen. Heftig darauf zu bestehen, daß es immer Männer sind (wie im zitierten BgR-Text), provoziert geradezu die Reaktion, Beispiele zu suchen, in denen es sich offenkundig anders verhält und aus diesen dann im Sinne von Krug/Wertmüller (Infantile Inquisition, in bahamas 32) oder Ralf (Die Pat.-Situation, in Cee Ieh 69) zu schlußfolgern, es gäbe keine patriarchalen Verhältisse mehr, bzw. diese würden sich immer weiter auflösen. Was ich mit meinem Text bezwecke, ist: zu sagen: selbst wenn Frauen gleichberechtigt an den Strukturen dieser Gesellschaft beteiligt wären (was sie noch längst nicht sind), wäre sie immer noch sexistisch – und zwar männlich-patriarchal.
Es ist notwendig, zu erkennen, daß Sexismus als Herrschaftsstruktur eine des männlichen über das weibliche Prinzip ist und als solche wesentlich auch eine Herrschaft des einzelnen über sich selbst. Damit schließt jede Befreiungskonzeption eine feministische und antisexistische Positionierung ein oder – sie zielt objektiv nicht auf Befreiung ab.
Zunächst eine Klärung, was ich unter männlichem bzw. weiblichem Prinzip verstehe. Auf keinen Fall sind das irgendwelche >>ewigen<< Prinzipien. Innerhalb der europäischen Zivilisation(2) hat sich kulturhistorisch eine bestimmte Zuschreibung von Männlichkeit und Weiblichkeit entwicklelt. Die Entstehung der Geschlechter ist mit diesen Zuschreibungen verknüpft. Jene, denen das Geschlecht >>Frau<< zugesprochen wurde, bekamen damit Prädikate wie weich, schwach, sinnlich, gefühlvoll, passiv, empfangend, aufnehmend, unkontrolliert, geheimnisvoll, irrational... angedichtet. Wem das >>Mann<<-sein zugesprochen wurde, der galt fortan als hart, stark, aktiv, klar, rational, gebend, erkundend, selbstbeherrscht... . Wurde dem Mann symbolisch der Tag, die Sonne, das Helle so der Frau die Nacht, der Mond, das Dunkle zugeordnet.
Nach diesen Prinzipien wurden Menschen fortan auch erzogen und die Gesellschaft verlangte von ihnen, sich ihrem Geschlecht gemäß zu verhalten. Damit wurde durch die Menschheit und nochmals durch jeden einzelnen wie auch durch das menschliche Denken selbst ein Schnitt gezogen. Mit der Schaffung der Geschlechter setzte sich auch die Dominanz des männlichen Prinzips durch. Grundlegend geschah dies mit der Auflösung der Urgesellschaft, der Herausbildung des Privateigentums, dem Seßhaftwerden der Menschen. In vollster Konsequenz brach sich das männliche Prinzip aber erst mit der Entstehung des Kapitalismus seine Bahn. Daß das männliche Prinzip fortan dominant war, zeigt sich v.a. darin, daß der als weiblich deklarierte Bereich fortan ein „Schattendasein“ zu fristen hatte, währenddessen das als männlich bestimmte zur anstrebenswerten Eigenschaft erklärt wurde. Frauen wurde zugeschoben, die gesellschaftlich unbeliebten aber prinzipiell nötigen Eigenschaften zu verkörpern, und die unbeliebten, „unwichtigen“ aber dennoch existenznotwendigen Tätigkeiten (für die „Reproduktion“ und Regeneration der Gesellschaft zu sorgen: Nahrung zuzubereiten, Kinder zu erziehen) ausführen zu müssen.
Schicken Frauen sich heute an, „endlich“ so wie Männer zu werden, so hat das mit Emanzipation oder Überwindung des Sexismus nichts gemein, weil damit die Herrschaft des männlichen Prinzips nicht gebrochen wird.
Statt dessen muß es darum gehen, gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen nicht mehr Mann oder Frau sein müssen. Es gilt, für eine Gesellschaft einzutreten, in der Rationalität und Emotionalität sich nicht mehr ausschließen müssen, in der jener Gegensatz nicht nach einer Seite aufgelöst, sondern vermittelt wird. Es geht um eine Gesellschaft, in der sich soziale Praxis (also die Einheit aller gesellschaftlichen Vorgänge: die Art, wie Menschen produzieren, Wissenschaft betreiben, politisch tätig sind, ihre Gesellschaft organisieren, ihre Reproduktion gestalten, sich lieben, ihre Kinder erziehen, mit anderen zusammenleben...) nicht mehr mit Empathie (dem Vermögen, sich in den anderen Menschen einzufühlen) unvereinbar ist.
