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Masse, Mehrheit, Demokratie:
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
Ein Exkurs über die deutsche Sozialdemokratie und das Entstehen der kommunistischen Partei mit der notwendigen Kritik als Bonuspunkte des alljährlichen Gedenkens
von Ralf

Revolutionäre Politik damals
Als Ergebnis der Niederlage der bürgerlichen Revolution 1848 in Deutschland – dem selben Jahr, in dem auch das Kommunistische Manifest von Marx und Engels erschien –, die ein Scheitern einer Revolution nach dem Vorbild der großen Französischen von 1789 meint, organisierte sich die deutsche Sozialdemokratie. Sie war von Beginn an in die von Marx initiierte 1. Internationale verschiedener internationaler sozialistischer Vereinigungen involviert, die von 1864 bis 1876 existierte und in deren Tradition 1889 die 2. Internationale gegründet wurde. Es gründete sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADV) unter Führung von Ferdinand Lasalle, der sich 1863 mit der von Wilhelm Liebknecht und August Bebel ins Leben gerufenen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur Sozialistischen Arbeiterpartei zusammenschloß, welche 1890 den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) annahm. Die SPD avancierte als älteste deutsche Partei über die Jahre zur stärksten Partei des Kaiserreichs.
Die deutsche Sozialdemokratie stand trotz des Einflusses von Friedrich Engels zeitlebens stark unter dem nationalistischen Eindruck der (Otto Fürst von) Bismarkschen „Blut und Boden“-Politik, der es 1871 gelang, in Deutschland die Revolution von Oben, die Kaiser-Reichs-Gründung zu vollziehen und mit dem Sozialistengesetz von 1878 bis 1890 ein Ermächtigungsgesetz zur Bekämpfung der sozialdemokratischen Bewegung einzuführen, deren gleichzeitige Kehrseite die ersten Ansätze der Sozialgesetzgebung von oben nach dem Prinzip von „Zuckerbrot und Peitsche“ waren. Die verspätet gegründete deutsche Nation war, und das spürt man bis heute, von einem spezifischen deutschen Konstitutionalismus der Obrigkeitsgläubigkeit geprägt. In diesem Sinne stießen Ferdinand Lassalles Ideen vom Staate als Verkörperung des sittlichen allgemeinen Interesses, bei dem der Arbeiterbewegung die Aufgabe zufiele, durch allgemeines Wahlrecht den Staatssozialismus als „wahre Demokratie“ herbeizuführen, innerhalb der Sozialdemokratie auf übergroße Resonanz. Es war 1891 auf dem Parteitag der SPD in Erfurt als der später von Lenin als „Renegat“ – also als marxistisch Abtrünniger, weil dieser die revolutionäre Politik der Bolschewiki entschieden anfeindete – bezeichnete Karl Kautsky mit dem Erfurter Programm im Verbund mit August Bebel den revolutionären Klassenkampf nach Marx und Engels zum programmatischen Weg der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der SPD, erheben konnte. Damit stand die SPD zum ersten Mal in ihrer damals noch jungen Geschichte auf fester revolutionärer Grundlage und geriet in den Augen der reichstreuen Kaiser-Anhänger zur Partei der „vaterlandslosen Gesellen“ (Wilhelm II).
Über die darauffolgenden Jahre hatte in der SPD trotz nach außen getragener Geschlossenheit längst ein Flügelkampf an Stärke gewonnen, der sich zum einen im parteioffiziellen Marxismus des Karl Kautsky widerspiegelte und zum anderen in den reformistischen Vorstellungen eines Eduard Bernsteins, der gemeinhin als bekanntester Vertreter des sogenannten Revisionismus galt, der darauf Bezug nahm, daß Marx und Engels im Vorwort zur deutschen Ausgabe des Kommunistischen Manifests von 1872 und später Engels (1895) in der Einleitung zu Marx’ Schrift „Klassenkämpfe in Frankreich“ ihre Position revidierten – daher Revisionismus –, der revolutionäre Kampf um die soziale Revolution stehe für das Proletariat als unmittelbare Aufgabe auf der Tagesordnung.