Die oft eingeklagte präzise Definition von Sexismus muß ich in meinem Artikel schuldig bleiben. Präzises Definieren engt den Blickpunkt ein. Sie vollzieht genau das nicht, was nötig ist: materialistische Gesellschaftskritik. Wer präzise definiert, die oder der verdinglicht auch. Er oder sie macht aus einer lebendigen Sache, der man nur in ihrer Entwicklung nachspüren könnte, ein ein für alle mal gegebenes Faktum. Definieren tötet! Auf jeden Fall verdinglicht es und ist somit per se undialektisch.
Das Patriarchat ist in seinen Erscheinungen höchst schillernd und flexibel. Von einer Konstanz in den Erscheinungen müssen wohl Uli Krug und Justus Wertmüller oder auch Ralf in „Die Pat.-Situation“ (vgl. Cee Ieh 69) ausgehen, wenn sie ein Ende des Patriarchats konstatieren. Dabei stützen sie sich jeweils auf erscheinende Tatsachen, wie jene, das Frauen ins Berufsleben einsteigen oder sich sexuell „ausleben“ (wollen). Damit konstatieren sie aber lediglich, daß sich das tradierte Frauenbild gewandelt hat. Ebenso hat sich das tradierte Männerbild gewandelt. Diese sind jetzt auch dem Zwang ausgesetzt, auf Äußerlichkeiten zu achten, sich einen „Waschbrettbauch“ anzutrainieren etc.. Davon ausgehend auf ein Ende des Partirchats zu schließen, ist aber grundfalsch.
Allenfalls ist möglich, von einer „Kontinuität im Wandel“ auszugehen. Kritische Gesellschaftsanalyse müßte aufdecken, wie sich das Patriarchat entwickelte, welche vielfältigen Stufen es durchlebte und warum auch heute noch trotz einer oberflächlichen Annäherung der Geschlechter aneinander von einer sexistischen Gesellschaft ausgegangen werden muß.

2. Sex and capitalism
wie die warenförmig strukturierte Gesellschaft die Geschlechter hervorbringt und wie sich das männliche Prinzip im und durch den Kapitalismus durchsetzt
Roswitha Scholz leitet in ihrem Aufsatz „Wert und Geschlechterverhältnis“ das Ergebnis der Geschlechterkonstituierung aus der Wertabspaltung ab. Damit das Kapital sich uneingeschränkt verwerten kann, muß es einen abgespaltenen Bereich geben. Dieser stellt scheinbar(3) das Gegenteil der rationalen wertvergesellschafteten Welt dar.(4) Er ist jenes Dunkle, was uns als weiblich, geheimnisvoll, irrational anmutet. In Wirklichkeit ist es aber nur die Kehrseite der Medaille, der wertvergesellschafteten Welt. Die Kehrseite besteht nur, weil es die Vorderseite gibt. So stehen der wertförmige und der abgespaltene Bereich in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Sie bedingen sich gleichzeitig gegenseitig und schließen doch einander aus.
Anders ist Geschlechterbildung nicht vorstellbar. Freilich gab es Geschlechter auch vor dem Kapitalismus. Aber unsere heute gültigen Vorstellungen von Geschlecht gibt es tatsächlich erst seit dem 17. und 18. Jh.. In dieser Zeit wurde die Warenform total, begann also alle anderen ökonomischen Verhältnisse auszuschließen (d.h.: es wird fast auschließlich nur noch produziert, um zu verkaufen) und sich auch die nicht-ökonomischen Bereiche der Gesellschaft unterzuordnen. Damit konnten „Liebe“, „Ehre“ oder so etwas käuflich werden, also für Geld zu haben sein, obwohl in ihnen keine gesellschaftliche Arbeit vergegenständlicht ist, sie also wert-los sind.
Es setzte sich also die wertvergesellschaftete Gesellschaft durch. Menschen treten sich in ihr nur noch (oder immerhin: fast ausschließlich) als Warenbesitzer – zumeist Besitzer der Ware Arbeitskraft oder Kapital – gegenüber. Frage: “Was bist Du?“ Antwort: „Maurer“, „Schuster“, „Becker“.
Nicht einmal innerhalb der näheren Geschichte ist die Vorstellung eines natürlichen Geschlechterdualismus(5) selbstverständlich. Noch vor dem 17. Jh. ging man vom Ein-Geschlechter-Modell aus. Frauen seien Männer, nur irgendwie anders. Andere Gesellschaften kannten keine polaren Entgegensetzungen, sondern viele Zwischenstufen, die alle als Geschlechter galten(6).
Führt jemand den Sexismus auf kapitalistische Strukturen zurück, so setzt sie oder er sich schnell dem Verdacht aus, das Problem Sexismus nur nachgeordnet, sprich: als Nebenwiderspruch zu behandeln. Was ist ein Hauptwiderspruch? Der zur Staatsreligion erstarrte Marxismus-Leninismus(7) ging davon aus, daß der Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft jener zwischen Kapital und Arbeit wäre. Andere mögliche Widersprüche würden sich aus diesem ableiten, so z.B. die Frauenunterdrückung. Obwohl historisch älter, sei sie davon völlig überformt. Frauen würden unter der kapitalistischen Ausbeutung nur verstärkter leiden, als es Männer ohnehin bereits tun. Es gäbe also gar keinen sexistischen Widerspruch, weil dieser nur Spezialform des Grundwiderspruchs ist.