Die erste der zahlreichen sogenannten Bernstein-Debatten in der SPD wurde 1998 geführt. Schon da erwiderte Rosa Luxemburg, die erst im selben Jahr in die Partei eingetreten war, auf den berühmten Ausspruch von Bernstein (aus seinem Buch „Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“) „Das Endziel, was immer es sei, ist mir nichts, die Bewegung alles“, wie folgt: „...Nein, umgekehrt: die Bewegung als solche ohne Beziehung auf das Endziel, die Bewegung als Selbstzweck ist mir nichts, das Endziel ist uns alles.“
Luxemburg veröffentlichte noch im selben Jahr ihren Aufsatz „Sozialreform oder Revolution“, in dem sie gegen Bernstein und die Revisionisten schrieb: „Diese ganze Theorie läuft praktisch auf nichts anderes als auf den Rat hinaus, die soziale Umwälzung, das Endziel der Sozialdemokratie, aufzugeben und die Sozialreform umgekehrt aus einem Mittel des Klassenkampfes zu einem Zwecke zu machen.“

Die Politik von R. Luxemburg und Karl Liebknecht
Immer wieder griff Luxemburg den, wie sie es nannte, „Kadaver- und Schafsgehorsam“, die „Friedhofsdisziplin“, als „typische deutsche“ Angelegenheiten innerhalb der SPD an. Dafür erntete sie von der sozialdemokratischen Männergilde entsprechende Titel wie „respektlose Stechmücke“ oder „giftige Nudel“. Für sogenannte Frauenfragen interessierte sie sich herzlich wenig. Dieses Terrain überließ sie zeitlebens ihrer Freundin Clara Zetkin, die sie gleichzeitig „die Mutter“ nannte.
Luxemburg selbst bezeichnete sich stets als Sozialdemokratin. In diesem Sinne kritisierte sie auch nicht die gesamte sozialdemokratische Bewegung, sondern nur bestimmte Institutionen wie die SPD oder die Gewerkschaften.
Der Massenbegriff bei ihr verkam zu einer schier mysthischen Größe. Masse, Mehrheit, Demokratie, diese drei Begriffe sind quasi der Ausgangspunkt ihrer Theorie.
Im Gefolge der Russischen Revolution von 1905 spaltete sich innerhalb der SPD vom sog. marxistischen Zentrum um Kautsky eine zahlenmäßig kleine radikale Linke ab, die es vollbrachte, die Position des Zentrums zu schwächen. Während so Luxemburg 1906 auf dem Parteitag in Mannheim die Aktivierung des Klassenkampfs mittels des politischen Massenstreiks verlangte, was ihr eine zweimonatige Gefängnisstrafe wegen „Aufreizung zu Gewalttätigkeit“ einbrachte, machten dort die Gewerkschaften mit ihrer Forderung nach einem Vetorecht bei Beschlüssen gegen sie Boden gut.
Schon 1904 hatte Luxemburg in der Schrift „Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“ die Kluft zwischen ihr und Lenin hinsichtlich des Verhältnisses von Masse und Organisation verdeutlicht. Während Lenin die Massen zusammenhalten wollte um zur Macht zu gelangen, setzte Luxemburg auf die Eigendynamisierung durch die Massen, von der sie zeitlebens überzeugt war. Ihre Konzeption der Leitung als Ausdruck der Massenbedürfnisse hat sie später (1906) in der Schrift „Massenstreik, Partei, Gewerkschaften“ weiterentwickelt.
In zunehmendem Maße gerieten die radikalen Linken innerhalb der SPD, zu denen neben Kurt Eisner, Franz Mehring, Hermann Duncker und Luxemburg auch der junge Karl Liebknecht – das Patenkind von Karl Marx und Friedrich Engels – gehörte, in Widerspruch zu August Bebel, der nach Wilhelm Liebknechts Tod zum Parteiführer avancierte.