Setzt man Kapital und Arbeit als Grundwiderspruch, dann ist man oft bei der Befreiung der Arbeit von ihrer kapitalistischen Ausbeutung angelangt. Die Arbeit wird dann als an sich natürliche Beschäftigung des Menschen angesehen, die nur >>unnatürlicherweise<< vom Kapital ausgebeutet wird. Aber einer progressiven Marx-Interpretation geht es um die Abschaffung von Ware, Geld, Kapital und Arbeit – da diese vom Kapitalismus hervorgebracht sind. Und mit ihnen hätte sich allerdings auch der Sexismus erledigt. Aber: das gilt auch umgekehrt: Ein Ende des Kapitalismus ist nur zusammen mit der Aufhebung von Patriarchat und Sexismus möglich.
Also: es gibt keinen Haupt- und Nebenwiderspruch und auch keine drei oder mehr (Sexismus, Rassismus, >>Naturunterdrückung<<)(8) grundlegende Widersprüche. Statt dessen muß die gesamte kapitalistische Praxis als Totalität erfaßt werden. Nicht im Kampf zwischen Kapital und Arbeit entwickelt sich die Geschichte, sondern dieser Kampf ist selbst schon eine Ausprägung einer dem Kapitalismus immanenten Entwicklungstendenz, die aus der rastlosen Selbstverwertung des Werts resultiert. Diese drückt sich aus im fortwährenden Zwang zu technischer und wirtschaftlicher Entwicklung. Der Kapitalismus ist eine Maschine, die sich nach ihren eigenen Gesetzen immer schneller und rasender bewegt – bis zum Crash. Der angeblich grundlegende Kampf zwischen Kapital und Arbeit ist nur ein Teil dieser Selbstbewegung. Tatsächlich waren alle >>Arbeiterstaaten<< lediglich Modernisierungsdiktaturen. In Rußland und China vollendete der sogenannte „Sozialismus“ nur, was der Kapitalismus in diesen Ländern nicht geschafft hatte. Er führte zu einer immensen Mobilmachung des „Menschenmaterials“ für die Industrie.

3. Bürgerliches Subjekt
wie Menschen sein müssen, um im Kapitalismus zu funktionieren
Sexismus durchdringt die gesellschaftliche Struktur wie auch jeden einzelnen. Deshalb ist Sexismus nicht nur ein Problem, welches Frauen betrifft. Solange Sexismus immer noch als ein Problem gilt, welches Frauen mit Männern aber nicht welches jede und jeder einzelne mit sich selbst (freilich nicht nur) hat, kann Sexismus und Patriarchat nicht wirklich kritisiert werden.
Zu Recht stellt Jakob Wassermann im „Fall Mauritius“ fest: „Ich meine nämlich, Gut und Böse unterscheiden sich nicht im Verkehr der Menschen untereinander, sondern ausschließlich im Umgang des Menschen mit sich selbst.“ Um Mißverständnisse zu vermeiden: Es geht hier nicht um Psychologismus, nicht darum, daß jeder selbst mit seinen eigenen Problemen klarkommen muß und diese sowieso selbst verschuldet hat. Es geht darum, daß sich die herrschende gesellschaftliche Struktur bereits im einzelnen selbst verankert.
Der einzelne ist schon in sich dergestalt formiert, daß er die herrschende Gesellschaft trägt. „Ich denke also bin ich? Mitnichten! Merke: Der Körper wird – via Arbeitskraft – in die Gesellschaft eingebaut. Die Gesellschaft wird dagegen – via Geist – in den Körper eingebaut. Nicht wächst der Einzelne in die Gesellschaft hinein, sondern die Gesellschaft wächst in ihn hinein“ (vgl. Ilse Bindseil: Es denkt). „Anders als die traditionelle Individuum-contra-Gesellschaft-Theorie denkt, denkt es, nicht ich, wenn ich denke. Denn der Geist, das Selbst, das authentisch Gedachte sind hochgradig, nämlich hundertprozentig gesellschaftlich verfertigt und mit dem Körper, dem sie aufsitzen, nur zufällig verbunden. Gesellschaft ist die Kristallisation des verflüssigten Nutzteils des Körpers, also ihrer Arbeitskraft, und Geist wiederum sozusagen im einzelnen sich verflüssigende Gesellschaft“ (Christel Dormagen). Das bürgerliche Subjekt – und nicht die Familie – ist somit Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft. Jedes bürgerliche Subjekt ist ein Miniaturstaat.

4. Bürgerliche Rationalität
warum bürgerliche Rationalität männlich ist
In der letzten Zeit gab es in der antifaschistischen >>scene<< Diskussionen um den Begriff der Vergewaltigung. Während die bürgerliche Rechtssprechung von einer objektiven Bestimmung ausgeht, fordern einige feministische und antifaschistische Gruppen ein Definitionsrecht der Frau(9).
Entscheidendes philosophisches Problem bei diesen Debatten ist der Begriff der Objektivität. Ist es möglich, im Fall einer Vergewaltigung von objektiven Kriterien zu sprechen? Was muß ein Mann einer Frau angetan haben, damit diese berechtigt ist, vor Gericht von einer Vergewaltigung zu sprechen? Klar ist, daß solche objektiven Kriterien nicht möglich sind. Alles andere führt (im äußersten Extremfall) zu Abstrusitäten, wie in einem offiziellen (!) Lehrbuch für zukünftige JuristInnen. Vergewaltigung wird hier prinzipiell für unmöglich erklärt, weil es ohne ein Lustempfinden der Frau für den Mann physiologisch nicht möglich sei, Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Meint: ohne eine (mindestens) indirekte Zustimmung der Frau wäre es nicht möglich, mit einem Penis in eine Vagina einzudringen.
Gegen solche und abgeschwächte ähnliche Argumente führen feministische KritikerInnen (es soll Feministen geben...) zu recht ins Feld, daß eine Vergewaltigung unter Umständen recht herzlich wenig mit Penisen zu tun hat, die in Vaginas eindringen oder auch nicht. Sie sagen: es gibt kein objektives Kriterium für eine Vergewaltigung.
Tatsächlich kommt im offiziellen juristischen Begriff der Vergewaltigung nur eine bestimmte spezifisch bürgerliche und patriarchale Auffassung von Objektivität zum Ausdruck. Anstatt auf angeblich objektive Bestimmungen einer Vergewaltigung zu verweisen, käme es für kritische Linke darauf an, gerade an diesem Beispiel eine Kritik des bürgerlich-patriarchalen Verständnisses von Vernunft zu vollziehen.
An einer nüchtern und scheinbar neutral analysierenden Vernunft, die angeblich wert- und vorurteilsfrei die Welt erklärt, ist wenig verteidigungswert. Eher ist das Gefühl als möglicher und notwendiger Zugang zur Wirklichkeit darzustellen. Es ist gerade ein Grundproblem der bürgerlich-patriarchalen Welt, daß sie das „Eingedenken der Natur im Subjekt“ (Horkheimer/Adorno), also den einfühlenden, empathischen Zugang zur materiellen und sozialen Umwelt wegschneidet. Bürgerliche Gefühlskälte ist die Konsequenz. Die herrschende Rationalität ist ein Resultat des oben beschriebenen männlichen Prinzips. Ein Bezug darauf in linker Theoriebildung ist mehr als fragwürdig.Vielmehr müßte solche über derartige unausbleibliche Erscheinungen reflektieren.
Am oben gewählten Beispiel der Debatten um Vergewaltigung zeigte sich die Gefahr des bürgerlichen Verständnisses von Rationalität. Ein männlich bestimmter Begriff von Objektivität wird bei ihr auf die Definition von Vergewaltigung übertragen. Damit müssen Frauen sich den erniedrigenden Ermittlungsverfahren unterziehen, welche dann herausfinden sollen, ob denn nun wirklich eine Vergewaltigung vorliegt. Daß eine solche aber wesentlich vom subjektiven Empfinden der Frau, von ihrem Gefühl abhängig ist, wird in dieser Bestimmung nicht reflektiert.
An diesem Beispiel wird deutlich, daß der bürgerliche Rationalitätsbegriff einseitig männliche Denkweisen zu seiner Beurteilung von Sachverhalten heranzieht.

5. Sex and nature
warum Natur nicht natürlich ist
Völlig daneben ist das Aufgreifen der Ideologie von angeblich biologisch bestimmten oder gegebenen Geschlechtern. Was nutzt alle Kritik und Selbstreflexion, wenn am Ende nur kruder Biologismus herauskommt? Es gibt Natur nicht ohne Gesellschaft. Jeder Eindruck von ihr ist stets schon gesellschaftlich vermittelt. Gerade die Kategorie >>Geschlecht<< ist am allerwenigsten natürlich. Selbst Freud (und das will einiges heißen) erteilt einem natürlich gegebenen Geschlechtscharakter eindeutige Abfuhr. Von hier aus ist es freilich noch ein weiter aber nichtsdestotrotz notwendiger Schritt, auch das physische Geschlecht in Frage zu stellen.