Gegen den Willen von Bebel plädierte Karl Liebknecht für den Aufbau einer eigenständigen antimilitaristisch geprägten internationalen sozialistischen Jugendbewegung, welches ihm seinen ersten Knastaufenthalt vom 24. Oktober 1907 bis zum 01. Juni 1909 einbrachte.
Angesichts des drohenden Krieges wuchsen die Spannungen innerhalb der SPD. Deutlich ließen sich vier Strömungen in der Partei ausmachen: auf der äußersten Rechten die Revisionisten, in der Mitte der Parteivorstand und die Masse der Funktionäre, links davon das marxistische Zentrum und auf der äußersten Linken ein Kreis um die uns bekannten Personen. Mittlerweile schloß sich auch das marxistische Zentrum der Forderung nach einem Massenstreik an.
Nach Bebels Tod im Jahre 1913 sank der Einfluß Kautskys immens und es gelang ein neuer Typ von Arbeiterführer an die Spitze der SPD. Braun, Scheidemann und Ebert waren die Prototypen dieser neuen sozialdemokratischen Funktionärspersönlichkeiten, die so gut wie nichts mit der revolutionären Vergangenheit der sozialdemokratischen Bewegung verbanden und die durch und durch Parlamentarier waren.
Der angesehene Rechtsanwalt Karl Liebknecht gelangte per Wahlmandat (im sogenannten „Kaiserwahlkreis“ Potsdam-Spandau-Osthavelland) in den Reichstag und wurde so Abgeordneter der SPD-Fraktion.
Über Jahrzehnte gehörte es zum grundlegenden Selbstverständnis der Partei, den Haushalten in den Landtagen wie im Reichstag prinzipiell die Zustimmung zu verweigern.
Am 04. August 1914 wurde die sozialdemokratische Katastrophe besiegelt: die SPD beschloß die Zustimmung zu den Kriegskrediten, damit Deutschland in den Krieg ziehen könne. Der „rote Lack“ sei von den Sozialdemokraten abgesprungen, kommentierte Kaiser Wilhelm II, und die „guten Deutschen“ seien zum Vorschein gekommen.
Bekanntlich stimmte nur Karl Liebknecht dann am zweiten Dezember 1914 gegen die Kriegskredite. Welch wahrlich welthistorischer Einschnitt diese Zustimmung war, läßt sich heute nur immer wieder feststellen. Sie war eine der verhängnisvollsten Wendepunkte in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung überhaupt.
Am 5. März 1915 gründet sich in Wilhelm Piecks Wohnung die Gruppe Internationale, die wenig später unter Leitung von Luxemburg und Franz Mehring die sofort nach Erscheinen verbotene Zeitschrift Internationale herausgab.
Ende Mai wird auf einer Demonstration ein Flugblatt Liebknechts mit der berüchtigten Losung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ verteilt.
Trotz immer weiterer Entfernung von der Partei schiebt sich der Bruch mit der SPD weiter auf. Anfang 1916 formuliert die Gruppe Internationale, Rosa Luxemburgs „Leitsätze über Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie“, in denen es abschließend heißt: „Die einzige Verteidigung aller wirklichen nationalen Freiheit ist heute der revolutionäre Klassenkampf gegen den Imperialismus. Das Vaterland der Proletarier, dessen Verteidigung alles andere untergeordnet werden muß, ist die sozialistische Internationale.“
Im Gefängnis, wo Luxemburg ab 18. Februar eine einjährige Haftstrafe wegen ihrer Rede vom Februar 1914 gegen den Militarismus absitzen mußte, verfaßt sie die Junius-Broschüre, über die es später zur vielzitierten Kontroverse mit Lenin um die nationale Frage kam, bei der Lenins Kritik an der Luxemburg aus teils taktischen Erwägungen mit Blick auf den revolutionären Kampf gegen den Zarismus erfolgte, teils aber auch gerade mit Blick auf die Strategie des weltrevolutionären Prozesses. Lenin bezweifelt in seiner Kritik nicht die Leitsätze und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen der Gruppe Internationale und behauptete auch nicht, wie ihm gern wegen der Legitimierung seines aus der Imperialismusanalyse abgeleiteten Selbstbestimmungsrechtes der Völker untergejubelt wird, daß es keine Notwendigkeit gebe, sich explizit auf die eigene Nation zu beziehen.