6 000 Neugeborene in der BRD pro Jahr sprechen gegen einen angeblich natürlichen Geschlechterdualismus. Sie können also zum Zeitpunkt ihrer Geburt keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden. Die herrschende Medizin erklärt sie zu Mißgeburten und gleicht sie gewaltsam, per chirurgischem Eingriff, dem Geschlechterdualismus an. So ist das mit aller „Natürlichkeit“. Wer nicht von Natur aus natürlich ist, muß mit brachialer Gewalt dazu gemacht werden. Jedes Natürlichkeitsgerede muß als reine Ideologie bloßgestellt werden.
Es muß also herausgearbeitet werden, daß jeder Begriff von Natur sich aus der Logik des Kapitalismus und der Formierung des Menschen zum bürgerlichen Subjekt ableitet.
Die Gesellschaft erwächst nicht aus dem biologischen Körper der Menschen, dieser wird nur mittels Arbeit in sie eingebaut. Die Gesellschaft wächst in den Körper mittels Denken hinein (Bindseil). In gesellschaftlichen Phänomenen, wie dem der Geschlechter, finden sich also kaum spurenhafte Reste biologischer Rudimente, sondern: der Körper wird sozial durchprägt. Im Zuge der menschlichen Zivilisation wurde dabei Körper auch immer gesellschaftlich geformt. Gerade heute erleben wir in der Fitneßkultur eine massive Formung von Körpern. Auch die oben beschriebenen medizinischen Eingriffe bei Hermaphroditen(10) sind Element einer solchen gesellschaftlichen Formung des Körpers. Die Umgebung, in der ein Säugling aufwächst, ob und wie lange er gestillt wird, mit welchen Gesten, welchen Berührungen, welcher Mimik... all das prägt nicht nur die Seele des neugeborenen Menschen, sondern auch gerade seinen Körper. Da männliche Wesen zumeist mehr Zuwendung erfahren (die gesellschaftliche Basis des von Freud konstatierten Penisneides) formen sie sich auch zu körperlich stärkeren Wesen heran. Ihnen wird mimetisch (also unbewußt vermittelt über Mimik, Gestik, Blicke, Berührungen) vermittelt, das sie die künftig aktiven, ihre Umwelt erkundenden, Forderungen stellenden sein sollen. Auch das formiert wiederum Körper. Für uns ist es hingegen selbstverständlich, mehrheitlich stärkere Jungs und schwächere Mädchen (physisch wie psychisch) zu sehen. Wir nehmen das als >>natürlich<< wahr, weil uns die Mechanismen, die das bedingen, verborgen bleiben, obwohl oder gerade wir sie selber in uns tragen und täglich ausführen. Aufgabe materialistischer Gesellschaftskritik bleibt es, daß natürliche, was nichts ist, als das uns als natürlich erscheinende (was unseren Vorfahren mit reiner Gewalt eingeprügelt wurde und auch jeder einzelne von uns in seiner Kindheit aufgezwungen bekam), in seiner gesellschaftlichen Gewordenheit darzustellen. Dingliches gilt es also zu verflüssigen, in seinem Werden darzustellen. Das meint Dialektik.

6. Sexismus als Verhältnis des bürgerlichen Subjekts zu sich selbst
Die sexistische – mithin männlich-patriarchale Gesellschaft richtet sich, wie festgestellt, auch, wenn nicht in erster Linie gegen den einzelnen Menschen selbst. Sie ordnet, indem sie das Individuum zum bürgerlichen Subjekt formiert, dieses in ein >>Innen<< und ein >>Außen<<.
So erst wird es möglich, von einer >>inneren Natur<< zu sprechen. Das bürgerliche Subjekt teilt sich in einen privaten, sexuellen, emotionalen Bereich auf der einen Seite und einen rationalen, öffentlichen Bereich auf der anderen. Männlicher und weiblicher Bereich stehen sich somit nicht nur polar gegenüber und schließen sich gleichzeitig gegenseitig aus, sondern beide Pole stellen in sich nochmals einen Widerspruch zwischen männlich und weiblich dar. Also hat jeder Mann seine >>weibliche<< und jede Frau ihre >>männliche<< Seite. Beide Pole finden ihre Einheit in der Kategorie Mensch. Das Problem dabei: diese ist ihrerseits männlich konnotiert(11). >>Mensch<< wird männlich gedacht.
In Kombination mit Scholz’ Wertabspaltungstheorem gewinnen diese Gedanken zunehmende Brisanz. Anknüpfend an Scholz kann formuliert werden: der abgespaltene (weibliche, dunkle, irrationale, emotionale) und der wertförmige (helle, männliche, rationale, zielgerichtete) Bereich stehen sich gegenseitig ausschließend gegenüber. Ein Mensch kann entweder zum einen oder zum anderen Bereich gehören, also entweder Mann oder Frau sein. In genau dieser Radikalität verlangt es die bürgerliche Gesellschaft. Beide Bereiche könnten aber ohne einander nicht bestehen. Das Funktionieren des Kapitalismus ist ohne die Absicherung seiner Reproduktion undenkbar(12). Menschen müssen geboren, aufgezogen und zu wertfömigen Subjekten erzogen werden, bevor sie im Kapitalismus funktionieren können.