Aus der „Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft“, der diverse Sozialdemokraten angehören, die ein Jahr nach Liebknechts Gegenstimme seinem Beispiel bei einer Abstimmung zu weiteren Kriegsgeldern folgen, wird wenig später die USPD – die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, der sich zunächst auch die Gruppe Internationale anschloß.
Anfang April des Jahres 1916 endete die parlamentarische Tätigkeit Karl Liebknechts mit einer pogromartigen Stimmung und Handgreiflichkeiten im Reichstag gegen ihn.
Im Verlaufe einer von der Gruppe Internationale organisierten 1. Mai-Demonstration, an der sich rund 10 000 Menschen beteiligten, wird Liebknecht für den Ruf „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ verhaftet. Auf einer darauffolgenden Verhandlung wegen Landesverrat, wo er zu zwei Jahren, sechs Monaten und drei Tagen Zuchthaus verurteilt wird, erklärt er: „Landesverrat ist für den internationalen Sozialisten vollkommener Nonsens. Er kennt keine feindliche Macht, der ‘Vorschub zu leisten’ (O-Ton der Anklageschrift – R.) er auch nur denken könnte. Er steht jeder fremden kapitalistischen Regierung genauso revolutionär gegenüber wie der eigenen.“
Mit dem illegalen Erscheinen des Spartakusbriefes im September 1916 wird die Gruppe Internationale als Herausgeberin in der Folgezeit auch Spartakusgruppe genannt. Schon vorher wurde Luxemburg in sogenannte Schutzhaft genommen, aus der sie erst am 8. November 1918 wieder entlassen wurde.
Die Eskalation des 1. Weltkrieges, der im vollem Gange war, kommentierte die Spartakusgruppe in der vierten Ausgabe der Spartacusbriefe so: „Die kapitalistischen Staaten sind nicht mehr imstande, aus eigenen Willen dem entfesselten imperialistischen Hexensabbat halt zu gebieten. (...) Nur eine einzige Macht wäre imstande und war durch die Geschichte berufen, dem rasenden Abrutsch der Gesellschaft in den Abgrund der Anarchie und der Verwilderung in die Speichen zu fallen: das internationale sozialistische Proletariat. Einen anderen Ausweg aus dem Kriege als die revolutionäre Erhebung des internationalen Proletariats zum Kampfe um die Macht gibt es nicht mehr – es sei denn, die völlige Erschöpfung der Gesellschaft.“
Die Spartakusgruppe kritisierte bis zum November 1918 vehement die USPD für ihr Festhalten an den angeblichen parlamentarischen Möglichkeiten. Dagegen setzte die Gruppe die unbedingte Option des Massenstreiks gegen den Krieg.
Das größte Interesse seitens der Spartakusgruppe aber fand die Entwicklung in Rußland, wo sie die Voraussetzungen für den Beginn der proletarischen Weltrevolution erahnte.
So schreibt auch Rosa Luxemburg im Gefängnis ihr zweites Hauptwerk „Die russsiche Revolution“ (neben „Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus“ von 1913), in dem sie die Ereignisse in Rußland an der „reinen“ Revolution der proletarischen Massen bemißt und teilweise kritisiert.
Die Novemberrevolution von 1918 hatte am 3. November mit dem bewaffneten Aufstand der Matrosen und Arbeiter in Kiel begonnen und sich rasant über das ganze Land ausgebreitet. An vielen Orten entstanden Arbeiter- und Soldatenräte. Im Ergebnis dessen ruft der Sozialdemokrat Scheidemann widerwillig vom Balkon des Reichstages die Republik aus: „Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewußt. Das alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das neue, es lebe die deutsche Republik!“
Es ging dieser Mehrheit der Sozialdemokratie, der sog. Mehrheitssozialdemokratie, um nichts anderes mehr als die Abschaffung der Monarchie.
Vor tausenden Menschen verkündete Liebknecht deshalb im Gegenzug: „Der Tag der Revolution ist gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. (...) In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland. Wir grüßen unsere russischen Brüder (...). Wenn auch das Alte niedergerissen ist, dürfen wir doch nicht glauben, daß unsere Aufgabe getan sei. Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen und eine neue staatliche Ordnung des Proletariats zu schaffen, eine Ordnung des Friedens, des Glücks und der Freiheit unserer deutschen Brüder und unserer Brüder in der ganzen Welt. Wir reichen ihnen die Hände und rufen sie zur Vollendung der Weltrevolution auf.“
Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie konstituiert sich die Spartakusgruppe am 11. November als Spartakusbund – zugleich auch als Untergliederung der USPD.
Am 18. November erscheint zum ersten Mal die Zeitung des Spartakusbundes, die Rote Fahne – herausgegeben von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
Luxemburg benennt dort klar die aktuellen revolutionären Aufgaben: „Ausbau und Wiederwahl der lokalen Arbeiter- und Soldatenräte, damit die erste chaotische und impulsive Geste ihrer Entstehung durch bewußten Prozeß der Selbstverständigung über Ziele, Aufgaben und Wege der Revolution ersetzt wird.“
Ende November ist die Situation zutiefst widersprüchlich. Dennoch entwickeln sich zunehmend Kämpfe in den Betrieben – eine breiter werdende Streikbewegung zeichnet sich ab.
In immer zunehmenderen Maße sieht sich der Spartakusbund Anfeindungen vom Rest der Sozialdemokratie ausgesetzt. Rosa Luxemburg schreibt in der Roten Fahne: „Die Hetze wird planmäßig betrieben (...), um eine Pogromatmosphäre zu schaffen und die Spartakusrichtung politisch zu meucheln, ehe sie noch die Möglichkeit hatte, die breitesten Massen mit ihrer Politik und ihren Zielen bekannt zu machen.“
Die inzwischen regierende Sozialdemokratie, die Regierung Scheidemann-Ebert, sitzt sich dagegen immer fester im Sattel fest – auch militärisch.
Während der Spartakusbund den Kern der anwachsenden Streikbewegung als durchweg revolutionär und notwendig begreift, steht die USPD gegen diese Streikbewegung.
Damit machte sich nunmehr der Bruch, d.h. die Gründung einer eigenen Partei des Spartakusbundes unumgänglich. Somit ist es soweit: am 30. und 31. Dezember 1918 wird die Kommunistische Partei Deutschlands, die KPD, gegründet.
In der „Roten Fahne“ veröffentlichte Luxemburg Tage vorher das von ihr erarbeitete Programm des Spartakusbundes, das mit der Programmatik der KPD identisch ist. Darin zitiert sie irrtümlich aus dem Kommunistischen Manifest den Ausspruch „Sozialismus oder Untergang in der Barbarei!“. Irrtümlich deshalb, weil sich dieser Spruch nicht im Manifest findet.
Ein Tiefpunkt taktischer und theoretischer Überlegungen u.a. von Luxemburg und Liebknecht war der Glaube, die KPD müsse sich an den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung beteiligen. Diese Forderung wurde aber mehrheitlich abgelehnt und so nimmt die KPD nicht an den Wahlen teil.