Aber auch hier trifft es zu, daß beide Pole sich in sich selbst widersprechen. Jeder Mann und jede Frau haben ihre und ihren wertförmigen und ihren abgespaltenen Bereich. So muß jede Frau innerhalb ihres abgespaltenen Bereiches perfekt funktionieren. So gilt es für sie, vor allem Leiden duldend hinzunehmen und trotzdem immer offen zu sein für die Probleme ihrer Kinder und die Ansprüche ihres Mannes.
Auch der Mann, der von seinem Wesen her die bürgerliche Gefühlskälte verkörpern muß (und dies als >>echter Mann<< auch gern macht), hat seine emotionale Seite, die auch in abgespaltenen Bereichen zum Ausdruck kommt.
Zwar geben sich viele Männer betont gefühlskalt aber es ist klar, daß sie dabei lediglich nicht zugeben, daß ihre angeblich so rationalen Schlußfolgerungen ebenfalls das Ergebnis von Gefühlen sind, die sie aber weniger artikulieren. In bestimmten Bereichen ist es ihnen dann auch gestattet, die eigenen Gefühle voll zum Ausbruch kommen zu lassen – z.B. wenn man sich prügelt und den Haß am Opfer ausagiert. Beim Zeigen von Macht und Stärke ist dann der Gefühlsausdruck gestattet.
Aus bisher Gesagtem ergibt sich, daß es sich beim Sexismus auch und vor allem um einen innersubjektiven Prozeß handelt. Er ist also weniger ein Herrschaftsverhältnis von Männern gegenüber Frauen, sondern vielmehr ein Herrschaftsmodus des bürgerlichen, patriarchalen Subjekts über sich selbst und erst somit gesellschaftliche Herrschaftsform.

7. Sex and sex
Nach Nietzsche durchdringt uns (unser Geschlecht) „bis in den Gipfel unseres Denkens“ (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse). Was dieser Philosoph naturalisiert, entpuppt sich als gesellschaftlich geschaffener Sachverhalt. Die sexistische Gesellschaft wächst samt Geschlechterpolarität in das einzelne Individuum hinein und formiert es zum Subjekt. Davon ist weder unser Denken, Fühlen, Handeln noch der Sex (jetzt im Sinne von Sexualakt) frei. Sex geht nur als Mann oder Frau (auch wenn man schwul oder lesbisch ist). Es gibt also keine freie Liebe und ein einseitig positives Anknüpfen an den Lustbegriff ist somit hochgradig bedenklich. Lust in einer patriarchalen Gesellschaft ist nicht frei von den Herrschaftsmomenten. Schon finsterste Denker bürgerlicher Radikalität und Brutalität wie der gewaltverherrlichende Schriftsteller Marquis de Sade(13) haben auf die Verquickung von Sex und Unterdrückung/Gewalt verwiesen. Und dabei ist klar, gegen wen sich diese Gewalt richtet. Gegen die, deren Geschlecht schon per definitionem das Schwache ist.
Körperliche Liebe wird innerhalb der herrschenden sexistischen Struktur zum Verkehr zwischen den Geschlechtern, Geschlechtsverkehr, Sex. Daß die Menschheit eigentlich Eine sein könnte, kommt so nur noch im kurzen Moment des Sexualakts zum Ausdruck. Sexualität ist mithin nicht natürlich, sonders selbst schon ein soziales Konstrukt und als solches auch nicht vom Sexismus trennbar. Sexualität heißt Geschlechtlichkeit und bezieht sich somit auf den Wesenskern des Sexismus – die Schaffung von Geschlechtern.
Das Bedürfnis von Menschen nach erotischer Liebe wurde im Zuge der Formierung des Menschen zum bürgerlichen Subjekt in das Korsett Sex gepreßt. Das ist auch ein Moment der Durchrationalisierung zum Zwecke kapitalistischer (Selbst)verwertung und der Naturbeherrschung. Gäben wir uns den ganzen Tag Liebesdingen, Rauschzuständen und dem Drogenkonsum hin, so könnten wir nicht kapitalgemäß – in der Warenform – existieren. Also wurde das Bedürfnis von Menschen nach körperlicher Liebe auf einen – manchmal nur wenige Minuten währenden Sexualakt reduziert. Eine Sache, die eigentlich das Leben ausfüllt, wird so zu einem Akt – das ist „natürliche“ Sexualität.
Von einer möglichen oder notwendigen Befreiung der Sexualität zu sprechen ist also höchst problematisch. Mit einem positiven Bezug auf Sexualität knüpft man bereits an jene im Text beschriebene sexistische Gesellschaftsstruktur an. Eine positive Bezugnahme sollte es also weniger zur >>Sexualität<< als vielmehr zur Erotik geben.