Liebknecht und Luxemburg wollten „von unten den bürgerlichen Staat aushöhlen“ und ihn so „in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte bringen“ (aus der Luxemburg-Rede zum Programm der KPD, gehalten auf dem Gründungsparteitag). „Die Masse muß, indem sie Macht ausübt, lernen, Macht auszuüben“, so Luxemburg, „es gibt kein anderes Mittel ihr das beizubringen. (...) Die proletarischen Massen sozialistisch schulen, das heißt: ihnen Vorträge halten und Flugblätter und Broschüren verbreiten. Nein, die sozialistische Proletarierschule braucht das alles nicht. Sie werden geschult, in dem sie zur Tat greifen!“ (ebenda)
Die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, der den Arbeiter- und Soldatenräten wohlgesonnen ist, führt zum massenhaften Aufstand. Hunderttausende gehen in Berlin auf die Straße und es gibt einen politischen Generalstreik. Öffentliche Gebäude und das Zeitungsviertel inklusive dem Verlagshaus des SPD-Organs Vorwärts werden durch tausende bewaffnete Revolutionäre besetzt und es wird ein Revolutionsausschuß gebildet. Im Auftrage von Ebert und Scheidemann führt Gustav Noske die miltärische Konterrevolution gegen die Soldaten und Arbeiter im besetzen Zeitungsviertel Berlins. Der Aufstand wird trotz erbitterter Gegenwehr niedergeschlagen und die Hatz auf alle Revolutionäre begann. Nachdem man Liebknecht und Luxemburg habhaft werden konnte, stand in der bürgerlichen Presse zu lesen: „Liebknecht auf der Flucht erschossen! Rosa Luxemburg von der Menge getötet!“
Hunderttausende nehmen an den getrennten Beerdigungen teil, nach dem man beide Leichen aus dem Landwehrkanal fischen konnte.
Die revolutionäre deutsche Linke in der Tradition des klassenkämpferischen Massensatzes hat sich bis auf den heutigen Tag nicht wieder von der damaligen Niederlage, verkörpert im Mord an Liebknecht und Luxemburg, erholen können. Die linke Verbittertheit darüber, die aus dem berühmt-berüchtigten Slogan „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten“ spricht, kann fast gar nicht besser auf den Punkt gebracht werden: Schuld waren immer die anderen gewesen. An dieser Lesart und diesem Verständnis von Selbstreflexion und Selbstkritik einer deutschen Linken hat sich bis heute nicht viel geändert. „Die Toten mahnen uns“, prangt groß auf dem überdimensionierten Grabstein für die Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. Die Mystifaktion der Toten wird so zur Weihe der Linken in der jeweiligen Gegenwart.

Zur Kritik von Theorie und Politik bei Liebknecht und Luxemburg
Beide besaßen ein fast überirdisch idealistisches Vertrauen in die Kraft und die Dynamik der Massen, mit denen zusammen sie einen Staat auf der Basis von Räten organisieren wollten, der explizit den Parlamentarismus als Instrumentarium beibehalten sollte. Auf diese Massen-Gläubigkeit ließen sie nie etwas kommen. Und es waren maximal Anflüge einer Ahnung, die sie spüren ließen, daß es so rosarot um die Massen im Kapitalismus und seinem ideelen Gesamtkapitalisten, dem bürgerlichen Staat, nicht bestellt sein kann. In den erst 1922 von ihrem damaligen politischen Freund und späteren Führer der KPD, Paul Levi, veröffentlichten „Fragment über Krieg, nationale Frage und Revolution“ von 1918 läßt Luxemburg das einzigste Mal überhaupt leise Zweifel an ihrem eigenen zur Schau getragenen Zweckoptimismus anklingen: Bei den Massen, so stellt sie fest, kapituliere „der Gedanke des Klassenkampfs (...) vor dem nationalen Gedanken.“
Daß sie schier nicht in der Lage war, die Dimension von bürgerlicher Herrschaft und Nationalstaat zu erfassen, offenbarte sie an Ort und Stelle gleich mit: Nationalstaat und Nationalismus seien „an sich leere Hüllen (...), in die jede historische Epoche und die Klassenverhältnisse in jedem Land ihren besonderen materiellen Inhalt gießen“ könnten. Denn der Nationalismus sei „nichts und alles, er ist bloß die ideologische Hülle“. Und es komme alles darauf an, „seinen jeweiligen Kern zu bestimmen“. Diese Positivität des Nationalismus bei Luxemburg korrespondiert hervorragend mit der weiter oben zitierten Forderung nach Aushöhlung des bürgerlichen Staates. Weder Luxemburg noch Liebknecht, geschweige denn andere Sozialdemokraten oder gar der „stinkende Leichnam“ (Luxemburg) SPD, waren demzufolge in der Lage, die Änderung der Besitzverhältnisse durch die Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“ weiter zu denken als im Sinne eines staatsozialistischen Wohlfahrtstaates als Ausdruck „wirklicher“ Demokratie.