Einem Eintreten für Lustbetontheit gegenüber einem „strengen Über-Ich“ ist mit großem Vorbehalt zu begegnen. Letztendlich sollte es nicht um Triebentfaltung, sondern um Reflexions- und Vermittlungsvermögen, also um ein starkes Ich gehen.
Worum handelt es sich dabei? Hier ist ein kurzer Rückgriff auf Freuds Persönlichkeitsmodell nötig. Dieser dachte sich die Persönlichkeit als Gefüge dreier Instanzen: Ich, Es und Über-Ich.
Das Über-Ich umfaßt das Gewissen, die gesellschaftlichen Norm- und Wertvorstellungen und v.a. Verbote, die dem oder der Einzelnen auferlegt werden, die er oder sie sich selbst auferlegt und die oft das Glücklichsein der betreffenden Person verhindern. Ein starkes, rigides Über-Ich kennzeichnet einen Menschen, der sich Genuß verbietet.
Das Es umfaßt den Trieb. Er wurde von Freud biologisch gedacht. Aber auch frei von biologistischen Vorstellungen ist der Begriff brauchbar. Ohne sich zu fragen, ob dieser „Trieb“ nun natürlich oder gesellschaftlich geformt ist, steht er für die Bedürfnisse des Einzelnen, die von diesem zumindest als natürlich empfunden werden. Also Hunger, Durst, Schlafbedürfnis, sexuelles Bedürfnis, etc.
Das Ich ist für Freud jene zwischen diesen beiden Bereichen vermittelnde Instanz. Je stärker das Ich, umso besser gelingt es dem betreffenden Menschen zwischen Triebanforderungen und Gewissenszwängen zu vermitteln. Ein Mensch ist nun noch einem weiteren Bereich ausgesetzt – der Realität mit ihren Forderungen in der Umwelt zu bestehen, zu überleben. Freud nannte das Realitätsprinzip. Es nötigt den Einzelnen, seine Bedüfnisse der Umwelt anzupassen und/oder diese zu gestalten.
Wesensmerkmal eines starken Ich ist es, all den genannten Bereichen nicht ausgeliefert zu sein, sondern sich vermittelnd zu ihnen verhalten zu können. Also nicht heftigen Gewissenzwängen unterworfen zu sein, nicht von äußeren Bedingungen vollkommen abhängig zu sein und auch den Triebanforderungen nicht ausgeliefert zu sein. Ein starkes Ich gestaltet seine Umwelt oder erfaßt diese zumindest begrifflich, versteht sie. Ebenso kann es entscheiden, ob nun eine Triebanforderung zugelassen wird oder nicht. Ihm gelingt es, sich zu Gewissen, Trieb und Realität reflektierend/gestaltend zu verhalten. Es gelingt ihm, einen möglichst großen Teil des Gewissens, des Triebes und der Realität sich selbst einzuverleiben. Freud: „Wo ES war soll ICH werden“ ist das Programm der Psychoanalyse.
Befreiungsvisionen, die lediglich auf Lust und sich-ausleben setzen, laufen darauf hinaus, den Einzelnen zu einem Opfer von Triebanforderungen zu machen. Statt Ausleben von Lust zu fordern (und es somit zu einem Spielball der äußeren Bedingungen zu machen), kommt es darauf an, eine Annäherung an eine andere Person auf erotischer Basis zu ermöglichen. Also: erotische Liebe statt „zwanghaft patriarchalem Austausch von sexuellen Dienstleistungen“ (Ebermann/Trampert).
Eine befreite Erotik gehört selbstverständlich einer befreiten Gesellschaft an. Vorher gilt es das mögliche zu tun, um diese herzustellen. Der entscheidende Weg dazu ist, die kapitalistische Gesellschaft und sich selbst als darin lebendes Subjekt begrifflich zu durchdringen – also herauszubekommen, wie man so geworden ist, wie man ist und was das mit der Gesellschaft zu tun hat, in der man lebt. Eine so verstandene Kritik steht jenseits des abstrakten und ideologischen Gegensatzes zwischen „Theorie“ und „Praxis“.
martin d.

Fussnoten:
(1) Wenn ich in diesem Text (und generell) vom Kapital spreche, so meine ich damit niemals bestimmte Menschen (etwa Kapitalisten). Kapital ist in erster Linie Wert: also Maschinen (konstantes Kapital) und Arbeitskraft (variables Kapital). Im Unterschied zum Wert im allgemeinen ist Kapital sich selbst verwertender oder „Wert heckender Wert“, wie Marx schreibt. Daraus abgeleitet ist Kapital im weiteren Sinne der Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses. Wenn ich sage, daß das Kapital herrscht, so bedeutet daß, das die Gesellschaft unter dem Bann dieses Verhältnisses steht – aus Wert immer noch mehr Wert zu produzieren, und dies einzig mit Ziel der Verwertung. Bedürfnisbefriedigung ist also in einer kapitalistischen Gesellschaft kein Motiv zur Herstellung von Dingen.