Luxemburg entdeckte in ihrer Theorie vom Zusammenbruch des Kapitalismus an sich selbst im Monopolkapitalismus, dem Imperialismus als „höchstes Stadium des Kapitalismus“ (Lenin), die Notwendigkeit einer Beschleunigung dieser Implosion durch revolutionären proletarischen Kampf: die Zuspitzung der Widersprüche im Sinne der verwissenschaftlichten Gesetzgebung des historischen Materialismus, nachdem alle Geschichte der Menschheit die Geschichte von Klassenkämpfen sei und das gesetzmäßige historische Subjekt der Revolution zur Befreiung der Menschheit vom Joch der Unterdrückung und Ausbeutung nur das Proletariat sein könne.
Der sogenannte Hautpwiderspruch von Kapital und Arbeit, den Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie aus der Entdeckung des „Doppelcharakters der in den Waren dargestellten Arbeit“, als den „Springpunkt“ seiner Kritik an der bürgerlichen Ökonomie herleitete, wurde schon unmittelbar von Marx selbst, noch stärker aber von Engels zur historischen Bestimmung des Proletariats als Träger der Aufhebung dieses Grundwiderspruchs des Kapitalismus verklärt. Jene politische Ambition von Marx stand schon immer gegen die des Kritikers Marx. Sie bildet bis heute den Grundstock jeglicher revolutionärer Politik, deren eifrigste Verfechter in Deutschland u.a. Luxemburg und Liebknecht waren. Liebknecht und Luxemburg waren Ökonomisten dergestalt, daß sie geheimnisumwitterte Produktivkräfte, das heißt die physische und psychische menschliche Arbeitskraft sowie die von ihr in Bewegung gesetzten Produktionsmittel, als Antreiber der gesetzmäßigen Weltgeschichte am Werk sahen. Sie waren demzufolge keine Ökonomisten in dem vulgären Sinne eines linksliberalen Ökonomismus-Kampfbegriffes, der der Kritik der politischen Ökonomie vorwirft, die politische Ökonomie des Kapitalismus als Grundproblem schlechthin zu begreifen. Im hier gemeinten Sinne des Ökonomismus ist bei Luxemburg und Liebknecht wie bei vielen anderen Kommunisten gerade darin die Ursache der systematischen Verkennung des Zusammenhanges von bürgerlicher Herrschaft und Demokratie als uneins – also der politischen Ökonomie äußerlich – zu sehen.
Weder Luxemburg noch Liebknecht gelang es wie allen damaligen Revolutionären, ihr ambivalentes Verhältnis, d.h. die häufigen doppelwertigen Schnittstellen zwischen bürgerlicher und proletarischer Revolution genügend zu reflektieren. So sollte eben mit der Revolution weder der Staat abgeschafft noch die Lohnarbeit als bürgerliches Verhältnis aufgehoben werden.
Das Begreifen gesellschaftlicher Totalität, die, um mit Adorno zu sprechen, die Erkenntnis der Ausgebeuteten als Bewußtsein, zumal noch als Klasse, unter sich begräbt und ein, wie der Marxist Georg Lukacs feststellte, „notwendig falsches Bewußtsein“ hervorbringt, macht jegliches Subjektdenken hinfällig. Das konnten, so man geschichtliche Ereignisse geltend machen will, Liebknecht, Luxemburg und all die anderen Revolutionäre nicht begreifen, weil sie in ihrer halluzinierten objektiven eigenen Denkform der verwissenschaftlichten Bestimmung gefangen waren und sich deshalb nicht der negativen Kritik der eigenen positivistischen Identität aussetzen wollten.