(2) Das bedeutet nicht, daß es nicht außerhalb dieses „europäischen Kulturkreises“ patriarchale Verhältnisse gibt – im Gegenteil. Aber beschäftigen wir uns mit den hier bestehenden!
(3) Dieses schöne Wort „scheinbar“ wird leider sehr oft fälschlich mit „anscheinend“ verwechselt. Deshalb: “Scheinbar“ heißt in meinem Text stets >>nur zum Schein<<, >>es scheint lediglich so<<, also: es ist in Wirklichkeit nicht so, obwohl man es dem äußeren Schein nach, scheinbar nämlich, vermuten könnte.
(4) Auch ohne den Ansatz von Scholz und ihre „geniale Entdeckung“ (ISF: Der Theoretiker ist der Wert) zu teilen, ist es wichtig und möglich den Kapitalismus als von grundauf männlich-patriarchales System zu denken und anzugreifen. Wichtige Anregungen zum Weiterdenken finden sich in Adornos Minima Moralia unter den Stichwörtern „Darf ichs wagen?“, „Ausgrabung“ oder „Seit ich ihn gesehen“.
(5) Mit dieser Bezeichnung ist die für uns selbstverständliche Vorstellung von zwei Geschlechtern gemeint, wobei jede Person entweder zu dem einen oder zu dem anderen gehören muß.
(6) Man sollte dabei nicht kleinlich sein. Vielleicht gibt es ja sowas wie ein biologisches Substrat des Geschlechts. Reden wir von „Mann“ oder „Frau“ so meinen wir damit aber nicht TrägerInnen bestimmter Chromosomenkombinationen, sondern TrägerInnen sozial zugeschriebener und konstruierter Eigenschaften. Die weitere Argumentation in meinem Text wird außerdem belegen, wie Natur von Gesellschaft durchformt wird. Nach der kapitalistischen Prägung von Menschen zu Männern und Frauen ist es völlig unerheblich zu fragen, was daran mal natürlich war. Im übrigen sollte man stets vorsichtig sein, wenn das Argument, etwas sei „natürlich“ als Beleg für die Unabänderlichkeit dieses Sachverhalts verstanden wird. Die Cholera ist eine „natürliche“ Krankheit. Daraus zu schließen, man könne oder dürfe nichts gegen sie unternehmen, ist im besten Fall wirrköpfig – im allgemeinen jedoch schlicht: biologistisch.
(7) Der ML ist auch heute noch – oft verhüllter – aber wesentlicher Teil der Argumentationsstruktur vieler Linker – von der PDS bis zu den Autonomen.
(8) Davon geht die Triple-Oppressions-Theorie aus, die in vielen feministischen und anti-rassistischen Kreisen beliebt ist. Sie kommt mit ihrer Argumenatation aber nur scheinbar über den Traditionsmarxismus hinaus. Zwar gesellt sie dem einen Grundwiderspruch andere hinzu, öffnet somit das Blickfeld, andererseits aber bricht sie nicht mit der falschen Annahme eines systemsprengenden Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Weiterhin läßt sie die Tatsache verschwimmen, daß Sexismus und Rassismus durchaus kapitalistischer Natur sind, wenn auch nicht als „Nebenwiderspruch“.
(9) Es kann nicht Aufgabe dieses Artikels sein, diese Debatte nachzuvollziehen. Ich muß hier auf die einschlägigen Debatten verweisen.
(10) Hermaphroditen sind Menschen, denen kein eindeutiges Geschlecht zugeschrieben werden kann. Ihre Geschlechtsmerkmale sind entweder undifferenziert oder es sind Merkmale beider Geschlechter erkennbar.
(11) Sprachen die Philosophen in ihren Büchern vom „Wesen des Menschen“, so schloß sich in diesen oft ein letztes Kapitel über „das Wesen der Frau“ an. Rousseaus Erziehungsroman „Emile“ ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. In fünf Kapiteln wird hier über die Erziehung des Kindes zum >>Menschen<< schwadroniert. In einem sechsten schließt sich dann die Erziehung des Mädchens zur Frau an.
(12) Die Frage ist aber, ob der Kapitalismus andere Mittel seiner Reproduktion findet. Es wäre theoretisch möglich, Menschen zum Beispiel industriell zu züchten. Das männlich-patriarchale Prinzip bliebe davon allerdings unangetastet.
(13) Marquis de Sade stellt in Romanen wie „Justine“ oder „Juliette“ die Lust am sexuellen Verbrechen und an der Machtausübung dar. Von seinem Namen leitet sich der Begriff „Sadismus“ ab.



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last modified: 28.3.2007