Von Leipzig nach Berlin zum Totentanz? Sind das die ausgedrückten Verhältnisse, die zum Tanzen gebracht werden sollen?
Luxemburg und Liebknecht war die Organisation niemals Selbstzweck, sondern Mittel zur organisierten Revolutionierung der Massen. Der wichtigste Unterschied zwischen einer organisierten Linken von heute zu der von damals besteht also, bedingt durch den unabdingbaren „Verlust“ eines historischen, revolutionären oder sonstwie bestimmten Subjekts darin, daß eine Organisation im kommunistischen Sinne heute nur noch Selbstzweck sein kann. Das wiederum bedeutet nicht den Verzicht auf Agitation als Kritik der Verhältnisse. Wohl aber den endgültigen Verzicht auf Politik. Denn Politik ist für alle Zeit die Kunst des Möglichen, die immer im Staate, d.h. aller spätestens bei der allgemeinen Gesetzgebung, ankommt und ihn somit niemals überwinden kann. Das Mögliche ist so immer ein idealistischer kategorischer Imperativ in der Tradition Immanuel Kants. In diesem Sinne läßt sich unter gewagter Bezugnahme auf den Revolutionsromantiker Che’ Guevara nur feststellen, daß der einzigste Realismus im Versuch des Unmöglichen besteht. Und da kann man sich, um mit Marx zu sprechen, umstülpen oder auf den Kopf stellen wie man will, der Idealismus, das heißt, die Positivität als Traum von der Revolution, ist somit gänzlich futschikago, d.h. ausgeträumt.
Zu tun ist dennoch vielerlei. Dazu gehört, sich klarzumachen, daß man mit der PDS-Pilgerschar am Grab von Liebknecht und Luxemburg genausowenig zu tun hat, wie mit den verrückten revolutionären Massenpolitikern von DKP, MLPD bis zu denen bei der Antifa. Dazu gehört, sich den notwendigen Bruch mit Luxemburg und Liebknecht bewußt zu machen, ohne sie gleichzeitig auf den Müllhaufen der Geschichte zu feuern. Dazu gehört, sich damit zu beschäftigen, was kommunistische Kritik ausmacht. Mit anderen Worten: Eine Beteiligung an dem Liebknecht-Luxemburg-Gedenken muß gleichzeitig eine Art Gegen-Demonstration sein, die sich mit der gelieferten Kritik gegen die absolute Mehrheit der dort Anwesenden richtet, genauso, wie man nicht dazu vor Ort, „Karl und Rosa“, wie es immer so niedlich heißt, zu glorifizieren.
Wenn diese Vorbedingungen stimmen, dann wünsche ich allzeit gute Fahrt nach Berlin und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel(1).

verwendetes Material:
Susanne Hillmann (Hg.): Rosa Luxemburg – Schriften zur Theorie der Spontaneität, Hamburg 1970; Ossip K. Flechtheim (Hg): Rosa Luxemburg – Politische Schriften, Frankfurt am Main 1987; ak kassiber: Aneignung 1 – Material für Wissenschaft und Widerstand, Berlin 1996; Manon Tuckfeld/Jens Christian Müller: ‘Madame Geschichte’ und die Kämpfe, in: Bahamas, Nr.3/94; Elfriede Müller: Rosa Luxemburg und die Demokratie – über einen linken Myhos, in: Bahamas, Nr.22/97; Horst Pankow: Toten-Tango mit Rosa, Karl und Evita, a.a.O.; Justus Wertmüller: Vom Landwehrkanal nach Wurzen, a.a.O.

Fußnoten:
(1) Kiel, die Stadt, hier zu verstehen als Symbol der Novemberrevolution von 1918



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last modified: 28.3.2007